Können Christen „jüdisch“ feiern?

Was Juden „Pesach“ bedeutet und warum es ihnen gehört

Jahr für Jahr wird in jüdischen Häusern „Pesach“ gefeiert zur Erinnerung an die Befreiung des Volkes Israel aus der Knechtschaft Ägyptens. In diesem Jahr fällt der erste Tag dieses Festes zusammen mit dem Gründonnerstag der Christen. Was „Pesach“ bedeutet und weshalb es von christlichen Gemeinden nicht vereinnahmt werden darf, zeigt der folgende Beitrag, eine Stellungnahme der Arbeitsgruppe „Christentum - Judentum“ der Ökumenischen Kommission im Bistum Speyer.

SedertellerDie Absicht ist gut, die Sache selbst bleibt mehr als fragwürdig: Christliche Gemeinden “feiern“ in der Karwoche, bevorzugt am Gründonnerstag, “Pesach“, oder jedenfalls Teile einer selbstentworfenen Liturgie, die an das jüdische Seder-Mahl erinnern soll bzw. sich daran anlehnt. Mit dieser Annäherung an das Judentum glaubte man in den letzten Jahren, den jüdischen Wurzeln der eigenen christlichen Tradition näher zu kommen und den Sinngehalt der im Abendmahlssaal von Jesus Christus gestifteten Eucharistiefeier besser verstehen zu können. An die Stelle oder als Ausgestaltung eines Agape-Mahls nach der Gründonnerstagsliturgie rückt das, was man als Pesach der Juden versteht. Im “Nachfeiern“ der Pesachliturgie betreibt man indes „Diebstahl“ an einer lebendigen jüdischen Praxis, die etwas Eigenständiges darstellt und nach eigenem Selbstverständnisses nichts mit “der Sache Jesu“ zu tun hat und haben will. Darauf gilt es, im Angesicht des lebendigen Judentums Rücksicht zu nehmen. Um dies zu verstehen, ist näher zu betrachten, was Juden an Pesach und was Christen an Ostern feiern. Was ist Pesach?

Von seinen Ursprüngen her kommen im Pesach-Fest verschiedene Traditionen zusammen:
einmal die Feier des Frühlingsanfangs - die Zeit der jungen herumspringenden Lämmer (hebräisch „pasach“, springen); ihn begingen die Hirten mit einem Opfermahl, bei dem ein Lamm geschlachtet und gemeinsam verzehrt wurde. Zum anderen feierten die sesshaften Bauern die Gerstenernte und aßen eine Woche lang nur ungesäuerte Brote, “Mazzot“. Beide Traditionen verschmolzen zu einem gemeinsamen Fest.
In der großen Kultreform des Königs Joschija (um 622 v. Chr.) wurde das Fest erneuert. Von jetzt an waren Opfer nur noch im Tempel in Jerusalem erlaubt. Also musste man zum Schlachten der Pesachlämmer zum Tempel wallfahren. Pesach wurde eines der drei Wallfahrtfeste, neben dem Wochenfest und dem Laubhüttenfest. Jetzt rückte das beherrschende Motiv des Festes ins Zentrum und zog alle anderen Traditionen an sich: die Erinnerung an die Befreiung Israels aus Ägypten, wie sie in Exodus 12 erzählt wird. Dabei ist das Junge eines Schafes oder einer Ziege zu schlachten. Die Israeliten sollten etwas vom Blut des Tieres an die Türpfosten des Hauses streichen, und der Herr werde an der Tür vorübergehen (hebräisch „pasach“), wenn er Ägypten mit Unheil schlägt. Das gebratene Lamm solle man mit ungesäuerten Broten und Bitterkräutern essen. In Deuteronomium 16 ergeht die Aufforderung, dieses Fest als „Fest der ungesäuerten Brote“ Jahr für Jahr zu feiern.

Nach dem Tod Joschijas zerstörte Nebukadnezzar Jerusalem mit seinem Tempel. Den nach Babylonien Verbannten wurde die Befreiung aus Ägypten zum Vorbild. Ein neuer Exodus als erhoffte Heimkehr nach Jerusalem wurde erträumt und 538 v. Chr. durch Kyros ermöglicht, bald auch der Tempel wieder erbaut. Das, was sich indes an Heilshoffnungen nicht erfüllte, fand seine Konzentration im Pesachfest. Es wurde immer mehr zum Ort der Hoffnung auf endgültige Befreiung und messianisches Heil. In der Zeit des zweiten Tempels - also auch zur Zeit des Jesus von Nazareth - zogen alljährlich große Scharen zum Pesachfest nach Jerusalem.
Nach der Zerstörung des Tempels durch die römische Besatzungsmacht im Jahre 70 n. Chr. musste Pesach als Feier in der Synagoge und als häusliche Feier begangen werden. Dazu wurde eine verbindliche „Ordnung“ (hebräisch „seder“) zusammengestellt, aus der sich der heutige Pesach-Seder, wie jetzt die Zeremonie genannt wird, entwickelt hat. Im Verlauf der Mahlzeit werden vier Becher Wein nach vorangehenden Segenssprüchen getrunken. Das Brot, das gebrochen wird, ist ungesäuertes Brot (Mazza). Es werden symbolische Speisen (Kräuter, Salzwasser, Fruchtmus, ein Ei) gereicht und gedeutet.

Zur Zeit des Tempels in Jerusalem wurde auch das Pesach-Lamm gegessen. Heute steht dafür symbolisch ein Knochenstück. Alles wird von liturgischen Elementen umrahmt, wie vom Singen der Hallel-Psalmen (Psalm 113-118) oder der Frage des jüngsten Teilnehmers: Was unterscheidet diese Nacht von allen anderen Nächten? Das Kernstück der Feier ist die Erzählung („Haggada“) vom Auszug aus Ägypten. Beim Hören dieses Textes soll jetzt in der Gegenwart die Erinnerung an die Erlösung in der Vergangenheit wach werden. Sie lässt die Hoffnung auf die zukünftige, die messianische Erlösung aufkommen. Dieser Aktualitätsbezug des Festes ist für jeden Juden, wo immer und wann er auch lebt und feiert, geradezu verpflichtend: In jeder einzelnen Generation muss der Mensch sich so betrachten, als ob er selbst aus Ägypten ausgezogen wäre.

In der Pesach-Haggada wie in der ganzen Feier zeigt sich ein spezifisch jüdisches Bewusstsein vom Erlösungs- und Befreiungshandeln Gottes. Es bedarf keiner Ergänzung, schon gar nicht durch christlich bestimmte Inhalte. Im Gegenteil, es ließe sich zeigen, dass bestimmte Elemente des heutigen Pesach-Seders erst im Laufe der Zeit in Absetzung von der christlichen Umwelt entstanden sind. Daher ist es wichtig zu sehen, dass der Sederabend am Pesachfest, wie er heute im Judentum gefeiert wird, eine Reaktion auf die Katastrophen der Zerstörung des Tempels und der Vernichtung der politischen Selbstbestimmung der Juden ist. Es ist die eigenständige Antwort des Judentums auf die Frage von Heil in Gegenwart und Zukunft. Wenn Christen sich auf dieses Pesach berufen, verstellt dies die eigene Antwort des Christentums auf die Frage nach dem Heil. Diese Antwort hat einen konkreten Namen: Jesus Christus (der Messias), sein Leben für uns durch die Erlösung von ihm her aufgrund seines Kreuzestodes und seiner Auferweckung von den Toten. Was wir an Ostern und dann auch Sonntag für Sonntag feiern, ist die christliche Antwort für die Zeit nach der Zerstörung des Tempels. Die christliche Osterliturgie ist demnach nicht aus dem jüdischen Pesach hervorgegangen. Es wäre geradezu anachronistisch, die Feier der Eucharistie - als Feier des Todes und der Auferstehung Christi - symbolisch herzuleiten bzw. festzumachen an der Pesachfeier des zweiten Tempels; aus einer Zeit, als dort noch die Lämmer geschlachtet wurden, um in den häuslichen Feiern gegessen zu werden. Zudem ist historisch strittig, ob das „letzte Abendmahl“ Jesu eine Pesachfeier war.

Natürlich hat die frühe Kirche das Abendmahl durch das Prisma von Pesach- und Paschamotiven gesehen (vgl. 1 Kor 5, 7-8). Wenn nun Christus “als unser Paschalamm“ für die Erlösungstat Gottes schlechthin steht, rückt für Christen das Osterfest ins Zentrum aller Feste. Dann aber können, ja müssen wir unseren “älteren Geschwistern“ im Glauben die ihnen eigene und zentrale Gestalt des Gottes- und Befreiungsglaubens und seiner liturgischen Ausdrucksmittel überlassen. Etwas anderes ist es, wenn Christen als Eingeladene an einer jüdischen Pesachfeier teilnehmen. Doch die Nachahmung der jüdischen Feier verbietet sich aus Achtung vor der jüdischen Glaubensgemeinschaft, deren Identität gerade im Exodus gründet und im Pesach alljährlich neu vergegenwärtigt wird.
Wenn sich also ein „Nachfeiern“ von Pesach für Christen verbietet, dann kann nur überlegt werden, wie auf legitime und hilfreiche Weise jüdisches Selbstverständnis und jüdische Tradition mit christlicher Überzeugung und Tradition in Kontakt gebracht werden kann. Von christlicher Sicht aus wird man dann sagen können:
Nicht „nach“- feiern, vielmehr erinnern und erklären, was Juden glauben und feiern, und welche Bedeutung dies für uns Christen hat, die wir durch Jesus Christus Anteil erhielten am Erbe der Verheißungen Gottes für sein Volk. Die christliche Liturgie jedenfalls hat ihre ureigene Weise, sich dieser gemeinsamen Geschichte zu vergewissern - besonders im Rahmen der Feier von Ostern und vor allem der Feier der Osternacht.

(Quelle: „der pilger“, Zeitung des Bistums Speyer, 16/2003 – S. 5)

Weiterführende Links
Das Passafest
Wer war schuld am Tod Jesu?
Gott zum Greifen nah: Brot als religiöses Symbol
Keine christlichen Sederfeiern! Stellungnahme des Koordinierungsrates der GCJZ