Die Wurzeln des Antisemitismus liegen im Neuen Testament

von Florian Foos

"Auschwitz ist ohne die judenfeindliche Tradition der Kirchen und der Christen nicht erklärbar."
Dr. Heiner Geißler ("Was würde Jesus heute sagen?" Seite 148)

Szenenbild aus dem Fim "Passion Jesu Christi", (C) Matthias-Film


Christ und Nazi offenbar (k)ein Widerspruch im "Dritten Reich"!

Die Rolle der Kirchen im Nationalsozialismus stellt kein Ruhmesblatt dar. Das katholische Zentrum ebnete Adolf Hitlers NSDAP den Weg zur Diktatur, indem sie dem Ermächtigungsgesetz zustimmte und damit faktisch die Auflösung des demokratischen Parlaments billigte. Von Papen, der letzte bedeutende Zentrumspolitiker, verschätzte sich folgenschwer, indem er versuchte Hitler einzurahmen und zu kontrollieren. Schließlich war von Papen nur noch eine Marionette und konnte von Glück reden, mit dem Leben davon gekommen zu sein. Die linienkonforme Einheitskirche “Deutsche Christen” unterstützte die Nazis nach deren Machtübernahme, die Bischöfe und Pfarrer hielten Hasspredigten und rechtfertigten die Judenverfolgung nachdrücklich. Die Rolle des Papstes ist ebenfalls höchst beunruhigend. Das Konkordat mit dem Vatikan machte Hitler international salon- bzw. verhandlungsfähig und weichte somit die internationale Isolation des Nazi-Regimes auf. Es existiert außerdem ein Brief von Edith Stein an den Papst, in dem sie ihn ausdrücklich auf die Verfolgung der Juden hinweist und ein Eingreifen der Kirche fordert (http://www.welt.de/data/2003/02/18/42899.html).

Trotz alledem oder gerade deswegen soll auch der vereinzelte - und auch der organisierte - mutige christliche Widerstand nicht unerwähnt bleiben. Die Mitglieder der Bekennenden Kirche stellten sich in der Barmer Theologischen Erklärung offen gegen die Linienkonformität der Deutschen Christen unter Reichsbischof Müller. Besonders hervorzuheben sind Martin Niemöller und Dietrich Bonhoefer, der für seine Überzeugung ins KZ (mögliche Verlinkung mit anderen Themen des Projekts) gebracht wurde und kurz vor der Befreiung aufgrund Hitlers persönlichen Befehl hingerichtet wurde. Auch in der katholischen Kirche regte sich Widerstand, wenngleich eher vereinzelt und punktuell. Der Kardinal von Galen oder Pfarrer Delp sind auch der relativ breiten Öffentlichkeit bekannt. Aber auch den vielen unbekannten, namenlosen Pfarrern, die von der Kanzel gegen den Nationalsozialismus und für die Menschlichkeit predigten, sollte man gedenken. Trotzdem erschien Nazi und Christ oder Christ und Nazi nur wenigen Menschen als offensichtlicher Widerspruch.

Für Hitler und die Naziführung war Jesus und das Christentum eher unwichtig. Man bezeichnete sich zwar als “gottgläubig”, die Botschaft von Jesus enthielt aber einfach "zu viel" Nächstenliebe, "zu viel" Mitleid mit den Schwachen und Hilflosen, um die eigene totalitäre Gewaltherrschaft zu rechtfertigen. Dass Jesus als Jude geboren wurde und als Jude gestorben ist, dürfte wohl ebenfalls zu dieser Haltung beigetragen haben.

Das antisemitische Fundament

Viele Bischöfe und Kirchenpräsidenten folgten in ihrer Deklassierung der Juden als "geborene Welt- und Reichsfeinde" dem Vorbild Martin Luthers, der selbst antisemitische Schriften ("von den Juden und ihren Lügen", "Sieben-Punkte-Anleitung zum Umgang mit den Juden") verfasst hat, die seinen Hass auf die "Jesusmörder" deutlich werden lassen. Luther konnte sich ohne weiteres auf die Heilige Schrift berufen, besonders auf die Passionsgeschichte wie sie von den vier Aposteln Markus, Matthäus, Lukas und Johannes aufgeschrieben wurde. Das älteste Evangelium, das Markusevangelium, gilt unter Historikern noch als das akkurateste. Die anderen drei Evangelien, besonders das Matthäusevangelium, übertreffen das Markusevangelium in antijüdischer Polemik noch bei weitem. Exemplarisch möchte ich in diesem Zusammenhang auf Mt 23, 34-36 und Mt 27, 23-26 hinweisen: “Da antwortete das ganze Volk und sprach : Sein Blut komme über uns und unsere Kinder” (Mt 27, 25). Bei Markus ist davon überhaupt keine Rede.
Wenn man solche polemischen Stellen als historische Fakten ohne kritische Prüfung übernimmt, kann leicht ein verzerrtes, ein historisch verklärtes und schlichtweg falsches "Judenbild" entstehen.

Die Passion Christi

Diese Geschichtsklitterung ist auch fast 60 Jahre nach der Befreiung von Auschwitz durch die Rote Armee noch nicht aus den Köpfen der Menschen verschwunden wie Mel Gibsons mit bestialischer Brutalität verfilmte Passion Christi "eindrucksvoll" zeigt. Der Hollywoodstar und christliche Fundamentalist (ein "wiedergeborener Christ") übernimmt die Passionsgeschichte, ohne etwas in Frage zu stellen, ohne den antisemitischen Überbau zu durchdringen bzw. ohne die modernen historischen Erkenntnisse zu beachten. Er ignoriert sie, wie man unterstellen muss, wissentlich.

Er lässt Jesus von “bösen”, klischeehaft dargestellten, Juden festnehmen, vor dem "Hohen Rat" der Juden verhören und in einer Nacht-und-Nebel-Aktion verurteilen. Da der Hohe Rat aber kein Todesurteil aussprechen kann, bringt man Jesus zum römischen Statthalter in Jerusalem Pontius Pilatus. Dieser erklärt Jesus, dass die Pharisäer und das jüdische Volk ihn zum Tode verurteilt sehen wollen: “dein eigenes Volk hat dich zu mir gebracht”. Der Mob, die Menschenmenge vor Pilatus’ Residenz, will viel lieber den mehrfachen Mörder, den als gemeingefährlich und geistesgestört dargestellten Barabbas, befreit sehen als Jesus Christus, für den sie ohne Erbarmen den Tod am Kreuz fordern. Pilatus wird als nachdenklicher Prokurator dargestellt, der nachdrücklich und wiederholt versucht Jesus freizusprechen und ihm das Leben zu retten. “Ich erkenne keine Schuld in diesem Mann”, wiederholt der Römer gleich mehrere Male vor dem tobenden jüdischen Mob. Schließlich wird er aber von “den” Juden regelrecht genötigt, Jesus ans Kreuz zu liefern. Er wäscht symbolisch (nach jüdischem Brauch) seine Hände in Unschuld. "Deswegen ist es er, der mich dir auslieferte, der die größere Sünde trägt", sagt Jesus zu Pilatus in Gibsons Verfilmung.

Auf der vom "Bundesverlag" betriebenen Internetseite www.Jesus.de, die besonders auch junge Menschen ansprechen soll, feiert eine ganze Reihe von christlichen Künstlern den Film im Rahmen einer Interviewreihe. In diesen Interviews liest man immer wieder Sätze wie "Wir als Christen wissen, dass es ... die Juden waren, die Jesus aus Unwissenheit ans Kreuz genagelt haben." oder "Muss für Juden nicht automatisch das Kreuz ein Ärgernis sein?"

Folgenschwere Verdrehung der historischen Tatsachen

Diese Sicht auf die Ereignisse, die sich wohl 27 n. Chr. zutrugen, ist historisch schlichtweg unhaltbar. Die “Endredakteure” des Neuen Testaments haben Jesus nicht gekannt, noch nicht einmal zu seiner Zeit gelebt, sondern haben über 100 Jahre später ihre Aufzeichnungen begonnen. Sie versahen die mündlichen Überlieferungen mit einer gehörigen Portion dichterischer Freiheit, die sie zum einen dazu nutzten, um die Botschaft von Jesus, wie damals üblich, zu verstärken und zu untermauern (indem sie zum Beispiel Berichte über Wunder hinzufügten) und zum anderen, um keine ernsthaften Probleme mit den Römern zu bekommen. Die christlichen Gemeinden befanden sich zu dieser Zeit nämlich gerade in einem schwierigen Abspaltungsprozess vom Judentum und waren abhängig von der Gunst und Milde der Römer. Die Juden boten sich deshalb als "Tätervolk", um den Nichtbegriff von Martin Hohmann zu benutzen, geradezu an. Deswegen muss man den Aposteln eine zwar historisch nachvollziehbare, aber folgenschwere Verdrehung der Tatsachen vorwerfen: Der Prozess gegen Jesus vor dem Hohen Rat ist historisch mehr als umstritten. Am Sabbat, an Feiertagen und am Vorabend aller Feiertage durften nämlich überhaupt keine Gerichtsverhandlungen stattfinden. Angeblich wurde der Prozess aber am Abend des Passahfestes durchgeführt. Bei Markus und bei Matthäus heißt es außerdem, “alle” hätten Jesus zum Tode verurteilt. Das war in der jüdischen Rechtspraxis überhaupt nicht möglich, wie Dr. Heiner Geißler in seiner Schilderung des Prozesses klarstellt. In Wirklichkeit war Pontius Pilatus ein gewissenloser Gewaltherrscher, ein Machtpolitiker. Er scheute nicht davor zurück, hunderte von Juden ohne Prozesse zu kreuzigen, wenn sie ihm als Aufrührer erschienen.

Und Pilatus hatte allen Grund Jesus für einen Aufrührer zu erachten. Er war der Fürsprecher, der geistige Führer der armen, der einfachen Leute. Jesus Botschaft ist, wie Heiner Geißler in seinem Buch erläutert, sehr wohl in einem hohen Maße politisch. Jesus verkündete revolutionäre Neuerungen, welche die Römer als Bedrohung für ihre Herrschaft ansahen. Auch der Einwand, Jesus habe nie Gewalt angewandt, ist so nicht richtig. Die Tempelreinigung war eine regelrechte Kriegserklärung gegen das jüdische Etablissement in Jerusalem, das eng mit den Römern kollaborierte. Aus dieser absoluten Minderheit, dieser Clique von 34 reichen Familien, die man als Saduzzäer bezeichnet, setzten die Römer nämlich auch den Hohen Priester ein, der im Tempel Handel und Geldgeschäfte zu seinen Gunsten erlaubte und damit den "heiligen Zorn" von Jesus provozierte.

"Genauso wie wir nicht wegleugnen, dass Hitler Millionen von Juden vernichtete, genauso wenig können Juden wegleugnen, dass sie Christus ans Kreuz genagelt haben", schrieb der katholische Oberammergauer Report im Jahre 1970. An diesem Satz halte ich rein formal schon für besonders fragwürdig, dass zum einen von Hitler (einer einzelnen Person – der Schuld der Deutschen wird dadurch keine Beachtung geschenkt) und dann allgemein pauschal von "Juden" die Rede ist, ohne Unterscheidung, als ob Jesus von einem ganzen Volk, von einer ganzen Religionsgemeinschaft ans Kreuz genagelt wurde, was schon rein bildlich absolut lächerlich erscheint. Auch wenn man diesen Satz symbolisch sieht, Jesus wurde nicht von Juden getötet. Er wurde von römischen Soldaten hingerichtet, wie der Apostel Markus schildert. Er wurde nicht von den Pharisäern, den frommen und friedlichen Schriftgelehrten, denen landläufig die Hauptschuld an Jesus Tod gegeben wird, oder gar vom einfachen jüdischen Volk, dessen Held er war, eines Aufruhrs oder gar der “Gotteslästerung” bezichtigt, sondern von den Saduzzäern, die wie gesagt ihre Geschäfte und ihren Einfluss von Jesus gefährdet sahen. Den Grund für Jesus Todesstrafe schrieben die Römer auf eine Tafel, die sie oben am Kreuz befestigten. Dort stand auf lateinisch(!) "Jesus von Nazareth, König der Juden". Dies untermauert, dass Pilatus und die Römer wahrscheinlich Angst vor einer jüdischen Volksbewegung hatten, die angeführt von Jesus, zuerst die römerfreundlichen Saduzzäer aus dem Tempel spülen (der Anfang war mit der Tempelreinigung gemacht) und dann die römische Macht in Frage stellen würden.

Vor der nationalsozialistischen Machterschleichung im Januar 1933 fielen über sieben Millionen Juden der antijüdischen Hetzkampagne der christlichen Kirchen in Europa zum Opfer zum Beispiel in den Kreuzzügen. Auf ihrem Weg nach Jerusalem löschten "chistliche" Kreuzritter regelmäßig ganze jüdische Ghettos aus, auch in unserer Nähe entlang des Rheins. Der Jude war ein gängiges Feindbild, das schon seit über 1900 Jahren Bestand hatte. Was viele Menschen nicht wissen, der Judenstern war keine Erfindung der Nazis, auch die Gesetze, welche die Juden von Handwerk und Gewerbe, von Schulen und anderem öffentlichen Leben ausschlossen, waren schon vorher da gewesen; obgleich die durchorganisierte, “industrielle” Massenvernichtung (der "Holocaust"), die 1942 auf der Wannseekonferenz (Link zu Tobias) endgültig besiegelt wurde, natürlich eine neue Dimension dieser abartigen Perversion darstellte. Die Vorstellung vom “Kapitaljudentum” wurde ebenfalls im Neuen Testament genährt. Judas verrät Jesus für 30 Silberlinge (nachzulesen zum Beispiel in Mt 26, 14-16). Die nationalsozialistische Assoziation, dass ein Jude Menschen verkauft, war damit leicht auf den Weg gebracht. Das Märchen von der "jüdischen Weltverschwörung" klang gleich eindrucksvoller, wenn der psychologische Weg dafür bereitet war, wenn man "wusste", dass die Juden schuld waren, schuld am Tod Jesu! Ich bin davon überzeugt, dass die vier Apostel, wären sie sich der schrecklichen Folgen ihrer wissentlich falschen Schuldzuweisung bewusst gewesen, sicher darauf verzichtet und dem Antisemitismus so sein Fundament entzogen hätten.

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Quellen

– Die Bibel nach der Übersetzung Martin Luthers

– Dr. Heiner Geißler: Was würde Jesus heute sagen?
Die politische Botschaft des Evangeliums

– Norman A. Beck: Mündiges Christentum im 21. Jahrhundert
Die antijüdische Polemik des Neuen Testaments und ihre Überwindung

– Mel Gibson: Die Passion Christi (The Passion of the Christ)

Dr. Stefan Meißner: Wer war schuld am Tod Jesu?

Daniel Jacobi: WEGEN UNS ALLEN MIT ALL UNSERER SCHULD

Lutz Langhoff «Muss für Juden nicht automatisch das Kreuz ein Ärgernis sein?»

http://www.passion.film.de