Die Reichspogromnacht in Kaiserslautern: Maria Herbig

Mut hatte Maria Herbig, eine Malerin aus Kaiserslautern, evangelische Christin, 1928 Aufnahme in die Partei, doch ohne Beitragszahlung und nie richtig dazugehörend. Sie schrieb am 10. und am 11.11.1938 unter dem Eindruck des in Kaiserslautern Erlebten an die Reichskulturkammer. Auf ihre Briefe hin wurde sie von der Gestapo Neustadt auf Veranlassung der Gestapo Berlin, die richterlichen Haftbefehl oder Schutzhaft verlangte, am 23.11.1938 verhaftet, vernommen und in die Nervenheilanstalt Klingenmünster eingewiesen, wo sie am 2.2.1939 entlassen wurde. Das Verfahren wurde am 15.6.1939 beim Sondergericht Kaiserslautern wegen Unzurechnungsfähigkeit eingestellt. Offenbar lief auch ein Entmündigungsverfahren gegen sie. Sie hat nachweislich den Nationalsozialismus überlebt, vermutlich nur dank der Tatsache, dass man sie für verrückt erklärte; denn nach der damals herrschenden Auffassung konnte nur ein Wahnsinniger folgendes schreiben:

"Mein Vater war ein Bürger, aber ein guter Deutscher, von der graden hochanständigen Art. Ich selbst war einer der ersten begeisterten Anhänger Hitlers, als die Bewegung zu uns kam. – Ich schreibe dieses, damit Sie wissen, wer ich bin. – Ich komme sogleich auf den Zweck dieses Schreibens, indem ich zuerst noch eines unterstreichen möchte: Ein Jude war es, der mit Einbuße seines eigenen Lebens meinen Vater einmal vor dem Tode des Ertrinkens rettete. Sie sehen daraus, dass es auch anständige Juden gibt. Anständige Juden sind unserer Menschlichkeit oder Unmenschlichkeit ausgeliefert. Wir selber zeigen uns, wer wir sind, in der Art, wie wir handeln. Es ist der 11. November, soeben ziehen Gesellen der Stadt durch die Stadt, um Wohnungen von Juden zu demolieren - anlässlich des Vorfalles in Paris. Ich bin empört über den Vandalismus, den unsere Vorgesetzten unterstützen, ich protestiere!
Unsere Uniformen empfinden wohl, was ihnen selber nicht ansteht, das auszuführen hat auch andern Teilen des Volks nicht anzustehen. Das ist ein Beispiel für die Kommunisten, die wir noch hier sitzen haben."

Dem Schreiben vom 10.11.1938 ließ Frau Herbig am 11.11.1938 dieses Schreiben folgen:

"Reichskulturkammer!
Anlässlich des Erlasses des Herrn Dr. Goebbels an die deutsche Bevölkerung will oder muss ich meinem gestrigen Schreiben noch etwas anfügen. - Es ist nicht die Bevölkerung, die sich diese traurigen Ausschreitungen erlaubt hat.
Was uns in der Tschechoslowakei an den Sudetendeutschen, am eigenen Leib bitter geschehen, als verrucht erschien, das haben wir selbst jetzt gemacht, - planmäßig, an selbst friedliebenden, alten, einheimischen, wehrlosen Juden durchgeführt, auf sinnlose zuchtlose Weise uns an ihrem Eigentum vergriffen, die Wohnungen grauenhaft kurz und klein geschlagen. Nationalsozialistischer Mob ist geschürt worden, niedrige Instinkte haben sich austoben dürfen. - Ich betone, die Bevölkerung ist es nicht, das Volk ist empört – die breite Masse hat damit nichts zu tun – sie lehnt ab. - Alte, denkende Leute schütteln den Kopf, - Man wagt zu vielem den Mund nicht aufzutun, denn die SA herrscht; es gibt darunter Führende, die das Volk innerlich ablehnen muss, und es geschehen Dinge, um die das Volk nicht befragt wird, die deutscher Art zuwider sind, während wir deutscheste Art erziehen wollen und hochheben. Ich kann das nicht lassen zu sagen. Heil Hitler!"


Quelle: K. H. Debus, Die Reichskristallnacht in der Pfalz, S. 512-514

Links:

Die Bedrängnisse Bad Dürkheimer Juden in der Nazizeit und die Ereignisse in der „Kristallnacht“ 1938, von Georg Feldmann
"Menschen unter Gejohle aus dem Haus gezerrt", von Heinz Kronauer
Der Pogrom vom November 1938 in Homburg, von Dieter Blinn
Die 'Reichskristallnacht' in Landau, von Otto Brunner
Die Reichspogromnacht in Schifferstadt, von Heinz Berkel
Die Reichspogromnacht in Ingenheim, aus einem Vernehmungsprotokoll
Der Abriss der Kaiserslauterer Synagoge, von Roland Paul
Die Reichspogromnacht in Kaiserslautern: Maria Herbig

Die Nacht, in der die Mutterstadter Synagoge brannte. Der 10.11.1938 aus Sicht des Ernest Loeb
Reichspogromnacht - Reichskristallnacht, zusammenfassende Darstellung von Sven Siener
"Sie verbrennen Dein Heiligtum", von Stefan Meißner
Der 9. November aus der Sicht einer Jüdin, von Schoschana Maitek-Drzevitzky