„Bei Nacht und Nebel“

Margot Wicki-Schwarzschild berichtet von der Deportation

Die 1931 geborene Margot Wicki-Schwarzschild wuchs in einer behüteten, gutbürgerlichen Familie in Kaiserslautern auf. Die Mutter war Katholikin, der Vater Jude. Die Familie wurde nach Gurs und später in das Lager Rivesaltes bei Perpignan deportiert. 1942 stand sie auf der Deportationsliste nach Auschwitz. Eine Schweizer Rotkreuz-Schwester erwirkte die Befreiung der Mutter und ihrer Töchter. Der Vater wurde deportiert und in Auschwitz umgebracht. Insgesamt wurden im Rahmen der Bürckel-Wagner- Aktion Aktion 49 Juden aus Kaiserslautern nach Gurs deportiert, von denen nur 18 das Jahr 1945 erlebten. Seit den 50er Jahren lebt Margot Wicki-Schwarzschild in der Schweiz. Die mehrfache Mutter und Großmutter hat ihre düsteren Kinder- und Jugendjahre in den Lagern in Frankreich nicht vergessen, sich aber mit ihrer Geschichte versöhnt.

„Eines sehr frühen Morgens, bei Nacht und Nebel, am 22. Oktober 1940, wurden wir jäh aus dem Schlaf gerissen: Stiefelgetrampel und lautes Klopfen an der Wohnungstür. Ich sah meine Eltern erbleichen, zu Tode erschrecken. Nun schien es so weit zu sein ... In der Tür standen Gestapo-Leute in Zivil. In barschem Ton forderten sie uns auf, das Wichtigste zu packen, pro Person war ein Koffer erlaubt. Wir hätten das ’Reichsgebiet‘ zu verlassen. In einer Stunde mussten wir bereit sein. Ich sah meinen Vater zittern, meine Mutter weinen. (...) So standen wir Hausbewohner des Judenhauses, zusammen mit unserer fast 80jährigen Großmutter, eine Stunde später übernächtigt und blass bereit zum Abtransport. (...) Rechtlos und wehrlos wurden wir mit einem Autobus in eine Wirtschaft am Rande der Stadt, der Löwenburg, gefahren. Viele andere Juden aus der Region saßen bereits trostlos herum, ständig wurden neue herangeschleppt. Es kamen Kleinkinder, Kinder, Erwachsene, alte und kranke Menschen. Zwei Großtanten meines Vaters aus Gaugrehweiler, klein und gebrechlich, wurden von Sanitätern auf den Armen hereingetragen, weil die gehbehindert waren. Sie haben den Transport nicht überstanden. Wir wissen nichts über ihren Verbleib. Jedenfalls kamen sie nie in Gurs an.
Der Tag in der Löwenburg wollte nicht vergehen. Ratlosigkeit, Angst, Fassungslosigkeit, Ohnmacht, Empörung - alle Facetten der Gefühlsbewegungen standen den Menschen ins Gesicht geschrieben. Niemand wusste, wohin es ging, niemand wurde informiert. Erst als den Leuten das Bargeld abgenommen und ein bestimmter Betrag in französischer Währung ausgehändigt wurde, sickerte es durch: Sie werden uns nach Frankreich schicken.“

Quellen:

Text: Roland Paul: „Die Deportation der Juden aus der Pfalz nach Gurs in Südfrankreich am 22. 10. 1940“, in: Pfalzatlas, Textband IV, 53. Heft, Speyer, 1991, S.1998.
Bild: MARIUS SCHÄREN, mit freundl. Erlaubnis des Autors. Web: http://www.textundbild.ch

Links zum Thema "Gurs"
Wir feierten gerade „Sukkoth“. Hanna Meyer-Moses berichtet von ihrer Deortation nach Gurs
Klassenfahrt nach Berlin oder 70 Jahre Deportation nach Gurs, ein Anspiel von Wolfgang Kahler
Die Deportation der Pfälzer Juden nach Gurs, von Roland Paul
„Bei Nacht und Nebel“- Margot Wicki-Schwarzschild berichtet von der Deportation
Otto Brunner: Die Deportation nach Gurs im Oktober 1940
Arbeitshilfe der evang. Kichen in Baden und der Pfalz (recht große pdf-Datei - 9,4MB!)
Dieses Heft enthält hist. Quellenmaterial, Bilder, Karten, ein Anspiel, sowie Gottesdiensthilfen.
Teile davon sind deckungsgleich mit den Artikeln oben.

Links zum Thema "Kaiserslautern"
Informationen über die ehemalige Synagoge Kaiserslautern
Ausführliche historische Informationen, sowie dreidimensionale Rekonstruktionen der Synagoge (externer Link!)
Nähre Informationen über den Abriss der Synagoge 1938, von Roland Paul
Informationen über die Mikwe in Kaiserslautern

Literatur:
Hans Maas: Das Leben meines Vaters 1888-1936, Speyer 2003