von Stefan Meißner
6.1 Das Geschichtsbild der Genesis
Die Zikkurat von Mari (heute: Tel Hariri) in
Syrien
Literatur
Finkelstein/Silberman:
Keine Posaunen vor Jericho: Die archäologische Wahrheit über die Bibel
N.P.
Lemche: Die Vorgeschichte Israels von den Anfängen bis zum Ausgang des
13. jahrhunderts, Stuttgart 1996
6.3.1 Erinnerungen an die sog. „aramäische Wanderung“
In älteren Geschichtswerken findet man oft noch die These, die Patriarchenüberlieferungen
seien Erinnerungen an die sog. „aramäische Wanderung“ (2000-1550
v. Chr) semitischer Völker aus dem Osten (Babylonien) in den Raum Syro-Palästinas
(de Vaux, Albright). Ob es eine solche Wanderung je gegeben hat, wird heute
aber mehr und mehr in Frage gestellt.
Als Beleg für eine solche Wanderung wurde das sog. „heilsgeschichtliche
Credo“ (v. Rad) herangezogen, wo es heißt: „Ein umherirrender
Aramäer war mein Vater...“ (Dtn
26,5). Viele Sitten und Rechtsbräuche aus der Bibel scheinen auch zu
dem zu passen, was man aus anderen altorientalischen Quellen (Nuzi, Mari) über
diese Zeit weiß (vgl. dazu 6.4). Die frühe
zeitliche Einordnung der Väter (und Mütter) Israels passt auch zur
biblischen Chronologie:
1
Kön 6,1 behauptet 480 Jahre vom Tempelbau unter Salomo bis zum Exodus.
Ex
12,40 spricht von einem 430 Jahre dauernden Aufenthalt in Ägypten.
Nimmt man für die Lebenszeiten der Patriarchen zusätzlich gut 200
Jahre an, kommt man etwa auf das hier postulierte hohe Alter der Überlieferungen.
Seit der Aufklärung hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass viele der in der Bibel genannten Zahlen symbolisch zu verstehen sind. So wird diese Frühdatierung heute kaum mehr ernsthaft vertreten.
6.3.2 Erinnerungen an die halbnomadische Vorzeit Israels
Eine neuere Theorie besagt, die Patriarchenüberlieferungen stammten aus
der halb-nomadischen Vorzeit Israels, eventuell aus einer frühen, noch
friedlichen Phase der Landnahme. Das ist die These von A.H.J.
Gunneweg, der die Ereignisse um 1200 v. Chr. datiert.
Dass die Väter (und Mütter) in der Genesis in einem Land leben, das
noch nicht ihnen, sondern den Kanaanäern gehört, scheint diese These
zu bestätigen. Auffällig ist, dass die Väter Verträge mit
den bereits im Land lebenden Kanaanäern schließen müssen, um
geduldet zu werden (z.B. Gen
26,23ff.: Isaak in Beersheva). Auch dass die Väter sich im dünn
besiedelten Bergland Mittelpalästinas und im Negev bewegen, passt zu der
Erkenntnis, dass sich die Israeliten in der Frühphase der Landnahme in
den fruchtbaren Ebenen noch nicht halten konnten.
6.3.3 Rückprojektionen aus späterer Zeit
Ein dritter Ansatz gibt zu bedenken, dass das Überlieferungsgut der Vätersagen
nicht weiter als in die frühe Königszeit zurück reicht (also
um 900 v.Chr.). Ob die Erzväter je existiert haben oder ob sie „nur“
literarische Figuren sind, bleibt hier z.T. sogar offen (van Seters, Albertz,
Soggin, Finkelstein/Silberman).
Immerhin gibt zu denken, dass die Wanderung Abrahams in etwa der Route der Rückwanderer
aus dem Babylonischen Exil entspricht. Außerdem
beinhalten die Verheißungen an die Väter genau das, was durch das
Exil in Frage gestellt schien: Land und zahlreiche Nachkommenschaft. Finkelstein/Silberman
(Abb. links!) machen schließlich auf eine Reihe von Anachronismen aufmerksam,
die eine Frühdatierung eigentlich ausschließen: Kamele gab es in
Palästina erst ab 11 Jhd v.Chr. Moab und Ammon (Lot u. seine Töchter,
Gen 19,30-38), Edom (Jakob und Esau, Gen 25,23) und Ismael als Stammvater der
Araber (Gen 16,12) spielten erst wesentlich später eine historische Rolle.
Im "Ur der Chaldäer" beispielsweise klingen Verhältnisse
der Exilszeit an.
Bildquelle: http://commons.wikimedia.org/wiki/File:MariZiggurat.jpg
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