Brot als religiöses Symbol

von Stefan Meißner

 

Orthodoxes Abendmahlsbrot

Gottes Fürsorge in der Geschichte

Erst da wo Menschen die Sorge um ihr „tägliches Brot“ (Mt 6,11) abgenommen ist, wo sie nicht nur am Existenzminimum dahin vegetieren, sind sie in der Lage, ihr Leben sinnvoll und menschenwürdig zu gestalten. Gott erweist sich in der Geschichte immer wieder als der, der den Hungrigen Sättigung verspricht (1 Sam 2,5; Lk 6,21), der denen Brot gewährt, die ihm darum bitten. Klassischen Ausdruck hat diese Zuversicht in der Bitte des Vaterunsers (Mt 6,11par) um das „tägliche Brot“ gefunden. Was damit gemeint ist, erläutern vielleicht am besten einige Verse aus der alttestamentlichen Weisheitsliteratur: „Armut und Reichtum, die gib mir nicht, brich mir nur das Brot, das ich brauche! Ich möchte nicht übersatt werden, dass ich dich verdränge und frage: Wer ist der Herr? Ich möchte aber auch nicht so verarmen, dass ich zum Dieb werde und mich am Namen meines Gottes vergreife“ (Spr 30,8f.).

Das ist keine bloße Äußerlichkeit, sondern gehört geradezu zum Wesen Gottes, dass er sich sozusagen „in Brotgestalt“ seinem Volk zuwendet und es so von der ständigen Sorge um die materielle Existenz befreit (Ex 16,1ff.; 1 Kön 17,1ff.; Mk 6,30ff.). So kann man in der Gabe des Manna in der Wüste „ein gnädiges Zeichen für Gottes Fürsorge“ (B.Child, Exodus, 303) sehen, mit dem dieser seinem Volk demonstriert, dass er es trotz seines Murrens zu tragen und zu ertragen bereit ist. Diesen ersten, rein materiellen Aspekt fest zu halten, scheint mir gerade in einer Gesellschaft notwendig zu sein, deren Wohlstand in nicht unbeträchtlichem Maß auf der Ausbeutung von Menschen in wirtschaftlich schwächeren Ländern beruht.

Gottes Fürsorge jenseits der Geschichte

Wo Gott in der Geschichte seinem Volk Brot gewährt, muss dies stets als eine (wenngleich bruchstückhafte) Vorwegnahme dessen verstanden werden, was Gott jenseits aller Geschichte für sein Volk bereit hält. Das Brot weist über sich selbst hinaus, es steht als Symbol für die eschatologische (d.h. endzeitliche) Hoffnung auf ein Leben ohne materielle Not. Jesaja verleit dieser Hoffnung folgendermaßen Ausdruck: „So wird er deinen Samen, den du auf den Acker gesät hast, Regen geben und Brot von des Ackers Ertrag, und desselben voll Genüge“ (Jes 30,23). Nach jüdischem Glauben folgt auf die erste Heilszeit in der Wüste eine zweite, endgültige Heilszeit, in der der Messias das Mannawunder des Mose wiederholen wird (syrBar 29,8; Str.-Bill II,481;IV,890.954). Jesus knüpft bewusst an diese prophetische Hoffnung an (Ex 16,1ff.; 1 Kön 17,8; 2 Kön 4,42ff.), indem er das hungrige Gottesvolk speist. Mattäus und Markus, der älteste Evangelist, erzählen von zwei Massenspeisungen Jesu: einmal 5000 Menschen (Mk 6,30ff.), das andere Mal 4000 Menschen (8,1ff.par.). Lk und Joh verschmelzen die beiden Texte zu einem Geschehen. Die heilsgeschichtlichen Reminiszenzen sind bei allen Evangelisten herauszuhören: Wie bei Mose findet die Speisung in der Wüste statt, bei Johannes (6,4) wird mit der Datierung auf ein Passafest eine zusätzliche Verbindung zum AT geschaffen.

Wie auch das jüdische Passafest nicht nur einen Rückblick auf die bereits erfolgte Rettung in der Geschichte enthält, sondern zugleich auch einen Ausblick auf die künftige Zuwendung Gottes am Ende der Tage, so feiern auch die Christen das Abendmahl im Gedenken an das Leben und Sterben Jesu, zugleich aber auch in Erwartung seiner verheißenen Wiederkunft (Mt 26,29; Mk 14,25; Lk 22,18; vgl. auch 1 Kor 11,26b). In Jesus, dem „wahren Lebensbrot“ (Joh 6,51), erfüllen sich die alten Hoffnung seines Volkes auf ein Leben ohne Not, Leid und Gefahr.

Gemeinschaft Gottes mit den Gläubigen

Das kollektive Essen von Brot stiftet Gemeinschaft. Regelmäßig die Mahlzeit mit jemandem zu teilen, heißt schon im AT, sein Freund, sein Vertrauter zu sein (Ps 41,10). Wenn die Israeliten im Jerusalemer Tempel Speiseopfer darbrachten, so kann das als symbolische Tischgemeinschaft mit der Gottheit verstanden werden. Auch die jüdische Erwartung eines messianischen Banketts am Ende der Tage gehört in diesen Vorstellungskreis. Im NT kommt Gott im Mahl besonders den sozial Deklassierten nahe. Wenn Jesus mit Zöllnern und Sündern (Mk 2,13-17par.) isst, stellt das eine Gemeinschaft her mit solchen, die sonst als Außenseiter galten. Das Gemeinschaftsmotiv spielt auch beim Abendmahl eine Rolle: Wenn Jesus Brot und Wein unmittelbar auf sich bezieht (Mk 14,22-24; 1 Kor 11,23-25), stellt er eine Verbindung zu den Jüngern her, die seinen Tod überdauert. Auch nach seinem Weggang bleibt er gegenwärtig in Brot und Wein. Im Zeichen seines Blutes erneuert Jesus den Bundesschluss Gottes mit seinem Volk Israel am Sinai und erfüllt so die Weissagung Jeremias von einem „Neuen Bund“ (Jer 31,31-34).

Orthodoxer Brotstempel für das Abendmahlsbrot

Gemeinschaft der Gläubigen untereinander

Diese Gemeinschaft Jesu mit den Menschen im Abendmahl zieht nun die Gemeinschaft der Gläubigen untereinander nach sich: „Durch das Essen von dem einen ausgeteilten Brot bekommen die Tischgäste Anteil an der Heilswirkung des in den Tod gegebenen Leides Jesu und werden dadurch zusammengeschlossen zu der Gemeinschaft des (ekklesiologischen) Leibes Christi“ (F. Lang, NTD 7, 152, im Blick auf 1 Kor 10,16f.; ähnlich J. Gnilka, EKK Bd.2, 244). Eben diese soziale Barrieren überwindende Gemeinschaft (gr. „koinonia“) sah Paulus im Abendmahlsstreit der Korinther gefährdet (1 Kor 11). Deshalb ermahnte er die Reichen in der Gemeinde bei den Gemeinschaftsmählern auf die Ärmeren, die noch länger arbeiten mussten, zu warten und nicht schon mit Essen und Trinken anzufangen. Eine kultische Handlung wie das Abendmahl, die nicht in ein entsprechendes Ethos eingebettet ist, ist wertlos. Oder einfacher ausgedrückt: Die vertikale Beziehung zu Gott ist ohne die horizontale Beziehung zum Mitmenschen wertlos. (vgl. G. Theißen, Soziale Integration und sakramentales Handeln, 304). Ganz ähnlich hatten bereits der Prophet Amos seinem Volk vorgeworfen, die Schwachen zu unterdrücken und die Armen zu zermalmen (Am 4,2). Was nützt es, Gott gesäuertes Brot zu opfern (4,5), wenn diesem Gottesdienst kein Dienst am bedürftigen Mitmenschen korrespondiert? „Ich hasse eure Feste“, richtet Amos das Wort Gottes aus, „ich verabscheue sie und kann eure Feiern nicht riechen. Wenn ihr mir Dankopfer darbringt, ich habe kein Gefallen an euren Gaben, und eure fetten Heilsopfer will ich nicht sehen“ (Am 5,21f.). Die Folge: „Ich ließ euch hungern in all euren Städten, ich gab euch kein Brot mehr in all euren Dörfern“ (4,6).

Gemeinschaft der Gläubigen mit den Notleidenden der Welt

Dieser prophetische Text ist weniger kult- als sozialkritisch: Nicht der Tempelkult an sich ist das Problem, sondern die gleichzeitige Gleichgültigkeit gegenüber der Not der Mitmenschen. Wir sollten nicht die uns unverdient Zuteilgewordene Zuwendung Gottes als einen Besitz ansehen, den wir anderen vorenthalten dürfen. Wenn wir, wie die Jünger in der Brotvermehrungsszene (Mk 6,30ff.; 8,1ff.), das Vorhandene teilen, reicht es für alle aus. In Verantwortung gegenüber denen, die in Not und Elend leben und als Zeichen der Solidarität mit ihnen sind wir aufgerufen, dem Hungrigen unser Brot zu brechen (Jes 5,7; Ez 18,7; Spr 22,9). Denn was immer wir einem der geringsten Brüder Jesu tun, tun wir ihm selbst (Mt 25 25,40). Dieser Bruder ist nicht nur der Mitchrist, es ist der Menschenbruder allgemein, den Gott wie uns nach seinem Ebenbild erschaffen hat. Ihn sollen wir lieben wie uns selbst, oder wie es in einer jüdischen Übersetzung dieses Gebotes heißt: „Liebe deinen Nächsten, denn er ist wie du!“

Vergebung der Sünden

Gott erweist seine Wohltaten trotz des offenen oder versteckten Widerstandes, den die Menschen ihm immer wieder entgegen bringen. Die Vorräte der Witwe von Zarpat werden wundersam vermehrt, obwohl sie zunächst dem Gottesmann Elia das erbetene Brot vorenthält (1 Kön 17,12). Das Volk Israel wird mit Manna gespeist trotz seines Murrens (Ex 16,2) und trotz seines Ungehorsams den göttlichen Weisungen gegenüber (Ex 16,20.27). Ebenso hört Jesus bei der Brotvermehrung großzügig über die zweifelnden Einsprüche der Jünger hinweg (Mk 8,4par.). Das alles aber wird überboten durch die sündenvergebende Wirkung, die vom Tod Jesu ausgeht. Wenn die Synoptiker in der Abendmahlsüblieferung vom „Ausgießen“ (gr.: ekcheo) des Blutes reden (Mt 26,28; Mk 24,24; Lk 22,20), deuten sie damit bereits den gewaltsamen Tod Jesu an. Ähnlich wird man auch das „Brechen“ des Brotes als einen Hinweis darauf deuten können, dass sein Leib der Marter ausgesetzt werden sollte. Der Sinn dieses Leidens liegt nach der übereinstimmenden Meinung der neutestamentlichen Schriften darin, dass dadurch die Sünden „der vielen“ (Mk 11,24) bzw. „unsere Sünden“ (Lk 22,20, 1 Kor 11,24) vergeben werden.

Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von jedem Wort, das ausgeht vom Mund unseres Herrn. So weist das Lebensmittel Brot immer auch über sich hinaus, wird zu Symbol für das was Gott an uns tun und von uns erwartet:
1. Brot steht für die elementaren Bedürfnisse, für alles was wir als Menschen zu einem Leben in Würde und Anstand brauchen. Dabei wird das Sattwerden hier und heute zugleich als Angeld und zeichenhafte Vorwegnahme dessen verstanden, was Gott jenseits dieser Zeit und Welt für uns bereit hält.
2. Brot stiftet Gemeinschaft: In der vertikalen Dimension die Gemeinschaft der Menschen mit Gott, ihrem Schöpfer, in der horizontalen Dimension die Gemeinschaft der Menschen untereinander. Das eine bedingt das andere und zieht es nach sich.
3. Brot steht außerdem für die Bereitschaft Gottes, uns Menschen auch im Scheitern beizustehen. Nirgends ist dieser Gedanke stärker verdichtet als in der Rede vom Brot, das „für uns“ gegeben wird zur Vergebung der Sünden.

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