Die Vernichtung der Familie Kusel aus Pirmasens

von Frank Eschrich


Das Lager Sobibor in in Südostpolen

Rosa Kusel wurde am 22. Februar 1872 in Pirmasens geboren und wohnte in der Häfnersgasse 12. Ihr Mädchenname war Hirsch. Im historischen Adressbuch der Stadt Pirmasens von 1925 wird unter dieser Adresse Isidor Kusel als Mieter genannt. Wann Rosa Hirsch geheiratet hat, zu Rosa Kusel wurde und woher ihr Ehemann Isidor Kusel stammt, ist noch nicht recherchiert. Rosa Kusel brachte am 21. Juni 1906 ihre Tochter Paula Kusel und am 21. Juni 1909 ihre Tochter Betty Kusel in Pirmasens zur Welt. Die beiden Mädchen verbrachten ihre Kindheit und Jugend in der Häfnersgasse in Pirmasens. In der Zeit nach 1925 wird Rosa Kusel als „verwitwet“ geführt. Das Todesdatum ihres Ehemannes Isidor ist unbekannt.

Die älteste Tochter von Rosa Kusel, Paula Kusel, bringt ledig ihre Tochter Ilse Rose Kusel am 4. April 1937 in Frankfurt am Main auf die Welt, wo sie zwischenzeitlich als Verkäuferin arbeitet. Paula kehrt aber noch im Jahr 1937 mit ihrer kleinen Tochter Ilse nach Pirmasens zurück. Die kleine Ilse Kusel wird in einer Deportationsliste der Pirmasenser Stadtverwaltung vom 17. November 1938 als wohnhaft in der Häfnersgasse 12 geführt. Ilse Kusel ist zu diesem Zeitpunkt mit 17 Monaten das jüngste von 30 jüdischen Kindern, deren Schicksal mit der Aufnahme in die Liste der „Juden und Mischlinge 1. & 2. Grades“ damit besiegelt ist (vgl. StA PS A 001.53).

Rosa ,Paula und Betty Kusel sind wohl in Folge der Evakuierung im September 1939 von Pirmasens nach Halle an der Saale gezogen. Dort werden die drei Frauen ab dem 22. Januar 1940 im Melderegister geführt und waren zunächst im „Jüdischen Altersheim“ in der Boelckestraße 24 untergebracht. Dieses sogenannte Altersheim war ein berüchtigtes Ghettohaus für Juden mit unbeschreiblichen räumlichen und hygienischen Zuständen. Kurz vor ihrer endgültigen Deportation wurden die 70-jährige Rosa Kusel und ihre Tochter Paula noch in die Straße „Großer Berlin Nr. 8“ verbracht, wo die Stadt Halle in der ehemaligen Synagoge ein Siechenhaus für die Todgeweihten eingerichtet hatte. Von hier aus verließen Rosa und Paula Kusel zusammen mit 1009 weiteren Jüdinnen und Juden am 1. Juni 1942 das Reichsgebiet, wurden zunächst in das Transitghetto Izbica und von dort aus weiter in des Vernichtungslager Sobibor in Südostpolen deportiert. Dort wurden Rosa und Paula Kusel zwei Tage später am 3. Juni 1942 vergast.

Im Vernichtungslager Sobibor fanden insgesamt 250.000 Menschen den Tod. In den Jahren 1940 bis 1941 wurden dort innerhalb der „Aktion Reinhardt“ vorwiegend polnische Juden ermordet. Ab 1942 wurden auch Juden aus dem Reichsgebiet, insbesondere aus dem Rheinland und Hessen, nach Sobibor deportiert. Mitte April 1942 wurden etwa 250 Juden aus einem nahegelegen Arbeitslager bei einer der ersten „Probevergasungen“ des Holocausts umgebracht. Ihr Martyrium zog sich auch im Vergleich zu anderen Gräueltaten der Nazis besonders qualvoll hin und soll bis zum Eintreten des Todes mehr als eine Stunde gedauert haben. Anfang Mai bis Ende Juli 1942 wurden 90.000 Juden inzwischen industriell in Sobibor getötet; danach musste die Aktion aus logistischen Gründen unterbrochen werden. Am 16. Juli 1942 beschwerte sich deswegen der persönliche Adjutant Heinrich Himmlers, SS-General Karl Wolff, beim Staatssekretär Albert Ganzenmüller über Gleisbaureparaturen auf der eingleisigen Strecke zum Vernichtungslager Sobibor. Dieser versprach, die Transportkapazitäten in andere Vernichtungslager zu steigern und die Arbeiten bis Oktober abzuschließen. In Sobibor wurde diese Zeit genutzt, um die drei vorhandenen Gaskammern durch zusätzliche Räume zu erweitern und die Kapazität damit auf etwa 1.200 Opfer pro Durchgang zu verdoppeln.

Die jüngere Tochter von Rosa Kusel, Betty Kusel, wurde am 27. Februar 1940 von Halle nach Berlin verschleppt und dort als Zwangsarbeiterin eingesetzt. Am 28. März 1942 wurde Betty Kusel von Berlin aus in das Ghetto Piaski verbracht, das zusammen mit Izbica Transitstation für das Vernichtungslager Sobibor war. Ob Betty Kusel auf Grund ihrer verwandtschaftlichen Verhältnisse zu Rosa und Paula Kusel dorthin deportiert und ob sich die Familie vor ihrem Tod in der Gaskammer noch einmal wieder gesehen hat, ist nicht überliefert. Das genaue Todesdatum von Betty Kusel ist unbekannt.

Ob die kleine Ilse Kusel zunächst noch bei ihrer Familie in Halle leben durfte, oder direkt von Pirmasens in ein Kinderheim deportiert wurde, ist nicht bekannt. Ab Mitte August 1941 ist die zu diesem Zeitpunkt 4-jährige Ilse Kusel im Neu-Isenburger Heim des jüdischen Frauenbundes registriert. Von dort wird das Kleinkind zunächst in das Jüdische Kinderheim in die Fehrbelliner Straße 92, dann in die Auerbachsche Waisenanstalt in die Schönhauser Allee 162 nach Berlin verlegt. Das Leben von Ilse Kusel währt von da an nur noch kurz. Am 29. November 1942 wird das Kind in Auschwitz vergast.

Der Autor ist Mitglied im AK Geschichte der Juden in Pirmasens
Bild: Jacques Lahitte, Wikipedia Commons

Quellen
Yad Vashem, Jerusalem, Gedenkbuch Bundesarchiv, Gedenkbuch Halle, Gedenkbuch Neu-Isenburg, Bildungswerk Stanislaw Hantz, Familie Tenhumberg, Wikipedia, Stadtarchiv Pirmasens

Links zur Geschichte der Juden in Pirmasens
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