Delegiertenversammlung der KLAK tagte in Jerusalem
von Hans Jürgen Müller
![]() |
Frau Dr. Ayalla Schwartz im
Kreis der KLAK-Delegierten |
Im Januar 2003 hatte die Delegiertenversammlung der Konferenz Landeskirchlicher Arbeitskreise "Christen und Juden" (KLAK) beschlossen, im Jahr 2004 das jährliche Zusammentreffen nicht wie sonst stets in Berlin, sondern in Jerusalem stattfinden zu lassen. Motiv für diese Entscheidung war, der Bevölkerung in Israel unsere Verbundenheit in einem Alltag zu zeigen, der immer wieder durch Terroranschläge mit schrecklichen Folgen geprägt ist. Aber auch Menschen in Palästina sollten besucht werden in einer Situation, der die üblichen Touristenströme ausbleiben. Es ging und geht uns darum, den Bekenntnissen zahlreicher kirchlicher Erklärungen Taten folgen zu lassen. Trotz der Tatsache, dass die Delegierten die Mehrkosten aus eigener Tasche bezahlen mussten, waren in Jerusalem nahezu alle landeskirchlichen Arbeitskreise vertreten, 36 Einzelpersonen aus 18 Landeskirchen.
Vorweg sei hier gesagt, was wir so auch vorher eingeschätzt hatten: Reisen nach Israel sind möglich, wünschenswert, verantwortbar und in jedem Falle eine große Bereicherung für die eigene religiöse Identität und die politische Beurteilung des Konfliktes zwischen Israel und den Palästinensern. Wer Israel besucht, dort mit Menschen zusammentrifft und die Augen offen hält, wird sehen und erleben, dass das durch die Medien vermittelte Bild von Israel als einem hochexplosiven Krisengebiet zumindest überzogen ist.
Projekte und Experimente – eine andere Wahrnehmung der Situation in Israel und Palästina
Gespräche mit Menschen in dem Land haben uns deutlich gemacht, wie unterschiedlich wir von Europa aus den Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern im Vergleich zur Wahrnehmung der Israelis selbst sehen. Durch unsere Medien erscheint Israel als der martialisch gerüstete, Gewalt provozierende Goliat, die Palästinenser hingegen als der schwache, der Willkür ausgelieferte David. In Israel werden die Konfliktparteien in umgekehrter Weise wahrgenommen: Israelis sehen sich mit ihrem kleinen Landstrich entlang des Mittelmeeres eher in der Rolle des David, bedroht von großen arabischen Ländern, die in der Regel keine demokratischen Strukturen kennen und zum Teil Gewalt gegen Israel offen oder versteckt unterstützen. Als großes Problem wird ebenso gesehen, dass auf palästinensischer Seite nur unzureichend zuverlässige Gesprächspartner zur Verfügung stehen. Während unseres Aufenthaltes konnten wir dies sehr direkt erleben. Das Attentat auf den Stadtbus in Jerusalem am Donnerstagmorgen verübte ein Polizist der palästinensischen Autonomiebehörde.
![]() |
![]() |
Dr. Johannes Gerster, Adenauer-Stiftung |
Dr. Yaakov Guggenehim, Hebrew-University |
Erfrischend und für manche Debatte in Deutschland/Europa wegweisend, waren
sehr klare Worte des Länderbeauftragten der Konrad-Adenauer-Stiftung, Dr.
Johannes Gerster: Mit jemandem, der glaubt, er müsse unbedingt herausfinden,
wer am Nahostkonflikt die Schuld trage, brauche man eigentlich nicht weiter
zu diskutieren.
Solche Gespräche seinen unfruchtbar und brächten eine Lösung
des Konflikts nicht näher. Statt auf die Frage nach Schuld bzw. danach,
wer Recht habe, zu schauen, sei es wichtig, den Blick auf das zu richten, was
an positiven Ansätzen da sei, z. B. darauf, dass untergeordnete Delegationen
von israelischer und palästinensischer Seite ihre Konsultationen auch während
der Intifada II fortgeführt haben, oder auf Projekte wirtschaftlicher Zusammenarbeit,
z. B. ein Projekt der Getränkeindustrie: In Gaza wird der Inhalt produziert
und in Flaschen gefüllt, die aus Israel geliefert werden, anschließend
geht das fertige Produkt wieder nach Israel. Auf diesen Ebenen wird beiden Seiten
deutlich, dass es eine Zukunft nur mit dem anderen gibt. An diesen Punkten Einfluss
zu nehmen, Hilfestellungen zu geben, darin sieht Dr. Gerster eine Aufgabe seiner
Tätigkeit in Israel.
Ganz ähnlich, aber von einer theologisch-philosophischen Sicht her, drückt
das Pfarrer Jadallah Shehade aus, wenn er sagt: „Das Glück des einen
Volkes hängt vom Glück des anderen Volkes ab.“ Shehade ist Leiter
der in Beit Jalla neu eröffneten „Abrahams
Herberge“, die wir besuchten und dort Christinnen und Christen in
den besetzten Gebieten begegneten.
Der Besuchstag (Donnerstag, der 29. Januar) stand unter dem Zeichen des Attentats
auf den Stadtbus und der Trauer über die inzwischen 11 Toten und fast 50
verletzten Menschen. Wir spürten sogleich die Auswirkungen des Attentats.
Etwa eine dreiviertel Stunde nach dem Attentat konnten wir mit unserem Bus den
Checkpoint auf der Straße von Jerusalem nach Bethlehem nicht mehr passieren.
Die Ortskundigen unter uns konnten die Gruppe dann doch noch nach Beit Jala
führen. So sehr dabei der Terror einerseits, die militärische Besatzung
andererseits präsent wurden, so wichtig war es dann auch, die nun fertige
Abrahamsherberge zu sehen und dort auch von der Arbeit des Arab
Educational Institute (AEI-Bethlehem) zu hören.
Wiederum rückte nicht die Klage über die langanhaltende schwierige und angespannte Situation in den Mittelpunkt, sondern das, was an zukunftsweisenden positiven Ansätzen von der Gemeinde angesichts des Konflikts getan wird. Pfarrer Shehade erzählte von seiner Arbeit mit Jugendlichen, davon, wie die Gemeinde versucht, christliche und muslimische Jugendliche von der Straße zu holen. So fand 2003 ein Musik-Workshop statt, in dem christliche und muslimische Jugendliche eine Woche lang zusammen waren und gemeinsam Musik machten. Am Ende jener Zeit wurde ein Gottesdienst gefeiert, in dem die Jugendlichen vorstellen konnten, was sie während der Woche getan hatten. Sie schmückten sich mit einem Palmzweig (es war Palmsonntag), einer der muslimischen Jugendlichen steckte sich auch solch einen Palmzweig an und meinte auf Nachfrage, dass er eben ein 'christlicher Muslim‘ sei. Jadallah Seihade betonte, dass es nicht darum ginge, aus Muslimen Christen zu machen, dass dieser Satz des Muslim aber ein Zeichen für gelingende Integration sei, die Unterschiede nicht wegwische, aber das Gefühl der Einheit für gemeinsame Aufgaben stärke. Abrahams Herberge soll zukünftig der Ort sein, an dem derartige Begegnungen häufiger stattfinden können und sollen, möglichst mit jüdischer Beteiligung. Doch das ist zur Zeit eher Wunsch denn Realität.
Die Delegation des Arab Educational Institute stellte uns die Geschichte des Instituts vor, dessen Ziele und ein Projekt, das in Kontakt mit israelischen Schulen entwickelt wurde. Das Projekt sowie die gesamte Arbeit des Instituts ziele auf Friedenserziehung. Für das Projekt mit dem Titel „Gemeinsam im Heiligen Land leben unter Anerkennung der Differenzen“ wurden drei Unterrichtseinheiten entwickelt: eine zu den drei abrahamitischen Religionen, eine zu dem Thema Barmherzigkeit und Gerechtigkeit in den drei Religionen, eine zur Bedeutung des Landes in diesen Religionen. Wieder ein Beispiel – hier nun von palästinensischer Seite – für den Versuch, ein gedeihliches Zusammenleben anzustreben und dafür auch konkret etwas zu tun. Dies immer wieder wahrzunehmen, davon zu erzählen, bleibt Aufgabe, auch wenn wir bei unserer Rückkehr von der anderen Realität des Konflikts eingeholt wurden. Wir mussten Beit Jala überstürzt verlassen, weil sich das Gerücht ausbreitete, dass der Attentäter aus Beit Jala gekommen sei. Eine daher zu erwartende Ausgangssperre hätte uns den Rückweg schwierig gemacht.
Wie unterschiedlich weite Teile der israelischen Bevölkerung einerseits
und Europäer andererseits – zumindest im Hauptstrom der Meinungen
– denken und fühlen, das konnten wir par excellence bei einer Besichtigung
der Mauer, des Zaunes oder Trennwalles, wie immer das Gebilde benannt werden
soll, erleben. Auf Wunsch einiger aus der Gruppe fuhr unser (israelischer) Bus
dorthin, bzw. genauer: machten sich Busfahrer und Reiseleiterin auf die Suche
nach der Mauer. Als wir sie bei Abu Dis erreichten, stiegen wir aus und unter
unserer Gruppe entbrannte eine emotional so heftige Diskussion über den
politischen Sinn der gewiss 8-10m hohen Mauer, dass die Reiseleiterin uns schnell
wieder zurück in den Bus beorderte. Dann verdeutlichte sie, warum viele,
auch links-stehende Israelis, für den Bau der Mauer sind. Nach dem Anschlag,
den wir einen Tag zuvor erlebt hatten, war das Argument
des Verlangens nach Sicherheit nicht einfach abzutun. Freilich bleibt die Frage,
ob diese notwendige, so sehr gewünschte und zu wünschende Sicherheit
mit dem Bau des Sicherheitszaunes wahrscheinlicher wird oder ob nicht vielmehr
politisch ein größerer Scherbenhaufen angerichtet wird.
![]() |
![]() |
Junge Israelis in einem Park |
Warten am Checkpoint |
Israels Politik: Die Intifada als alleiniges Thema
Am 27. Januar, in Deutschland seit 1996 Gedenktag für die Opfer des National-sozialismus,
jährte sich zum 59. Mal der Tag der Befreiung von Auschwitz durch die Rote
Armee. An diesem Tag besuchten wir die Gedenkstätte Yad Vashem. Welche
Rolle spielt der Holocaust im öffentlichen Diskurs in Israel, so lautete
eine unserer Fragen, zu deren Beantwortung wir David Witzthum, den Chef der
Auslands-berichterstattung der Israel Broadcasting Association (TV), eingeladen
haben. Er entfaltete zunächst, wie der Holocaust Ende der 70er, Anfang
der 80er Jahre in der Regierungszeit von Menachem Begin in den Mittelpunkt der
politischen Diskussion und gemeinsamen Erinnerung rückte, wie sich die
Einstellung zu ihm wandelte, von einer nationalen Aufgabe hin zu einem politischen
Gegenstand, der als Schicksal angesehen wurde, das alle Juden eint. Spätestens
seit dieser Zeit verlaufen die Bruchlinien in der israelischen Gesellschaft
nicht mehr zwischen links und rechts, sondern zwischen Gruppen unterschiedlicher
ethnischer Herkunft. Linke Intellektuelle waren z. B. bereit, mit dem Rechtspolitiker
Begin aufgrund dessen Einstellung zum Holocaust Übereinstimmung zu zeigen,
alle anderen Trennlinien zu ihm verschwanden dahinter.
Mit der zweiten Intifada entschwindet der Holocaust zunehmend ins Unter-bewusstsein
der Gesellschaft, und die Intifada mit dem Terrorismus, dem Mauerbau und dem
wieder neu auflodernden Antisemitismus in Europa wird zum beherrschenden Thema.
Begleiterscheinung dieser absoluten Vorrangstellung eines einzigen innenpolitischen
Themas ist der Ausfall eines politischen Diskurses in Israel; eine politische
Linke, so Witzthum, sei von der politischen Landkarte in Israel verschwunden.
Scharon ist programmatisch nicht greifbar, er vertritt hier linke Politik (Mauerbau,
Schaffung eines Palästinenserstaates), an anderer Stelle – besonders
im wirtschaftspolitischen Bereich – eine neoliberale Politik, wieder an
anderen Stellen erzkonservative Politik. Insgesamt zeichnete Witzthum ein düsteres
Bild. Wo und wofür israelische Politik augenblicklich stehe, darüber
bestehe eine tiefe Ratlosigkeit; das bedeute in der Folge, dass die verschiedenen
gesellschaftlichen Diskurse, wie Holocaust, wie ethnische Trennlinien völlig
lahmgelegt seien.
Die Bedeutung des Landes in den drei Religionen
Einen Studientag widmeten wir der Frage, welche Bedeutung das Land in Judentum, Christentum und Islam hat. Hierzu waren Frau Dr. Ayalla Schwartz, Religionsphilosophin und Initiatorin des Programms „Religious study as a forum of civil dialogue“, Dr. Mohammed Khourani, Islamwissenschaftler und Mitarbeiter am Hartmann-Institut, und Dr. George Khoury, Psychologe, melkitischer Priester und ehemaliger Vorsitzender des christlichen Gerichts in Nazareth, eingeladen. Mit Textstudium, Referat und Gespräch haben die Referenten versucht, ihre jeweilige Position zu vermitteln. Ohne auf die einzelnen Inhalte näher einzugehen, erscheinen mir zwei Punkte erwähnenswert. In den entfalteten Positionen wurden Ähnlichkeiten zwischen jüdischem und muslimischem Konzept der Antwort nach der Bedeutung des Landes deutlich; für beide hat die Heiligkeit des Landes mit Abraham zu tun. Überraschend war die Deutung einer muslimischen Quelle. Als Mohammed von den Engeln eingeladen wurde, von Mekka nach Jerusalem zu reisen, traf er sich dort mit anderen Profeten, u. a. mit Isaak und Jesus, alle zusammen halten sie ein interreligiöses Gebet. Sie stellten dabei fest, dass Jerusalem, insbesondere der Platz um den Tempel, ein religiöser Ort für alle sei, konkurrenzfrei. Dr. Khoury als christlicher Vertreter betonte, dass in der christlichen Tradition der Mensch und die Menschen-würde eine höhere Bedeutung habe als das Land. Bedeutsam erscheint mir, dass Dr. Khoury als arabischer Christ davon reden konnte, dass Gott sein Volk Israel erwählt habe und bleibend zu dieser Erwählung stehe.
Dr. Michael Krupp knüpfte bei der Vorstellung der Israel Interfaith Association am Samstag Abend noch einmal an diese Thematik an, als er herausstellte, welch wichtige Rolle die Religion seiner Meinung nach für den politischen Prozess spielt. Nur wenn sich die Auslegungstraditionen durchsetzen, die in den jeweiligen Religionen die Versöhnungslinien herausarbeiten, habe Frieden eine Chance. Die Hauptprobleme und Bruchlinien liegen dabei zwischen Christen und Muslimen einerseits und zwischen Juden und Christen andererseits. Die theologischen Probleme sind zwischen diesen beiden Paaren zum Teil gravierend, zwischen Juden und Christen kommt noch der palästinensisch-israelische Konflikt hinzu.
Für die interreligiöse Arbeit wurde die Arbeit durch die zweite Intifada erheblich erschwert. Für Palästinenser ist die Einreise nach Israel oftmals nicht möglich, Israelis dürfen umgekehrt nicht in die besetzten Gebiete, da für sie die Gefahren in diesen Gebieten zu groß sind. Der interreligiöse Dialog lebt heute in starkem Maße von Kontakten, die vor der Intifada entstanden und die auch erhalten geblieben sind.
![]() |
![]() |
Shaare-Zedek-Krankenhaus |
Modell-Schule Nissui
in der Rechov Akiva |
Besuche
a) Konrad-Adenauer-Stiftung
Ein Ereignis der besonderen Art war für die Delegiertenkonferenz der Empfang
bei der Konrad-Adenauer-Stiftung. Im Rahmen einer Podiumsdiskussion zum Thema
„Antisemitismus in Deutschland heute – eine israelische und eine
deutsche Sichtweise“ wurden die Delegierten der KLAK eigens vor einem
Publikum von ca. 350 Personen begrüßt und lobend erwähnt, dass
sie die Konferenz in Jerusalem abhalten. Auf diese Weise wurde der Besuch und
das Motiv des Besuches, den Menschen in Israel und den besetzten Gebieten Solidarität
zu zeigen, zumindest einer kleinen Öffentlichkeit in Jerusalem bekannt
gemacht. Die Diskussion selbst, die ganz in deutscher Sprache geführt wurde,
blieb in eher bekannten Gleisen, strittig war unter den Podiumsteilnehmern/in,
ob klar und eindeutig benennbar ist, wo Antisemitismus beginnt. Prof. Dr. Moshe
Zimmermann bejahte dies, während die anderen Vertreter auf dem Podium (Ricklef
Münnich, Hanna Lehming, Dr. Michael Krupp) mit einer klaren Antwort eher
vorsichtig waren. Eine hitzige Diskussion entbrannte unter den zum größten
Teil der deutschen Sprache mächtigen Teilnehmenden über die Frage,
inwiefern die israelische Politik mit verantwortlich gemacht werden könne
für einen neuen Antisemitismus in Europa bzw. ob dieser durch Kritik an
der Politik Israels geschürt werde.
b) Evangelische Gemeinde zu Jerusalem
Zu einem Gespräch mit dem Pfarrer für Pilger- und Touristenseelsorge,
Rüdiger Scholz, waren wir in den Gemeindesaal der Propstei und Erlöserkirche
in der Jerusalemer Altstadt eingeladen worden. Pfarrer Scholz berichtete von
der aktuellen Tätigkeit, die geprägt sei von den massiv zurückgegangenen
Reisen von Touristen nach Israel. Er stellte heraus, dass die Gemeinde einerseits
der arabischen-lutherischen Kirche (ELCJ) verpflichtet sei, andererseits auch
am jüdisch-christlichen Dialog festhalte. So sei es ein fester Programmpunkt
im Gemeindeleben, einmal im Monat mit einem Rabbiner am Sonntagnachmittag einen
Abschnitt der Schrift zu studieren. Um diesen Spagat weiterhin aufrecht erhalten
zu können, sei es wichtig, dass der die Auslandsgemeinde mit dem deutschen
Propst der EKD unterstellt bleibe und nicht dem Bischof der Evagelisch-Lutherischen
Kirche von Jordanien (ELCJ), wozu Jerusalem gehört. Unmittelbar vor dem
Rückflug am Sonntag besuchten die Delegierten noch den Gottesdienst in
der Erlöserkirche.
c) Haus Pax
Einige der Delegierten waren zu früherer Zeit selbst Freiwillige von Aktion
Sühnezeichen in Israel oder waren durch ihre frühere Tätigkeit
anderweitig mit Aktion Sühnezeichen verbunden. Das legte einen Besuch im
Haus Pax in der Rechov Ein Gedi nahe. Sabine Lohmann, die dortige Studienleiterin,
empfing unsere etwa 10-köpfige Delegation und berichtete über die
Struktur des Freiwilligendienstes. Derzeit sind 15 Freiwillige in Israel. Zur
Hälfte der Arbeitszeit sind sie im sozialen Bereich tätig (Betreuung
von alten Menschen, Mitarbeit in Behnderteneinrichtungen), zur anderen Hälfte
in Yad Vashem oder vergleichbaren Instituten. Särkeres Gewicht will man
darauf legen, den Freiwilligen Kontakte zu Gleichaltrigen zu verschaffen. So
berichten sie z. B. vor oder nach dem Jom haShoa in Schulen von ihren Motiven,
in Israel zu arbeiten. Durch die Änderung des Zivildienstgesetzes steht
Aktion Sühnezeichen vor der Herausforderung, ein neues Freiwilligenprofil
zu erstellen.
Mit besonderer Spannung haben wir dann auf die Besichtigung des fortgeschrittenen
Rohbaus der Begegnungsstätte gewartet. Über die inhaltliche Konzeption
der Begegnungsstätte muss noch heftig diskutiert werden. Ganz grundlegende
Fragen müssen geklärt werden, so für wen das Haus sein soll:
sicherlich für Begegnungen, aber eben zwischen wem? Soll es in erster Linie
ein Haus für deutsche Gruppen sein? Oder ein Ort, an dem sich Palästinenser
und Israelis treffen können; aber welche Palästinenser, welche Israelis?
Wie soll es mit der Küche gehalten werden; soll diese koscher geführt
werden?
d) Krankenhaus Shaare Zedek
Parallel zum Besuch des Haus Pax fuhr eine andere kleine Gruppe zum Kranken-haus
Shaare Zedek, das vom Denkendorfer Kreis finanzielle Unterstützung erhält.
Das Krankenhaus wurde durch eine Deutsche Stiftung „Allgemeines jüdisches
Krankenhaus Schaare Zedek“ im Jahr 1902 ins Leben gerufen. In den Jahren
seines Bestehens wurde es immer wieder erweitert – und verfügt heute
u. a. über eine weltweit anerkannte Herzstation und über die wichtigste
Notfallambulanz in Israel (die derzeit völlig neu gebaut und erheblich
erweitert wird). Dramatisch war, dass der renommierte Leiter dieser Ambulanz
im vergangenen September durch einen Terroranschlag im Cafe Hillel ums Leben
kam (zusammen mit seiner Tochter, die am folgenden Tag heiraten wollte). Für
die Erweiterungen und Neubauten ist Shaare Zedek auf Spenden angewiesen!
e) Besuch der Modell-Schule Nissui in der Rechov Akiva
Durch das Attentat auf den Bus am Donnerstag, bei dem der Hausmeister dieser
Schule getötet wurde, musste der ursprünglich für Freitagvormittag
geplante Besuch auf Sonntagvormittag verschoben werden. Gleich im Eingangsbereich
finden wir zwei Todesanzeigen an der Pinnwand angeheftet, gegenüber Texte
und Bilder der Schülerinnen und Schüler. Der Schulleiter erklärte
uns, dass unmittelbar nach der Todesnachricht kein Unterricht möglich war,
dass man aber am Freitagmittag bewusst wieder versucht hat, den Unterrichtsbetrieb
aufzunehmen, um wieder zum Alltag zu gelangen.
Im Mittelpunkt der Nissui-Schule in der Rechov Akiva stehen die Schülerinnen
und Schüler, nicht der zu unterrichtende Stoff. Sie sollen gerne in die
Schule kommen und Eigeninitiative entwickeln. Diesen beiden grundlegenden Zielen
entspricht, dass die Schüler selbst bestimmen, in welchem Tempo sie lernen
und welche Inhalte für sie wann wichtig werden. Die Schule umfasst alle
Altersstufen: Kinder im Kindergartenalter bis hin zu Jugendlichen, die ihr Abitur
machen. Im Kindergartenbereich gibt es z. B. die Möglichkeit, von einer
Spielecke hin zu einer Ecke zu wechseln, wo sie Mathematik lernen oder wo sie
lesen und schreiben lernen. So werden fließende Übergänge geschaffen,
anstelle von Noten gibt es ausformulierte Beurteilungen und
Einschätzungen der Lehrerinnen und Lehrer. Zu diesem pädagogischen
Konzept passt, dass die Schule offen ist für behinderte Kinder. Autisten
sind zunächst in einer kleinen Gruppe, wo sie intensiv gefördert werden,
um dann in ‚normale‘ Klassen-verbände zu gehen.
f) Studium in Israel
Der neue Studienleiter von Studium in Israel, Andreas Wagner, kam mit fünf
von den in diesem Jahr in Jerusalem studierenden sechs deutschen Theologiestudenten
des Studienprogramms in unser Hotel. Neben dem Kennenlernen bekamen wir eine
erfreuliche Nachricht mit auf den Weg. Andreas Wagner arbeitet an einem Konzept
für ein ca. 3-4 Monate dauerndes Studium in Israel für Pfarrerinnen
und Pfarrer im Dienst. Ist das nicht die Gelegenheit, wenigstens einen Bruchteil
dessen nachzuholen, was manche/r noch nicht hat tun können?!
Dieser Bericht umfasst einige wichtige Stationen der Delegiertenversammlung
der KLAK, hat zwangsläufig auch viel weg gelassen: Spaziergänge durch
die Altstadt, Einkaufen und das damit verbundene Feilschen in der Altstadt,
die sehr gute Führung durch das Jerusalem des 19. Jahrhunderts durch die
hervorragende Reiseleiterin Anne Jarck, die vielen informellen Gespräche
unter den Delegierten, um nur einige weitere Punkte zu benennen.
Die Reise machte zahlreiche Begegnungen möglich, eröffnete neue Sichtweisen
und kann hoffentlich dazu helfen, dass wir als Teilnehmende mit unseren nun
frischen Erfahrungen das bei uns verzerrte Israelbild zurecht rücken und
ermutigen, in das Land zu reisen. Es kommt allen zu Gute: den Reisenden, der
jüdischen Bevölkerung, der palästinensischen Bevölkerung
Hans-Jürgen Müller
(mit einigen Anregungen von Alexander Deeg und Ricklef Münnich)
![]() |