von Wolfgang Pauly
Von Vergegnung zur Begegnung
„Nicht Du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt
Dich“ (Röm 11,18). Es dauerte 2 000 Jahre, bis dieser Grundsatz
des Apostel Paulus in seinem Brief an die Römer zum Verhältnis
zwischen Juden und Christen uneingeschränkt auch von der offiziellen
katholischen Kirche anerkannt wurde. Religiös begründeter Antijudaismus
prägte die Beziehung zwischen dem Christentum und seiner jüdischen
Mutterreligion. Dies führte oft zu Antisemitismus und in dessen Folge
zu Ausgrenzung, Verfolgung, Vertreibung und Ermordung. Wenn auch vereinzelt
Juden als Baumeister an kirchlichen Gebäuden wie z.B. am Dom zu Speyer
tätig waren und auch immer wieder einzelne Bischöfe ihre Stimme
gegen Diskriminierung erhoben, so blieb doch die theologische Herabstufung
des Judentums durch das Christentum über Jahrhunderte und zum Teil
bis in die Gegenwart bestehen: das Judentum als bloße Vorstufe des
Christentums, die in der hebräischen Bibel beschriebenen Verheißungen
galten im Christentum als erfüllt und unüberbietbar. Erst nach
der Katastrophe der Schoa kam es auf dem Zweiten Vatikanischen Konzil
(1962–1965) und mit seiner Erklärung Nostra aetate zu einer
grundsätzlichen Neubestimmung. Die Einsicht, dass sowohl Jesus als
auch die Autoren und Personen des Neuen Testaments Juden waren, führte
zur Anerkennung und Wertschätzung des Judentums. Jede Form von Diskriminierung
wurde als Verrat am eigenen Erbe erkannt.
Die Situation nach der Schoa
Nach erzwungener Emigration, Verfolgung und Ermordung kehrten nach 1945
nur wenige Juden nach Deutschland zurück. 1933 lebten 200 000 Juden
in Deutschland, 1945 waren es 3 000. Zwar stieg in den Jahren zwischen
1945 und 1950 deren Zahl wieder auf 200 000. Es handelt sich dabei aber
meist um „Displaced Persons“: Juden, die auf der Flucht vor
neuen Verfolgungen in Osteuropa nach Deutschland kamen, um nach dieser
Zwischenstation in die USA oder nach Palästina weiterzureisen. Erst
nach 1990 wanderten etwa 190 000 Juden aus den Folgestaaten der früheren
UdSSR infolge einer Initiative des Bundeskanzlers Helmut Kohl als so genannte
Kontingentjuden in die wieder vereinte Bundesrepublik aus. Offizielle
Vertreter der katholischen und protestantischen Kirchen aber auch viele
Mitglieder der Gemeinden pflegen seitdem einen intensiven Kontakt zu den
neu belebten jüdischen Gemeinschaften. So konnten nach den Zerstörungen
durch den Nationalsozialismus auch in Rheinland-Pfalz durch finanzielle
und ideelle Hilfe von Christen neue Synagogen errichtet werden: 1957 in
Trier, 1987 in Mannheim, 2010 in Mainz und 2011 in Speyer. Gerade die
neu errichtete Synagoge Beith-Schalom in Speyer dokumentiert die neue
Beziehung zwischen Judentum und Christentum, sie ging hervor aus der ehemaligen
katholischen Stiftskirche St. Guido. An der Einweihung am 9. November
2011 nahmen der Speyrer Bischof Karl-Heinz Wiesemann und der evangelische
Kirchenpräsident Christian Schad teil. Die vom Künstler Wolf
Spitzer gestaltete zwei Meter hohe Menora vor der Synagoge ist ein Geschenk
von Bistum und Landeskirche und von jeweils fünf katholischen wie
evangelischen Pfarreien in Speyer.
Die Entstehung der Gesellschaften
für christlich-jüdische Zusammenarbeit
Einen wesentlichen Beitrag zum jüdisch-christlichen Dialog leisteten
auch in Rheinland-Pfalz die Gesellschaften für christlich-jüdische
Zusammenarbeit. Deren Gründung ging auf eine amerikanische Initiative
zurück. Modell war das seit 1928 bestehende National Concil of Christians
and Jews (NCCJ). Durch ein besseres Kennenlernen von Juden und Christen
sollten Vorurteile abgebaut und Wertschätzung und Verständnis
ermöglicht werden. Am 9. Juli 1948 erfolgte die Gründung der
ersten Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in
München. Bereits hier sah die Satzung vor, dass die Gesellschaft
jeweils einen gleichberechtigen jüdischen, katholischen und protestantischen
Vorsitz haben sollte. 1948 kam es zu weiteren Gründungen in Wiesbaden
und Stuttgart, 1949 in Frankfurt und Berlin. Jede einzelne Gesellschaft
ist als eingetragener Verein autark. Um die Arbeit der einzelnen Gesellschaften
zu erleichtern, Informationen besser auszutauschen und Synergieeffekte
zu erreichen, gründete sich 1949 in Stuttgart der Koordinierungsrat
der Christen und Juden, heute Koordinierungsrat der Gesellschaften für
Christlich-Jüdische Zusammenarbeit (DKR) mit Sitz in Bad Nauheim.
Ihm gehören z.Z. 83 Gesellschaften an mit insgesamt etwa 20 000 Mitgliedern.
Er gestaltet die jährliche „Woche der Brüderlichkeit“
bei der seit 1968 die renommierte Buber-Rosenzweig Medaille verliehen
wird. Damit Ausgezeichnete waren z. B. Bischof Kurt Scharf (1971), der
Judaist Ernst Ehrlich (1976), der Schweizer Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt
(1977), der Journalist und Autor des berühmten Werkes Der SS-Staat
Eugen Kogon (1980), er erhielt den Preis zusammen mit Gertrud Luckner,
die viele Juden in der NS-Zeit unterstützte und nach dem Krieg die
für den jüdisch-christlichen Dialog so wichtige Zeitschrift
Freiburger Rundbrief gründete, Schalom Ben-Chorin (1982), Yehudi
Menuhin (1989), Richard von Weizsäcker (1995), Johannes Rau (2000),
Daniel Barenboim (2004) und Bundeskanzlerin Angela Merkel (2020).
Die Gesellschaften für christlich-jüdische
Zusammenarbeit in Rheinland-Pfalz
An mehreren Orten in Rheinland-Pfalz wurden bis heute aktive Gesellschaften
für christlich-jüdische Zusammenarbeit (GCJZ) gegründet.
Landesgrenzen überschreitend ist die 1959 von Persönlichkeiten
aus Ludwigshafen, Mannheim und Weinheim gegründete Gesellschaft Rhein-Neckar.
Im Gründungspapier heißt es programmatisch: „Wir wollen
uns menschlichen Fragen zuwenden; wir wollen überwinden, was in der
Vergangenheit geschehen ist“. Die GCJZ Rhein-Neckar arbeitet eng
mit der jüdischen Gemeinde und mit den christlichen Kirchen zusammen.
Über das „Mannheimer Forum“ ist sie auch mit anderen
Religionsgemeinschaften verbunden. Mit der Verleihung des Abrahampokals
an Schulen möchte sie das Interesse der SchülerInnen für
Toleranz und Verständigung zwischen den Religionen stärken und
deren Engagement gegen jede Form von Antisemitismus und Rassismus auszeichnen.
Wie alle einzelnen Gesellschaften gestaltet auch die GCJZ Rhein-Neckar
die jährlichen Gedenktage wie den zur Befreiung des Konzentrationslagers
Auschwitz (27. Januar) und das Gedenken an die Reichspogromnacht (9. November).
Seit 1964 besteht die Gesellschaft für christlich-jüdische
Zusammenarbeit Mainz. Die Gründungsversammlung konnte im Saal der
jüdischen Gemeinde stattfinden. Zu zahlreichen Vortrags- und Gesprächsabenden
lädt die Gesellschaft in das Synagogenzentrum ein. Dies ist integriert
in die 2006 neu errichtete Synagoge. Zum Veranstaltungsprogramm gehören
auch regelmäßig stattfindende Studientagungen speziell für
LehrerInnen und PfarrerInnen, um diese über den Reichtum und die
Schönheit der jüdischen Religion und Kultur zu informieren und
gleichzeitig zu sensibilisieren für immer wieder auftretenden Antisemitismus.
Diese Arbeit kann sich dabei auf die Rede von Papst Johannes Paul II stützen,
die dieser bei seinem Besuch in Mainz am 17. November 1980 gehalten hat.
Er betonte dabei ausdrücklich, dass der Bund Gottes mit Israel nie
aufgekündigt wurde und daher Grundlage jedes jüdisch-christlichen
Dialogs sein sollte. Neue Schwerpunkte sieht die Gesellschaft darin, über
die Digitalisierung auch jüngere Menschen für die Anliegen des
jüdisch-christlichen Dialogs zu interessieren.
Ein Vortrag von Schalom Ben-Chorin im Jahr 1967 war 1969
Anlass zur Gründung der Gesellschaft für christlich-jüdische
Zusammenarbeit Trier. Die im Vortrag ausgesprochene Bitte um Begegnung
und gegenseitiger Anerkennung prägt bis heute das Programm der Gesellschaft.
Regelmäßige Friedensgebete, eine intensive Zusammenarbeit mit
der jüdischen Kultusgemeinde Trier, dem Katholischen Dekanat, der
Benediktiner-Abtei St. Matthias und der Evangelischen Kirchengemeinde
charakterisieren die Arbeit ebenso wie Kontakte zum muslimischen Al-Hussein-Verein
Trier und der Bahá’i-Gemeinde. Die Gesellschaft stiftete
2016 den Kreuzer-Voremberg-Preis, der alle drei Jahre für Projekte
und Facharbeiten in der Region Trier verliehen wird, die sich historischen
oder aktuellen Themen der jüdisch-christlichen Beziehung widmen.
Im Aufbau ist das Projekt „Grenzenlos Gedenken“, das in Zusammenarbeit
mit dem Comité Auschwitz, Luxemburg, und dem MemoShoa eine zweisprachige,
interaktive Website für eine grenzenlose Erinnerungsarbeit plant.
Nachdem bereits seit 1957 eine jüdisch-christliche
Arbeitsgemeinschaft in Koblenz bestanden hatte, wurde aus ihr heraus 1971
die Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit Koblenz
gegründet. Die Kooperation mit regionalen Einrichtungen bestimmt
ihre Arbeit ebenso wie ihre Mitgliedschaft in der Holocaust Memorial Foundation
of Illinois. Um auch Jugendliche einzubinden, verleiht sie an Schulklassen
den nach ihrem langjährigen katholischen Vorsitzenden benannten Paul-Eisenkopf-Preis.
Die Arbeit der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit
Pfalz erstreckt sich über die Pfalz zwischen Kaiserslautern, Dahn,
Bergzabern, Neustadt und Landau. 1987 wurde sie zunächst als Chana-und-Peter-Siegel-Stiftung
gegründet, benannt nach zwei ermordeten jüdischen Kindern. Seit
1990 ist sie Teil der bundesweiten Gesellschaften. Pflege und Dokumentation
der jüdischen Friedhöfe in Busenberg und Essingen gehören
ebenso zum Arbeitsschwerpunkt wie regelmäßige Vorträge
und Veranstaltungen. Jährliche Exkursionen führen an Orte früheren
jüdischen Lebens, aber auch zu Begegnungen mit neuen jüdischen
Gemeinden z.B. in Metz, Frankfurt oder Straßburg. Lokales Zentrum
der Gesellschaft ist das Frank-Loebsche-Haus in Landau mit dessen ursprünglich
von der Gesellschaft organisierten Ausstellung über jüdisches
Leben in der Pfalz. Nach der Übersiedlung von Juden aus dem Gebiet
der früheren UdSSR boten Mitglieder der Gesellschaft Unterstützung
z.B. durch Sprachkurse an. Zahlreiche Katholiken brachten sich in die
jahrzehntelange Arbeit im jüdisch-christlichen Dialog ein. Die Beheimatung
in ihrer Konfession öffnete zugleich den Blick für deren Wurzeln
und motivierte zum Einsatz gegen Ausgrenzung und jede Form von Antisemitismus.
Erschienen in: Roth, Ulli (Hg.).: Katholisch in 75 Jahren
Rheinland-Pfalz. Personen, Orte, Ereignisse, Ideen.
Münster 2022, S. 288-291
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