Otto Brunner: Die 'Reichskristallnacht' in Landau

Der gebürtige Landauer Kaufmann Otto Brunner erlebte mit 43 Jahren die Pogrome in seiner Heimatstadt mit. Er wurde 1942 nach Gurs deportiert, konnte aber durch die Hilfe seines Vetters Fritz in die USA (erst New York City, dann Hoboken, NJ) auswandern. Dort starb er am 20.09.1983.(*)


Gedenkstele am Standort der einstigen Synagoge

Am Morgen des 10. November stand ich vor unserem Hause und erwartete wie gewöhnlich die Frankfurter Zeitung durch unseren Zeitungsträger Flick, als ich auf einmal aus unserer Synagogen-Kuppel Flammen herausschlagen sah. Es muß so nach 8 Uhr gewesen sein. Im Nu brannte das ganze Gebäude, eines der herrlichsten Bauten der Stadt. Es dauerte nicht lange, da kam auch schon die Polizei und holte meinen Opel Kraftwagen, der in unserer Kellerei stand. Es war so ca. 10 Uhr, eine Stunde später - ich war in meinem Büro - hörte ich eine heulende Menge in unser Haus eindringen, und schon klirrten die Scheiben, welche sowohl im ersten als auch zweiten Stock sämtlich eingeschlagen wurden. Zu meinem Schutze versteckte ich mich auf unserem Geschäftsspeicher, da ich hoffte, hier vor der Menge sicher uu sein, während meine Mutter, die in der Wohnung - wohin ich leider infolge der sich überstürzenden Ereignisse nicht mehr gehen konnte, war - sich in unvernünftiger Weise diesem Mob zu widersetzen versuchte. Die Menge schlug aber den Abschluß ein und schloß meine Mutter in die Toilette ein, während sie von außen mit dem Wasserschlauch hereinspritzte, zu dem Pflastersteine in den Abort warf. Nur einem glücklichen Zufall ist es zu verdanken, daß meine Mutter schlimmeren Verletzungen entging; sie wurde dann später von SS-Leuten wie auch ich - allerdings getrennt - 'zu unserem eigenen Schutz' in das Gefängnis von Landau gebracht …

Man hätte unsere schöne Wohnung sehen sollen. Die Teppiche und Sofas waren verschnitten, dazu auch alle Gemälde, sämtliche Spiegel eingeschlagen, incl. Klavier und meine Geige, in der Küche sämtliche Schränke mit allem Porzellangeschirr umgeworfen und natürlich alles nur noch ein Trümmerhaufen. lm zweiten Stock warf man die Möbel teilweise zum Fenster hinaus, ein Wunder, daß man selbst unverletzt davonkam. lm Gefängnis war ich mit dem Vorbeter Zeilberger und Konditor Mai in einer Zelle untergebracht, und wir hörten Tag und Nacht die Menge vor dem Gebäude heulen, ja sie versuchten sogar, uns herauszuholen. Alles wurde mit deutscher Gründlichkeit zerstört. Am nächsten Tag kamen wir in den Betsaal der Gemeinde, der in der Schützengasse gelegen war. Wir werden ungefähr 70 Leute gewesen sein. Stroh wurde zum Schlafen gebracht, und einige Leute wurden bestimmt, die unter Aufsicht der SS das Essen in einem Restaurant holen mußten. Jede Nacht war eine Tortur; da kamen die SS-Leute, um ihr Mütchen an den armen unschuldigen Juden zu kühlen. Unter anderem waren einige schlechtsituierte Landauer Kaufleute dabei, die sich besonders hervortaten.

Bei den Orgien, welche diese SS-Leute veranstalteten, mußten die Juden die Kultgegenstände auf dem Kopf tragen und balancieren; wer es nicht machte, wurde geprügelt, wodurch es wahrscheinlich durch Herzschläge zwei Tote gab, u. a. Salomon Wolff von Böchingen. Mir selbst passierte, daß ein früherer renner und Lieferant von llbesheim namens Bosch in der Nacht, wie ich auf dem Stroh mit meiner Brille auf der Nase lag, mir dieselbe abnahm und ins Stroh warf mit der Bemerkung „Schläfst Du immer, Bürschchen, mit der Brille auf?“ So ging dieses Schauspiel jede Nacht, bis wir nach 8 Tagen nach Dachau abtransportiert wurden. lmmer kamen neue prominente Parteileute, um sich an dem Unglück der Juden zu weiden. Selbst die Überführung nach Dachau war mit Ausschreitungen von der Partei und Bevölkerungsseite erfüllt. Wir wurden erst durch die ganze Stadt an den Bahnhof unter dem 'Schutz' der SS gebracht. Natürlich gab es da allerhand Menschenaufläufe. Zu unserem Transport kamen noch Juden aus dem ganzen Saargebiet. Die ganzen Wagen waren an den regulären Zug nach München angehängt. Die SS-Leute belustigten sich, uns mit Kohle zu verschmieren und uns mit diesen schmutzigen Gesichtern an die Wagenfenster zu stellen und Bemerkungen zu machen „Seht ihr die Saujudenl“ Aber zu unserer Überraschung nahm die Bevölkerung in Städten wie Stuttgart und Ulm kaum Notiz. In München wurden die Wagen an den Zug nach Dachau-Stadt angehängt und wir wurden in Dachau-Stadt in einen Güterwagen hin|eingepfercht, so daß keiner mehr sich rühren konnte und so zu dem Lagereingang Dachau befördert.

Es war schon ganz dunkel, als wir dort ankamen; es war eine kalte, neblige Novembernacht, in die die Scheinwerfer des Lagers ihr Licht warfen. Unter Bedeckung von SS-Leuten mit aufgepflanztem Bajonett wurden wir dann auf den Appellplatz des Lagers getrieben. Es kam mir vor, als wenn Schweine in den Schlachthof gebracht würden. Natürlich gab es da auch allerhand Bajonettstöße und Beschimpfung der Juden, bei denen eine Menge alte Leute waren. Gleich auf dem Appellplatz brach Postwolff zusammen, und man schüttete ihm kaltes Wasser über; er kam nicht mehr zur Besinnung und starb nach einigen Tagen. Anschließend wurden wir dann zur Einteilung für die einzelnen Baracken in einen Saal gebracht, wo unter anderem einer unserer Bewachung die Bemerkung machte „lhr seid nun im Konzentrationslager Dachau, Abkürzung K.L.D. Kann lange dauern“. Alles mußte abgeliefert werden, was man bei sich hatte. Viele hatten Geld bei sich, was alles abgenommen wurde (als wir später entlassen wurden, wurde das Geld teilweise für die Rückfahrkarten der Leute, welche keines hatten, verwendet). Wir wurden gemustert, vorher von einem dieser Henkersknechte mit einem starken Strahl Wasser abgespritzt, meistens auf den Mund und die Augen, so daß man keine Luft mehr bekam. Für die meisten waren Lageruniformen da, doch nicht mehr für die Pfälzer, da die anderen schon früher kamen, und so durften wir in unseren Kleidern bleiben. Alles lag auf Stroh in den Baracken; das einzige, was gut war, war die Küche, welche peinlich sauber gehalten war. Von jeder Baracke wurde immer das Essen abgeholt, auch konnte man in einer Kantine Verschiedenes kaufen. Jeden Tag mußten wir unter Aufsicht unserer eigenen Leute exerzieren, wobei die Wachen von den Maschinengewehr-Türmen allerhand Schimpfworte herunterriefen. Singen mußten wir auch. Einmal sah mich ein SS-Mann nicht singen, so schlug er mir eine ins Gesicht. In aller Früh und abends war Appell, wo wir manchmal stundenlang - meistens stillgestanden - stehen mußten. Da gab es manchen Tritt und Ohrfeigen von diesen SS-Leuten, und jeden Tag starben einige Leute auf dem Platz. Sie brachen plötzlich zusammen und wurden tot vom Platz getragen. Was da ein Unglück war, machte man sich keinen Begriff, man war hilflos und verkauft. lm Lager besuchte ich auch meinen Vetter Schaeler, der G.s.d. als Vorstand einer Kultgemeinde lange vor mir entlassen wurde. Meinem Onkel Felix Feuchtwanger rissen diese Barbaren die Haare einzeln aus seinem Bart heraus, und er starb auch nach einigen Wochen, zu Hause in seiner Wohnung. Ich selbst wie alle Frontkrieger wurden so um die Zeit des 17. Dezember 1938 nach allerhand Ermahnungen und Drohungen entlassen ...

Nach einigen Wochen [bei Verwandten in München] bekamen wir von der Gestapo die Aufforderung, nach Landau zurückzukehren. Man kann sich keinen Begriff machen, wie das Haus aussah, zu dem ich den Schlüssel bei der Gestapo holen mußte. Ich verlangte den Schlüssel für Haus Kaiserring 12; der Beamte antwortete mir, daß er eine solche Straße nicht kenne. Zum Schluß erklärte er mir, daß der Ring nun Ring der S.A. heiße, für welche Auskunft ich ihm dankte. Alle Wasserleitungen waren in den Wohnungen geplatzt, ganze Eisberge lagen auf dem Boden. Für diese Wohnungen mußten die Glaser bevorzugt kommen, um die Scheiben für unsere Rechnung wiedereinzusetzen. In der Zwischenzeit wohnten wir für einige Tage bei Frau Steinem, welche sich mit Frau Rauh im Haus ihres Sohnes Joseph wieder niedergelassen hatte. Unser Telefon mußten wir nach einem Gesetz zur Wiederherstellung des Straßenbildes für unsere Kosten wiederherrichten lassen. Manchmal bekam man Anrufe, daß man sich selbst geschämt hatte unter einer solchen Gesellschaft leben zu müssen.

Quelle:

Religionspädagogische Hefte Nr. 5/1998, S. 18f.

*) Biografische Informationen aus:

Landau und der Nationalsozialismus

Weiterführende Literatur:
(Bei Interesse klicken Sie bitte auf das Bild!)

 

Links zur Reichpogromnacht:

"Menschen unter Gejohle aus dem Haus gezerrt", von Heinz Kronauer
"Menschen unter Gejohle aus dem Haus gezerrt", von Heinz Kronauer

Der Pogrom vom November 1938 in Homburg, von Dieter Blinn
Die 'Reichskristallnacht' in Landau, von Otto Brunner
Die Reichspogromnacht in Schifferstadt, von Heinz Berkel
Die Reichspogromnacht in Ingenheim, aus einem Vernehmungsprotokoll
Der Abriss der Kaiserslauterer Synagoge, von Roland Paul
Die Reichspogromnacht in Kaiserslautern: Maria Herbig

Die Nacht, in der die Mutterstadter Synagoge brannte. Der 10.11.1938 aus Sicht des Ernest Loeb
Reichspogromnacht - Reichskristallnacht, zusammenfassende Darstellung von Sven Siener
"Sie verbrennen Dein Heiligtum", von Stefan Meißner
Der 9. November aus der Sicht einer Jüdin, von Schoschana Maitek-Drzevitzky

Links zu Landau und seinen Juden:

Die Synagoge Landau
Bilder-Rundgang durch das jüdische Landau
Info-Materialien für einen Rundgangdurch das jüdische Landau (große pdf-Datei!) finden Sie hier...
Stolpersteine in Landau
Das Frank-Loebsche Haus in Landau