Das pfälzische Judentum
Vom Beginn der Neuzeit bis zur Franzosenzeit

von Berhard Kukatzki, M.A. (Schifferstadt)

Vertrieben aus ihren städtischen Zentren und abgedrängt auf das Land bildete sich vom 16. bis 18. Jhdt. das bis in das 20. Jhdt. dominierende Bild eines ländlichen Judentums. In der vor der französischen Zeit in vierzig verschiedene Herrschaften aufgesplitterten Pfalz bildeten sich wegen der unterschiedlichen rechtlichen Stellung regionale Siedlungsschwerpunkte heraus. So lebten verhältnismäßig wenige Juden in den Gemeinden der pfalz-zweibrückischen, kurpfälzischen und speyerischen Herrschaft. Im Herzogtum Pfalz-Zweibrücken hatten sich bspw. seit der Mitte des 16. Jhdts. im Gefolge des Testaments des Pfalzgrafen Wolfgang in der Stadt und im Oberamt mit Ausnahme der Hoffaktoren keine Juden niederlassen dürfen. Überproportional viele jüdische Familien siedelten dagegen in den leiningischen Territorien, dem Fürstentum Nassau-Weilburg und anderen gräflichen oder adligen Kleinterritorien. Besonders in den Adelsdörfern erreichte der jüdische Bevölkerungsanteil oft mehr als zehn bis 25 Prozent. Legt man statistische Übersichten vom Anfang des 19. Jhdts., also wenige Jahre nach dem Ende des Feudalsystems in der Pfalz zugrunde, weisen zwei Dutzend pfälzische Gemeinden einen jüdischen Bevölkerungsanteil von mindestens zehn Prozent auf. Zu ihnen zählten u.a. Albersweiler, Böchingen, Carlsberg, Erlenbach, Essingen, Grünstadt, Kirchheim an der Weinstraße, (Nieder-) Hochstadt, Rodalben, Rülzheim, Steinbach am Donnersberg und Steinbach am Glan und Teschenmoschel. Etwa ein Dutzend Gemeinden verzeichneten gar Bevölkerungsanteile von über fünfzehn Prozent (in Klammer der jeweilige Anteil). Dazu gehörten Dörfer wie Busenberg (19%), Sembach (21%), Altdorf (22%), Gauersheim und Wallhalben (je 26%) oder Ingenheim (29%). Dabei war es weniger religiöse Toleranz und aufgeklärter Reformwille als ein ausgeprägtes fiskalisches Interesse des Territorialherrn. Waren doch die pfälzischen Juden des 18. und frühen 19. Jahrhunderts, von denen allein ein Siebtel eine wirtschaftlich eher kümmerliche Existenz am Rande oder außerhalb der Gesellschaft führten, wegen der von ihnen zu errichtenden Schutz- und Leibzollgelder als Einnahmequelle eine willkommene Bevölkerungsgruppe, um das häufig schmale Budget des jeweiligen Landesherrn aufzufüllen. Diese zusätzlichen Abgaben mußten erst mühsam erarbeitet werden. Durch die von den Christen erlassenen „Berufsverbote“ wurden die Juden Jahrhunderte lang vom Ackerbau und den zünftigen Handwerken ausgeschlossen. Auch in der Pfalz hatte dies zur Folge, dass sich die jüdische Erwerbstätigkeit in den Handelsberufen konzentrierte. Besonders unter den Vieh-, Wein- und Tabakhändlern waren viele Juden zu finden. Ansonsten ist ein hoher Anteil von Kleinhändlern, Metzgern, Alt- und Gebrauchtwarenhändlern und Hausierern zu verzeichnen. Auch hier lebte die Übergroße Mehrheit in den bescheidensten Lebensverhältnissen.

Ein bedeutender Einschnitt in der Geschichte und der Entwicklung des pfälzischen Judentums bildete die „Franzosenzeit“. Als am 28. September 1791 die Pariser Nationalversammlung die sofortige und uneingeschränkte Befreiung der Juden aus allen feudalstaatlichen Fesseln und Beschränkungen beschloss und sie damit zu den Christen gleichgestellten Staatsbürgern machte, sollte dies einige Jahre später mit der Besetzung und dem darauf folgenden Anschluss der linksrheinischen Gebiete an Frankreich auch ab 1797 den „Israeliten“, deren es im Departement Donnersberg sehr viele gebe, wie ein hoher Verwaltungsbeamter der Mainzer Präfektur damals urteilte, die „Emanzipation“ bescheren. Vom Jahrhunderte lang nur als „Schutzjuden“ Geduldeten war man als Pfälzer nunmehr zu einem gleichberechtigten Staatsbürger geworden. Noch im Jahre 1831 beschrieb der demokratische Publizist und Anwalt der pfälzischen Freiheiten Georg Friedrich Kolb in seiner „Statistisch-topographische Schilderung von Rheinbayern“ die Nachwirkungen der französischen Zeit wie folgt:

„Wie viel bei uns in Rheinbayern anders als im jenseitigen Deutschland ist, davon kann eine Vergleichung des Religionswesens z.B. einen Begriff geben. Wir haben nicht nur keine herrschende Kirche, sondern der Grundsatz vollkommener Gewissensfreiheit wird auch in Wirklichkeit ausgeführt. Es besteht eine in jeder Beziehung bemerkenswerte Vereinigung der Protestanten, die Katholiken diesseits sind durch die bestehende Gesetzgebung - Abschaffung der vielen Feiertage etc. - in mancher Hinsicht anders geworden, als sie waren. Die Mennoniten haben gleiche Rechte mit den übrigen Confessionen und sind - eine Folge dessen - helldenkender in ihren kirchlichen Einrichtungen geworden, die Juden endlich genießen alle staatsbürgerlichen Rechte...“

Dabei vergisst Georg Friedrich Kolb, dass den Juden schon in napoleonischer Zeit für die Dauer von zehn Jahren durch das berüchtigte „decret infame“ im Jahre 1808 ein guter Teil ihrer bürgerlichen Freiheit wieder erdrückend eingeschränkt wurde. Die seit 1816 bayerische Verwaltung hob dieses Dekret nicht auf sondern verschärfte es teilweise noch. Dennoch verfügten die pfälzischen Juden immer noch Über größere Freiheiten als ihre Glaubensbrüder im rechtsrheinischen Bayern. Es bedurfte jahrzehntelanger Eingaben und Kämpfe, bis 1851 sämtliche Ausnahmebestimmungen im bürgerlichen Recht für Juden in allen bayerischen Landesteilen aufgehoben wurden. Mit der Gesetzesregelung von 1851, die immer noch die Minderung der politischen Rechte (z.B. passives Wahlrecht) zuließ, war ein wichtiger Schritt getan. Die Vorenthaltung des passiven Wahlrechts bezog sich jedoch nicht auf den kommunalen Bereich - so saßen nicht selten auch jüdischen Bürger in den Gemeinderäten. In Ingenheim, das zeitweise einen jüdischen Bevölkerungsanteil von gut einem Drittel aufwies, stellte man von 1869-1884 mit Bernhard Roos den Bürgermeister. Volle staatsbürgerliche Gleichberechtigung trat erst durch das Reichsgesetz vom 22. April 1871 ein. Dass mit der rechtlichen Gleichstellung nicht auch automatisch eine gesellschaftliche Gleichberechtigung eintreten würde, hatte 1857 schon H.W.Riehl, der Begründer der deutschen Volks- und Landeskunde erkannt: „Wenn der gemeine Mann hier theoretisch auch noch so tolerant gegen die Juden ist, so hält er sich doch - wie Überall in Deutschland - im stillen für etwas viel besseres als den vornehmsten Hebräer; die Zeugnisse alter Judenverachtung in Volkssprache und gemeinen Redebildern sind noch in vollem Glanz lebendig.“ Zu den Beispielen für diese Art von Missachtung dürfte auch der Osterbrauch „Jud verbrennen“ in Rodalben zählen, bei der man eine Strohpuppe verbrannte und der bis 1945 ausgeübt wurde. Dass in etwa der gleichen Zeit, im Jahre 1856 der Schriftsteller August Becker die Situation im schon oben erwähnte Ingenheim mit: „Die Juden geben dem Ort erst seine rechte Bedeutung, Handel und Wandel und einzelne haben sich großstädtische Häuser im Dorf gebaut...Hier sind die Juden im Besitz aller bürgerlichen Rechte, indem sie sowohl in der Ortsschulkommision als im Gemeinderat sitzen und hat man noch nicht gehört, dass dies der Gemeinde irgendwie geschadet hätte“ schildert, macht die Aussage von Riehl deshalb nicht unglaubhafter.

Eine wichtige Veränderung brachte ein weiteres napoleonisches Dekret des Jahres 1808 - das Über die Annahme fester Familiennamen. Bis dahin war es unter den Juden Üblich dem eigenen Rufnamen lediglich den Rufnamen des Vaters hinzuzufügen. In der Verordnung hieß es daher : „Diejenigen Juden unseres Reiches, die den hebräischen Gottesdienst befolgen und die bisher keine fixen Geschlechts- und Vornamen hatten, sollen verpflichtet sein, solche binnen drei Monaten nach Publikation unsers gegenwärtigen Decrets anzunehmen und sie vor dem Beamten des Zivilstands der Gemeinde, wo sie ansässig, zu erklären.“ So wurden die traditionellen jiddischen Vornamen abgelegt und aus einer Abraham Jüdgen in Alsenz eine Jeanette Goldschmidt oder aus einer Baisgen Herz eine Elisabeth Gottschau, aus einem Eisic Isaak in Schifferstadt ein Isaak Landmann, in Billigheim aus einer Gundel Gutsch eine Esther Aberlin, aus Moyses Gola eine Katharina Rindsfuss, aus einem Nathan Seckle ein Isack Becker und aus einem Elias Emanuel ein Peter Schwarz. Neben auch in anderen Gegenden Deutschlands häufig vorkommenden angenommen jüdischen Familiennamen wie Weil, Levi, Löb, Adler, Strauß oder Stern sind Namen festzustellen, deren Träger fast ausschließlich in der Pfalz zu finden sind. Zu diesen typischen jüdisch-pfälzischen Familiennamen gehören Beitmann, Bodenheimer, Bohrmann, Dellheim, Emsheimer, Felsenthal, Haas, Dornberger, Kern, Kohlmann, Maas und Reinach.