Judenverfolgung im rheinischen Raum
zur Zeit des 1. Kreuzzuges (1096)

von Holger Müller

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Wenn man heute von Judenprogromen und Judenverfolgung hört oder liest, denkt man zuallererst an die schreckliche Massenvernichtungsstrategie der Nationalsozialisten im dritten Reich (1933-1945), durch die europaweit schätzungsweise sechs Millionen Juden den Tod fanden. Doch auch schon im Hochmittelalter und früher wurden die Anhänger des jüdischen Glaubens verfolgt und ihres Glaubens wegen getötet. Mit der Verfolgung und den Progromen gegen die Juden im Rheinland, mit dem besonderen Schwerpunkt Mainz, quasi als Beispiel für die Grausamkeit und den Fanatismus dieser Progrome, zur Zeit des ersten Kreuzzuges, um 1096, möchte ich mich in dieser Arbeit näher befassen.

Anlass des ersten Kreuzzuges war ein Hilferuf des byzantinischen Kaisers Alexios I. Komnenos, der 1085 an den Westen erging. Seit der Mitte des elften Jahrhunderts bedrängten die muslimischen Seldschuken das Byzantinische Reich; 1071 hatten sie bei Manzikert in Anatolien das byzantinische Heer vernichtend geschlagen, 1077 Jerusalem, die bedeutendste Stätte der Christenheit, erobert und 1085 Antiochia. Die Byzantiner konnten dem Druck der Türken nicht länger standhalten und baten den Westen um Hilfe für die morgenländischen Christen gegen den Islam.

Am 27. November 1095 rief Papst Urban II. auf einem Konzil in Clermont vor hauptsächlich französischen Klerikern und Laien zum Kreuzzug auf. Als dessen vordringliches Ziel nannte er die Hilfe für die Kirche des Ostens; die Befreiung Jerusalems und des Heiligen Landes machte dann die Öffentlichkeit während der folgenden Monate zum konkret greifbaren Ziel des Kreuzzuges. Ein weiteres, wenn auch nicht direkt formuliertes Ziel, das die päpstliche Politik während der ganzen Kreuzzüge nachhaltig bestimmte, war die Hoffnung des Papsttums, durch die Hilfe des Westens für die Christen des Ostens eine Wiedervereinigung der Ost- mit der Westkirche - die beiden Kirchen waren seit 1054 gespalten - unter dem Primat Roms zu erreichen.

Dem ersten Kreuzzug ging der sogenannte "Kreuzzug der Armen" voran. Umherziehende Prediger, wie der Mönch Peter von Amiens, wegen seiner Eremitenkutte genannt "der Einsiedler", sammelten eine bunt gemischte, schlecht ausgerüstete Menge von Bauern, auch Frauen und Kindern, vor allem vom wirtschaftlich besonders gebeutelten Niederrhein und brachen Anfang 1096 in Richtung Jerusalem auf. Sie begannen ihren Kreuzzug im eigenen Land mit Progromen gegen die Juden, die sie als "Feinde Christi" und "Christusmörder" bezeichneten. Durch Gelübde von bekannten Kreuzfahrern, wie Gottfried von Bouillon, dem Herzog von Niederlothringen und späteren Eroberer Jerusalems, der gelobte auf dem Weg nach Jerusalem den Tod Christi mit dem Blut der Juden zu sühnen, wurde die Stimmung im Volk, besonders in den unteren Gesellschaftsschichten, angeheizt. Der Oberrabiner aus Mainz, Rabbi Kalonymos ben Meschullam, schrieb deshalb im Auftrag der rheinischen Gemeinden an den obersten Lehnsherrn des Herzogs, Kaiser Heinrich IV., da dieser den Juden stets Schutz gewährt hatte. Er bat ihn eindringlich darum, die Verfolgung von Juden zu verbieten. Woraufhin der Kaiser aus Italien all seinen weltlichen wie geistlichen Lehnsleuten ein Schreiben zukommen ließ, in dem sie aufgefordert wurden Übergriffe zu verbieten und die Sicherheit der Juden zu gewährleisten. Aber da der Kaiser wegen des Investiturstreites in Italien festgehalten wurde, gaben die beiden jüdischen Gemeinden von Mainz und Köln Gottfried von Bouillon jeweils 500 Silberstücke, um ganz sicher zu gehen. Sie erkauften sich quasi ihren Frieden. Jedoch waren sie dadurch nur vor dem lothringischen Herzog und seinen Anhängern sicher, nicht aber vor anderen Herren und vor allem nicht vor dem Pöbel in der eigenen Stadt.
Nach Ostern 1096 war es in rheinischen Gemeinden, besonders in den größeren Städten, wie Speyer, Mainz und Worms, fast alltäglich, dass Juden auf offener Straße verfolgt wurden. Alte jüdische Männer, die schon an ihrer Kleidung und an ihren Bärten gut zu erkennen waren, wurden aufgegriffen und eingeschüchtert, dann schnitt man ihnen die Bärte ab. Die langen Bärte sind noch heute gerade bei älteren Juden ein Zeichen der Würde und Weisheit, folglich wurden die Männer, denen man die Bärte abschnitt, entwürdigt und vor allen gerade zufällig Anwesenden lächerlich gemacht. Mehrere Quellen weisen das folgende Ereignis auf, das sich am Karfreitag des Jahres 1096, dem 11. April, in Stromberg, einer kleinen Stadt in den nordöstlichen Ausläufern des Hunsrücks in der Nähe von Bingen, ereignet haben soll. Ob wahr oder frei erfunden, ist nicht mehr festzustellen. Es zeigt aber in welchen Ausmaßen sich der Judenhass zu dieser Zeit bewegte.

Nach der Passionsmesse strömten die Gläubigen in großer Zahl aus der Kirche. Auf dem Dorfplatz stand der plumpe Kastenwagen eines jüdischen Händlers, der anscheinend von einigen Leuten angehalten und an der Weiterfahrt gehindert worden war. Im Nu war er von einer schreienden Menge umstellt. Die Menschen, die ihn umringten, riefen ihm böse Beschimpfungen zu.
"Verfluchter Wucherer!"
"Christusmörder!"
"Schamloser Jude!"
"Jüdische Schlangenbrut!"
Aus der Menge, die rasch anwuchs, kamen empörte Anklagen, laut und voller Hass hinausgeschrien.
"Du wagst es, an diesem Tag prahlend durch unseren Ort zu kutschieren? Hast du etwa vergessen, dass deinesgleichen den Messias an diesem Tag durch die Straßen Jerusalems gegeißelt und auf Golgatha ans Kreuz genagelt hat? Zur Hölle mit dir und deinesgleichen, du elender Gotteslästerer!"
"Du und dein auf ewig verfluchtes Judenvolk, ihr habt das Blut unseres Heilands an euren Händen!"
"So sind sie, die Juden! Leugnen nicht nur, dass Jesus Gottes Sohn ist, sondern treten auch noch alles mit Füßen, was uns heilig ist!"
Der jüdische Händler versuchte verzweifelt die auf gebrachte Menge zu beruhigen.
"Ihr tut mir Unrecht, gute Leute! Nichts liegt mir ferner, als euren Glauben zu verhöhnen und eure Gefühle zu verletzen."
"Wer glaubt schon einem dreckigen Juden?"
Bösartiges, nach Gewalt gierendes Gelächter ertönte.
"Du bist und bleibst ein dreckiger Christusmörder!"
"Juden sind zu allem fähig. Es heißt, sie vergiften Messwein und entweihen heimlich Hostien!"
"Lasst uns das Blut des Gekreuzigten rächen!"
Zuerst bewarf die Menge den fahrenden Händler mit Dreck und Pferdeäpfeln, doch schon Augenblicke später bückten sich die Ersten
nach Steinen, denn sie wollten Blut fließen sehen.
Im Handumdrehen ging ein wahrer Hagel allen Seiten auf den Händler nieder, der die Arme schützend vor das Gesicht hob.
Ein Stein riss ihm den Hut vom Kopf. Als das erste Blut aus einer Platzwunde auf der Stirn floss, ging ein triumphierender, jubelnder Schrei durch die Menge.
"Holt ihn vom Wagen!"
"Schlagt ihn tot!"
"Steinigt ihn!"
Der Blutrausch packte die Menschen. Wieder schleuderten sie Steine auf den Wehrlosen.
Der Händler stürzte unter den Steinwürfen und Knüppelschlägen vom Kutschbock.
(aus: Rainer Maria Schröder, "Das Vermächtnis des alten Pilgers", Arena Verlag 2001)

Der Händler überlebte die Attacke, war jedoch schwer verletzt. Wenn auch die Umstände andere waren, so erinnert doch die, durch einzelne Rufe entfachte, Hysterie, in der die Menge den fahrenden Händler steinigen will, unumgänglich an die Propaganda der Nationalsozialisten.

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