von David Seldner
Überblickgrafik zum jüd. Schrifttum
Die grundlegendste aller jüdischer Schriften ist die Torah, die 5 Bücher
Mose, die nach orthodoxer Lesart dem Volke Israel am Berge Sinai überreicht
wurden. Zur gleichen Zeit, wiederum nach orthodoxer Sichtweise, wurde die Mischna
übergeben, die mündliche Torah, die wesentliche Teile der (schriftlichen)
Torah erläutert. Die Mischna (übersetzt
heißt das soviel wie „Lernen durch Wiederholung“) durfte nicht
niedergeschrieben werden, sondern wurde mündlich von Generation zu Generation
weitergegeben. Erst nach der Zeitenwende, als die Juden mehr oder weniger endgültig
vertrieben wurden, es in die Diaspora ging, wurde – trotz Verbot –
die Mischna redigiert und niedergeschrieben, damit der Inhalt nicht verloren
ging. „Endredakteur“ war Rabbi Jehuda ben HaNassi,
vor etwa 1800 Jahren. Die Mischna besteht aus sechs Ordnungen (die wiederum
aus 63 Traktaten bestehen), die sich jeweils mit ausgewählten Kapiteln
der Torah beschäftigen, und diese da erklärt, wo die Torah selbst
nicht ausführlich genug ist.
Neben der Torah gibt es die Bücher der Propheten (Newi’im) und die
Schriften (Ketuwim), die ebenfalls zur grundlegenden Literatur des Judentums
zählen. Hierzu zählen beispielsweise die Bücher der Könige,
die ein anschauliches Bild der Zeit vor ca. 3 000 Jahren liefern.
Im Laufe der Jahrhunderte wurde die Torah immer wieder studiert und interpretiert,
die Erkenntnisse der Rabbinen sind in verschiedenen Erzählungen (Aggadot)
und Diskussionen (Midraschim) zusammen gefaßt. Diese Deutungen und Diskussionen
wiederum wurden abgeschlossen in der Gemara (der hebräische Wortstamm G-M-R
bedeutet „beenden, abschließen“), Mischna
und Gemara zusammen ergeben den Talmud. Wobei es deren zwei gibt: Den kleineren
Talmud Jeruschalmi (Jerusalemer Talmud) und den wesentlich ausführlicheren
Talmud Bawli (Babylonischer Talmud).
In der Diaspora wurde der Talmud um Kommentare und Erläuterungen ergänzt,
der wohl bedeutendste Talmudkommentator war Raschi
(dieser Name setzt sich zusammen aus den Anfangsbuchstaben seines eigentlichen
Namens, Rabbi Schlomo ben Jitzchaki). Seine Kommentare wiederum wurden erklärt
(oder es wurde versucht, seine Deutungen zu widerlegen) durch nachfolgende Rabbiner,
wie z.B. seine Enkel oder auch Rabbi Meir von Rothenburg
. In der Abbildung oben ist der Aufbau des Talmud schematisch dargestellt. Auf
ein Wort, das sich auf den entsprechenden Abschnitt der Torah bezieht, folgt
ein Satz, dies ist die Mischna. Weiterer Text, nämlich die Gemara, schließt
sich an. Um diesen Text herum befinden sich die Kommentare dazu, die Tossafot,
von Raschi und anderen. Dies ist wie bei einer Zwiebel, eine Schale um die nächste.
Die äußerste Schale sind die Tossafot („Hinzufügungen“).
Einige dieser Kommentare sind in Form von klaren Anweisungen wiedergegeben,
andere wiederum geben nur Überlegungen wieder. Oder es werden Begebenheiten
geschildert, die den Leser (oder besser den Studierenden) dazu bringen sollen,
die behandelten Fragestellungen selber lösen zu können. Dies können
Erlebnisse eines Rabbiners sein oder auch Streitgespräche zwischen Rabbinern,
wobei hier die jüdische Streitkultur zum Vorschein kommt: Man streitet
nicht gegeneinander, sondern miteinander. Jede Partei vertritt vehement seinen
Standpunkt, am Schluß aber geht man im besten Einvernehmen auseinander,
und nicht als Feind.
Die Folgerungen und Konsequenzen aus diesem geschriebenen Material und aus weiteren rabbinischen Kommentaren bilden den jüdischen Gesetzeskodex, die Halacha (der hebräische Wortstamm „H-L-CH“ bedeutet „Weg“, „gehen“). Durch weitere rabbinische Interpretationen und Entscheidungen (sog. halachischen Entscheidungen eben) wird die Halacha stets ergänzt oder verändert, vor allem durch Entscheidungen zu Fragen, die es in früheren Zeiten nicht gab, wie beispielsweise Organverpflanzung oder Genmanipulation. Im 16. Jahrhundert faßte Joseph Karo diese Entscheidungen in seinem Werk Schulchan Aruch (übersetzt etwa „gedeckter Tisch“) zusammen. Hier finden sich genaueste Anleitungen zu den verschiedensten Bereichen des Lebens, allerdings ohne Quellenangabe und ohne Erklärung. Der Schulchan Aruch ist gewissermaßen eine Art Nachschlagewerk für konkrete Fälle. Aber nur danach zu leben, wäre nicht richtig, da ein wesentliches Element des Judentums aus dem Wort „Warum“ besteht. Ein Jude hat die Pflicht, nach dem „Warum“ zu fragen, nichts zu tun, ohne zu wissen, warum er es tut. Es steht geschrieben, daß derjenige verflucht sei, der nach der Torah lebt, ohne zu hinterfragen, warum er das tun soll.
Die mystischen Interpretationen finden sich in der Kabbala („Erhalt“, „Überlieferung“), die auf zwei Büchern basiert: Dem „Sefer Jezira“ (Buch der Formung), das nach einer Legende auf Abraham zurückgehen soll, und dem „Sohar“ (Glanz), das von Rabbi Simon Bar Jochai verfaßt worden sein soll. Dieser hatte sich mit seinem Sohn zwölf Jahre in einer Höhle in Galiläa versteckt, um trotz des römischen Verbots Torah studieren zu können. Die Kabbala selbst ist wahrscheinlich im 14. Jahrhundert in Spanien von Moses Léon verfaßt worden.
Eine der bekanntesten Gruppierungen innerhalb der Orthodoxie dürfte der
Chassidismus sein, der im 18. Jahrhundert in Polen entstand, unter der Führung
des Ba’al Schem Tow („Meister des guten Namens“), der kabbalistische
Elemente und Lebensfreude einbrachte. Das hebräische Wort „chassid“
heißt „rechtschaffen“, „Chassidim“ ist der Plural.
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