Klagelied zum Tischa-be-Av

von Rabbi Meir von Rothenburg (gest. 1293)

Fragst du nicht, die einst in Flammen geglühet,
nach dem Gruß deiner trauernden Jünger,
die keinen Wunsch so sehnlich hegen,
als zu wallen und zu weilen
in deinen Höfen, in deinen Hallen;
die da lechzen und sich sehnen
nach dem Staub von deinem Boden,
und mit Schmerz und Grauen
nach der Brandstatt schauen,
in der du einst verglommen?
Sie wallen in der Finsternis,
verdüstert ist das Lebenslicht;
sie hoffen auf das Licht und auf den Tag,
der aufgehen werde,
leuchten werde
über sie und über dich.
Fragst du nicht nach dem Gruße des jammernden Menschen,
der da weinet,
der da klaget,
dem das Herz bricht,
wenn er gedenket deiner Schmerzen, deiner Wehen?
Wie Strauß und Uhu in den Wüsten, in den Wäldern,
klagt und stimmt er an um dich das Trauerlied.

Quelle: Der Siddur der aschkenasischen israelitischen Gemeinden zum 9. Ab, dem Tag, an dem der Zerstörung Jerusalems gedacht wird.