Die Mutterstadter Synagoge

Erinnerungen von Ernst (Ernest) Loeb

Ausschnitt aus einer Postkarte um 1915

Am 10. November 1958 als die damaligen Machthaber das Wort hatten, wurde wie in den meisten Orten in Deutschland, auch die Synagoge in Mutterstadt angezündet und vollständig niedergebrannt. Zu jener Zeit war ich der Jüngste der erwachsenen Männer in der jüdischen Gemeinde Mutterstadts. Wenn ich daran denke, dass ich heute als beinahe 80jähriger und der Einzige noch lebende von den zu der Zeit der Zerstörung erwachsenen Männern bin, ist es nicht leicht für mich, eine Beschreibung der Synagoge zu geben. Wissend, dass wir uns damals auf einem sinkenden Schiff befanden, waren die Ereignisse des 10. Nov. 1938 doch sehr schockierend.

Die Synagoge war an der Ostseite der Oggersheimer Strasse gegenüber der an der Westseite abgehenden Kirchstrasse. Der Gebetsraum war nach Osten gerichtet. Von der Strasse ging man eine oder zwei Stufen herauf
zum Eingang, der, soviel ich erinnere, ein Eisen-Gitter-Tor mit Verzierung hatte. Man betrat dann zunächst einen 5 bis 4 Meter langen Vorraum. Auf der rechten (Süd) Seite war in der Mitte die Türe zu einem Zimmer in der Länge des Vorraumes. In diesem Zimmer waren Bücher und andere Ritual-Gegenstände, auch Wimpel, untergebracht. Auf der linken (Nord) Seite war eine Marmor Gedenktafel mit den Namen der Vorstände z. Zt. der Erbauung und deren später« Nachfolger. Am Ende der Nordseite war die Türe zum Treppenhaus, das zur Frauen-Empore führte. Durch eine weiteilige Türe ging man dann in den Gebetsraum. Links (Nordseite) begannen die durch die ganze Länge
gehenden Bänke und Pulte der Männer-Abteilung. Auf der Südseite waren einige Bänke und Pulte bis zu dem Gang, der ungefähr in der Mitte zum Hof führte. Diese Bänke und Pulte bildeten eine Abteilung für ältere Frauen, für die, die das Treppensteigen zur Empore beschwerlich fanden. Nahh dem Gang, der zu der Hof türe ging, waren es auch auf der Südseite wieder Männer-Sitze. Die Synagoge war gestrichen, mit besonderer Bemalung um die hohen Fenster. Die Bänke und Pulte waren braun gestrichen und hatten auch Verzierungen in blauen und roten Farben. Zu meinen Zeiten hatte die Synagoge elektrische Beleuchtung durch mehrere Lampen, und in der Mitte hing ein Kristallleuchter von der Decke herab. Die Bänke standen auf etwas erhöhtem Holzboden, der rötlich gestrichen war. Die Gänge waren mit einem Teppich-Läufer bedeckt. Jede Bank hatte vor sich einen Stehpult, dessen Türe sich von oben nach unten öffnete. Man konnte deshalb auch im Sitzen Pulte öffnen und die darin aufbewahrten Gebetbücher herausnehmen, die Türen als Tische benutzen. Das Letztere war auch für stehende Kinder sehr praktisch. Jede Bank hatte 4 Pulte und sehr viel Sitzraum. Nur ganz vorn um den Bima herum waren es 2 Sitze mit Pulten. Zum Bima ging es eine Stufe herauf, wo man sich dann auf einem rötlichen Steinboden befand. Ein halbkreisförmiges, rotes Geländer mit Goldverzier»ungen war um den Bima. Auf der Innenseite des Geländers war eine Bank entlang. Auf dieser Bank lagen Wimpel. Bei Segenssprüchen am Ende des Gottesdienstes sassen die kleinen Knaben auch da. Nach einem Zwischenraum kam dann der Stehpult des Vorbeters.

In dem Pult waren Gebetbücher und Schofar aufbewahrt. Von der besonders bemalten Decke an dieser Stelle hing das Ewige Licht herab. Aron Kodesch Decke war auch besonders bemalt, ebenso links und rechts. Der Eingang zum Aron Kodesch war gewöhnlich mit rotem Samtvorhang mit üblichen hebräischen Aufschriften bedeckt. An den hohen Feiertagen war es ein weisser Vorhang mit den üblichen Aufschriften und dem Zusatz: "Zur Erinnerung an Jakob Loeb III und Ester Loeb." Es war für mich immer erfreulich, die Namen meiner Gross-Eltern väterlicherseits (die ich nie kannte) zu sehen. Die Thoras mit allem Zubehör waren im Aron Hakodesch aufbewahrt. Ich weiss heute nicht mehr, wieviele Thoras vorhanden waren. An der Südwand des Aron Hakodesch befand sich die Gedenktafel der im ersten Weltkrieg (1914-18) Gefallenen: JULIUS LOEB und MAX MARX. Auf beiden Seiten der Hima [Binma?] Aeria waren einige feierliche Leuchter. Auf der Frauen-Empore war das Harmonium. Ganz dunkel habe ich eine Erinnerung, dass es von Salamon Erlich gespielt wurde. Der Genannte verstarb als ich noch ein kleiner Junge war. Seit dem Ableben des Genannten wurde das Harmonium bei Gottesdünsten nicht benutzt. Ich kann mich nicht erinnern, ob es bei Hochzeiten ab und zu benutzt wurde. Auf der Südseite ausserhalb des Gebäudes war der Hof, der ein Holztor hatte. Der Hof hatte die Breite zur Durchfahrt eines landwirtschaftlicher Fahrzeuges (damals Pferde-Wagen) . Der Hof ging entlang der Südmauer und um die Ostmauer herum bis zum Ende der Ostmauer. In dem letzteren Teil gegenüber der Ostmaür waren MIKVE, Waschküche, Aborte und Abfallraum. Auf der Nordseite ausserhalb des Gebäudes war der dazu gehörige freie Platz. In früheren Jahren waren am Mutterstadter Ostermarkt bezw. Kirchweihe das Karusell und ein oder zwei Verkaufsbuden auf diesem Platz. Auch kam ab und zu ein kleiner Wander-Zirkus oder das Wander-Kino aus Mundenheim.

Ernest Loeb 18. Januar 1988

Quelle: Niemand hatte das Herz sich zu rühren. Mutterstadt 1933-1945, E.Dittus ua.a. (Hg.), S. 28
[Veröffentlichung mit freundlicher Erlaubnis der Herausgebers]
Korrumpierter Text bereits vorher online unter: http://www.archive.org/

Links zur Mutterstadter Synagoge:

http://www.synagoge-mutterstadt-derfilm.de

http://www.alemannia-judaica.de/mutterstadt_synagoge.htm

Links zur Ernst (Ernest) Loeb und seinem Nachlass:

http://www.judeninmutterstadt.org/site41c.htm

http://digifindingaids.cjh.org/?pID=314398