Jahrhundertelang war die Rheinpfalz ein Siedlungszentrum der Juden in Mitteleuropa. Christen und Juden lebten in unserem Gebiet nebeneinander. Wir werden daran durch die jiddische Sprach erinnert, die im rheinpfälzisch-hessischen Raum entstanden ist. Viele Wörter der Pfälzer Mundart zeugen bis heute davon. In der Regel waren die Juden nur geduldet. Sie hatten unter Diskriminierung, Vertreibung und Pogromen zu leiden. Aber es gab auch Zeiten, in denen an einzelnen Orten aus dem Nebeneinander ein Miteinander wurde, eine gewisse Vertrautheit und Nachbarschaft entstand. Aufs Ganze der Geschichte gesehen verhinderte das christliche Überlegenheitsgefühl, den jüdischen Glauben überhaupt wahrzunehmen. Deshalb konnte man sich der vielfältigen Gemeinsamkeiten nicht bewußt werden.
Statt dessen wurde von Generation zu Generation judenfeindliches Gedankengut weitergegeben. So wurde es möglich, daß der christliche Antijudaismus in dem rassischen und wirtschaftlichen Antisemitismus aufgehen, ja diesen sogar ideologisch stützen konnte. Mit dieser Geisteshaltung glaubten weite Teile unserer Kirche, aus ihrer obrigkeitsstaatlichen Vergangenheit heraus, dem deutschen Volk dienen zu können. In der Zeit des Nationalsozialismus hat sich die Kirche , von Einzelnen abgesehen, nicht für die entehrten und bedrohten Juden eingesetzt und sich ihrer Vernichtung nicht entgegengestellt. Als vor 50 Jahren, am 22. Oktober 1940 die noch in der Pfalz verbliebenen Juden nach Gurs in Südfrankreich deportiert wurden, gab es keine Stimme des Protestes in unserer Kirche. Nach Krieg und Niederlage, als das ganze Ausmaß der Verbrechen und Schuld bekannt wurde, ging die Mehrheit einer aktiven Auseinandersetzung mit dem, was von Deutschen anderen Völkern, Andersdenkenden, Schwachen und Kranken und vor allem dem jüdischen Volk angetan worden war, aus dem Weg.
Um so bedeutsamer ist es für uns heute, daß unmittelbar nach dem Krieg der Anstoß zu einem Neubeginn des christlich-jüdischen Gesprächs von jüdischer Seite ausging. Es ist ein Zeichen der Hoffnung, daß dieses Gespräch in dieser Region und in anderen Ländern, nicht zuletzt in Israel, fortgesetzt wird.
1. Der Holocaust und das, wofür dieses Wort steht,
erschüttert zutiefst unser christliches Selbstverständnis.
Unsere Bitte um Vergebung unserer Schuld (5. Bitte des
Vaterunsers) schließt unsere Schuld gegenüber den Juden in
aller Welt, dem "Volk Israel" mit ein.
Die Mitschuld der Kirche an Verfolgung und Vernichtung, erwachsen
aus jahrhundertelanger Israelvergessenheit und Israelfeindschaft,
verlangt von uns, daß wir uns mit unserer eigenen
Glaubensgeschichte auf allen Ebenen (Forschung, Lehre,
Gemeindearbeit) auseinandersetzen.
2. Israel hat durch sein Leben als auserwähltes Volk und
durch die Treue zu seinem Gott auch im Martyrium Gott bezeugt.
Viele Juden sind mit dem Totengebet (Kaddisch
= Geheiligt werde dein Name) und mit dem Bekenntnis
"Höre Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr ist
einer" in den Tod gegangen. So waren sie in der
"Gottesfinsternis" Zeugen des Gottes Israels, der auch
unser Gott ist.
Der sterbende Jesus tritt mit den Wort des Ps. 22 in diese
Leidenstradition Israels ein (Mk 15).
3. Die bleibende Erwählung Israels verbietet es der Kirche,
Israel mit den Heiden gleichzustellen.
Der Missionsbefehl in Mt 28,19: "Darum gehet hin und
machet alle Völker zu Jüngern und taufet sie auf den Namen des
Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes" ist
mißverstanden, wenn Israel unter die "Völker"
gezählt ist.
Das von uns Christen geforderte Zeugnis gegenüber Israel ist die
Nachfolge Jesu. Diese schließt mit ein, daß wir uns immer
vergegenwärtigen, daß Jesus Jude war. Indem wir an Jesus
festhalten, halten wir zugleich an Israel fest (vgl. These 5!)
4. Das Nein eines großen Teiles Israels zu Jesus Christus ist für Christen in mehrfacher Hinsicht bedeutsam und anders als das Nein der übrigen Welt aufzunehmen und zu verstehen:
Unser Ja zu Jesus Christus hat sich vor diesem Nein Israels immer neu zu bewähren.
5. Jesus war Jude. Deshalb dürfen wir ihn nicht von seinem
Volk trennen oder gegen sein Volk stellen.
Viele biblische Zeugnisse betonen Jesu Verbundenheit mit seinem
Volk: Mt 10,5 (Mt 15,24), Lk 15,31 u.a. Nach Lukas 2,32 spricht
Simeon bei der Beschneidung Jesu die Worte: "Meine Augen
haben deinen Heiland gesehen, welchen du bereitet hast vor allen
Völkern, ein Licht, zu erleuchten die Heiden, und zum (Lob-)
Preis deines Volkes Israel."
Indem wir als Kirche Jesus Chrisstus entgegen dem Zeugnis der
Schrift immer wieder von seinem Volk getrennt haben, haben wir
uns zugleich gegen unseren Herrn gestellt, der sich
zuallererst zu Israel gesandt sah (Mt 15,24) und sich bis zu
seinem Tod mit seinem Volk identifiziert hat.
6. Tora ist nach alttestamentlich-jüdischem Verständnis die
Summe der gnädigen Willensäußerungen und Weisungen des Gottes
Israels für sein erwähltes Volk.
Jesus ist die Erfüllung und lebendige Auslegung der Tora (des
"Gesetzes") und nicht als Zeuge gegen die Tora
anzuführen.
So wenig Jesus von seinem Volk zu trennen ist, so wenig darf er gegen das Alte
Testament, d.h. gegen die Tora in Anspruch genommen werden. Die christliche
Ablehnung der Tora als Gesetz ist keineswegs durch das Neue Testament gedeckt,
auch nicht durch Paulus. Paulus teilt mit den Glaubensgenossen seiner Zeit die
Überzeugung, daß Gott sich dem jüdischen Volk in der Tora geoffenbart hat. In
der Tora ist Gott selbst in seinem Wort gegenwärtig. Nicht die Tora lehnt Paulus
ab - sie ist vielmehr nach Röm 7,12 "heilig, gerecht und gut" -, sondern
einen unangemessenen Umgang mit ihr. Paulus spricht daher in kritischer Absicht
nicht von der Tora, sondern von den "Werken der Tora", denen er "den
Glauben" gegenüberstellt. Während jene die Tora als Gnadengabe Gottes verfehlen,
bringt dieser die Tora gerade zur Geltung. In diesem Sinne ist die Liebe des
"Gesetzes" Erfüllung (Röm 13,8).
Auch Jesus bezeugt in seinem Festhalten an der Tora in Treue
gegenüber Gott (Mt 5,17ff) eine Möglichkeit der rechten
Nachfolge. Für Christen ist darum Jesus selbst in seiner Treue
zur Tora zur maßgeblichen und anschaulich lebendigen Auslegung
der Tora geworden.
Gerade in diesem Punkt hat die christliche Theologie ein neues
Verständnis der Tora zu lernen, das nicht bei der Korrektur
eines falschen und unbiblischen Urteils über die Pharisäer
stehen bleiben darf. Das Umdenken muß viel tiefer ansetzen in
Richtung einer Neuentdeckung der Tora für uns Christen nach
Maßgabe der lebendigen Toraauslegung durch Jesus Christus
selbst. So bleiben wir in unserer Glaubenspraxis auf die
jüdische Wurzel angewiesen.
7. Ohne Rückbezug auf das Alte Testament und auf die
jüdische Glaubenstradition bleiben uns zentrale Inhalte unseres
Glaubens und unseres Gottesdienstes verschlossen.
Im Umgang mit der Bibel müssen wir daher lernen, daß das Neue
Testament vom Alten her (der hebräischen Bibel) zu verstehen
ist. Genauso muß Jesus vom Alten Testament, der Offenbarung
Gottes an Israel her verstanden werden. Die Auslegung des Neuen
Testaments im Horizont der jüdischen Glaubensgeschichte Israels
bis heute trägt der unverrückbaren Einsicht Rechnung, daß
Jesus Jude war und sich zu seinem Volk bekannt hat.
8. Der Holocaust hat in fürchterlicher Weise gezeigt, wohin uns die Israelvergessenheit
geführt hat. Das rechte Verhältnis von Christen zum Judentum ist darum
für unseren Glauben und die gesamte Theologie von tragender Bedeutung.
Unser Verhältnis zum Judentum ist kein Thema unter und neben anderen. Unser
Glaube und unsere Theologie stehen und fallen vielmehr damit, daß wir in allen
uns bewegenden Glaubensfragen und kirchlichen Entscheidungen, insbesondere auch
in der derzeit uns bewegenden Frage nach "Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung
der Schöpfung" diese zentrale israelbezogene Dimension unseres Glaubens
mit im Blick haben. Hier entscheidet sich, ob wir unsere Israelvergessenheit
und Israelblindheit weiter praktizieren und an die nachfolgenden Generationen
weitergeben oder zur Umkehr bereit sind. "Der christliche Glaube ist nur
so lange christlich, als er den jüdischen in seinem Herzen trägt", schreibt
Ernst Lohmeyer in einem Brief 1933 an Martin Buber.
Wenn wir unseren Gottesdienst "im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes" beginnen, bekennen wir uns zum dreieinigen Gott, denn christliches Handeln und Reden über Gott hat von allem Anfang an den Gott Israels, das Kommen, Leiden und Sterben Jesu, sowie das Wirken des Heiligen Geistes zum Thema. Inwieweit unterscheiden wir uns darin vom jüdischen Gottesverständnis? Wie können wir von Gott angemessen reden und uns in unserem Nachdenken über Gott von jüdischer Theologie befruchten lassen?
Die Klärung unseres Verhältnisses zum Staat Israel sehen wir als eine Aufgabe für die Zukunft, weil wir um die besondere Bedeutung dieses Themas für unsere jüdischen Brüder und Schwestern wissen. Dabei werden wir u.a. folgende Fragen bedenken müssen:
Die Frage des Gesetzesverständnis bei Paulus bedarf noch weiterer Erörterung
Wir müssen weiter nachdenken über die Ankunft/Wiederkunft Christi und die Unvollendetheit der Erlösung. Diese Aufgabe ist uns durch die jüdische Messiaserwartung mit besonderer Eindringlichkeit gestellt.
Gott wendet sich in seiner Liebe den Menschen zu und befreit
und erneuert uns so zum Dienst an und in dieser Welt. Diesen
Glauben teilen wir miteinander: Juden und Christen sind Zeugen
gegen die Verzweiflung am Schicksal der Welt. Sie sollen und
können gemeinsam eintreten für das, was in der hebräischen
Sprach "Shalom" heißt. Darum wollen wir uns bemühen,
damit wir auch in gemeinsamem Handeln bezeugen, was uns im
Glauben vereint.
Wir stellen fest, daß wir ganz am Anfang des Gespräches
stehen. Es freut uns, daß in vielen Bereichen unserer
Kirche bereits daran gearbeitet wird, die Ergebnisse des
christlich-jüdischen Dialoges in der praktischen Arbeit
umzusetzen. Wir ermutigen dazu, diese Arbeit fortzusetzen.
Wir bitten
die Gemeinden
nicht aufzuhören, sich mit den Fragen des christlich-jüdischen Verhältnisses
zu beschäftigen;
mitzuhelfen, daß Zeugnisse der reichen und langen Geschichte des pfälzischen
Judentums in unserer Region bewahrt werden;
das Gespräch mit Juden, die unter uns leben, zu suchen;
sich gegen Regungen und Äußerungen des Antisemitismus in unserer Gesellschaft
zu stellen und in Solidarität zu den Angefeindeten zu stehen:
alle, die in Verkündigung und Lehre stehen
sich in den Fragen des christlich-jüdischen Gespräches weiterzubilden;
Erkenntnisse des christlich-jüdischen Gespräches in Predigten und der
Arbeit mit der Bibel aufzunehmen
Wir beauftragen
alle mit der Aus-, Fort- und Weiterbildung, der Erwachsenenbildung,
dem Religionsunterricht und dem kirchlichen Unterricht Beschäftigten auf
allen Ebenen des kirchlichen Handelns über das Judentum angemessen zu informieren
und die Bedeutung der in der Handreichung "Kirche und Israel"
behandelten Themen für uns als Christen herauszustellen;
die Lehrpläne daraufhin zu überprüfen, ob sie die Ergebnisse des christlich-jüdischen
Dialogs angemessen berücksichtigen;
in die homiletische Ausbildung von Theologen die exemplarische Begegnung
mit jüdischer Bibelauslegung verpflichtend aufzunehmen;
in der kirchlichen Unterweisung unter anderem bei den Hauptstücken des christlichen
Glaubens (Glaubensbekenntnis, 10 Gebote, Vaterunser, Taufe, Abendmahl) auf
die Verbindung und Gemeinsamkeiten zwischen Judentum und Christentum hinzuweisen
(das Buch von Peter von der Osten-Sacken "Kaddisch und Siddur"
kann dabei Anregungen geben);
den Arbeitskreis Kirche und Judentum
neu über die Problematik des Israelsonntages (10. Sonntag nach Trinitatis)
nachzudenken und Vorschläge zu unterbreiten, wie im Gottesdienst die Verbundenheit
mit Israel zum Ausdruck kommen kann;
in Zusammenarbeit mit dem Landeskirchenrat zu überlegen, wie die Verbundenheit
mit Israel in der Verfassung unserer Landeskirche verankert werden kann
und Formulierungsvorschläge zu unterbreiten;
den Landeskirchenrat
die Bemühungen um christlich-jüdische Begegnungs- und Zusammenarbeit im
Frank-Löbschen-Haus in Landau zu unterstützen und gegebenenfalls auch finanziell
zu fördern.