Israel und die Nahostdebatte im Religionsunterricht
– religionspädagogische Thesen –

von Kirchenrat Thomas Niederberger

1. Der heutige Staat Israel und der Konflikt mit den Palästinensern sollte zunächst aus der Perspektive der betroffenen Menschen und Gesellschaften konkret wahrgenommen und unter politikwissenschaftlichen und sozialethischen Gesichtspunkten reflektiert werden.

2. Methodisch empfehlenswert ist der Einsatz von Medien, die einen Einblick vermitteln in die Lebenswelt der Betroffenen, in ihre Ängste und Sehnsüchte, und die eine realistische Auseinandersetzung mit den prägenden Erfahrungen und engen Handlungsspielräumen vor Ort ermöglichen.

3. Dabei ist der Unterschied zu unserer eigenen Lebenslage bewusst herauszuarbeiten. In einem weiteren Schritt sollte den eigenen Voreinstellungen zu den handelnden, bzw. erleidenden Personen nachgespürt werden: Lässt sich erkennen, wo sie herstammen und wie wir sie aufgenommen haben? Welche emotionalen Aufladungen treten hervor?

4. Es wird nötig sein, sich mit der historischen Entwicklung des Konflikts zu befassen und exemplarisch, aber differenziert auf die vielfältigen Problemfelder und Hindernisse für eine Friedenslösung einzugehen. Die religiöse Dimension des Konflikts ist keineswegs dessen Alleinursache, eine Vertiefung der Kenntnisse von Judentum, Christentum und Islam im Respekt vor religiösen Überzeugungen kann gleichwohl die Größe der Aufgabe verdeutlichen und vor simplifizierenden Scheinlösungen bewahren.

5. Die reichhaltige Tradition des biblischen und kirchlichen „Israels“ ist sauber von der politisch-völkerrechtlichen Realität des heutigen Staates Israels zu unterscheiden: Eine Lösung des Nahostkonflikts muss auf dem Gebiet des letzteren gesucht werden. Dazu ist die Auseinandersetzung mit Formen schwerster Gewalt (Krieg, Terror) und ihrer Eindämmung nö-tig, die Einsicht in die Mühen kleinschrittiger politischer Tagesarbeit an rechtlichen Klärungen und am Engagement in versöhnender Absicht. Es wird klar erkennbar, dass die macht-politischen Rahmenbedingungen in der Region einerseits und die inneren Auseinanderset-zungn der beiden Konfliktparteien (Israel, Palästinenser) mit ihren eigenen radikalen Minderheiten (?!) schwerste Belastungen für den Friedensprozess bedeuten. Dies muss der Religionsunterricht (RU) als Herausforderung aufgreifen: Wie kann menschlich mit Ohn-machtserfahrungen von Gewalt und Aussichtslosigkeit umgegangen werden? Welche ethisch-moralischen Konsequenzen ergeben sich daraus (auch für uns, die wir „weit vom Schuss“ wohnen und für unsere Verantwortung in der Welt)?

6. Der RU übt hier den Umgang mit emotional belastenden Themen und Phänomenen ein: gegen die Verdrängung „schwieriger Themen“ soll zur bewussten Auseinandersetzung mit drohender Rat- und Ausweglosigkeit motiviert werden, damit man sich nicht einfach der Resignation und Gleichgültigkeit ergibt.

7. In der Auseinandersetzung mit den Postionen im Konflikt kann die eigene Dialog- und Debattenkompetenz in hochemotionalen Situationen gestärkt werden.

8. Die theologische Perspektive auf Israel verlangt eine redliche gedankliche Verarbeitung der biblischen Land- und Bundesverheißungen. Das erfordert einen hochreflektierten herme-neutischen Unterricht, der einerseits die Pluralität der Textzeugnisse und den wissenschaftlichen Dissens wahrnimmt, andererseits die Legitimität von Glaubensaussagen zu Israel und dem Gottesgeschenk des Landes und zur fortdauernden Verheißung Gottes anerkennt. Die Ableitung konkreter politischer Forderungen – etwa von Gebietsansprüchen für einen Staat Israel - aus einer Theologie des gelobten Landes ist dagegen nicht zu rechtfertigen und muss ideologiekritisch reflektiert werden. Die jahrhunderte- und jahrtausendealte antijudaistische Zuspitzung der christlichen Sicht auf Israel ist kritisch einzubeziehen.

9. Die besondere Verbundenheit von Christen mit dem jüdischen Volk muss auch bei diesem Thema herausgearbeitet werden. Sie hat Auswirkungen auf die Sicht des Landes Israel, das in besonderer, aber auch unterschiedlich geprägter Weise die jüdische Identität betriff. Das Land ist nicht mit dem Staat Israel zu identifizieren, kann aber auch nicht völlig von ihm losgelöst gedacht werden. Die historisch einmalige neue Staatlichkeit Israels kann durchaus im Glauben als „Fingerzeig der Treue Gottes“ aufgefasst werden und es ist nachvollziehbar, wenn sie dankbar als Erfüllung des Wunsches nach einer sicheren Heimstatt für Juden aus aller Welt aufgefasst wird. Didaktisch ist darauf zu achten, dass der klare Bezug theologischer Aussagen zu der Ebene des Glaubens nicht verwischt wird mit der vorfindlichen Realität im Nahen Osten, welche theologisch und ethisch in der Perspektive der Nächstenliebe und der Verantwortung für lebensdienliche, gerechte Strukturen und Ver-hältnisse wahrzunehmen ist.

Vorgelegt für eine Arbeitsgruppe bei der Tagung „Über Israel reden. Nahostdebatte und christliche Theologie“ im Butenschoenhaus Landau am 22. Juni 2013 von KR Thomas Niederberger, Speyer

Bild: © Evangelische Kirche der Pfalz (Protestantische Landeskirche)


 

Hilfen zur Weiterarbeit

Zum Thema "Israel" gibt es ein Themenheft aus der Reihe "Religionspädagogische Hefte" (Nr.2/2008), das hier bestellt werden kann: http://www.religionsunterricht-pfalz.de/shop/ Es eignet sich besonders gut für fächerübergreifende Projekte!

Hier finden Sie eine im Jahr 2006 erschiene Thesenreihe: "Israel: Staat - Land -Volk" des Arbeitskreises "Kirche und Judentum" der Evangelischen Kirche der Pfalz.

Weitere Informationen zum Thema Israel und Nahost finden Sie in einem 2008 erschienen "Ressource-Guide"

Empfehlenswert auch die Ausstellung „Israel-Bilder, Hinschauen, Wahrnehmen, Überdenken“, die die Besonderheiten des Staates Israel und die Lebensumstände sowie Perspektiven in Palästina beleuchtet. Sie kann beim Religionspädagogischen Zentrum Ludwigshafen ausgeliehen werden: http://www.religionsunterricht-lu.de/