Israel - ein Staat wie jeder andere?

Der Staat Israel und der Gott der Geschichte

von Stefan Meißner

Den ersten Teil dieses Aufsatzes finden Sie hier...

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Nachdem wir uns im ersten Hauptteil zunächst allgemein mit dem Handeln Gottes in der Geschichte beschäftigt haben, ist es nun an der Zeit, die Frage auf den Staat Israel zuzuspitzen. Hat seine Entstehung im Jahr 1948, vielleicht auch sein Weiterbestehen bis heute durch alle Kriege und Krisen hindurch, etwas mit Gottes Vorsehung zu tun? Dass sich sein Geschichtshandeln auch in nachbiblischer Zeit manifestiert, ist, wie wir gesehen haben, grundsätzlich zumindest denkbar. Ob aber im Blick auf Israel tatsächlich so etwas wie „erfüllte Zeit“ vorliegt, muss für den speziellen Fall noch geprüft werden. Wir wollen dazu erst Argumente von jüdischer, dann solche von christlicher Seite bedenken.


5. Jüdische Stimmen

5.1 Zurückhaltung des traditionellen Judentums gegenüber dem Zionismus

Als um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert die Rückkehr der Juden in das Land der Väter zu einer Massenbewegung zu werden begann, die später unter dem Namen „Zionismus“ in die Weltgeschichte einging, geschah das zunächst ohne Billigung oder gar Beteiligung des religiösen Establishments. Gerade das orthodoxe Judentum sah im Jischuw den Ausdruck eines „weiteren unglückseligen, irrigen Messianismus“(1). Was den Argwohn vieler Traditionalisten schürte, war der modernistische, oft sozialistische und weithin säkulare Charakter dieser Bewegung. Dass Gott so handelte, konnte man sich nicht vorstellen.

Heute begrüßt der weitaus größte Teil des orthodoxen Judentums den Staat Israel. Das gilt etwa für die zahlenmäßig bedeutsame modern-orthodoxe Bewegung, in den USA repräsentiert durch über tausend Synagogengemeinden. Es trifft aber auch für die nationalreligiöse Bewegung in Israel zu, die in der Knesset wachsenden Einfluss hat.(2) Es sind eher kleinere haredische Splittergruppen, die den Staat noch immer als menschliche Vorwegnahme der messianischen Vollendung ablehnen. Doch auch hier scheint die Reserve gegen Israel zu schwinden.(3)


5.2 Rav Kook: Die messianische Deutung des Zionismus

Auch der erste jüdische Oberrabbiner im britischen Mandatsgebiet Palästina, Rabbi Avraham Isaak Kook (1865-1935)(4), gehörte dem orthodoxen Spektrum an, und zwar in einer kabbalistisch-chassidischen Ausprägung. Als er 1904 von Litauen nach Jaffa übersiedelte, gab es sich keiner Illusion hin, was die innere Motivation der jungen Pioniere anging, die das Gelobte Land besiedelten. Viele hatten eine nationalistische oder sozialistische, die wenigsten eine religiöse Vision von Israel. Doch was immer die Einwanderer subjektiv auch umtrieb, objektiv sah Kook in der Bewegung dennoch den Heilsplan Gottes Gestalt annehmen. Für ihn konnten auch Materialisten Propheten sein. Ihre schöpferische Energie, ihre Opfer- und Verwirklichungsbereitschaft, waren für ihn ein unabdingbares Korrektiv gegen die Vergeistigungstendenzen, die sich in der in seinen Augen zu angepassten jüdischen Aufklärung (Haskala) breit gemacht hatten. Der Einsatz für die Entstehung eines jüdischen Gemeinwesens im Land der Väter war für den Mystiker Kook Ausdruck eines „Heilens der Welt“ (Tikkun Olam). Weil Gott die Welt nicht als die „beste aller Welten“ erschaffen hat, sondern unvollkommen und verbesserungsbedürftig, hat der Mensch die Möglichkeit, an der Vervollkommnung der Welt mit zu wirken. Der Dienst am jüdischen Staat ist ein solches Werk.

Rav Kooks messianisch motivierte Hoffnung richtete sich ganz in Hegel´scher Manier darauf, dass der areligiöse Zionismus mit dem traditionellen Judentum eine Synthese eingehen würde. Das Ergebnis, so seine durchaus universalistische Utopie, würde ein erneuertes Israel in einer erneuerten Welt sein. Anders als sein Sohn und Nachfolger Rabbi Zvi Jehuda ha-Cohen Kook, einem der ideologischen Wegbereiter der späteren Siedlerbewegung, erkannte der alte Kook durchaus die Gefahr, dass das Judentum durch ein Sich-Einlassen auf das Ränkespiel von Macht und Gewalt in einer noch unerlösten Welt moralisch korrumpiert werden könnte.(5)


5.3 Martin Buber: Versöhnung von Geschichte und Natur (6)

Martin Buber gilt heute vielen als einer der wichtigsten jüdischen Denker des 20. Jahrhunderts. Trotzdem ist nicht zu übersehen, dass seine Thesen in jüdischen Kreisen nicht umstritten waren. Geboren wurde er in Wien als Sohn einer großbürgerlichen jüdischen Familie, aufgewachsen ist er bei seinen Großeltern im galizischen Lemberg. Schon während des Studiums (1896-1904) nahm Buber Kontakt zum aufkommenden Zionismus auf, nahm an mehreren zionistischen Kongressen teil und gab eine Zeit lang sogar das zionistische Parteiorgan „Die Welt“ heraus. Anders aber als Th. Herzl, zu dem er je länger je mehr ein gespanntes Verhältnis hatte,(7) sah Buber die innere, geistige Erneuerung des Judentums als unabdingbare Voraussetzung für dessen nationale Wiedergeburt an. Diese Haltung verdankte sich nicht zuletzt dem Kulturzionismus eines Achad Ha'am. Nicht, dass Martin Buber unpolitisch gewesen wäre. Im Gegenteil betonte er wie andere Zionisten auch die Notwendigkeit, dass das jüdische Volk nach Jahrhunderten des Exils auf eine „Wiedergewinnung des natürlichen Lebens“ in seinem eigenen Land hinarbeitet.

Als Nation würde das Judentum nun wie die anderen Völker auch seine Geschichte endlich aktiv gestalten und nicht nur passiv als ihr Spielball erleiden. Aber nicht nur das jüdische Volk würde von dieser „Autoemanzipation“ (Leo Pinsker) profitieren, sondern auch die Völkerwelt. Wie die Erwählung Israels recht verstanden „kein Überlegenheitsgefühl, sondern ein Bestimmungsgefühl“ meint, so ist auch „der Aufbau einer jüdischen Volksgemeinschaft in Palästina“ eine gottgegebene „Aufgabe“, eine „Forderung“, ein „Auftrag“, der letztlich der Heiligung der ganzen Welt und dem Segen der Völker dient.(8) Hier ist eine universalistische Zielrichtung in Bubers Denken erkennbar, die ihn von manchen anderen Zionisten deutlich abhebt.

Die von Buber öfter verwendete „theopolitische“ Kategorie der Heiligkeit zeigt an, dass die Sehnsucht nach einem eigenen Staat für Buber keine rein weltliche Angelegenheit darstellt. Sie kann das schon deshalb nicht sein, weil das Judentum nicht nur Nation, sondern eben auch Glaubensordnung ist.(9) Bubers politische Vision gründet wie bei Rav Kook in einem messianischen Glauben. Jeder Staat ist für ihn „eine Vorwegnahme, ein problematisches Modell des Gottesreiches“.(10) In dieser theologischen Begründung des Staates wurzelt seine besondere Bedeutung, aber auch seine Begrenzung. Problematisch ist dieses vorläufige Abbild schon deshalb, weil es sich stets am in der Tora kodifizierten Gotteswillen messen lassen muss, dessen leitende Prinzipien „Wahrheit und Recht“ seien.(11) Neben der Verbundenheit der Menschen untereinander – das wurde Buber nie müde zu betonen - müsse ihre Verbundenheit mit dem göttlichen Urgrund im Blick bleiben.

Die unaufgebbare Zusammenhörigkeit von Welt und Geist profiliert Martin Buber in Abgrenzung zu einem paulinischen-lutherischen Dualismus, der die Welt hat geistlos und den Geist weltlos werden lassen.(12) Dieselbe Diastase diagnostiziert der jüdische Denker bei den „falschen“ Nationalismen seiner Zeit, bei denen der Gruppenegoismus zur Hybris entartet und die Macht zum Selbstzweck geworden sei. Einen solchen falschen Nationalismus lernte Buber gegen Ende der Weimarer Republik in Deutschland kennen, wo er nach der Jahrhundertwende seinen Lebensmittelpunkt hatte, aber eben auch in einigen Strömungen des Zionismus. Eine Anpassung des Judentums an den nationalistischen Zeitgeist, so warnte der Religionsphilosoph, wäre nicht weniger als dessen „nationale Assimilation“.(13)

Bubers Glaube ist „ganz und gar Geschichtsglaube“, Judentum ist für ihn ein „Volk, das seine geschichtlichen Erfahrungen als Taten seines Gottes versteht“.(14) Trotz dieser Beanspruchung von Geschichte für sein theologisches Denken erliegt er doch nie der Versuchung, politische Ansprüche ideologisch zu überhöhen. Das liegt einerseits in der universalistischen Zielrichtung seines Denkens begründet, zudem nimmt er konsequent den eschatologischen Vorbehalt jeder Staatlichkeit ernst. Dass Buber stets für die Befindlichkeiten „des anderen“ offen war, hat aber noch einen anderen Hintergrund: Seine Philosophie des Dialogs. Schon sehr früh appellierte er an seine zionistischen Mitstreiter, nicht die Ängste und Interessen der Araber zu übersehen, die ebenfalls im Heiligen Land leben. Palästina dürfe nicht nur ein jüdisches, sondern müsse ein Land für zwei Völker(15) werden. Es zeichnet Buber aus, dass er das, was er in „Ich und Du“(16) in allgemeiner Form zu Papier brachte, in der Konkretion des politischen Alltags auch wirklich lebte. Nur im vorurteilsfreien Sich-Einlassen auf seinen Mitmenschen kann der Mensch Gott begegnen. Oder mit Bubers eigenen Worten: „Die verlängerten Linien der Beziehungen schneiden sich im ewigen Du.“(17)

Die Heimkehr in das Heilige Land sieht Buber als historisches Recht der Juden an, die doch von ihrer Herkunft her Orientalen seien.(18) Dennoch empfahl er, um der Verständigung mit den Arabern willen die Einwanderung zumindest zeitweise begrenzen. Anders als andere Zionisten war es nicht ein zentralistischer, jüdischer Nationalstaat, der Buber vorschwebte, sondern ein binationaler, föderaler Staat, der durchaus sozialistische Züge trägt. „Religiöser Sozialismus, wie Buber ihn lehrte,“ so schreibt Paul R. Mendes-Flohr, geht mit dem Geist eines echten oder Urjudentums zusammen“.(19) Dieser „hebräische Humanismus“, wie Buber diesen Geist auch nennt, will Gott nicht in die Religion einsperren, sondern drängt auf Verwirklichung in allen Lebensbereichen. Was Buber vorschwebte, war nicht weniger als eine Vereinigung der beiden Seinssphären Natur und Geschichte bzw. Politik und Moral, denn „die gesamte Schöpfung ist potentiell heilig.“(20)

Dass sich Wesen und Wirklichkeit einander annähern, dass die göttliche Gerechtigkeit unter den vorläufigen Bedingungen des Jetzt und Hier mit Leben gefüllt werde, das ereignet sich nach Buber nicht durch einen einmaligen revolutionären Umschwung, sondern eher prozesshaft, leise und subtil: „Wir leben in einer unerlösten Welt. Aber aus jedem willkürlos weltverbundenen Menschenleben fällt in sie ein Samen der Erlösung. Und die Ernte ist Gottes.“(21) Die Gründung des Staates Israel hat Buber in dieser Form nicht herbei gesehnt, aber dann doch als Realität akzeptiert. Innerhalb dieses neuen Kontextes hat er in unermüdlichem Einsatz für die Völkerverständigung viele „Samen der Erlösung“ gesät, hat die „Demarkationslinie“ des Machbaren immer wieder abgeklopft. Am Ende, wird man sagen müssen, ist er ein einsamer Rufer geblieben. Viele seiner Befürchtungen sind eingetreten, zum einen in Blick auf einen sich zuspitzenden Nahostkonflikt, leider aber auch hinsichtlich der moralischen Korrumpierung von Teilen des Zionismus.

5.4 Richard L. Rubenstein: Der Gott der Geschichte ist tot (22)

Unmittelbar nach der Shoah überwogen bei vielen Juden die Bedenken, noch irgendeinen Sinn in der Geschichte zu suchen: „Nie werde ich zugeben, dass der Totalitarismus und die Lager in einem kosmischen oder historischen Sinn ‚notwendig‘ gewesen seien.“(23) Einer der Post-Holocaust-Theologen, die sich weigerten, Katastrophen wie die Shoah als notwendige Durchgangsstadien bei der Verwirklichung eines höheren Prinzips schön zu reden, war R. L. Rubenstein (geb. 1924). Er wuchs in einem assimilierten Elternhaus auf, begab sich aber als Student - zunächst am liberalen Hebrew Union College, dann am konservativen Jewish Theological Seminary - auf die Suche nach seinen jüdischen Wurzeln. Nach seiner Promotion in Harvard arbeitete Rubenstein als Rabbiner und akademischer Lehrer. Sein erstes Buch „After Auschwitz“ rief Proteststürme hervor, denn hier verlieh er erstmals seiner Überzeugung Ausdruck, dass wir „in einem Zeitalter des ‚Todes Gottes‘ leben“. Für ihn ist seit der Shoah jedes „Band, das Gott und Mensch, Himmel und Erde verbindet, zerbrochen.“

Die Folgen dieses Todes Gottes beschreibt er mit Worten, die an F. Nietzsche erinnern: „Wir stehen in einem kalten, schweigenden, gefühllosen Kosmos, ohne Hilfe von einer zielgerichteten Macht, die über unsere eigenen Ressourcen hinausgeht. Nach Auschwitz, was sonst kann ein Jude von Gott sagen?”(24) In seinen späteren Werken präzisiert er, die Rede vom Tode Gottes sei „eher eine Aussage über den Menschen und seine Kultur als über Gott. Der Tod Gottes ist ein kulturelles Faktum.”(25) Gestorben ist für Rubenstein lediglich der allmächtige Gott, der Herr der Geschichte, der sich um sein Volk kümmert, mit ihm einen Bund schließt und es vor Katastrophen bewahrt. Damit ist über die Religion als solche oder gar das Judentum noch nichts gesagt.

Diese ausgesprochen pessimistische Weltsicht Rubensteins steht in auffälligem Kontrast zu einer durchaus positiven Beurteilung des Staates Israel. Diese ist überraschend, denn bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges war seine Haltung gegenüber dem Zionismus durchaus kritisch.(26) Wie Buber oder Magnes konnte er sich damals allenfalls ein binationales Gemeinwesen vorstellen, jedenfalls keinen jüdischen Nationalstaat. Als Rubensstein 1944 als Student erstmals von den Vernichtungslagern hörte, gingen ihm die Augen auf: „Ich verstand plötzlich die schiere Notwendigkeit eines jüdischen Staates, der in der Lage war, sein Volk zu beschützen. Wir waren, so wurde mir klar, ein Volk wie alle anderen Völker und doch wieder nicht: Wie sie, indem wir eingebettet waren in die immanenten Wechselfälle der Geschichte und der Macht, anders als sie aber, weil unsere Geschichte absolut einzigartig war. Mein theologisches Programm danach bestand darin, die Bedeutung der religiösen Existenz des Judentums durchzubuchstabieren, trotz seiner untergeordneten kosmischen Bedeutung.”(27)

Das fundamentale jüdische Problem, so erkannte Rubenstein, war die Machlosigkeit dieses Volkes gegenüber seinen Schlächtern. Das war das Problem unter Hitler, das kann aber auch heute jederzeit wieder zu einem Problem werden, - so seine kritische Einschätzung – dann nämlich, wenn die radikalen Kräfte im Islam die Oberhand behalten.(28) Was einmal passiert ist, kann jederzeit wieder passieren. Dieses „nicht mehr endende existenzielle Risiko“ ist das Erbe, mit dem das Judentum nach Hitler leben muss.(29) Am besten ist es in einem souveränen Staat, ausgestattet mit ausreichender weltlicher Macht, davor geschützt. M. Ellis fasst Rubensteins Haltung treffend zusammen: „The lesson oft the Holocaust was that never again could Jews be without power. Rubenstein saw Israel as the answer to that powerlessness.” Weder die Menschheit noch Gott haben die Juden während des Dritten beschützt, deshalb müssen diese sich künftig selber schützen.

Für ein Volk aber, das nicht mehr wie Jahrhunderte zuvor auf der Flucht ist, sondern sich endlich auf der eigenen Scholle, im eigenen Land, niederlassen kann, offenbart sich Gott nicht mehr in der Geschichte, sondern vielmehr in und durch die Natur. Dem „späten Rubenstein“ schwebt für das Leben im Land eine monotheistische, „folkloristisch gestimmte Naturreligion“ vor, die von einem zyklischen, mythischen Denken geprägt ist. Menschliche Existenz wird zu einem Teil der natürlichen Ordnung, der Sterblichkeit und Kontingenz unterworfen. Geschichte ist hier zu ihrem Ende gekommen und spielt als Kategorie seines Denkens keine Rolle mehr.(30)


5.5 Emil Fackenheim: Die Staatsgründung Israels als Kontrapunkt zur Shoah

Emil Fackenheim (1916-2003)(31), ein aus Nazi-Deutschland geflohener liberaler Rabbiner, zog aus dem Holocaust genau die gegenteilige Konsequenz wie Rubenstein: Für ihn muss der Jude „wieder in das Reich der gelebten Geschichte zurückkehren."(32) Der jüdische Glaube basiere auf Schlüsselerlebnissen („root experiences”), die das kollektive Bewusstsein prägen.(33) Solche epochemachenden Ereignisse müssen nach Fackenheim in ihrer Art einmalig sein, die Wahrnehmung nachfolgender Geschichte entscheidend verändern und neue Forderungen an das jüdische Volk sowie die ganze Menschheit enthalten.(34) Ereignisse, die diese Kriterien erfüllen, sind für ihn der Auszug aus Ägypten, die Gesetzgebung am Sinai, die Zerstörung der beiden Tempel, und - in nachbiblischer Zeit - die Emanzipation der Juden, der Holocaust, sowie Staatsgründung Israels.

Für Fackenheim, der ein überzeugter Zionist war und 1984 von Kanada aus ins Gelobte Land auswanderte, manifestiert sich im Staat Israel der fortdauernde Wille des jüdischen Volkes zu leben: „Am Jisrael chai“. Dieser Wille ist auch und gerade angesichts von Auschwitz für ihn ein moralischer Imperativ. Weil die Hoffnungslosigkeit, die die Welt der Konzentrationslager hinterließ, so groß war, müsse die Hoffnung, die die Verpflichtung auf diesen Staat begleitet, geradezu messianische Dimensionen haben: „Die messianische Hoffnung ist während des Holocausts gestorben. Der nach dem Holocaust geborene Staat Israel hat sie wieder zum Leben erweckt.“(35) Fackenheims Geschichtsentwurf ist dialektisch, allerdings in einem anderen Sinn als bei Rav Kook: „Davids Stern wurde aus seiner tiefsten Erniedrigung, in der 4000 Jahre alten Geschichte, um mit Hegel zu sprechen, ‚aufgehoben‘, d.h. zu Würde erhoben auf dem ‚Panier‘ des Staates.“(36)

Man kann nun mit dem amerikanischen Politologen Daniel Shoag fragen, inwieweit die von Fackenheim angebotene Interpretation der Staatsgründung überhaupt theologischer Art ist. Schließlich sei es nichts Religiöses, sondern - so sein Einwand - eine weitere Geschichtstatsache, von der her der Staat Israel seine Bedeutung erhält: vom Holocaust nämlich.(37) Aber Shoag unterschätzt, wie theologisch aufgeladen bei Fackenheim bereits der Holocaust ist: Aus ihm folgt via negationis eine neue, die sechshundertvierzehnte Mitzwa: Hitler keine posthumen Siege zu gönnen. Trotz dieser theologischen Aufladung begeht Fackenheim nicht den Fehler, die Ermordung von Millionen unschuldiger Jüdinnen und Juden als Martyrium, als Prüfung oder als Strafe Gottes darzustellen. Sie bleibt für ihn, was sie ist: letztlich unerklärlich, ein Ort absoluter Gottferne.

Allerdings bleibt Fackenheim bei dieser Gottferne nicht stehen, wie ja auch die Geschichte nicht stehen geblieben ist: Dem Dunkel von Auschwitz folgt das Licht des neuen Jerusalem. Diese Tendenz, sich in jüdischer Theologie nicht mehr allein auf den Holocaust zu fokusieren, manifestiert sich spätestens seit dem Sechs-Tage-Krieg (1967) auch bei anderen Denkern. Ins Zentrum des Interesses rückt mehr und mehr auch die jüdische Fortexistenz in einem eigenen Staat.(38) So bekommt das Offenbarungsereignis genau jene bipolare Struktur, die wir im ersten Hauptteil bereits als Kennzeichen göttlichen Handelns in der biblischen Geschichte kennen gelernt haben.(39) Christen mag sie an das Nebeneinander von Karfreitag und Ostersonntag erinnern. Offenbarungscharakter haben beide Ereignisse nur zusammen. Wer das eine vom anderen entkoppelt, zerstört eine innere Spannung, die im biblischen Gottesbild angelegt ist: die nämlich zwischen dem verborgenen und dem barmherzigen Gott.

Damit sind wir freilich bis an die Grenze des mit Worten Sagbaren gegangen. Stellen solche Rationalisierungen nicht eine Relativierung des Grauens dar, das damals geschah? Kann man wirklich wie P. Johnson sagen: „Israel’s re-birth was a ‘resurrection’, after the ‘crucifixion’ of the Jews in Auschwitz”?(40) Zumindest nach christlicher Lehre war das Kreuz nicht einfach eine geschichtliche Katastrophe, sondern ein Heilsereignis. Kann man solches aber von Auschwitz behaupten? Bedenken könnte man auch äußern, wenn etwa P. Lapide in Blick auf das göttliche Handeln in Shoah und Staatsgründung von „Gericht“ und „Gnade“ spricht.(41) Er folgt dabei einer im orthodoxen Judentum zwar ebenfalls anzutreffenden Deutung der Todeslager als Strafe Gottes an seinem Volk. Aber selbst wenn man diese problematische Deutung von Auschwitz nachzuvollziehen versucht, steht die Frage im Raum: Kann dieses Grauen durch ein anderes Ereignis wie die Staatsgründung Israels ungeschehen gemacht werden? Manche Juden würden mit J.K. Roth sagen, „dass nichts, auch nicht der Staat Israel, die ‚Antwort‘ auf den Holocaust sein sollte oder könnte.“(42) Nein, ungeschehen sicher nicht – so würde ich im Sinne Fackenheims und anderer jüdischer Autoren antworten. Es kann aber doch in einem anderen – vielleicht darf man sogar sagen: in einem etwas milderen – Licht erscheinen. Immerhin: Hitler hat nicht gesiegt!



5.6 Eliezer Berkovits: Der Staat Israel als Verwirklichung der jüdischen Mission

Wie Fackenheim so schwebte auch Eliezer Berkovits (1908-92) die Rückkehr der Juden in die Geschichte vor. Wie jener so musste auch er aus Nazideutschland in die Neue Welt fliehen, allerdings nicht nach Kanada, sondern in die USA. Auch dass Berkovits später von dort nach Israel emigrierte, um seine zionistischen Überzeugungen in die Tat umzusetzen, hat er mit Fackenheim gemeinsam. Sein theologischer Hintergrund ist freilich ein etwas anderer: Berkovits kam aus dem orthodoxen Judentum, er war aber nicht nur im traditionellen jüdischen Schrifttum bewandert, sondern durchdrang die ganze Geistesgeschichte mit einer bewundernswerten Souveränität. Seine grundlegenden theologischen Ideen fasste er 1959 in dem Buch „God, Man and History“(43) zusammen, dessen Titel bereits das Grundmuster seines Denkens zu erkennen gibt. Die Ausführungen über die Rückkehr der Juden in das Land ihrer Väter und die Gründung des Staates Israel finden sich im dritten Hauptteil „Deed and History“.(44)

Berkovits betont, das Judentum sei anders als die Kirche keine Glaubensgemeinschaft, sondern eine Gemeinschaft von „doers”, von Menschen, die den Willen Gottes in die Tat umsetzen. Es geht ihm, wie er sich ausdrückt, um die „physical“ bzw. „history-making action“. Diese sei freilich kein Selbstzweck, sondern müsse immer in Zusammenhang mit ihrer „spiritual meaning“ gesehen werden.(45) Weil das Ziel die Realisierung in der externen Welt sei, deshalb braucht es nach Berkovits „eine Gesellschaft, die bereit ist, ihr gesamtes Leben dem ordnenden Willen des Judentums zu unterstellen.“(46) Dies aber sei einem Volk nur in seinem eigenen Land möglich.

Berkovits spricht von einer jüdischen Nation, die sich in Souveränität eigene Gesetze gibt, die so den moralischen Auftrag des Judentums neu mit Leben füllt. Dies ist, wie D. Hazony zutreffend feststellt, „an argument for a Jewish state founded in Jewish moral thinking“,(47) wenngleich der Begriff „Staat“ in Berkovits´ Werk selbst auffällig selten vorkommt. Wie schon Fackenheim so sieht auch Berkovits die Rückkehr des Judentums in die Geschichte der Völker im Zusammenhang mit seinem geheimnisvollen Überleben durch die ganze Geschichte hindurch. In beidem aber, Rückkehr und Staatsgründung, realisiert sich für ihn ein Stück dessen, was er „messianic fulfillment of history“ nennt.(48)

Es ist bemerkenswert, dass nach Ansicht des jüdischen Autors die Realisierung dieser eigentlich partikularen Idee zugleich einem universalistischen Ziel dient. Erst wenn die ganze Menschheit die moralischen Standards des Judentums realisiert, hat sich Gottes Wille vollständig in dieser Welt materialisiert. Bis es aber so weit ist, muss eine Nation – und das eben ist Israel – den Anfang machen.(49) Diese Vision klingt sehr optimistisch. Dieser der weit verbreiteten Aufbruchstimmung nach der Staatsgründung geschuldete Optimismus hinsichtlich der moralischen Mission Israels ist im Laufe der Zeit doch auch einer gewissen Ernüchterung gewichen. Was, wenn Israel gemessen an den selbst gesteckten hohen Zielen versagt? Wir werden auf diese Frage in einem späteren Teil noch einmal zurückkommen müssen.(50)



5.7 Irving Greenbergs heiliger Säkularismus (51)

 

Der 1933 in Brooklyn geborene Theologe und Historiker ist gegenwärtig unbestritten einer der angesehensten Autoritäten des Judentums in Amerika. Wie viele der bereits behandelten jüdischen Autoren betont auch der orthodoxe Rabbiner die Geschichte als Ort der Offenbarung Gottes. Unter den zahlreichen orientierenden Ereignissen, deren Zeuge Juden geworden sind, sei es besonders der Exodus, der zum normierenden Modell geworden ist.(52) Die Geschichte vom Auszug zeichne das Bild eines fürsorglichen Gottes, der sein Volk befreit. Dabei finde Erlösung in der wirklichen Geschichte, in der physischen Existenz von Menschen und nicht nur in deren Köpfen statt.

Greenberg ist vorsichtig genug, nicht den Geschichtstatsachen als solchen normative Bedeutung beizumessen. Entscheidend ist für ihn das Glaubenszeugnis (testimony), das gegenüber dem Faktischen immer ein überschießendes Moment hat. Ein solches Zeugnis ist nie selbstevident und deshalb kritischen Anfragen ausgesetzt.(53) Neben dem Holocaust sei es v.a. die Wiedergeburt des Staates Israel, die eines der orientierenden Ereignisse unserer Zeit darstellt. Sie „formt das Verständnis, das Menschen vom Bund und vom Lebens selbst haben. Sie ist eines der größeren Ereignisse Gottes in der Geschichte, durch die Seine Sorge für und seine Gegenwart in der Welt offenbart wird.“(54) Auch bei diesem Offenbarungsereignis würden, wie oft in der Geschichte, die Implikationen erst nach und nach deutlich, weshalb Greenberg seine Gedanken hierzu bescheiden als „erste Annäherungen“ an das Thema bezeichnet.(55)

Während der Holocaust für Greenberg äußerster Ausdruck jüdischer Passivität und Machtlosigkeit ist, stellt die Staatsgründung Israels für ihn so etwas wie eine nationale Wiedergeburt des Judentums dar. So sehr beide Ereignisse einander zu widersprechen scheinen, so sehr gehören sie zusammen: Auch der Messias sei geboren worden, so Greenberg unter Bezugnahme auf einen Midrasch (pBer 2,4), als der Tempel zerstört wurde. Die Entstehung eines neuen jüdischen Machtzentrums nur wenige Jahre nach dem versuchten Genozid, nährt die Hoffnung auf ein „Leben nach dem Tod.“ „Der Glaube Israels an den Gott der Geschichte“, so führt Greenberg über die beiden Ereignisse aus, „fordert, dass ein präzedenzloses Ereignis der Zerstörung von einem (anderen ebenso) präzedenzlosen Ereignis der Erlösung aufgewogen wird.“(56)

Die Wiedergeburt Israels lässt für Greenberg auch die traditionelle Unterscheidung zwischen religiös und säkular fraglich werden. Nach Auschwitz wird das schiere Überleben der Juden zu einem Wert an sich und der Staat, der sich ganz in den Dienst dieses Überlebens stellt, hat eine religiöse Dignität – auch wenn er nach außen hin ein noch so weltliches Antlitz haben mag.(57) Die hohe Wertschätzung, die der orthodoxe Rabbiner auch den säkularen Spielarten des Zionismus zollt, erinnert an die Haltung von Rav Kook. Beide Denker sehen in ihnen ein Instrument des göttlichen Heilshandelns. Nach Einschätzung Greenbergs werden im „Zeitalter des freiwilligen Bundes“(58) Laien und Politiker eine größere Rolle spielen als in der Vergangenheit. Der Rabbiner als religiöser Fachmann hat ausgedient. Überhaupt wird heute angesichts der Verborgenheit Gottes dem Menschen eine aktivere Rolle zukommen als in früheren Zeiten. Es geht dabei aus Greeenbergs Sicht um nicht weniger als darum, „den Messsias zu bringen“: Einen „verborgenen“ und „humpelnden“ Messias allerdings, wie der New Yorker gegen das nahe liegende Missverständnis eines unangebrachten Triumphalismus sogleich wieder einschränkt.(59)

Bei aller Reserviertheit gegenüber einem übersteigertem Patriotismus dient die israelische Armee für Irving Greenberg einem höheren als nur einem militärischen Zweck. Sie ist für das heutige Judentum „Teil des Ausdrucks von Leben“.(60) Das klingt nach einer religiösen Weihe von Waffen, und doch ist der Amerikaner nicht blind für die Gefahren einer „Gott-mit-uns“-Mentalität, die er als Idolatrie missbilligt. Ausdrücklich warnt er - hier ganz einig mit M. Buber - vor einem Missbrauch von Macht. Doch zugleich ist er überzeugt, dass es Israel gelingen wird, „ein normales Leben zu führen, mit einer abnormalen moralischen Disziplin und Sensitivität.“(61) Es sei geradezu ein Test der Effektivität jüdischer Tradition und jüdischen Gedächtnisses, das jüdische Volk zu inspirieren und nicht anderen Dinge anzutun, die einem selbst angetan worden sind in Zeiten der Machtlosigkeit.(62) Dass dies ein sehr hoher Anspruch ist, dürfte Greenberg bewusst gewesen sein, als er im Jahr 1970 diese Sätze zu Papier brachte.(63)

Als der Israel 1949 den Jom haAzma´ut als staatlichen Feiertag zur Erinnerung an die im Jahr zuvor erlangte Unabhängigkeit einführte, formulierte das Oberrabbinat Jerusalems einen Segen, in dem der Staat als „Beginn des Aufblühens unserer Erlösung“ bezeichnet wurde. Damals fand diese eschatologische Deutung mancher orthodoxe Jude unerhört, mittlerweile haben sich der liturgischen Vergegenwärtigung dieses epochalen Geschichtsereignisses viele Gemeinden, auch in der Diaspora, angeschlossen. Für Irving Greenberg war diese Weiterentwicklung der Liturgie im Lichte der neuen politischen Ereignisse nur konsequent.(64) Sie ist ein weiteres Beispiel dafür, was er „holy secularism“ nennt.(65)

5.8. Tabellarische Zusammenfassung der jüdischen Positionen

 

6. Christliche Stimmen

Entgegen der Mehrzahl der oben untersuchten jüdischen Autoren, die fast alle in Israel Gott am Werk sehen, ist es heute innerhalb der Evangelischen Kirche Deutschlands heftig umstritten,

  • ob man der Staatsgründung Israels bzw. der Rückkehr der Juden in das Land ihrer Vorfahren eine besondere theologische Dignität zusprechen dürfe,

  • ob die Behauptung eines Handelns Gottes in der Geschichte grundsätzlich aufrecht zu halten ist und – sollte man das bejahen - inwieweit dies als solches auch erkennbar ist. Weiter herrscht Uneinigkeit darüber,

  • ob sich aus einer theologischen Qualifizierung des Staates Israel Folgen oder gar Forderungen in der Praxis (wie beispielweise Gebietsansprüche) ergeben. Schließlich diskutiert man,

  • welche Bedeutung bei der Erörterung all dieser Fragen jüdische Stellungnahmen haben können bzw. sollten.

 

6.1 Jüdisches Selbstverständnis aus christlicher Sicht: Lernen vom anderen

Fangen wir bei der zuletzt genannten Frage an: Wenn es richtig ist, dass für uns Christen das Judentum die Wurzel ist, die uns trägt, dann kann es uns nicht gleichgültig sein, welche Bedeutung der Staat Israel für Juden hat. So sagt auch der EKD-Ratsvorsitzende N. Schneider im Anschluss an H. Gollwitzer: „Für uns Christinnen und Christen ist der Staat Israel nicht nur ein Staat wie jeder andere, und zwar weil er für Jüdinnen und Juden mehr ist als nur ein Staat unter vielen. Mit der Erkenntnis unserer besonderen Verbundenheit zum jüdischen Volk ist notwendigerweise ‚auch der Staat Israel als eine besondere Größe qualifiziert‘“.(66)

Wir sollten als Kirche nicht übersehen, dass uns viele Jüdinnen und Juden heute u.a. daran messen, wie wir zum Staat Israel stehen. Die Haltung gegenüber Israel ist aus jüdischer Sicht fast so etwas wie ein Lackmustest dafür geworden, wie ernst wir es mit dem christlich-jüdischen Dialog nehmen. Die 2005 erschienene Erklärung jüdischer Intellektueller „Dabru Emet“ begrüßt es ausdrücklich, wenn Christen dem Staat Israel „aus weit tiefer liegenden Gründen als nur solchen politischer Natur“ Unterstützung zuteilwerden lassen, weil sie wissen, „daß Israel den Juden als physisches Zentrum des Bundes zwischen ihnen und Gott versprochen – und gegeben wurde.“(67) Wo Christen den Staat Israel politisch unterstützen, wird das von Juden positiv registriert. Umgekehrt leiden unsere neu geknüpften Beziehungen zum Judentum Not oder werden gar in Frage gestellt, wo man Israel in schwieriger Zeit den Beistand verweigert.

Jüdische Stimmen ernst zu nehmen, heißt nicht, deren Meinung einfach unkritisch zu übernehmen, womöglich wegen des eigenen schlechten Gewissens angesichts des den Juden zugefügten Leides.(68) Es heißt auch nicht, auf jüdische Positionen zu rekurrieren, um sich vor einer eigenen theologischen Stellungnahme zu drücken.(69) Am übelsten aber steht es kirchlichen Institutionen an, einzelne, handverlesene Juden in der Öffentlichkeit genau das sagen zu lassen, was man gerne hören will. Israel mit Hilfe solcher „Alibijuden“ kritisieren zu lassen, zum Teil in einer Weise, die man aufgrund objektiver Kriterien nur noch als antisemitisch bezeichnen kann, ist eine unzulässige Instrumentalisierung dieser Gesprächspartner. Jüdische Stimmen ernst zu nehmen heißt vielmehr, den Mainstream im Judentum zu Wort kommen zu lassen und die Implikationen dieses Denkens für den eigenen Standpunkt zu bedenken.



6.2 Einwände der Holocausttheologie: Der ohnmächtige Gott

Angesichts der Shoah kommt für viele christliche Theologen ein geschichtstheologisches Denken prinzipiell nicht mehr in Frage. Das hat mit jüdischer oder gar israelischer Geschichte zunächst noch gar nichts zu tun. Man sieht sich an diesem Punkt auch gar nicht im Dissens mit dem Judentum. Ein Handeln Gottes in der Geschichte wird oft sogar aus ähnlichen Gründen verneint, wie sie auch von jüdischen Holocausttheologen vorgetragen wurden: Die Rede von einem allmächtigen Gott hat nach den Katastrophen des 20. Jahrhunderts schlicht seine Plausibilität eingebüßt. Wenn Gott überhaupt irgendwo in der Geschichte zu verorten ist, dann auf der Seite der Opfer.

Manche christliche Theologen argumentieren auch auf christologischer Grundlage, etwa wenn sie von einem „gekreuzigen Gott“ (J. Moltmann) sprechen. Auch wenn das von jüdischer Seite so nicht einholbar ist, hat der Ansatz doch eine gewisse Plausibilität: Weil es unvorstellbar erschient, dass Gott die Shoah nicht verhindern wollte, bleibt eigentlich nur die Vorstellung, dass er es nicht konnte. Gott wird durch die Behauptung seiner Ohnmacht entlastet, denn er ist ja an den Katastrophen nicht „schuld“. Im Gegenteil: Er leidet mit seinem gepeinigten Volk, zeigt Empathie, ist noch immer auf seiner Seite. Dafür steht Golgatha in paradigmatischer Zuspitzung.

Doch sollte man sich klar machen, worin der Preis dieser Lösung der Theodizeefrage besteht: „Zu einem ohnmächtigen Gott kann man nicht beten, da weder für Dank noch für Bitte, weder für Lob noch für Anklage ein Anlass besteht.“(70) Welchen Sinn ergeben gottesdienstliche Gebete für Frieden in Konfliktgebieten wie dem Nahen Osten, wenn Gott gar nicht in die Geschichte eingreift, wenn er es schlicht nicht kann? Sind sie dann nicht sinnlos?

Ohne hier einem weltentrückten, leidensunfähigen Gottes das Wort reden zu wollen, will ich doch kritisch fragen, wie weit das Konzept von einem mitleidenden, aber völlig ohnmächtigen Gottes theologisch trägt. Woher sollen sich die Kraft und die Hoffnung der Menschen speisen, dass der Tod nicht das letzte Wort hat, wenn neben dem Kreuz nicht auch die Auferstehung Jesu thematisiert wird? Wenn neben der Empathie Gottes nicht auch seine Dynamik als Weltenlenker angesprochen wird, die allein einen „neuen Himmel und eine neue Erde“ garantieren kann? Die beiden Brennpunkte des alles bestimmenden Kairos der Heilsgeschichte gehören zusammen und dürfen nicht auseinander gerissen werden. Ein Gottesbild, das nur einseitig das Leiden Gottes betont, wäre nicht mehr das biblische Gottesbild. Auch H. Küng sieht Teile der christlichen Holocausttheologie kritisch, dann nämlich wenn ein kraft- und wehrloser, ohnmächtiger Gott verkündigt wird, „der jegliche Vorsehung und Fügung im Weltgeschehen preisgegeben hat.“ Dies sei „unbestreitbar nicht mehr der biblische Gott“.(71) Nein, „um der Göttlichkeit Gottes willen kein Transzendenznachlaß“!(72)

Das erhoffte Ende steht freilich noch aus. Das ist der eschatologische Vorbehalt,(73) unter dem alles steht: „Dieser Gott will das Lebensfeindliche bekämpfen und will Liebe zu seinem Volk und jedem einzelnen. Aber zwischen Recht-Haben und Recht-Bekommen liegt Zeit.“(74) Das wirft uns wieder zurück auf die bescheidenere Frage, wie wir als Christen diese Welt bis zu ihrer restitutio ad integrum verantwortlich mitgestalten können. Immerhin konzediert selbst das heute politisch weithin abstinente Luthertum, dass Staaten mit dazu beitragen können, dass Recht und Gerechtigkeit schon „jetzt und hier“ partiell realisiert werden können. Zwar gehört staatliche Gewaltausübung zum „uneigentlichen Werk“ Gottes (opus alienum), aber immerhin kennt auch das Luthertum ein Welthandeln Gottes. Lässt sich auch der Staat Israel mit einem solchen Handeln Gottes „zur Linken“in Verbindung bringen? Die Antworten innerhalb der EKD sind hier sehr zurückhaltend.


6.3 Das (Neu-) Luthertum: Der Staat als Gottes Handeln „zur Linken“

Es hat auch mit den negativen Erfahrungen des Dritten Reiches zu tun, wenn man v.a. im deutschen Kontext zurückhaltend ist, einem Staat und damit einer vorletzten Wirklichkeit eine theologische Würde zuzuerkennen.(75) Als eine Lehre aus dem Kirchenkampf kann man festhalten: Der Gotteswille darf „weder mit der Beanspruchung durch die geschichtlich gewordenen Strukturen einer Gesellschaft oder die Gesetze und Verordnungen eines Staates noch mit dem revolutionären Aufruf zu ihrer Abschaffung und Überwindung gleichgesetzt werden.“(76) Der Protest gegen die ideologische Überhöhung eines Staates wurde nicht zuletzt unter Rückgriff auf die (neu)lutherische Zwei-Reiche-Lehre formuliert. Diese Tradition, die von einer spannungsvollen Dialektik zwischen Nähe und Distanz zum Staat geprägt ist, wirkt auch in der Debatte um den Staat Israel fort.

Besonders heftig tobte diese Debatte in Deutschland während bzw. kurz nach dem sog. Sechs-Tage-Krieg (1967). Die damals gerade in Sagorsk tagende Christliche Friedenskonferenz riet in einer öffentlichen Erklärung, „bei Überlegungen zur Friedensregelung im Nahen Osten (…) historische, theologische und aktuell-politische Argumente strikt auseinanderzuhalten.“(77) Der Staat Israel sei ein „moderner säkularer Staat wie jeder andere“, dessen Handeln daran zu messen sei, inwieweit er dazu beiträgt, „den Frieden zwischen den Völkern zu bewahren.“(78) Ausdrücklich müsse man davor warnen, „dem Krieg des Staates Israel eine religiöse Verklärung zu geben“.(79)

Diese Erklärung ist insofern interessant, als sich hier fast alle Argumentationslinien wieder finden, die auch in der aktuellen Nahost-Debatte eine Rolle spielen. Zunächst ist die angesprochene „strikte“ Trennung immer wieder eingefordert worden, aber gerade sie ist kritisch zu hinterfragen. Es stimmt zwar, dass politische und theologische bzw. vorletzte und letzte Fragen nach protestantischer Lehre zu unterscheiden sind, aber das ist eben etwas anderes als beides zu scheiden. Eine „strikte Trennung“ würde genau die dialektische Beziehung auflösen, die mir bei Luther zwischen Gesetz und Evangelium bzw. zwischen Gottes Werk zur Rechten und dem zur Linken zu bestehen scheint. Sie würde damit den Bereich des Poltischen jener Eigengesetzlichkeit überantworten, die zu Recht am (Neu-) Luthertum immer wieder kritisiert worden ist.

Das zweite bis heute anzutreffende Missverständnis: Der Staat Israel ist in der Tat ein säkularer Staat, insofern nämlich als hier Menschen unterschiedlichen Glaubens alle gleiche Rechte beanspruchen können. Aber schließt das etwa aus, dass der dort lebende Teil des jüdischen Volkes noch immer unter einer biblischen Verheißung steht? Dass der Staat Israel säkular ist, hat mit der anderen Frage, inwieweit er eine theologisch bedeutsame Größe sein kann, zunächst gar nichts zu tun. Ist jede theologische Würdigung Israels schon eine unzulässige „religiöse Verklärung“ des Staates? F.W. Marquardt hat hierauf das Richtige entgegnet: „Es ist eben etwas ganz anderes, (..) geschichtliche Ereignisse ‚religiös zu verklären‘ (..) oder aber sich durch geschichtliche Ereignisse auf die Bibel geworfen zu sehen, um von dorther und gerade nicht aus den Ereignissen selbst Orientierung, Sinndeutung, Trost und Hoffnung (..) zu schöpfen“.(80) Die Blickrichtung also ist hier entscheidend.

Die 2012 erschiene Orientierungshilfe der EKD „Gelobtes Land?“ betont, seit der Aufklärung werde die Autorität des Staates „nicht mehr aus einer göttlichen Ordnung heraus begründet, sondern aus seiner Fähigkeit, seinen Staatszweck angemessen zu erfüllen“.(81) Hier setzt sich der Protestantismus offensichtlich von einer „Theologie der Ordnungen ab“, mit der in der Vergangenheit so oft der Obrigkeitsstaat legitimiert wurde. Der Staatszweck, so führt die Schrift weiter aus, bestehe „nach evangelischem Verständnis“ in der „Bewahrung des Friedens“ und der „Aufrichtung von Gerechtigkeit.(82) Diese Formulierung erinnert an die schon in Sagorsk an Israel gerichtete Forderung, „den Frieden zu bewahren“. Hier klingt aber auch die 5. Barmer These an, nach der der Staat „für Recht und Frieden zu sorgen“ hat. Schon in der EKD-Studie „Christen und Juden III“ war die Tendenz erkennbar, vom Staat weniger essentialistisch als funktionalistisch zu reden: „Alle Staaten (..) unterliegen der Kritik und der Notwendigkeit, menschliches Leben, Zusammenleben und Überleben zu fördern. Dies gilt für den Staat Israel in derselben Weise, wie es für alle anderen Staaten (..) Gültigkeit hat.“(83)

Einerseits ist klar, dass auch der Staat Israel dienende Funktion hat und sich an moralische Kriterien zu halten hat. Insofern ist ein funktionalistischer Ansatz durchaus zu begrüßen. Andererseits mutet es eigenartig an, wenn wir als Deutsche die Lehren, die wir aufgrund bitterer Erfahrung aus dem Kirchenkampf gezogen haben, nun auf das 1948 gegründete Israel anwenden. Der deutsche Protestantismus, der durch seine Staatsmetaphysik, jeden Widerstand gegen die Hitlerdiktatur lähmte, der für den Genozid am jüdischen Volk zumindest mit verantwortlich war - dieser Protestantismus warnt nun im Blick auf den Staat Israel vor einer „religiösen Überhöhung“?(84) Das hinterlässt einen fahlen Beigeschmack.

Genau so wenig wie das Volk-Sein der Juden irgend etwas mit der theologischen Hypostasierung der Volkstumsidee der Deutschen Christen gemein hat, ebenso wenig hat der Staat Israel etwas mit dem religiös verklärten Großdeutschland der Nazizeit zu tun. Näher liegt die Gefahr religiöser Überhöhung m.E. bei den arabischen Nachbarstaaten Israels, die sich teilweise als Theokratien verstehen, oft auch die Scharia als Staatsgesetz anwenden. Aber legitimieren muss sich allein Israel. Warum eigentlich, wo doch die Kriterien angeblich „in derselben Weise (..) für alle anderen Staaten“ auch gelten?(85)

Wenn irgendein Staat in der postlapsalen Welt eine Notwendigkeit (im konkreten Sinn des Wortes!) für sich reklamieren kann, dann ist es der Staat Israel. Wenn je ein Staat sich als „Notordnung“ Gottes zur Erhaltung der Welt vor dem Chaos verstehen darf, dann ist das der Staat Israel. Nie war die Welt tiefer in Sünde und Chaos verstrickt, nie die Not größer, als in den Jahren seiner Entstehung. Kein anderer Staat hat mehr zum Überleben von Menschen beigetragen als dieser, ja man kann sagen: Israel ist geradezu ein Staat von Überlebenden, ein Staat von Menschen, die gerade noch einmal davon gekommen sind.(86) „Nichts ist selbstverständlicher“, wie der späte E. Bloch (alles andere als ein Zionist!) einmal so treffend sagte, „als das Recht der Verfolgten auf eine rechtlich gesicherte Heimstätte, und gar auf die, der fast zweitausend Jahre das Gebet galt: im nächsten Jahr in Jerusalem“.(87)

Die EKD-Studien zur Nahostproblematik scheinen durchaus davon auszugehen, dass die Bewahrung des Volkes Gottes, sowie seine Heimkehr ins Land ihrer Väter und Mütter theologisch von Belang sind. Zurückhaltender aber wird man, wenn es um den Staat Israel geht. Doch warum eigentlich? Wenn man davon ausgeht, dass „die fortdauernde Existenz des jüdischen Volkes im Lande (..) ohne den Schutz eines Staates nicht gesichert werden [kann],“(88) dann kann, ja muss auch dieser Staat als „göttliche Anordnung“ (Barmen V) begriffen werden. Dann gehört das Geschichtshandeln Gottes in Israel – zu dieser Aussage müsste sich der deutsche Protestantismus heute doch durchringen können - zumindest zu seinem „opus alienum“.



6.4 Karl Barths Hinweis auf die providentielle Gnade Gottes (89)

Karl Barth in Wuppertal
Bundesarchiv Bild 192-1283--23A;
Foto Lachmann, Hans 1956

Wir verbleiben noch eine Weile bei den Konsequenzen, die der Protestantismus aus dem Kirchenkampf zog. Eine davon war es, dass man in der deutschen Nachkriegstheologie lange Zeit sehr zurückhaltend gegenüber jeder Form natürlicher Theologie war. Die in Barmen geforderte Konzentration auf das eine Wort Gottes schien auch nach dem Ende der Hitlerzeit eine positive Bezugnahme auf Geschichtsereignisse zunächst nicht zuzulassen.(90)

Vor diesem Hintergrund überrascht es zu sehen, wie positiv K. Barth in seiner nach dem Krieg geschriebenen Vorsehungslehre (KD III,3)(91) über menschliche Geschichte sprechen konnte. Hier spielt sicher seine eine Rolle, dass er von der reformierten Tradition her kommt, für die ein heilsgeschichtliches Denken stets eine näher liegenende Option war als für lutherisches Denken. Nicht, dass Barth nun doch historischen Ereignissen Offenbarungsrang einräumen würde. Aber im Lichte des christlichen Glaubens – und das heißt für Barth immer: herkommend von dem einen Wort Gottes in Jesus Christus – kann man das Walten der göttlichen Herrlichkeit durchaus erkennen. Die Weltgeschichte hat ein télos und ein Subjekt, nämlich Gott. Der „natürliche Mensch“ weiß davon nichts, der Christ freilich schon: aus der Bibel nämlich. Ausgestattet mit diesem besonderen Kompass „vernimmt [er] jeweilen, was die Stunde geschlagen hat und richtet sich danach.“(92) In § 49,3 behandelt Barth die Geschichte der Juden(93) als eines der Zeichen des göttlichen Regierens, als eine „Spur der göttlichen Vorsehung(94) “ Dabei geht er explizit auch auf den Staat Israel ein, dessen Unabhängigkeitserklärung (1948) auf ihn einen starken Eindruck hinterlassen haben muss: „Es fehlte wirklich nur noch, was wir in unseren Tagen erlebt haben: Daß die Juden (…) nun auch wieder in Palästina leben: (..) mit dem Anspruch und der faktischen Aufrichtung und Behauptung eines neuen ‚Staates Israel‘. (…) Da sind sie wieder, da sind sie noch: sie, dieser merkwürdige, repräsentierende Rest von Israel."(95) Nicht dass er in der Geschichte der Juden einen Gottesbeweis gesehen hätte, so wie damals der Leibarzt Friedrichs des Großen von Preußen. Aber ein „Hinweis“(96) bzw. ein „Zeichen“ der providentiellen „Gnade und Treue Gottes zu dem Samen Abrahams(97) “ war für Barth diese einzigartige Geschichte dann doch.

Nach dem überraschenden militärischen Sieg Israels im 6-Tage-Krieg (1967) kommentierte Karl Barth fast schon euphorisch: „Jetzt können wir´s in der Zeitung lesen: Gott hält seine Verheißung.“(98) Wie sehr sich Barth innerlich wie äußerlich in dieser Sache engagierte, zeigen die Erinnerung von E. Busch an seine gemeinsame Zeit mit dem Schweizer Theologen. Am Morgen des 7.6.1967, dem dritten Tag des Waffengangs, sei Barth früh morgens zur Post gegangen, um einem Fond Geld zugunsten der israelischen Armee zukommen zu lassen. In der Nacht zuvor schon habe er davon geträumt, als Soldat auf der Seite Israels zu kämpfen. Den ganzen Tag sei er kaum vom Radio gewichen und als sich endlich der Sieg Israels abzeichnete, sprach er von einem „Zeichen, dass der liebe Gott wahrhaftig nicht gestorben“ sei. Den Tag beendete er mit einer kleinen „Siegesfeier“, bei der er Jes 55,12 zitierte: „Berge und Hügel sollen vor Euch her frohlocken und alle Bäume auf dem Felde mit den Händen klatschen“.(99)

Das alles zeigt: Für Barth war der Staat Israel nicht nur „eine Gestalt der Fortsetzung des alten Israel“,(100) sondern sie war zugleich ein „eschatologisches Zeichen“.(101) Obwohl Barth seine Lehre von der göttlichen Vorsehung im Rahmen der Schöpfungslehre abhandelt, betont er die Beziehung, die zwischen der Providenz und der gnadenhaften Erwählung Gottes in Jesus Christus besteht. Diese Zuordnung zum zweiten statt (wie im Luthertum) zum ersten Artikel unseres Credos ist nur konsequent, ist doch auch die Lehre vom staatlichen Handeln bei ihm christologisch begründet. Auch die Bürgergemeinde ist für Barth eine „Ordnung der Gnade“, die „nicht außerhalb des Herrschaftskreises Christi“ steht.(102) Schon die anders geartete Metaphorik von den beiden konzentrischen Kreisen, die vom gleichen Mittelpunkt leben, zeigt einen vom Luthertum verschiedenen Ausgangspunkt, das von der rechten und der linken Hand Gottes spricht.

Barth betritt hier, wie S. Kläs richtig festgestellt hat, „theologisches Neuland“, erschließt er doch eine Möglichkeit, das „faktische Geschehen im Hören auf die biblischen Texte zu verstehen. Hier sind in Zukunft Ansatzpunkte für die Bildung eines theologischen Begriffs von Faktizität zu suchen, der erlaubt, von Gottes Handeln in der Geschichte zu sprechen, ohne den Gang der Dinge mit diesem Handeln zu identifizieren.“(103) Barth hebt sich mit diesem Ansatz wohltuend von allen substitutionstheologischen Schemata der Vergangenheit ab, ohne seiner früheren Christozentrik untreu zu werden. Alles entscheidend: Die Blickrichtung geht bei ihm von der Schrift hin zur Geschichte und nicht umgekehrt. Sein Beispiel zeigt, wie man historische Ereignisse wie die Staatsgründung Israels theologisch würdigen kann, ohne in die Falle natürlicher Theologie zu tappen.



6.5 Christliche Geschichtstheologie auf Kosten des Judentums

Wie wir gesehen haben, sind viele Theologen heute schnell dabei, Israel als einen Staat wie jeden anderen abzutun. Anders etwa als K. Barth stellen sie in Abrede, dass seine Geschichte irgendetwas mit Gott zu tun haben könnte. Seltsamerweise ist die Scheu vor geschichtstheologischen Deutungen in Blick auf andere epochale Ereignisse deutlich weniger ausgeprägt:
Der Mauerfall und die unerwartete Wende in der DDR waren vielen Kirchengemeinden einen Dankgottesdienst wert. Der Schritt in die neue Zukunft wurde dabei manchmal recht vollmundig in eine Linie gestellt mit biblischen Ereignissen wie Exodus und Landnahme.(104) Spuren einer solchen impliziten, theoretisch meist wenig reflektierten Variante von Geschichtstheologie findet man in der Christenheit immer wieder. Unter dem emotional überwältigenden Eindruck des aktuellen Geschehens kommt man zu Deutungen, die ein Handeln Gottes in der eigenen Geschichte schlicht und einfach voraussetzen. Wehe aber, die Rede kommt auf Israel und die Juden: dann werden plötzlich Bedenken laut. Woran liegt das?

Es muss ja auffallen, dass Geschichtstheologie im Christentum nie ein Problem war, wenn sie auf Kosten der Juden ging. Das Ende des letzten antiken jüdischen Staates, die Zerstörung Jerusalems in den beiden jüdisch-römischen Kriegen, sowie die Zerstreuung der Juden infolge dieser Ereignisse wurden im Christentum traditionell als Strafe für ihren „Gottesmord“ angesehen. Auch Marten Marquardt ist aufgefallen, wie „judenmörderische Christen“ sich selber ohne jede Skrupel als „willige Helfer“ dieses „verlässlich strafenden Gottes verstanden“ haben.(105) Der strafende und rachsüchtige Gott: eigentlich ein Klischee, das man traditionell mit dem Alten Testament oder dem Judentum in Verbindung bringt. Wenn das Opfer seines Gerichtshandelns aber die Juden sind, greift man gerne auf diesen „jüdischen Rachegott“ zurück.

Machen wir uns nichts vor: Negative Geschichtstheologie zu Lasten der Juden gehört im Christentum zum Allgemeingut, von den Kirchenvätern über Luther bis hin zur Liberalen Theologie des 19. Jahrhunderts. Selbst noch nach dem Holocaust lässt ein angesehener Alttestamentler seine „Geschichte Israels“ mit der jüdischen „Ablehnung des Christus“ enden.(106) Die Katastrophen von Flucht und Vertreibung nach den beiden jüdisch-römischen Kriegen stellen dann nur noch ein „schauerliche(s) Nachspiel“ dar.(107) Jüdische Geschichte in nachbiblischer Zeit ist stellenweise auch in zeitgenössischen Darstellungen immer noch die Geschichte einer staaten- und machtlosen Schattenexistenz. Jahrhunderte lang wurde dieses Zerrbild in der mythologischen Gestalt des ewigen Juden Ahasver transportiert. Wann hat es endlich ausgedient?

Der Verdacht liegt nahe, dass die Frage geschichtstheologischer Aussagen im Hinblick auf Israel gar kein theologisches, sondern eher ein politisches Problem darstellt:
Nach der Staatsgründung Israels befürchtete die Evangelische Kirche nicht nur bittere Verluste an kirchlichen Einrichtungen im Heiligen Land, sondern man sah den „Judenstaat“ teilweise auch als einen Störfaktor der Palästinamission an.(108) Durch den Sechs-Tage-Krieg wurde der Nahostkonflikt zum Stellvertreterkrieg der beiden Großmächte USA und Sowjetunion. Teilen der politischen Linken in der Kirche gilt Israel seitdem tendenziell als Speerspitze des westlichen Imperialismus. Bis heute kommen israelfeindliche und antiamerikanische Töne aus demselben Lager.(109)

Auch wenn ich oben zu einer anderen Einschätzung gekommen bin: Wenn jemand gegenüber geschichtstheologischen Deutungen generell zurückhaltend ist, ist das für mich nachvollziehbar. Nicht akzeptabel aber finde ich es, im Blick auf die Staatsgründung Israels vor einer ideologischen Überhöhung zu warnen, es aber palästinensischen Christen bedenkenlos durchgehen zu lassen, wenn sie in dem 2009 publizierten Dokument „Die Stunde der Wahrheit“(110) von einer „göttlichen Gegenwart (..) in der Geschichte unseres Landes“ reden. Der Titel „Kairos-Papier“, dem man dieser Schrift beilegte, rückt nicht nur Israel in die Nähe des früheren Apartheitsstaates Südafrika, er stellt auch terminologisch den politischen Kampf der Palästinenser in eine Reihe mit der Fleischwerdung Gottes in Jesus Christus.(111) Dass damit nicht nur die biblische Geschichte gemeint ist, erhellt aus der Aussage, das Wort Gottes lasse „jede Epoche der Geschichte in einem neuen Licht erscheinen“.(112) Einer palästinensischen Befreiungstheologie billigt man theologische Deutungen geschichtlicher Ereignisse zu, den Juden nicht. Hier spricht man anerkennend von „kontextueller Theologie“, dort von einer „ideologischen Überhöhung“ innerweltlicher Größen. Geschichtstheologie gerne - aber nur wenn sie gegen Israel geht. Hier wird mit zweierlei Maß gemessen.



6.6 Der christliche Zionismus: Der Anfang vom Ende

Die evangelische Kirche Deutschlands ist sich in der Nahostdebatte in vielen Punkten uneinig, einig ist man sich interessanterweise aber in der Ablehnung der Art von Geschichtstheologie, wie sie im christlichen Zionismus vertreten wird.(113)

Unter dieser Bezeichnung fasst man heute eine weltanschaulich höchst inhomogene Strömung zusammen, deren historische Wurzeln in der evangelikalen Bewegung des 18. und 19. Jahrhunderts, namentlich dem Puritanismus (England) und dem Pietismus (Deutschland) liegen. Heute gehen die meisten Impulse des christlichen Zionismus von charismatisch-pfingstlerischen Gruppen in den USA aus,(114) wobei bei weitem nicht alle evangelikalen Gruppen automatisch philosemitisch sind.(115)

Im der Verkündigung der christlichen Zionisten steht die Rückkehr des jüdischen Volkes in das gelobte Land, die als Erfüllung der prophetischen Verheißungen und als Zeichen der anbrechenden Endzeit gedeutet wird. Weil man dabei von einander ablösenden „Haushaltungen“ Gottes, Weltzeitaltern bzw. Äonen ausgeht, spricht man oft auch von Dispensationalismus.(116) Sofern man die Rückkehr der Juden in das gelobte Land vor dem Kommen des messianischen Friedensreiches datiert, bezeichnet man diese Endzeiterwartung auch als Prämillenarismus.

Vor dem erlösenden Eintreffen des Heils findet allerdings erst noch ein Endkampf Gut gegen Böse satt. Unter Aufnahme von Motiven aus der Johannesapokalypse werden die feindlichen Mächte des Satans unter der Chiffre „Gog und Magog“ (Apk 20,8) zusammengefasst und die Endschlacht in Israel, genauer in „Harmageddon“ (Apk 16,16) lokalisiert. Wurden früher das osmanische Großreich oder die Sowjetunion als gottfeindliche Macht identifiziert, so gilt heute vielen Vertretern dieser Lehre „der Islam“ als der große letzte Widersacher. Der christliche Zionist sieht sich selbst also involviert in den großen Showdown der Geschichte. Dabei den Staat Israel zu unterstützen, folgt für ihn deshalb nicht einfach politischem Machtkalkül, sondern ist ein aus dem Glauben abgeleiteter kategorischer Imperativ.(117)

Die Gefahren des christlichen Zionismus sind nach dem zum „apokalyptischen Paradigma“(118) bereits Gesagten klar: Der extreme Partikula¬rismus führt zu einem Freund-Feind-Denken, das den politischen Gegner dämonisiert. Mit einer gegenüber den Palästinensern völlig unversöhnlichen Haltung, die Friedensgespräche kategorisch ablehnt, erschwert man gewaltfreie Lösungen in dem ohnehin schon komplexen Nahostkonflikt. Groß ist dabei die Gefahr, dass irgendwann religiöse Fanatiker im Stile einer „self-fulfilling prophecy“ die Lunte des ohnehin schon schwelenden Nahostkonfliktes vollends in Brand setzen, indem sie etwa versuchen, in Jerusalem wieder einen Tempel zu errichten. Solche Versuche, die Bibel unmittelbar in politische Handlungsmaximen umzusetzen, hat es bereits mehr als einmal gegeben.(119)

Dass diese Strömung fundamentalistische Züge tragen, zeigt ein Blick auf ihren Schriftgebrauch: Gerade wenn es um Grenzziehungen geht, werden einzelne Schriftstellen in biblizistischer Weise von ihrem literarischen und historischen Entstehungskontext abgelöst. Dadurch überspringt man in unkritischer Wiese den „garstigen Graben“, der uns von der Zeit der Bibel trennt und instrumentalisiert so das Wort Gottes für menschliche Machtinteressen.

Trotz dieser dubiosen Tendenzen nehmen israelische Politiker die publizistische, aber auch finanzielle Unterstützung evangelikaler Kreise dankbar an. Israel sei leider nicht in der komfortablen Lage, - so begründete einmal ein Botschaftsrat in einer Diskussion diese eigenartige Koalition – sich seine Freunde aussuchen zu können.(120) Diese pragmatische Feststellung mag zutreffen, sie sollte freilich nicht den Blick dafür trüben, dass in diesem Denken die Juden meist nur als „Mittel zum Zweck“(121) angesehen werden. Der Endzweck ist und bleibt die Bekehrung der Menschheit zum christlichen Glauben, auch wenn man dies in der Öffentlichkeit nicht immer an die große Glocke hängt.

Entgegen anders lautenden Beteuerungen muss festgehalten werden: Für den christlichen Zionismus ist das Thema Judenmission noch immer nicht vom Tisch.(122) Zwar erwägt man teilweise eigene Organisationsformen für bekehrte Juden, denen man nicht den Übertritt zu einer heidenchristlichen Großkirche zumuten will. Auch schickt man gerne „messianische Juden vor“, um das „Zeugnis für Israel“ glaubwürdiger und kompetenter auszurichten.(123) Manchmal klingt es auch so, als ob erst der kommende Parusiechristus den Juden die „Decke vom Kopf“ nimmt und so ihren angeblichen Irrglauben überwindet. Fast überall aber betet oder arbeitet man für „ für eine geistliche Erweckung in Israel.“(124) Programmatisch forderte 1980 eine Konferenz Bekennender Gemeinschaften: „Mission unter Israel – auch heute“.(125) Ganz ähnlich ermuntert eine 2008 tagende Taskforce-Gruppe der World Evangelical Alliance in Berlin die Christen, das Evangelium „mit den Juden zu teilen“.(126) Der Grund dieser Haltung ist ein partikularistisch verengter Wahrheitsbegriff: An der Einzigartigkeit Christi vorbei kann es für einen evangelikalen Christen kein Heil geben. Erst wenn der „Massenirrtum“ der Juden korrigiert ist, so ihre Überzeugung, kann die ganze „Kettenreaktion“ der Endzeitereignisse, auf die man so sehnlich wartet, ausgelöst werden.(127)

Das alles ist natürlich für jede(n), der/die ernsthaft am christlich-jüdischen Gespräch interessiert ist, vor allem aber für die beteiligten Jüdinnen und Juden, schlicht indiskutabel. Deshalb ist dem christlichen Zionismus insgesamt mit Vorsicht zu begegnen. Dennoch darf nicht verschwiegen werden, dass es nicht zuletzt evangelikale und pietistische Strömungen waren, die mithalfen, den statischen Offenbarungsbegriff der altprotestantischen Orthodoxie zu überwinden. Dies wäre m.E. heute wieder stärker zu würdigen. Auch dass man die Lehre vom Geschichtshandeln Gottes pneumatologisch begründet, scheint mir ein wertvoller Impuls aus dem frommen Lager zu sein, der trotz der damit verbundenen Gefahr der „Schwärmerei“ immer noch Beachtung verdient.



6.7 Der Rheinische Synodalbeschluss: „Zeichen der Treue Gottes“

Der Synodalbeschluss der Rheinischen Synode von 1980 bedeutete in mehrerer Hinsicht eine Zäsur, was das Verhältnis von Christen und Juden angeht. Kernaussagen wie die von der bleibenden Erwählung Israels und dem Juden Jesus gehören heute fast schon zum Gemeingut evangelischen Glaubens und erregen kaum noch Anstoß. Anders die in diesem Dokument ebenfalls zu findende These (Abschn. 2.3.), die Gründung des Staates Israel sei „ein Zeichen der Treue Gottes“.(128)

Die bis heute heftig umstrittene Formulierung vom Staat als „Zeichen“ hat eine Vorgeschichte, die etwas näher zu beleuchten sich lohnt: Von Anfang an gingen wesentliche Impulse auf die bundesdeutsche Diskussion von der Niederländisch-Reformierten Kirche aus, die schon 1959 in ihrer Erklärung „Israel en de kerk“ („Israel und die Kirche“) im Staat Israel ein dreifaches Zeichen sah:

„1. das Zeichen der kirchlichen Ohnmacht, weil sie sich nicht voll und ganz für das bedrohte Israel eingesetzt hat;
2. der Treue Gottes — trotz menschlicher Untreue und menschlichen Unglaubens;
3. der Hoffnung, weil Gott sein Volk erneut auf den Weg sendet, seine Erwählung zu erfüllen.“(129)

Als sich im Jahr 1964 die ersten Siedler in der christliche Siedlung Nes Ammim nieder ließen, schrieb H. Kremers ein Memorandum, in dem er das „Zeichen für die Völker“ aus Jes 1,10-12 in einen Zusammenhang mit dem aktuellen politischen Geschehen brachte: Nachdem der Perserkönig Kyros das Volk Gottes bereits schon einmal aus dem Exil heimkehren ließ, erfülle sich die biblische Verheißung heute zum zweiten Mal in der Heimkehr der Kinder Israels in ihr Land. H. Dahlhaus urteilte im Rückblick, dieses Memorandum habe „im Grunde schon alles“ enthalten, was später der Rheinischen Synodalbeschluss vertrat. Diese Einschätzung ist freilich an einem Punkt einzuschränken: Es war nicht der Staat, den Kremes in diesem Zusammenhang als Zeichen qualifizierte, wiewohl auch dieser für Kremers fraglos eine hohe Bedeutung besaß.(130) Diesen in die Rede vom Zeichen der Treue Gottes auch einzubeziehen, wurde erneut von aus Holland angeregt, wo man in dem Dokument „Israel, Volk, Land und Staat“ (1970) forderte, „dass wer aus dem Glauben heraus die Wiedervereinigung des jüdischen Volkes mit dem Land akzeptiert, unter den gegebenen Umständen auch ein eigenes Staatsystem für dieses Volk akzeptieren muss“.(131)

Vor diesem Hintergrund wird klar, warum im Rheinischen Synodalbeschluss die Formulierung vom Staat als Zeichen der Treue Gottes als letztes in einer Reihe mit anderen geschichtlichen Ereignissen steht, denen ebenfalls dieses Prädikat zugesprochen wird. Es hat nichts damit zu tun, dass die Bedeutung der Staatsgründung hinter der „fortdauernde(n) Existenz des jüdischen Volkes“ sowie „seine(r) Heimkehr in das Land der Verheißung“ irgendwie zurück stehe. Das inhaltliche Gefälle innerhalb der Aussagenkette bildet eher den vorangegangen Erkenntnisgewinn mit der inhaltlichen Zuspitzung ab: auch der Staat Israel ist ein Zeichen.

In welchem Sinn, dieses „Zeichen“ gemeint sei, das war in der Folge Gegenstand heftiger Debatten. Bei diesen schälte sich schnell heraus, dass diese Wortwahl für ein heilsgeschichtliches Verständnis der Staatsgründung offen ist, dass aber nur wenige Autoren hier eine eschatologische Erfüllung biblischer Verheißungen sehen wollten. B. Klappert sprach von einem Zeichen als einer „Analogie“ bzw. einer „vorläufige(n) Entsprechung“ und wahrte so den oben angemahnten eschatologischen Vorbehalt.(132) Diese Zurückhaltung entsprach dem weitgehenden Konsens innerhalb der EKD, der sich bis heute von der endzeitlichen Stimmung im christlichen Zionismus deutlich abhebt.

Die rheinische Formulierung war übrigens nicht die einzige, mit der man versuchte, die theologische Dignität des Staates Israel in Worte zu fassen: Mit ähnlicher Zielrichtung hat die Evangelische Kirche der Pfalz in der Thesenreihe „Israel: Staat – Land – Volk“ von einem „Fingerzeig Gottes“ gesprochen.(133) Sie greift dabei einen Text S. Ben-Chorins auf, der das Wiedererblühen eines Mandelzweigs vor seinem Fenster als einen Hinweis dafür deutete, „dass die Liebe bleibt“ (Strophe 1) bzw. „das Leben siegt“ (Strophe 4). Obwohl das Gedicht schon 1942 entstand, also noch mitten im Dritten Reich, dürfte es doch das sich abzeichnende Wiedererstehen eines jüdischen Gemeinwesens im damaligen britischen Mandatsgebiet Palästina gewesen sein, das die leisen Hoffnungen des Autors nährte. Ähnlich wie die Rheinische Synodalerklärung wird hier eine zurückhaltende, metaphorische Formulierung gewählt, um Raum für die Zweideutigkeit des Geschehens zu lassen. Einem Zeichen oder einem Fingerzeig kann man folgen, man muss es nicht. Damit geht man bewusst „einen mittleren Weg zwischen der völligen Profanisierung der Geschichte Israels auf der einen (These 12) – und einer biblizistischen Überhöhung derselben auf der anderen Seite (These 13).(134)



6.8 „Roll-Back“: Historische Fakten und ihre theologische Deutung

Die Zeit blieb auch nach dem Rheinischen Synodalbeschluss nicht stehen. Gewaltsame Auseinandersetzungen im Nahen Osten wie die Libanonkriege (1982/2006), die beiden Intifadas (1987/1990), der letztlich gescheiterte Oslo-Friedens-Prozess (1993), sowie die beiden Kriege im Gazastreifen (2008/2014) zogen auch in den westlichen Ländern hitzige Debatten nach sich, nicht selten begleitet von Wellen antisemitischer Übergriffe. Je trostloser sich die Lage der Palästinenser in den Medien darstellte, desto mehr geriet Israel in der öffentlichen Meinung unter Rechtfertigungsdruck.

In den westlichen Kirchen gelang es in den letzten Jahren der christlichen Palästinensertheologie immer besser, sich Gehör zu verschaffen. Gleichzeitig war zu beobachten, dass der christlich-jüdische Dialog in dieser Zeit etwas von seinem anfänglichen Elan verlor, stelleweise sogar in die Defensive gedrängt wurde („roll back“). Jedenfalls wurden positive theologische Qualifizierungen über den Staat Israel wie die oben angesprochenen immer mehr in Frage gestellt. Manche frühere Aussage wurde näher präzisiert, manche auch eingeschränkt oder zurückgenommen. Dabei ging es theologisch immer wieder um eine sachgerechte Zuordnung von historischen Fakten und ihrer theologische Deutung.

In einem Artikel zum Thema warnte die Rheinländerin Katja Kriener vor der Gefahr, bei der Rede von der Staatsgründung als Zeichen Gottes das Ereignis mit seiner Deutung zu verwechseln. „Nicht geschichtliche Ereignisse an sich haben Offenbarungscharakter (…), sondern diese Ereignisse ihrerseits bedürfen der Interpretation aus der Sicht des Glaubens“.(135) Eine solche Deutung erfordere „eine biblisch geschulte Wahrnehmung“, weshalb sie auch nur innerhalb der Kirche eine Plausibilität beanspruchen könne. Im politischen Rahmen aber könne „nur mit Gründen der politischen Vernunft gestritten und entschieden werden“.(136)

Damit hatte K. Kriener gewiss einen wunden Punkt getroffen, denn nicht nur innerhalb der westlichen Gesellschaften war ja die Machtstellung der Kirchen längst durch Säkularisierungsprozesse erodiert. Auch betrat in den letzten Jahrzehnten mit dem Islam eine Macht die weltpolitische Bühne, die sich biblischen Maßstäben wenig verpflichtet fühlte. Ob in der Auseinandersetzung mit dem Islam Werte aus der westlichen Aufklärung wie „politische Vernunft“ eine bessere Grundlage zur Verständigung darstellen, muss zumindest offen bleiben. Wie auch immer: Krieners Zurückhaltung gegenüber geschichtstheologischen Deutungen ging auch in eine 2008 erschienene Arbeitshilfe der Rheinischen Kirche ein, die die Synodalerklärung von 1980 gegen eine „problematische ‚Geschichtstheologie’“ abzugrenzen versucht.(137) Was damit gemeint ist, wird in einem Interview mit dem ehemaligen EKD-Ratsvorsitzenden N. Schneider deutlich: Es geht um die Lehre der christlichen Zionisten, die die Staatsgründung in eschatologischen Dimensionen beschreiben. Ihnen hält der ebenfalls aus dem Rheinland kommende Theologe entgegen: Die Staatsgründung Israels ist nur ein Zeichen, sie ist nicht der Anbruch der neuen Welt Gottes.(138)

So sehr man N. Schneider in dieser Aussage folgen kann, so wenig versteht man, wieso er im Zusammenhang der Staatsgründung den Begriff „Offenbarung“ ausschließen will. „Geschichte ist für uns keine Offenbarung“, so sagt er. (139) Aber wenn Offenbarung die Manifestation dessen ist, „was uns unbedingt angeht“ (Tillich), dann wird man diese doch nicht auf die biblische Geschichte beschränken können. Auch heute zeigt sich Gott, bricht der Sinn dessen, was er mit der Welt vor hat, ansatzweise durch. Diese Manifestationen im Glauben als solche zu benennen: warum sollte das in früheren Zeiten möglich gewesen, heute aber unmöglich sein? Natürlich wird (wieder mit Tillich) zu unterschieden sein, zwischen der einen letztgültigen, normgebenden und den anderen nur vorläufigen Offenbarungen.(140) Aber auch diese für uns Christen letztgültige Manifestation Gottes in der Person Jesu Christi muss erst im Glauben als solche bekannt werden.(141) Dass Kreuz und Auferstehung Heilsereignisse sind, ist nicht selbstevident. Auch diese biblischen Geschichtstatsachen – das wäre gegen Kriener einzuwenden - bedürfen der Deutung aus der Perspektive des Glaubens, um als Offenbarung anerkannt zu werden. Es ist deshalb eine zwar zutreffende, aber im Grund banale Tatsache, dass der Glaube sich nie auf bruta facta gründet, sondern immer auf das Wort, das von diesen Zeugnis ablegt.(142) Auch die letztgültige und normgebende Offenbarung Gottes in Jesus Christus, nicht nur der Staat Israel, hat Teil an den Zweideutigkeiten dieses Lebens.

N. Schneider ist immerhin grundsätzlich für die Vorstellung offen, man könne „Geschichte theologisch interpretieren und darin Gottes Handeln wahrnehmen“.(143) Er tut solches auch im Blick auf Israel, wenn er im Wiedererstehen seiner staatlichen Existenz immerhin ein Zeichen sieht.(144) Das unterscheidet ihn grundlegend vom Ansatz des Bonner Neutestamentlers E. Grässer, einer der Theologen der Universität Bonn, die am 3. August 1980 in einem Gutachten gegen den Rheinischen Synodalbeschluss ihre Stimme erhoben.
Aufgrund von Röm 4,14 und Gal 3,7 behauptet er, alttestamentliche Verheißungsinhalte wie Land oder Volkwerdung könnten „für Christen keine Heilsgüter mehr“ sein. Weil die faktisch-historische Kontinuität zwischen Abraham und den Juden „theologisch irrelevant“ sei, entfällt für ihn „jede Möglichkeit, Geschichte, auch die des empirischen Volkes Israel, heilsgeschichtlich zu überhöhen.“ Heil von Gott her begegne überhaupt nicht als Faktum der Geschichte, sondern als das unverfügbare Wort.“(145) Die Deutung kurz zurückliegender (Auschwitz) oder gegenwärtiger Geschichte (Staat Israel) könnten niemals mit der Verkündigung von Jesus Christus parallel gesehen werden. Es handle sich dabei weder um Offenbarungen Gottes noch um geschichtliche Zeichen.(146)

Wie bei der alt6en Substitutionslehre werden für Theologen wie E. Grässer Alter und Neuer Bund wieder zu einander ausschließenden Gegensätzen. Das heutige Judentum hat für sie rein gar nichts mehr mit dem biblischen Gottesvolk zu tun, noch viel weniger der Staat Israel. Es ist deshalb nur konsequent, dass sie die Juden als verworfenes Volk betrachten, das nur noch durch die Bekehrung zum Christusglauben vor dem Strafgericht Gottes gerettet werden kann.(147) Eine solche Theologie, die das Heil nur noch als Wortereignis begreift, muss sich vorwerfen lassen, dass sie den Glauben seiner weltgestaltenden Kraft beraubt. Wenn Geschichte nur noch als Innbegriff menschlichen und nicht auch göttlichen Handelns gesehen wird, wenn sich Gott folglich nirgends mehr diesseitig verorten lässt, dann dürfen wir uns nicht wundern, wenn kirchliche Verkündigung zum bloßem Wortgeklingel verkommt. Natürlich stellt sich (mit Grässer) die Frage: Wer befindet darüber, wann ein „Zeichen“ vorliegt? Die Gefahr besteht aber gar nicht darin, dass unser „Zeichendeuten“ kritisch hinterfragt werden könnte, dass wir im Blick auf Israel oder andere historische Phänomene falsch liegen könnten. Das Problem heutiger Theologie besteht, darin, dass wir in dieser Hinsicht gar keine Standortbestimmungen mehr wagen.



6.9 Israel auf der Anklagebank: Das unkenntlich gewordene Zeichen

Nach seiner Staatsgründung hat die Welt Israel für seine Aufbauleistung viel Beifall gezollt. In kürzester Zeit war es gelungen, Menschen ganz unterschiedlicher kultureller und sozialer Herkunft zu einem funktionierenden Gemeinwesen zu integrieren. Nicht nur in jüdischen, sondern auch in christlichen Kreisen hoffte man, dieses Land könne für die Menschheit ein strahlendes Vorbild werden: „Israel ist dazu aufgerufen, in seinem Staat so zu leben, daß anderen Völkern ein neues Verstehen der Eigenschaften eines Staates vorgelebt wird.“(148)

In den letzten Jahrzehnten ist jedoch in Blick auf den Staat Israel eine gewisse Ernüchterung eingetreten. Das bringen nicht zuletzt auch israelische Intellektuelle immer wieder zum Ausdruck. Die dauerhaft angespannte Sicherheitslage in der Region hat tiefe Spuren in der kollektiven Seele der israelischen Gesellschaft hinterlassen. Ein politischer Rechtsruck, geboren aus der permanenten Angst vor Terror und Krieg, teilweise begleitet von chauvinistischen Großisrael-Phantasien, ist nicht zu übersehen. Das Misstrauen zwischen den jüdischen und den nichtjüdischen Bevölkerungsteilen wächst, aber auch innerhalb des jüdischen Segments gibt es nicht zu übersehende Verwerfungen, etwa zwischen säkularen und religiösen Kräften.

Es zeigte sich sehr schnell, dass der Staat Israel nicht wie von manchen Bewunderern erhofft der Beginn der Erlösung darstellt. So beeindruckend sich seine Erfolge in mancher Hinsicht auch darstellen mögen, angesichts der beschriebenen Konfliktlagen kann er auch im besten Fall wenig mehr sein als ein zwangsläufig unvollkommenes Mittel, Recht und Sicherheit seiner Bürger zu gewährleisten. Gerade lutherische Theologen hätten mit einer solchen funktionalen, am Staatszweck orientierten Beschreibung seines Charakters zufrieden sein können. Aber die Israel in den Anfangsjahren gewährten Vorschusslorbeeren wurden allmählich zu einer Bürde. Das Land musste sich von Menschen aus sicherer Entfernung an moralischen Standards messen lassen, an denen auch andere Nationen gescheitert wären.

Wie wir gesehen haben, steht die Rheinische Kirche nach wie vor zu ihrer umstrittenen Formulierung vom Zeichen der Treue Gottes. Man bejaht das völkerrechtlich garantierte Existenzrecht des Staates Israel „auch aus theologischen Gründen“.(149) Dennoch wird in neueren Stellungnahmen erwogen, dass theologische Aussagen von aktuellen politischen Entwicklungen berührt, vielleicht sogar in Frage gestellt werden könnten. In der Arbeitshilfe von 2008 wird ausdrücklich gewarnt: Sofern der Staat Israel die Funktionen, um derentwillen er theologisch wertgeschätzt wird, nicht oder nur unzureichend wahrnimmt, „lässt er seinen Charakter als Zeichen undeutlicher bzw. un-|verständlicher werden.“(150) In einem Papier aus dem Jahr 2011 wird diese Feststellung noch einmal verschärft durch die Hinzufügung: „bis hin zur Unkenntlichkeit.“(151)

Die Rheinische Kirche selbst formuliert klugerweise nirgends konditional, so als ob die Zusagen Gottes an Israel davon abhingen, inwieweit es seinem Auftrag nachkommt. Aber andere protestantische Theologen tun dies längst: Wie man früher behauptete, die Juden hätten durch ihren Ungehorsam Christus gegenüber die Erwählung Gottes verspielt, so hört man heute allenthalben in der Kirche, der Staat Israel habe durch seine fortdauernde Menschenrechtsverletzungen seine besondere Mission verwirkt. Nun ist es wohl richtig, dass man theologische Aussagen nicht von den Zusammenhängen ablösen sollte, innerhalb deren sie entstanden sind. Dennoch ist zu bedenken, was M. Marquardt zu dieser Frage geschrieben hat: Weil die fragliche Aussage vom Zeichen der Treue Gottes gar keine analytische Aussage ist „über eine wie auch immer geartete Qualität Israels (…), kann sie auch weder zum Guten noch zum Bösen vom Verhalten Israels abhängig gemacht werden.“(152)

Um Missverständnissen vorzubeugen: Es gibt punktuell immer wieder von Israel verübtes Unrecht, dies ist auch nicht aus irgendwelchen theologischen Rücksichtnahmen zu tolerieren oder gar schön zu reden. Die nichtjüdischen Opfer der Kriege, die zur Etablierung und Bewahrung des Staates Israels geführt wurden, können nicht einfach mit dem Hinweis auf eine praedestinatio gemina oder einen Deus absconditus als Kollateralschäden des göttlichen Geschichtshandelns abgetan werden(153). Es gab und gibt, verursacht durch staatliches Handeln Israels, viel Leid, das sicher nicht gottgewollt war oder ist. Vor diesem dürfen Christen, auch – oder gerade – wenn ihnen die Zukunft Israels am Herzen liegt, nicht die Augen verschließen. Eine Geschichtstheologie darf nicht in zynischer Weise das Recht des Stärkeren vertreten und so dem historisch Gewordenen normativen Wert beimessen. Nein, wir müssen, wenn wir der oben beschriebenen „staurologischen Grundfigur“ folgen,(154) damit rechnen, dass Gott auch entgegen dem Augenschein am Werk sein kann. Was er mit Israel vorhat, realisiert sich wie auch in anderen Bereichen seines Welthandelns nur „fragmentarisch“, in unvollständiger und gebrochener Gestalt. Diese Erkenntnis ist vielleicht schmerzhaft, aber sie ist christlich-theologisch unausweichlich.

Deshalb wäre es unklug, den Willen Gottes einfach pauschal mit dem Staat Israel, seiner Regierung oder bestimmten politischen Handlungen zu identifizieren.(155) Gott handelt in Israel auch heute, aber das macht Israel noch lange nicht zu einem Sachwalter Gottes. Das eine: die grundsätzlich positive theologische Qualifizierung des Staates Israel hat mit dem anderen: seinem manchmal problematischen Regierungshandeln im Einzelnen zunächst nichts zu tun. Man darf, ja muss u.U. letzteres kritisieren, ohne ersteres dabei in Frage zu stellen. Beides zusammen zu denken, meint wohl der in diesem Zusammenhang oft strapazierte Ausdruck der „kritischen Solidarität“.

 

6.10. Tabellarische Zusammenfassung der christlichen Positionen

 


7. Zwischenergebnis: Zehn zusammenfassende Thesen

(I) Der Staat Israel ist ein säkularer Staat wie jeder andere auch. Er ist kein Gottesstaat, erst recht keine Vorwegnahme des Reiches Gottes. Messianisch-endzeitliche Kategorien zu seiner Deutung sind deshalb wenig hilfreich.(156) Sie heizen einen ohnehin schon ideologisch überfrachteten Konflikt nur unnötig an.
(II) Der Staat Israel ist moralisch mit den gleichen Maßstäben zu messen wie andere Staaten auch. Doppelte Standards in positiver wie in negativer Hinsicht - kommen nicht in Frage.(157) Diese Maßstäbe lassen sich einerseits aus dem internationalen Völkerrecht, andererseits aus der christlichen Lehre vom Staatszweck(158) gewinnen. Erstere sind universell gültig und können auch außerhalb der Kirchen kommuniziert werden, letztere hingegen können nur innerkirchlich Relevanz beanspruchen.
(III) Dass der Staat Israel ein säkularer Staat ist, schließt nicht aus, dass man ihn positiv(159) mit dem Welthandeln Gottes in Zusammenhang bringt, seine Geschichte also in theologischen Kategorien deutet.(160) Eine solche theologische Deutung kann nur für Christen Plausibilität beanspruchen, für sie aber ist sie ein unaufgebbarer Aspekt ihrer Selbstvergewisserung im Glauben.
(IV) Spuren des Handelns Gottes im heutigen Staat Israel zu identifizieren, trägt dazu bei, Gott wieder stärker in der Welt zu verorten. Diese somatische Dimension(161) ist unserer Theologie, gerade der protestantischen, aufgrund gewisser Vergeistigungstendenzen leider weithin abhanden gekommen.(162)
(V) Der Staat Israel stellt in der Geschichte Gottes mit seinem Volk möglicherweise eine Art Kontrapunkt zum Holocaust dar. Beide Ereignisse bilden zusammen - ähnlich wie das beim Nebeneinander von Kreuz und Auferstehung der Fall ist - die beiden Gesichter des einen Gottes ab. Wenn Gott auch heute in Israel am Werk ist, dann rückt das den versuchten Genozid am jüdischen Volk in ein anders, etwas milderes Licht, ohne dass dieser dadurch rationalisiert oder gar gerechtfertigt würde.
(VI) Solche theologischen Aussagen über die Geschichte Israels sind angesichts der prinzipiellen Zweideutigkeit historischer Phänomene immer ein Wagnis. Eine angemessene Sprache trägt dem Rechnung, indem sie konfessorischen und doxologischen Aussagen den Vorzug vor reinen Tatsachenbehauptungen gibt. Gelungene Beispiele sind vorsichtige und andeutende Qualifizierungen des Staates Israel als „Fingerzeig“ oder als „Zeichen der Treue Gottes“.
(VII) Theologische Qualifizierungen Israels stehen wie jedes Reden von Gott unter eschatologischem Vorbehalt, sie sind deshalb grundsätzlich revisionsoffen. Erst am Ende der Geschichte werden wir wissen, was für die Menschen heilsam war und was nicht.
(VIII) Nicht alles, was die staatlichen Organe Israels tun, ist per se notwendigerweise auch gottgewollt. Eine unkritische Solidarität mit Israel, ohne Rücksicht auf die Opfer seines staatlichen Handelns, kommt deshalb nicht in Frage. Ebenso wenig aber ist eine unbeteiligte Gleichgültigkeit angemessen, wenn das Wohl oder gar die Existenz des jüdischen Volkes auf dem Spiel steht.
(IX) Ob in einer konkreten Situation wirklich Gott am Werk ist, lässt sich nur beurteilen, wenn die Realgeschichte im Lichte der biblischen Heilsgeschichte betrachtet wird. Die reale Geschichte Israels beginnt nämlich erst für den zu sprechen, dessen Blick durch die Heilige Schrift als norma normans geschult ist.
(X) Umgekehrt bleibt auch die Bibellektüre durch die realen Geschehnisse in Raum und Zeit nicht unberührt. Geführt durch den auch heute wirksamen Heiligen Geist, erschließt sich Gottes Wort den Gläubigen immer wieder neu.
Realgeschichte und Heilsgeschichte stehen also in einem dialektischen Verhältnis zueinander. Geschichtstheologie muss deshalb zugleich biblisch als auch kontextuell verantwortet sein.



8. Israel: Volk – Land – Staat. Eine biblische Sehschule

Was diese doch sehr grundsätzlichen geschichtstheologischen Thesen im Blick auf Israel konkret für den Nahostkonflikt bedeuten, kann hier am Ende nur angedeutet werden. Grundsätzlich muss dabei die Skylla eines kurzschlüssigen Biblizismus´ vermieden werden, ohne umgekehrt der Charybdis einer prinzipienlosen Bibel- und Theologievergessenheit zum Opfer zu fallen.


8.1. „Der Schild Israels“

Eine erste positive Antwort auf die grundlegende Frage, worin die Funktion(163) des Staates Israel heute denn bestehen könne, muss lauten: Er stellt ein „Schutzgehäuse“(M. Stöhr) dar, das trotz aller blutigen Konflikte in seiner noch jungen Geschichte dazu beigetragen hat, das physische Überlebens des jüdischen Volkes zu sichern. Im Zentrum der göttlichen Verheißung steht zwar „nur“ das Überleben des Volkes Israel, nicht auch des gleichnamigen Staates. Aber die Analyse der niederländischen Protestanten scheint mir historisch unausweichlich zu sein, dass „unter den gegebenen Umständen“ das eine ohne das andere nicht zu realisieren ist(164). Gott ist der „Schild Israels“,(165) der auch heute seinem Volk nicht nur Mut zuspricht,(166) sondern ihm zugleich verheißt, gegen die Übermacht der Feinde militärisch zu bestehen(167). Der Staat Israel, obschon ein Nationalstaat wie jeder andere, trägt dazu bei, dass der „Augapfel Gottes“ (Sach 2,12) unangetastet bleibt. „Am jisrael chai“, das ist gerade nach der Shoah nicht nur eine Wirklichkeitsbeschreibung, sondern zugleich ein moralischer Imperativ, dem sich Christen, zumal in Deutschland, im „Land der Täter“, nicht entziehen können.(168)
Damit billigen wir weder wir die Annexion noch die dauerhafte Besatzung von Gebieten, die völkerrechtlich nicht zu Israel gehören. Das nackte Recht des Stärkeren mag im Tierreich seine Berechtigung haben, im Zusammenleben der Völker bleibt es Unrecht, wenn es das einzige Argument der Sieger ist. Daran ändert auch der an sich zutreffende Hinweis wenig, dass in der Bibel Samaria und Judäa (Jescha) einst zum jüdischen Kernland gehörten. Ein 2000 Jahre Geschichte überspringender biblizistisch begründeter Expansionismus bedeutet einen Missbrauch der Heiligen Schrift und damit eine Lästerung des Gottes, der sich jeder Nostrifizierung entzieht.
Diese Abgrenzung schließt freilich nicht die Möglichkeit aus, sondern ausdrücklich ein, dass wir im Falle eines existenzbedrohlichen Konfliktes Israel zur Seite stehen. Als ultima ratio dürfen auch militärische Maßnahmen nicht ausgeschlossen werden. Dass gerade wir Deutschen solchen Beistand schon mehrere Male schuldig geblieben sind, etwa beim zweiten Golfkrieg, ist ein Skandal, der durch keinen noch so christlich sich gebenden Pazifismus verbrämt werden kann.


8.2 „…eine Ruhe geben“

Wie das Kreuz aus christlicher Sicht kein Selbstzweck ist, sondern auf die Auferstehung abzielt, so kann auch der Kampf um das physische Überleben nur der Anfang und nicht das Ziel göttlichen Heilshandelns an Israel sein. Schon die Tora lässt erkennen, dass der Auszug aus Ägypten auf eine Landnahme abzielt, deren eigentliches Kennzeichen nicht der Krieg, sondern ein dauerhafter Friede ist. Die Landnahme Israels, die eigentlich eine Landgabe ist, da sie sich allein der Stärke Gottes verdankt, ist die Voraussetzung dafür, dass das Gottesvolk unbehelligt im Land der Verheißung wohnen und von seinen Früchten essen kann. Die lange Zeit des unsteten Umherziehens und Krieg-Führens mündet in eine Phase, in der Gott seinem Volk endlich die ersehnte „Ruhe“ (nuach) schenkt. Gegen Ende des Josuabuches lautet der dankbare Rückblick auf die nun abgeschlossene Landnahme: „So hat der HERR Israel das ganze Land gegeben, das er geschworen hatte, ihren Vätern zu geben, und sie nahmen's ein und wohnten darin. Und der HERR gab ihnen Ruhe ringsumher, ganz wie er ihren Vätern geschworen hatte.“(169)

Für den modernen Staat Israel wird man nüchtern resümieren müssen: „Niedergelassen“(170) haben sich Juden schon im Land der Verheißung, „Ruhe“ allerdings ist in der Region noch nicht eingekehrt, schon gar nicht „Friede“(schalom). Dieser Friede aber im Vollsinn der biblischen, v.a. prophetischen Verheißungen muss das eigentliche Ziel sein. Er umfasst nicht nur Sicherheit und Ruhe, sondern zugleich Gesundheit, Freude und Zufriedenheit. Während dieser Friede eine eschatologische Verheißung ist, deren Erfüllung wir nur von Gott her erwarten können, kann ein friedliches Zusammenleben mit den Nachbarstaaten schon jetzt und hier das Ziel sein. Trotz aller Rückschläge bei der Suche nach einer Friedenlösung sollte Israel sich nicht im status quo ausruhen, sondern weiter nach auf Dauer tragfähigen Lösungen suchen. Dazu wird neben steter Verteidigungs- auch Kompromissbereitschaft gefordert sein, wie ihn Abraham an den Tag legte, als er sich von Lot trennte: „Willst du zur Linken, so will ich zur Rechten, oder willst du zur Rechten, so will ich zur Linken (1 Mose 13,9).“ Wer sich an diesem Beispiel orientiert, der wird bei Verhandlungen keine Vorbedingungen stellen als allein die Verhandlungsbereitschaft auch der Gegenseite. Alles muss zur Disposition stehen, so lernen wir von Abraham, wenn es dem Frieden mit den Nachbarn dient.

Für uns Christen muss das bedeuten, Israel bei seiner Suche nach Ruhe und Frieden zu unterstützen. In Zeiten, in denen die USA für viele Muslime jeden Kredit verspielt haben, könnte die Europäische Gemeinschaft als ehrlicher Makler zwischen den Konfliktparteien vermitteln. Auch wenn die Situation gegenwärtig noch so verfahren aussieht: Wir sollten nicht abstumpfen, sondern uns weiter für Israels Wohlbefinden interessieren, es fragen: „Ma schlomech“, „Was ist dein Schalom?“, oder einfacher: „Wie geht es Dir?“ Wir sollten für den Frieden Israels beten und arbeiten, die jüdische Seite aber auch daran erinnern, dass der Friede Israels nicht auf Kosten der anderen Landesbewohner zu realisieren ist. Auch die „Fremdlinge“ in Eretz Israel, die es dort übrigens immer schon gab, auch in biblischen Zeiten, haben Rechte und sie lechzen wie Israel auch nach „Ruhe“.

 

8.3 „Der Fremdling in Deinem Hause…“

Die hebräische Bibel enthält Äußerungen über die anderen im Land lebenden Völker, die uns heute exklusivistisch oder gar gewaltverherrlichend anmuten. Wenn wir lesen, dass Israel sich von den anderen Völkern und ihren Götzen fernhalten soll, hinterlässt das bereits ein ungutes Gefühl. Vollends problematisch wird es aber, wenn Israel dazu aufgefordert wird, in den eroberten Gebieten den „Bann“ (horma) zu vollstrecken, d.h. alles Leben auszulöschen.(171) Dabei darf man freilich nicht übersehen, dass diese der späten Königszeit entstammende martialische Rhetorik sich letztlich gegen Israel selbst richtet. Wenn Ihr nicht umkehrt, so lautet die unmissverständliche Warnung, wird es euch ergehen wie den Kanaanäern.(172) Dass eventuell vorhandene Gewaltphantasien in konkrete Taten gegen die im Land lebenden Nichtjuden umgesetzt werden, ist ohnehin ausgeschlossen durch den besonderen Schutz, die das Alte Testament diesen „Fremdlingen“ (gerim), unabhängig von ihrer Herkunft und Rasse, angedeihen lässt. Weil die Israeliten selbst Fremdlinge gewesen sind in Ägypten, sollen sie die Notlage ihrer armen und rechtlosen Mitbewohner nicht ausnutzen: „Eine Weisung (tora) und ein Recht (mischpat) gelte für euch und den Fremden (ger), der bei Euch weilt“ (Num 15,16).

Auch wenn die alttestamentliche Fremdengesetzgebung nicht als Grundlage moderner Rechtsprechung taugt, bietet sie doch in mancher Hinsicht interessante Perspektiven auf die im Heiligen Land lebenden Nichtjuden. Schon aus biblischer Sicht muss klar sein: Der Staat Israel hat seinen arabischen Bürgern die gleichen Rechte einzuräumen wie den dort lebenden Juden, ein untergeordneter Dhimmi-Status reicht nicht aus. Tatsächlich garantiert Israel bereits in seiner Unabhängigkeitserklärung von 1948 „all seinen Bürgern ohne Unterschied von Religion, Rasse und Geschlecht, soziale und politische Gleichberechtigung“. Doch wie in vielen anderen Demokratien dieser Welt klaffen Verfassungsnorm und Verfassungswirklich-keit teilweise bedenklich auseinander. Das Tragische: Je stärker der Nahostkonflikt die öffentliche Meinung polarisiert, desto tiefer werden die Gräben zwischen den ethnischen Gruppen im Land. Wenn das Ziel der Rückkehr ins Land der Vorfahren aber wirklich darin besteht, dass Weisung ausgehen wird von Zion (Jes 2,3), dass sichtbar auch für die Völkerwelt Recht und Gerechtigkeit Einzug halten wird, dann darf Israel nicht gleichgültig werden angesichts einer de facto doch vorhandenen Diskriminierung seiner nichtjüdischen Bevölkerung.

Uns Christen aber, gerade aber wenn wir fernab der beschriebenen Konflikte in relativer Ruhe und Sicherheit wohnen, sei ins Stammbuch geschrieben, erst einmal vor unserer eigenen Haustüre zu kehren, wenn es um Minderheitenrechte geht. Auch in unserer Gesellschaft gibt es Menschen, die aufgrund ihrer Herkunft kaum Aufstiegschancen haben. Gleichberechtigung steht auch hierzulande oft nur auf dem Papier. Das heißt nicht, dass wir nicht das Recht hätten, auch Israel an die eigenen moralischen Ansprüche zu erinnern, aber es darf hier nicht mit zweierlei Maß gemessen werden. Bevor wir Israel einen Apartheidstaat schelten, sollten wir uns erst einmal bei den Nachbarn Israels umschauen. Hier werden rechtsstaatliche Prinzipien so offenkundig mit Füßen getreten, dass man sich fragt, wieso immer wieder Israel an den Pranger gestellt wird.


9. Abschluss und Ausblick

Wo stehen wir heute? Befinden wir uns immer noch „zu nahe“ an dem historischen Tatbestand der Staatsgründung Israels, als dass wir dieses Gemeinwesen nun nicht nur historisch-politisch, sondern auch theologisch einordnen könnten?(173) Die Nähe kann mittlerweile kaum mehr der Grund dafür sein, dass wir uns mit einer Einordnung dieses Staates so schwer tun. Der Grund scheint mir eher zu sein, dass wir als gebranntes Kind das Feuer scheuen und von geschichtstheologischen Aussagen lieber ganz absehen, als dass wir uns dabei noch einmal die Finger verbrennen. Die oben aufgemachte „Kosten-Nutzen-Analyse“ aber scheint mir gezeigt zu haben, dass der Preis dieser theologischen Zurückhaltung nicht zu unterschätzen ist: Wir verdrängen Gott aus der Geschichte - und damit aus der Welt.

Wer Gottes Schritte durch die Weltgeschichte hört, der sollte beherzt versuchen, einen Zipfel seines Mantels zu fassen. Der griechische Gott Kairos trägt nur vorne einen Haarschopf, am Hinterkopf dagegen ist er kahl geschoren. Auch wenn viele geschichtliche Phänomene erst retrospektiv angemessen zu beurteilen sind, gilt es doch, den „richtigen Augenblick“, die „günstige Gelegenheit“ (so die wörtliche Übersetzung von Kairos) nicht tatenlos vorbei ziehen zu lassen, sondern sie vorne „am Schopf zu packen“.(174) Das Handeln Gottes in der Geschichte, für dessen Vorhandensein wir zumindest Indizien gefunden zu haben meinen, fordert ein ihm entsprechendes Handeln des Menschen heraus. Deshalb sollten wir in Blick auf Israel nicht die Hände in den Schoß legen.
Was das konkret bedeuten kann, hoffe ich in der kleinen biblischen Sehschule am Ende meiner Ausführungen wenigstens etwas angedeutet zu haben. Auf der Grundlage dieser Überlegungen lohnt es sich m.E. jedenfalls weiter zu arbeiten. Dabei kommt es darauf an, eine biblisch begründete Theologie mit einer vorurteilsfreien Analyse des politischen Kontextes ins Gespräch zu bringen. Das Ziel dieses Unterfangens ist die Entwicklung von Handlungsmaximen, die auf einer Konkretionsebene mittlerer Reichweite liegen. „Mittlere Reichweite“ heißt: Wir dürfen uns nicht mit frommen Allgemeinplätzen zufrieden geben, sondern müssen, ohne in die Falle eines ungeschichtlichen Biblizismus zutreten, so konkret „zur Sache“ reden, dass wird eine alltagstaugliche ethische Orientierung anbieten. Eine prinzipienlose „Theologie der Befindlichkeiten“, die aus einem bestimmten Zeitgeist oder einem diffusen Bauchgefühl heraus Schnellschüsse abgibt, ist heute zu wenig. Nur wenn wir uns als Theologinnen und Theologen wieder auf unsere „Kernkompetenzen“ besinnen, werden wir die gesellschaftlichen Debatten befruchten können. Wo wir nur Checkpoints zählen, wird man uns sehr schnell als überflüssig ansehen. Zu Recht, wie ich finde!

Dieser Artikel ist als erster Teil eines größeren Aufsatzes „Israel – ein Staat wie jeder andere“ erschienen in: „Begegnungen. Zeitschrift für Kirche und Judentum“ Ausgabe Nr.2/2014, S. 14-45


Fußnoten

(1)S. Avineri: Profile des Zionismus, Gütersloh 1998, S. 215.
(2) Siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Religi%C3%B6ser_Zionismus
(3) Vgl. etwa http://www.jewfaq.org/israel.htm.
(4) Vgl. zum Folgenden v.a. R. Schatz-Uffenheimer: Messianismus und Utopie bei Rav Abraham I. Kook, dem bedeutendsten Vertreter moderner jüdischer Mystik, in: Zukunft in der Gegenwart. Wegweisungen in Judentum und Christentum, C. Thoma (Hg.), Frankfurt/M. 1976, S. 187-206.
(5) Vgl. 6.9.
(6) Vgl. zu M. Bubers politischer Theologie etwa: K. Yaron: Martin Buber: Ein Land und zwei Völker, in: Martin Buber und seine beiden »Vaterländer«. Beiträge von Jan Doktor und Kalman Yaron bei einer Gedenktagung in Görlitz zum 30. Todestag Bubers, http://www.deutscher-koordinierungsrat.de/sites/default/files/ downloads/DKR/Martin_Buber.pdf., S. 10-16; U. Homann: Martin Buber – Deuter und Mahner. Aus Anlass seines 130. Geburtstags, www.tribuene-verlag.de/TRI_Martin_Buber.pdf.
(7) Buber handelte dieses Verhältnis in verschlüsselter Form in seinem Roman Gog und Magog. Eine Chronik, Heidelberg 1949, ab.
(8) Der Jude und sein Judentum: Gesammelte Aufsätze und Reden, Gerlingen, 2. Aufl. 1993, S. 310.
(9) A.a.O., S. 309.
(10) A.a.O., S. 554.
(11) A.a.O., S. 564.
(12) A.a.O., S. 561f.
(143) A.a.O., S. 310.
(14) Der Jude und sein Judentum, S. 319.
(15) Vgl. auch die Aufsatzsammlung „Ein Land und zwei Völker“, Neuauflage Frankfurt/M., 1983
(16) Ich und Du, Neuauflage Stuttgart 2008 (1. Aufl.: 1923).
(17) Ich und Du, S.71.
(18) Ein Land, S. 38.
(19) Ein Land, S. 32.
(20) A.a.O., S. 31.
(21) M. Buber: Spinoza, Sabbatai Zwi und der Baalschem, in: Werke III, München 1963, S. 757. Hervorhebung durch mich, S.M.
(22) Zur Biografie R.s: D. Akrap: Auschwitz und Sinai. Rubenstein, Fackenheim und der Holocaust in der jüdischen Theologie, http://www.davidkultur.at/ausgabe.php?ausg=84&artikel=110
(23) T. Todorow: Angesichts des Äußersten, München 1993, S. 252.
(24) Ders.: After Auschwitz: Radical Theology and Contemporary Judaism, Indianapolis 1966, S.151-53; Sehr instruktiv auch: R.L.Rubenstein/J. K. Roth: Approaches to Auschwitz: The Holocaust and Its Legacy, Louisville 2003; Übersetzung des engl. Zitat hier wie auch im folgenden von mir, S.M.
(25) R. L. Rubenstein: Cunning of History. The Holocaust and the American Future, New York 1987, S. 90.
(26) Vgl. Approaches to Auschwitz: The Holocaust and Its Legacy, aber auch: Hannah Arendt, the Holocaust, and the State of Israel, http://www.newenglishreview.org/custpage.cfm/frm/128648/sec_id/128648.
(27) http://azure.org.il/include/print.php?id=162
(28) Das Thema Islamismus lässt Rubenstein in der Folge nicht mehr los. Vgl. auch sein aktuelles Werk: Jihad and Genocide. Studies in Genocide: Religion, History, and Human Rights, Lanham 2011.
(29) Hannah Arendt, the Holocaust, and the State of Israel, a.a.O.
(30)Vgl. dazu auch Chr. Münz: „Jüdische Theologie nach Auschwitz“ 18/1995 epd-Dokumentation, bes. S. 18 und Zachary Braiterman (God) After Auschwitz: Tradition and Change in Post-Holocaust Jewish Thought, S. 96
(31) Die wichtigsten Werke für unser Thema sind: God´s Presence in History. Encounters between Judaism and Modern Philosophy, New York 1970; The Jewish Return into History: Reflections in the Age of Auschwitz and a New Jerusalem, New York 1978; vgl. zum Folgenden: B. Frede-Wenger: Gefährdete Erinnerung. Emil Fackenheim und das Gebot, Hitler keinen posthumen Sieg zukommen zu lassen, in: Zugänge zur Erinnerung: Bedingungen anamnetischer Erfahrung, O. Fuchs (Hg.), Münster 2001.
(32) So auch der Titel eines späteren Werkes: The Jewish Return into History: Reflections in the Age of Auschwitz and a New Jerusalem, New York 1978.
(33) God´s Presence in History. Encounters between Judaism and Modern Philosophy, New York 1970, S. 9
(34) N.M. Samuelson: Moderne jüdische Philosophie. Eine Einführung, Reinbeck bei Hamburg 1995, S. 331.
(35) Was ist Judentum?, S. 228
(36) S. 268f.
(37) D. Shoag: Reviving Religious Zionism, Harvard Israel Review (HIR), Retrieved 2013-02-02.
http://www.hcs.harvard.edu/~hireview/content.php?type=article&issue=spring04/&name=shoag
(38) M.H. Ellis: „In the wake of the 1967 war, the Holocaust and Israel became linked in the Jewish imagination as the centre of Judaism and Jewishness. They still are.” (After the Holocaust and Israel. Can the Prophetic heal the two martyred peoples?, in: The Case for Sanctions Against Israel; S.iii)
(39) Vgl. 2.3.
(40)A History of the Jews, London 1993, S. 519.
(41) G. Gronauer, Der Staat Israel im westdeutschen Protestantismus. Wahrnehmungen in Kirche und Publizistik von 1948 bis 1972 , Göttingen 2013, S. 321.
(42) J.K. Roth: Holocaust Politics: Will Genocide Ever End? and Approaches to Auschwitz: The Holocaust and its Legacy, Louisville 2001, S. 151. Ähnlich auch G. Taxacher:. „Es ist schlechterdings kein geschichtliches Gut denkbar, daß (!) durch dieses Opfer verdient hätte, und es ist auch keine Geschichtswende in Sicht, das diese Vorgeschichte zu erklären oder hegelsch ‚aufzuheben‘ vermöchte.“, a.a.O., S. 20.
(43) Ich beziehe mich im Folgenden auf die Neuauflage von D. Hazony, Jerusalem 2007.
(44) S. 137ff.
(45) Vgl. etwa S. 122
(46) S. 139.
(47) S. XIV.
(48) S. 158. Laut Harony (S, XIV) spielt eine „messianic reading of history“ bei Berkovits eher keine Rolle. Die zitierte Stelle scheint mir aber das Gegenteil zu belegen.
(49) Vgl. S. 142.
(50)Vgl. Dazu v.a. Teil 6.9: Das unkenntlich gewordene Zeichen.
(51) Unter www.rabbiirvinggreenberg.com/ sind viele Werke von Rabbi Greenberg nun auch digital zugänglich.
(52) Judaism and History: Historical Events and Religious Change, Ancient Roots and Modern Meaning: A Contemporary Reader in Jewish Identity. Jerry V. Diller (Hg.), New York 1978, S. 140.
(53) A.a.O., S. 142f.; zum doxologischen Sprechen über Gottes Geschichtstaten vgl. auch Teil 3.5.
(54) The Religious Implications of the State of Israel, S. 4; http://rabbiirvinggreenberg.com/wp-content/uploads/2013/05/lecture_religious_implications.pdf; Übersetzung hier und nachfolgend durch mich, S.M.
(55) A.a.O., S. 3.
(56) Judaism and Christianity After Auschwitz, Journal for Ecumenical Studies, Vol XII, Nr.4, 1975, S. 538.
(57) The Religious Implications, a.a.O., S. 23
(58) „Voluntary Covenant“, so der Titel eines Artikels aus dem Jahr 1982: http://jewishstudiesinitiative.org/wp-content/uploads/2013/02/Voluntary-Covenant-Yitz-Greenberg.pdf
(59) A.a.O., S. 40f.
(60) Confronting des Holocaust and Israel (1975), http://rabbiirvinggreenberg.com/wp-content/uploads/2013/05/lecture_Confronting.pdf, S.19
(61) The Religious Implications, a.a.O., S. 40.
(62) Ebd.
(63) Zu den hohen moralischen Anforderungen gegenüber Israel und ihrer Berechtigung vgl. auch 6.9.: Israel auf der Anklagebank.
(64) Vgl. zum Unabhängigkeitstag: http://rabbiirvinggreenberg.com/lectures/listen/israelzionism/; aber auch: http://www.juedische-allgemeine.de/article/print/id/10266.
(65) Judaism and History, S. 160.
(66) http://www.ekd.de/religionen-konfessionen/vortraege/20120117_rv_evangelische_kirche_und_der_staat_
israel.html.
(67) http://www.christen-und-juden.de/Download/DABRU%20EMET.pdf.
(68) Solches unterstellt zu Unrecht ein Buch wie das von M. Braverman: Verhängnisvolle Scham, Gütersloh 2011.
(69) Gerade kirchenoffizielle Studien formulieren oft „absichtlich undscharf“ und lassen den Leser im Unklaren, wie man sich als Christ denn nun zu den referierten jüdischen Positionen begründet stelle solle. Vgl. G. Gronauer: a.a.O., S. 228.
(70) K. Berger: Wie kann Gott Leid und Katastrophen zulassen?, Stuttgart 1996, S. 200.
(71) H. Küng: Judentum, München 1991, S. 721.
(72) Ebd., Hervorhebung Küng.
(73) Vgl. 3.4.
(74) A.a.O., S. 150. Hervorhebung S.M.
(75) Vgl. zu diesem Abschnitt noch einmal 1.2.
(76) Das Handbuch der Dogmen- und Theologiegeschichte, Bd.3, Andresen, Carl (Hg), Göttingen 1984, S. 265.
(77) Zit. bei F.W. Marquardt: Christentum und Zionismus, in: Jüdisches Volk – jüdisches Land, W.Eckert u.a. (Hg), S. 242.
(78) Ebd.
(79) Ebd.
(80) A.a.O., S. 243.
(81) Gelobtes Land? Eine Orientierungshilfe, hg. im Auftrag der Evang. Kirchen in Deutschland, Gütersloh 2012, S. 100; zu Begriff und Sache des „Staatszwecks“ vgl. Thorsten Moos: Staatszweck und Staatsaufgaben in den protestantischen Ethiken des 19. Jahrhunderts, Münster 2005, bes. S. 67.
(82) Ebd.
(83) Christen und Juden I-III, Gütersloh 2001, S.194.
(84) Ebd.
(85) Ebd.
(86) Ich spreche in diesem Zusammenhang übrigens nicht nur von den Verfolgten des Naziregimes, sondern auch von den aus dem zaristischen Russland (19. Jhd.), sowie die nach dem Unabhängigkeitskrieg (1948) aus den arabischen Ländern geflohenen Juden. Ihre Zahl geht ebenfalls in die Hunderttausende.
(87) Zum arabisch-israelischen Konflikt, in: Frieden im Nahen Osten, 1967, 15-22; zit. bei F.W. Marquardt:
Christentum und Zionismus, a.a.O., S. 250.
(88) Christen und Juden II, a.a.O., S. 103.
(89) Vgl. zum Folgenden v.a.: M. R. Lindsay: Barth, Israel, and Jesus: Karl Barth's Theology of Israel, Hampshire 2007; S. Kläs: Der Staat Israel im Spannungsfeld von Politik und Religion, in: Das Gelobte Land, A. Pontzen/A. Stähler (Hg.), Reinbek 2003.
(90) Vgl. 1.2.
(91) „Die Lehre von der Schöpfung“, Zürich 1950; dort insbes. §49.3: „Über das göttliche Regieren.
(92) KD III,3, S. 26.
(93) Vgl. KD III,3, S.238ff.
(94) KD III,3, S. 245.
(95) KD III,3, 240. Zur Abfassungszeit des Textes vgl. E. Busch: Unter dem Schatten des einen Bundes. Karls Barth und die Juden, Neukirchen 1996, S.533, Fn106.
(96) KD III,3, S.238.
(97) Zitiert in „Gelobtes Land?“, leider ohne genaue Quellenangabe: http://www.ekd.de/EKD-Texte/84251.html.
(98) Eberhard Busch: Karl Barths Lebenslauf. Nach seinen Briefen und autobiographischen Texten, 4. Aufl. München 1986, S. 510. Busch berichtet auch, wie Barth mit großer Aufmerksamkeit die kriegerischen Auseinandersetzungen in Nahost verfolgte, sogar eine Petition unterschrieb, mit der er gegen Schweizer Waffenlieferungen an die Araber protestierte.
(99) Meine Zeit mit Karl Barth: Tagebuch 1965–1968, Göttingen 2011, S. 332.
(100) Eberhard Busch: Meine Zeit mit Karl Barth, a.a.O., S. 341.
(101) Ebenfalls zitiert in „Gelobtes Land?“.
(102) Christengemeinde und Bürgergemeinde, 3. Aufl. Zürich 1983, S. 54f.
(103) S. Kläs, in: Das Gelobte Land, S. 315.
(104) So etwa in dem Liedtext von „Vertraut den neuen Wegen“ (EG 395).
(105) Theologische Gedanken zur Gründung des Staates Israel und seinem Fortbestand heute und morgen, S.6.; http://www.theologie-koeln.de/PDFs/StaatIsrael.pdf
(106) So die Überschrift von §34 in M. Noths Geschichte Israels, 4. Aufl. Göttingen 1959.
(107) A.a.O., S. 406.
(108) Vgl. G. Gronauer, a.a.O., S. 53ff.
(109) Vgl. G. Gronauer, a.a.O., S. 350.
(110) http://www.kairospalestine.ps/sites/default/Documents/German.pdf.
(111) Mk. 1,15, Gal 4,4.6,9 u.ö.
(112) A.a.O., 2-2-2, Hervorhebung durch mich, S.M.
(113) Vgl. dazu: Gelobtes Land, a.a.O., S. 83ff.
(114) Vgl. dazu M. Kloke: Christliche Zionisten - Eine kritische Darstellung Online-Extra Nr. 112, http://www.compass-infodienst.de/Martin_Kloke__Christliche_Zionisten___eine_kritische_Darstellung. 7851.0. html, bes. Nr. 4.1.
(115) L. Mihr: „Die Synagoge Satans“. Zum evangelikalen Antisemitismus in den USA, http://fowid.de/ fileadmin/textarchiv/Mihr_Lukas/Antisemitismus_der_Religioesen_Rechten_USA_TA2012_3.pdf.
(116) Der Name kommt von den „Dispensationen“, d.h. „Haushaltungen“ Gottes.
(117) Vgl. hierzu die Wikipedia-Artikel „Christlicher Zionismus“ und „Dispensationalismus“. Sehr nützlich auch die Webseite von M. Payer: http://www.payer.de/fundamentalismus/fundamentalismus062.htm , sowie E. Kamphausen: Christlicher Zionismus. Die Bedeutung Jerusalems im Endzeitdenken des prot. Fundamentalismus, www.ev-akademie-boll.de/fileadmin/res/otg/640806-Kamphausen.pdf?.
(118) Vgl. 1.3.
(119) Vgl. auch M. Kloke: a.a.O. bes. Nr. 6, aber auch Kamphausen, a.a.O.
(120) Diese Bemerkung fiel, wenn ich mich recht entsinne, im Januar 2007 bei einer KLAK-Delegiertenkonferenz in Berlin.
(121) „A means to the end” (Robert O. Freedman, Professor für Politikwissenschaft an der Baltimore Hebrew University; zit bei M. Payer, a.a.O.).
(122) Anders der Wikipedia-Artikel: „Christlicher_Zionismus“. Meine eigenen Recherchen haben aber zu andern Ergebnissen geführt. Das betrifft fast alle der im Artikel unten angeführten Gruppen.
(123) A. Hornung: Messianische Juden zwischen Kirche und Volk Israel. Entwicklung und Begründung ihres Selbstverständnisses, o.J. und Ort, http://www.segne-israel.de/mag/am_6juwi.htm.
(124) So etwa Sharon Sanders von den „Christlichen Freunden Israels“, http://www.cfri.de/cfri/index.php/veroeffentlichungen/lehrartikel/165-sanders13.
(125) Abgedruckt in: H. Kremers / E.Lubahn (Hg.): Mission an Israel Neukirchener/Vl. 11985, S. 126-128.
(126) http://www.worldevangelicals.org/commissions/tc/berlin.htm.
(127) Vgl. B. Tuchmann: Bibel und Schwert. Palästina und der Westen, Frankfurt, 1983, v.a. S. 128 und 180.
(128) Den Text findet man etwa unter: http://www.christen-juden.de/fix/files/kd.1126000384/Rheinischer-Synodalbeschluss.htm
(129) Vgl. N. Nico Sonnevelt: Das christliche Bekenntnis zu Israel in der Kirchenordnung der reformierten Kirchen in den Niederlanden, FR NF 2000, 811. http://freiburger-rundbrief.de/de/?item=811
(130) Vgl. G. Gronauer, a.a.O., S. 291f.
(131) Israël, volk, land en staat. Handreiking voor een theologische bezinning, ‘s Gravenhage 1970, S. 29.
(132) Vgl. 3.4.
(133) http://www.evkirchepfalz.de/uploads/tx_templavoila/Stellungnahme_Israel.pdf?, These 11.
(134) So Kirchenpräsident Ch. Schad in seinem Vorwort. Ähnlich spricht auch K. Kriener (im Anschluss an H.H. Henrix) von den beiden Polen einer „Skylla ideologischer Verbrämung politischer Realitäten und der Charybdis billiger Unverbindlichkeit abstrakter Theologie“ (K. Kriener: 60 Jahre Staat Israel – Ein Zeichen der Treue Gottes!? Die Evangelische Kirche im Rheinland im Ringen um ihre Aussagen zum Staat Israel; Kirchliche Zeitgeschichte, 21/2008, S. 22-38).
(135) A.a.O, S. 33. Ähnlich auch die Arbeitshilfe der Rheinischen Kirche „Den Rheinische Synodalbeschluss zum Verhältnis von Christen und Juden weiterdenken“, S.39.
(136) A.a.O., S. 38.
(137) Ebd.
(138) http://www.ekd.de/aktuell/81119.html.
(139) Ebd.
(140) Vgl. dazu 3.
(141) Vgl. dazu meine Bemerkungen unter 3.3 zum Bekenntnis des römischen Hauptmannes (Mt 27,54).
(142) Vgl. dazu auch 5.7.,Greenbergs Rede von einem ‚testimony‘.
(143) Ebd.
(144) http://www.ekd.de/religionen-konfessionen/vortraege/20120117_rv_evangelische_kirche_und_der_staat_israel.html
(145) Der alte Bund im Neuen, Exegetische Studien im Neuen Testament (WUNT 35), Tübingen 1985, S. 216.
(146) A.a.O., S. 217.
(147) Vgl. dazu auch G. Klein: Erbarmenmit den Juden!, EvTh 34/1974, S. 201-218, sowie den Wikipedia-Artikel „Judenmission“.
(148) So das Dokument „Israel, Volk, Land und Staat“, a.a.O., S. 30.
(149) Diskussionsimpuls zur Lage in Israel/Palästina (2011); http://www.ekir.de/www/downloads/EKiR_Diskussionsimpuls_Israel_Palaestina2011.pdf; S.2.
(150) A.a.O., S. 40f.
(151) A.a.O., S.2
(152) Theologische Gedanken zur Gründung des Staates Israel und seinem Fortbestand heute und morgen, S. 8; online: http://theologie-koeln.de/PDFs/StaatIsrael.pdf.
(153) Gegen F.W. Marquardt, der begründet hat: „Alle Weltgeschichte, auch alle Befreiungsgeschichte, ist Opfergeschichte, es gibt sie bisher nicht als Prozeß ausgleichender Gerechtigkeit.“; Was dürfen wir hoffen, wenn wir hoffen dürfen?, Bd. 2, S. 275.
(154) Vgl. 3.3.
(155) Vgl. „Israel: Staat–Land – Volk“, a.a.O., These 14.
(156) Vgl. dazu v.a. 5.2 und 6.6.
(157) Vgl. dazu 6.9.
(158) Vgl. 6.3 und 6.9.
(159) Negativ hat man, wie oben gezeigt, Israel schon oft theologisch gedeutet – ganz ohne Bauchschmerzen wegen der damit verbundenen geschichtstheologischen Implikationen; vgl. dazu 6.5.
(160) Vgl. 6.8 u.ö.
(161) Vgl. dazu 3.3.
(162) Auch die Thesenreihe der Pfälzischen Landeskirche sieht im Thema Israel eine „Chance, unser Nachdenken über Gott – sein Erwählen und Berufen, seine Bundesschlüsse und Verheißungen – in Raum und Zeit zu konkretisieren“; vgl. a.a.O., These 9.
(163) Vgl. zur Funktion bzw. dem Zweck des Staates Israel v.a. die Ausführungen in 4.2.3.
(164) Vgl. 6.7.
(165) Das Attribut des Schildes (magen) findet sich z.B. in Gen 15,1; Dtn 33,29, aber auch im ersten Abschnitt der Amida: „König, Retter, Helfer und Schild“.
(166) Vgl. Gen 15,1: „Fürchte Dich nicht!“
(167) Vgl. Gen 22,17: „…die Tore seiner Feinde einnehmen“.
(168) Vgl. dazu 5.3.
(169) Jos 21,43f.; vgl. auch Jos 1,13b.
(170) Nuach im Qal bedeutet auch „sich niederlassen“, „bleiben“, „ruhen“.
(171) Vgl. Ex 23, 20ff.
(172) Vgl. F. Crüsemann: Die Tora, München 1992, S. 155f.
(173) So der Luth. Weltbund, zit. bei G. Gronauer, a.a.O., 293.
(174) Vgl. zu dazu http://www.gutefrage.net/frage/hintergruende-zur-redenwendung-mantel-saum-der-geschichte-ergreifen.