von Stefan Meißner
Erzväter oder Erzeltern? |
Früher war in der Literatur
immer von den "Erzvätern" die Rede, aber bei genauem Hinsehen
handeln viele Geschichten in der Genesis auch von den Frauen der Ahnväter
Israels. Deshalb hat sich in den letzten Jahren in der Literatur teilweise
der Begriff "Erzeltern" etabliert. Das mag für manche Ohren
(noch!) etwas ungewohnt klingen, aber auch in der atl. Forschung sollte
eine geschlechtergerechte Terminologie Einzug halten. Irmtraud Fischer: Die Erzeltern Israels. Feministisch-theologische Studien zu Genesis 12-36 |
Literatur
N.P.
Lemche: Die Vorgeschichte Israels von den Anfängen bis zum Ausgang des
13. Jahrhunderts, Stuttgart 1996
W.H. Schmidt, Einführung in das Alte Testament, 5. Aufl. Neukirchen 1995
M. Noth, Überlieferungsgeschichte des Pentateuch, 4. Aufl. Göttingen
1959 (Erstaufl.: 1948)
W. Thiel: Die soziale Entwicklung Israels in vorstaatlicher Zeit, 2. Aufl.,
Neukirchen 1985;
L. Schmidt, Pentateuch, in: H.J. Boecker u.a., Neukirchener Arbeitsbücher
- Altes Testament, 5. Aufl. 1996;
H. Donner: Geschichte Israels und seiner Nachbarn in Grundzügen, S.84ff.;
M. Noth: Geschichte Israels, Göttingen, 10. Aufl. 1986, S 114;
A.H.J. Gunneweg: Geschichte Israels bis Bar Kochba und von Theodor Herzl bis
zur Gegenwart., 6. Auflage, Stuttgart 1998, S.16ff.
Rembrandt: Abraham und Isaak
Im Alten Testament, das die Juden (nach den Anfangsbuchstaben der drei Teile des Kanons) „Tenach“ nennen, liegen Geschichte und deren Deutung in einem Gemenge vor, bei dem das eine oft nicht mehr vom anderen zu trennen ist. Gerade bei den Texten des Pentateuch (= fünf Bücher Moses) ist es wichtig, dass man sich den Unterschied bewusst macht zwischen dem in der Bibel Erzählten („story“) und dem dahinter liegenden Geschehen („history“).
Die Geschichten von den Erzeltern Israels finden sich in der Genesis (= hebr.: „Bereschit” = „am Anfang”). Hier werden in einer Art Familiensaga die Wurzeln Israels, das erst in Ägypten als Volk angesprochen wird, zurückverfolgt bis ins Zweistromland, dem heutigen Irak. Abraham, der erste Ahnvater lebte angeblich im „Ur der Chaldäer” (= Babylonier), von wo er auf das Geheiß Gottes hin weg zog ins „Gelobte Land“, das damals noch Kanaan hieß.
Die genealogische Reihe führt von Abraham [und Sara]
(Gen 12-25) über Isaak [und Rebekka]
(Gen 26-27) hin zu Jakob [und Rahel]
(Gen 28-36), der seit seinem Kampf am Jabbok (Gen 32) den Beinamen Israel (=
Gotteskämpfer) trägt. Dabei wird der Segen und die Verheißungen
Gottes an Abraham von Generation zu Generation weiter gegeben - wenn auch nicht
immer an den ältesten Sohn.
Die Josefsgeschichte (Gen 37-50), eine „weisheitliche Lehrerzählung“
(v. Rad, Theologie des AT Bd.1, S. 186), beschließt die Familiengeschichte,
die dann im Buch Exodus zur Volksgeschichte wird.
Literatur
Erhard Blum: Studien zur Komposition des Pentateuch (BZAW 189). Berlin/New York:
de Gruyter 1990; R. Rendtorff: Das überlieferungsgeschichtliche Problem
des Pentateuch; W.H. Schmidt, Einführung in das AT; Erich
Zenger: Einleitung in das Alte Testament, 3. Aufl. 1998, S.87ff.; H.Chr.
Schmitt, Arbeitsbuch zum Alten Testament, UTB 2146, 2005, 173-233; Jan
Christian Gertz: Grundinformation Altes Testament, 2006, 187-215
6.2.1.1 Traditionell gilt Mose als Autor des ganzen Pentateuch (vgl. Ex 17,14; 24,4; Dtn 31,9), doch die historisch-kritische Forschung der letzten Jahrhunderte hat festgestellt, dass der Pentateuch nicht „aus einem Guss“ ist, sondern in einem langen und komplizierten Prozess entstanden ist. Die großen Überlieferungsblöcke (Vätergeschichten, Exodus-, Sinai- u. Landnahmetradition) erweisen sich als nur locker verbunden. Auch weisen die einzelnen Erzählungen Dubletten auf, wobei die Verwendung des Gottesnamens wechselt (Jahwe, Elohim).
6.2.1.2 Diese Beobachtungen führten zur klassischen Quellentheorie (J. Wellhausen, 19. Jhd.): Demnach gibt es drei (mehr oder minder) durchlaufende Quellenschriften, die von einem od. mehreren Redaktoren später kombiniert wurden. Die beiden ältesten Quellen datiert(e) man in die frühe Königszeit. Sie werden nach dem bevorzugten Gebrauch des Gottesnamens „Jahwist“ (J) und „Elohist“ (E) genannt. Im babylonischen Exil oder kurz danach ist dann die „Priesterschrift“ (P) entstanden, der man ein dezidiert kultisches Interesse nachsagt.
6.2.1.3 Heute wird Kritik an dieser Theorie laut: Nach R. Rendtorff ist P keine durchlaufende Quelle, sondern nur eine „Bearbeitungsschicht“. Auf den fragmentarischen Charakter von E hatte bereits C. Westermann aufmerksam gemacht. Nicht wenige Forscher wie der Amerikaner J. van Seters plädieren heute für eine deutliche Späterdatierung des Jahwisten oder lehnen die traditionelle Quellenscheidung als viel zu spekulativ und theologisch wenig fruchtbar ganz ab (B.J. Diebner).
Zwei-Quellen-Theorie (nach W.H. Schmidt, Einf., 48)
Externe Links
http://de.wikipedia.org/wiki/Pentateuch
http://www.joerg-sieger.de/
http://www.bibelwissenschaft.de/bibelkunde/themenkapitel-at/entstehung-des-pentateuch/
Eine der wichtigsten Forschungsrichtungen des 20. Jahrhunderts war die sog. formgeschichtliche Frage (H. Gunkel u.a.). Sie untersucht die geprägten Formen bzw. Gattungen eines Textes, deren Veränderungen im Laufe der Überlieferung, sowie dessen soziokulturellen „Sitz im Leben“.
Viele Texte der Genesis kann man der „Volkspoesie“ zurechnen. Als vorherrschende Gattungen sind hier zu unterscheiden:
Sagen und Legenden: Ihr Interesse gilt nicht geschichtlichen Fakten, sondern dem Typischen, Allgemein-Menschlichen, das zeitlos ist. Sie wollen nicht berichten, sondern begeistern, rühren und erfreuen. Dabei kreisen Legenden meist um heilige Personen und deren Leben.
Ätiologien: Diese Texte begründen narrativ, warum etwas ist, wie es ist (gr.: aitia = Ursache, Grund). Sie besitzen zwar oft einen historischen Kern, der aber oft durch Ausschmückungen überlagert ist. Ein wichtiges Kennzeichen ist die radikale Reduktion u. Vereinfachung des Geschehens (etwa: Gen 3,14-19).
Genealogien: Hier erscheint die Welt als Familie, historische Zusammengehörigkeit wird in Form von Verwandtschaftsverhältnissen wiedergegeben (Bsp.: Gen 10,1-32).
Lieder: Lieder wie das Miriamlied (Ex 15,21f.), das Lamechlied (Gen 4,23f.) oder das Deboralied (Ri 5) galten lange Zeit als sehr alt und historisch zuverlässig. Hier muss aber stets der Einzelfall geprüft werden.
Mythen:
Von Mythen (auch den biblischen) gilt, was der römische Schriftsteller
Sallust im 4. Jhd. gesagt hat: „Diese Ereignisse geschahen zwar niemals,
sind aber immer“. Trotz narrativer Oberflächenstruktur kündet
der Mythos vom ewigen, unveränderlichen Sein.
In der Forschung findet sich die These, im Alten Israel sei (im Unterschied
zur Umwelt) der Mythos historisiert worden. Aber beispielsweise in den Schöpfungsgeschichten
(Gen 1+2 ) finden sich zumindest auch Anklänge an Mythen.
Die Vätergeschichten bestehen aus mehreren, zunächst voneinander unabhängigen Sagenkränzen. Diese wurden von unterschiedlichen Trägergruppen tradiert, die Geschichten „ihres“ jeweiligen Ahnherren weitererzählten. Als die verschiedenen Gruppen später zum Volk Israel verschmolzen, wurden auch die einzelnen Sagenkränze miteinander verknüpft. Damit entstand ein genealogischer Zusammenhang zwischen den Erzeltern, den es ursprünglich so nicht gab, der historisch also auch nicht tragfähig ist.
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