Zwei Götter im Himmel

Rezension eines Buches von Peter Schäfer

von Stefan Meißner

 


Peter Schäfer: Zwei Götter im Himmel. Gottesvorstellungen in der jüdischen Antike
C. H. Beck Verlag, München 2017
ISBN 9783406704123
Gebunden, 200 Seiten, 24,95 EUR

Der Autor dieses Buches, einer des renommiertesten Judaisten weltweit, arbeitet seit 2014 als Direktor des Jüdischen Museums in Berlin. Er hat schon durch frühere Publikationen zu Themen des christlich-jüdischen Dialogs Aufmerksamkeit erregt. In seinem neuesten Buch nimmt er sich nicht weniger vor als „das gängige Bild von einem jüdischen Monotheismus gründlich [zu] überdenken“. So jedenfalls informiert uns der Klappentext des aufgrund seiner Knappheit (ohne Anhang nur 156 Seiten) und seiner klaren, sachlichen Sprache zumindest für Fachleute gut lesbaren Werkes. Der Titel „Zwei Götter im Himmel“ lehnt sich an eine Formulierung an, die sich bereits im rabbinischen Schrifttum findet („schtej raschujot ba-schamajim“). Hier kann man bereits erkennen, dass sowohl in der hebräischen Bibel als auch im nachbiblischen Judentum „bis weit in die Spätantike hinein die Idee eines einziges Gottes ein Wunschbild ist (..), das einer unvoreingenommenen Überprüfung nicht standhält“. Der jüdische Himmel sei oft „mit zwei Göttern oder mit mehreren göttlichen Potenzen bevölkert“ gewesen (ebd.), die (anders etwa in der Gnosis) „friedlich mit- und nebeneinander“ regierten (S. 152). Die semigöttliche Gestalt neben dem Schöpfergott konnte man sich nach Schäfer als einen Engel vorstellen, der (so etwa der Menschensohn in Dan 7) schon bei der Schöpfung im Himmel präexistent war. Sie konnte aber auch ein vergöttlichter Mensch sein, der in den Himmel entrückt wird. Immer komme dieser Figur, die unterschiedliche Hoheitstitel (Messias, Retter etc.) tragen kann, die Funktion eines Erlösers zu, der eingreift in den Gang der Welt zugunsten seines Volkes.

Der Aufbau des Buches folgt der Chronologie der von Schäfer untersuchten jüdischen Schriften. Das sind im ersten Hauptteil hauptsächlich apokalyptische, teilweise aber auch weisheitliche Werke aus der Zeit des Zweiten Tempels. Der Zweite Hauptteil widmet sich dann Texten der rabbinischen Literatur sowie der Hechalot-Literatur. Diese mystischen Texte wurden zum großen Teil erst in den letzten Jahrzehnten, nicht zuletzt von P. Schäfer selbst, editiert. Die binitarischen Vorstellungen wurden zwar von der Mehrheit der Rabbinen abgelehnt, fanden aber dennoch, wie der Autor an interessanten Beispielen aufzeigt, Eingang in den Babylonischen Talmud und die Midraschliteratur. Ein bemerkenswertes Beispiel findet sich im Traktat Chagiga 14b, wo vier große Rabbiner ins Jenseits, in den Pardes, eintreten. Einen von ihnen, Elisha ben Abuja, verführt das, was er hier sieht, zu der Bemerkung: „Gibt es vielleicht, Gott behüte, zwei Mächte im Himmel!?“ In einem anderen Text, auf den Schäfer eingeht, dem 3. Henochbuch, wird die im Talmud gestellte Frage zur Behauptung: „Ganz gewiss gibt es zwei Mächte im Himmel.“ Hier wird der vergöttlichte Erzengel Metatron gar als „JHWH ha-qatan“, als „kleiner JHWH“ bezeichnet. Schäfer bemerkt zu Recht: „ Der Gedanke an einen Gott-Vater und Gott-Sohn liegt nicht mehr allzu fern, wie wir ihn in voller Ausprägung aus dem Christentum kennen.“ Interessant, dass sich die frühen palästinischen Rabbinen so gut wie gar nicht an diesen Spekulationen beteiligten, wie Schäfer immer wieder hervorhebt.

Der „unscharfe Monotheismus“ (C. Thomas) des antiken Judentums wurde schon von anderen Forschen, allen voran Alan F. Segal und Daniel Boyarin, diagnostiziert. Anders als der leider früh verstorbene Ney Yorker Segal sieht Schäfer binitarische Vorstellungen nicht nur in gnostischen Randgruppen, sondern auch in Teilen des jüdischen Mainstreams. Anders als er und der in Berkeley lehrende Boyarin sieht Schäfer freilich auch Brüche in dieser Traditionslinie. So bestreitet er, dass der Babylonische Talmud und der 3. Henoch auf die frühjüdischen Texte Bezug nehmen. Eher handelt es sich bei ihnen um „Adaptionen (..) durch das inzwischen fest etablierte Christentum“ (S. 156). Was in den jüdischen Texten auch nirgends zu finden ist, sei die Vorstellung einer Menschwerdung Gottes. Dies sei „dem Christentum vorbehalten“ geblieben.

Einig ist er sich allerdings mit den genannten Forschern, dass binitarische Vorstellungen sowohl im Judentum als auch im Christentum verankert sind. Ähnlich wie Boyarin, der von dem gemeinsamen Traditionsstrom als „Judaeo-Christianity“ spricht, sieht er das Auseinandergehen der Wege zwischen den beiden Religionen erst relativ spät. „Nichts liegt mir ferner als einen grundsätzlichen Unterschied zwischen ‚Judentum‘ und ‚Christentum‘ in der Spätantike zu postulieren – das Gegenteil ist der Fall. Das frühe Christentum und das rabbinische Judentum sind nicht zwei von Anfang an fest etablierte ‚Religionen‘, sondern kristallisieren sich in einem längeren Prozess erst langsam heraus, mit beträchtlichen Unterschieden zwischen diesem neuen rabbinischen Judentum und dem Judentum des Zweiten Tempels“ (S. 155).

Diese Einsichten Schäfers und seiner Kollegen ermöglichen einen völlig neuen Blick auf die neutestamentliche Christologie. Bis weit ins 20. Jhd. behauptete die christliche Forschung, die hohe Christologie eines Paulus oder eines Johannes, speise sich v.a. aus heidnischen Quellen. Durch diesen Prozess der Inkulturation sei die Botschaft des Juden Jesus von Nazareth universalisiert und somit der ganzen Menschheit zugänglich gemacht worden. Eine spätere Generation von Wissenschaftlern korrigierte dieses latent antijüdische Klischeebild durch die Feststellung, dass sich auch das Judentum um die Zeitenwende an vielen Punkten bereits dem Hellenismus geöffnet hatte. Das gilt, wie Martin Hengel herausgearbeitet hat, auch für das palästinische Judentum und nicht nur für die jüdische Diaspora. Die Alternative Judentum oder Hellenismus ist damit hinfällig geworden.

Dass sich die neutestamentlichen Autoren bei ihrer Deutung der Person Jesu an vielen Punkten an das Judentum des Zweiten Tempels anlehnen konnten, ist heute bereits weitgehend konsensfähig. Dass aber auch das klassische Judentum talmudisch-rabbinischer Prägung dem entstehenden Christentum in vielem näher steht als man lange Zeit glaubte, ist eine noch recht junge Einsicht, die wir Forschern wie Peter Schäfer verdanken. Die Kenntnis der binitarischen Strömungen im Judentum, in die sein Buch einführt, wird der neutestamentlichen Forschung, aber auch dem christlich-jüdischen Gespräch in den nächsten Jahren sicher neue Impulse geben. Man wird sich dabei allerdings von einigen liebgewordenen Vorstellungen verabschieden müssen.