Buchbesprechung

Moshe Zimmermann,
DEUTSCHE GEGEN DEUTSCHE. Das Schicksal der Juden 1938 - 1945. 315 S., geb., Aufbau Verlag, Berlin 2008, ISBN 978-3-351-02670-7

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Schade, dass das Buch nicht einige Monate früher erschienen ist; es hätte so manche gedankenlose Gedenkrede zum 70. Jahrestag der „Reichskristallnacht“ vor erstarrtem Ritualismus bewahren können. Der Titel ist Programm: er macht eine verdrängte Wahrheit bewusst; denn die deutschen Juden waren und blieben Deutsche – selbst noch in Israel! Zimmermann verweist darauf, wer von Verbrechen von Deutschen an Juden spreche, verfalle ebenso einem NS-Denkmuster wie mit der Frage, warum viele Juden nicht rechtzeitig Deutschland verlassen hätten. Sie fühlten sich nicht als Fremde, sondern ihrer Heimat verbunden; außerdem hatten viele Länder für jüdische Flüchtlinge selbst auf dem Höhepunkt der Verfolgung restriktive Einreisebestimmungen.
Auch Rede vom Ende des deutschen Judentums mit dem Jahr 1938 nimmt unbewusst ein Ziel der NS-Politik auf. Das Novemberpogrom bedeutet zwar das „Ende organisierten jüdischen Lebens“, aber Zimmermann will das Schicksal der deutschen Juden in der Zeit bis zum Kriegsende in den Blick nehmen.
Dazu wertet er eine Fülle von Tagebucheintragungen, Protokollen und anderen Belegen aus. Sie zeigen, dass antijüdische Maßnahmen bereits vorher begannen, aber auch danach noch weitergingen, und zwar sich steigernd sowohl hinsichtlich der Schikanen und Pressionen als auch im Blick auf den sich ausweitenden Personenkreis. Bezeichnungen wie „Halbjude“ oder die Unterscheidung von „Mischlingen“ verschiedener Grade sind nur ein Beispiel dafür.
Das Schicksal jüdischer Frauen kommt dabei ebenso zur Sprache wie die zunächst unterschiedliche Behandlung von Juden aus dem „Altreich“ und „Ostjuden“. Viele Details verursachen aus heutiger Sicht ungläubiges Kopfschütteln. Zimmermann weiß auch – trotz aller Gleichgültigkeit – von Reserviertheit der Bevölkerung, ja sogar Protesten gegen allzu radikale Maßnahmen zu berichten.
Die Ambivalenz und begrenzte Wirkungsmöglichkeit der „Reichsvereinigung“ der Juden wird ausführlich dargestellt. Das Bemühen, ungerechtfertigte Kritik (bis hin zur Mittäterschaft) zu widerlegen, wird an verschiedenen Stellen des Buches deutlich, manchmal vielleicht zu verständnisvoll entschuldigend. Begriffe wie „Mausefalle“ oder „Sackgasse“ stehen dafür, aber auch die Ausweglosigkeit, vor der die Mitglieder standen, wenn sie sowohl bei Auswanderungsgenehmigungen als auch bei Transporten in Vernichtungslager auswählen mussten.
Massenmorde wurden zunächst „nur“ an geisteskranken Juden verübt; denn politisches Ziel war eigentlich die Ausweisung der Juden aus Deutschland und Europa. Zunehmend wurden deutsche Juden in osteuropäische Gettos umgesiedelt, die dortige Bevölkerung in Vernichtungslagern oder durch Massenerschießungen ermordet. Dabei wurde Gas zur seelischen Entlastung der Erschießungskommandos eingesetzt! Um Deutschland „judenfrei“ zu machen, wurden Juden sogar aus KZs auf deutschem Boden nach Osten verfrachtet. Teilweise wurden aber auch Juden wieder in die deutsche Industrie zurückgebracht, die an Personalmangel litt. Dies wird mit erschütternden Zahlen belegt. Da Zimmermann die einzelnen Kapitel nicht chronologisch, sondern nach Themen gliedert, ergeben sich gelegentlich Redundanzen.
Ausführlich und sehr differenziert hinsichtlich der Argumentation und des herangezogenen Materials (bis hin zu antijüdischen Spielfilmen) setzt sich Zimmermann mit der Frage auseinander, was die deutsche Bevölkerung von alledem wusste und wie sie davon berührt war. Erschütternd ist, dass sich noch 1946 (!) bei einer Umfrage ein hoher Prozentsatz als Antisemiten bezeichnete, oder dass selbst in Kreisen des politischen Widerstands zwar der Mord an Juden abgelehnt, aber ihre Entfernung aus dem „Reich“ durchaus bejaht wurde!
Im Schlusskapitel versucht Zimmermann eine zusammenfassende Würdigung und wägt verschiedene Entschuldigungen und Rechtfertigungsversuche gegeneinander ab. Vielleicht entsteht der Eindruck von Kreisbewegungen auch deshalb, weil Zimmermann mit der Problematik selbst nicht fertig ist. Dies spricht nicht gegen ihn; denn wer könnte damit jemals fertig werden!
Alles in allem kann dieses Buch auch durch sein ausführliches Stichwortregister den Unterricht zu dieser Thematik zu qualifizieren helfen.

Dr. Hans Maaß

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