Judenverfolgung im rheinischen Raum
zur Zeit des 1. Kreuzzuges (V)

von Holger Müller

Graf Emicho zog mit seinem Heer nach Köln, wo es schon vor seiner Ankunft zu schweren Ausschreitungen gegen die Juden gekommen war. Die Kreuzfahrer brannten die Synagoge nieder. Da viele Juden aber schon vorher in umliegende Dörfer und in die Häuser befreundeter Christen geflohen waren und der Kölner Erzbischof sich den Schergen des Grafen entschlossener entgegenstellte, als Ruthard es getan hatte, forderte der Judenhass des Fanatikers in Köln "nur" einige wenige Tote.
Indessen hatten sich einige Anhänger des Grafen von der Hauptstreitmacht getrennt, um auch das Moseltal und Trier von Juden zu "säubern". Von dort zogen sie nach Metz weiter, wo sie mindestens zwei Dutzend Juden ermordeten. Als sie schließlich Mitte Juni in Köln eintrafen, mussten sie feststellen, dass Graf Emicho nicht auf sie gewartet hatte, sondern sich mit seiner Truppe schon auf dem Weg nach Ungarn befand. Daraufhin zog dieser Haufen Kreuzfahrer den Rhein hinab und fiel in Neuß, Wevelinghofen, Eller und Xanten über die Juden her, bevor sich diese kleinere Truppe auflöste.

Graf Emicho befand sich nicht unter den Rittern, die im Juni 1099 Jerusalem eroberten. Er erreichte das Heilige Land nie. Plündernd zog er im Sommer 1096 in Ungarn ein. Doch an der Donau geriet sein Vormarsch ins Stocken, weil ihm König Koloman den freien Durchgang verwehrte. Nach einer kurzen, aber heftigen Schlacht waren die Kreuzfahrer geschlagen und die meisten Ritter gefallen.

Emicho von Leiningen entkam mit einigen Getreuen und flüchtete in die rheinische Heimat zurück, wo er 1117 starb. Jahrhundertelang hielt sich eine christliche Legende, wonach die gequälte Seele des Grafen auf ewig durch Mainz geistere und die Menschen anflehe für sie zu beten, um ihn, den Verfluchten, von den Höllenstrafen zu erlösen.

Bis heute wird den im Rheinland 1096 ermordeten Juden, deren Zahl zwischen 2.000 und 3.000 geschätzt wird, beim Sabbatgebet gedacht. Was damals geschah, hinterließ tiefe Spuren im Judentum.
Die entsetzlichen Massaker fanden in pijutim, den liturgischen Dichtungen, ein literarisches Echo. Eine davon, der pijut des Kalonymos ben Jehuda, Sproß einer der bedeutendsten Mainzer Familien und Überlebender der Massaker des 1. Kreuzzuges im Rheinland, heißt Die Stimme, die so wimmert und wird bis heute in den Gemeinden Mittel- und Osteuropas am Nachmittag des Versöhnungstages beim Gottesdienst vorgetragen.
Hier ein Auszug:

Väter, im eigenen Blute schwimmend,
schlachteten ihre Kinder
und sahen in freudiger Gottergebenheit
das Blut zusammenfließen.
Um deinen Namen zu erheben,
schonten sie nicht ihr Leben.

In seliger Begeisterung
riefen sie bei ihrer Ermordung
als Segensspruch: "Höre Israel!"
Einstimmig eilten Eltern und Kinder,
Bräutigame und Bräute hin zur Schlachtbank
wie zu ihrem Trauhimmel.

Viele Historiker sind in der Behandlung dieses Themenbereichs erstaunlich nachsichtig. Viele versuchen mit dem Hinweis auf Naturkatastrophen, Missernten und die Bevölkerungsexplosion im 11. Jahrhundert die Massaker zu entschuldigen. Der große Ploetz, die Datenenzyklopädie der Weltgeschichte, das Standardwerk schlechthin, erwähnt auf 2047 Seiten weder den "Kreuzzug der Armen", noch seine Judenprogrome.
Auch in unserem Geschichtsbuch, Anno 2, steht unter der Überschrift Judenverfolgung in den Städten am Rhein nur ein gerade einmal 14-zeiliger, farbloser Absatz. Zitat:

Die Kreuzfahrer dagegen sahen in den Juden die Mörder des Heilands Jesus. Sie überfielen sie auf offener Straße und schlugen sie tot, wenn sie sich nicht taufen ließen. In Mainz raubten sie das Judenviertel aus und zündeten es an. Die Juden, die in die Bischofsburg geflohen waren, hatten gegen die Menge der Angreifer keine Chance. Nachdem die Verteidiger gefallen waren, töteten sich die alten Männer, Frauen und Kinder gegenseitig.
(aus: Anno 2, Vom Mittelalter bis zum Ende des Absolutismus, Westermann Schulbuchverlag 1995)

Weder der Name Emicho von Leiningen, noch der Name Peter von Amiens werden genannt, geschweige denn eine Zahl der Opfer.

Schon die frühchristlichen Kirchenväter hatten keinen Zweifel daran gelassen, dass das Christentum eine Religion des Friedens ist und dass Krieg Massenmord bedeutet, der mit christlichen Grundsätzen nicht zu vereinbaren ist. Dennoch wurden bei den Progromen im Rheinland und später bei der Eroberung Jerusalems Tausende von Juden, sowie auch Moslems auf grausamste Weise im Namen Christi umgebracht. Dies war ganz einfach mit dem reinen Gewissen vor Gott zu vereinen, in dem man die unmenschlichen Morde an Juden wie Muslimen mit dem Missionsbefehl rechtfertigte. Denn in den Augen der Mörder waren Anhänger des Judentums, sowie des Islams ungläubig. Außerdem hatten ja die Juden Jesus ans Kreuz nageln lassen, dass Jesus und seine Jünger selbst Juden waren, wurde hierbei einfach übergangen. Man erkannte die jüdische Vergangenheit des eigenen christlichen Glaubens nicht an oder wollte sie viel besser nicht erkennen. Würde man die Kreuzzüge in die heutige Zeit versetzen, kämen Anschläge wie die des 11. Septembers dabei heraus. Auch die Kreuzzüge wurden unter dem Namen "Heiliger Krieg" geführt, was eigentlich ein Widerspruch in sich ist.

Es gab zu allen Zeiten und in allen Ländern ausreichend Stimmen, die auf die erschreckende Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit des Christentums aufmerksam machten. Damals wie heute liegt es an jedem Einzelnen, ob er auf diese Stimme hört und sein Leben nach den Seligpreisungen Jesu auszurichten versucht - oder ob er sein Herz vor der Friedensbotschaft verschließt und zu einem jener religiösen Fanatiker wird, die vom Paradies reden, durch ihre Taten die Welt jedoch in eine Hölle verwandeln, egal in welcher Religion

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Zeittafel

768 Karl der Große wird in Aachen zum König gekrönt.

800 Kaiserkrönung Karls des Großen in Rom

1054 Heinrich IV. wird in Aachen zum König gekrönt.

1076 Heinrich IV. erklärt Papst Gregor VII. für abgesetzt, daraufhin exkommuniziert ihn dieser.

1077 Bußgang nach Canossa

1095 Moslemische Seldschuken haben große Gebiete von Kleinasien erobert, der byzantinische Kaiser Alexios I. Komnenos bittet Papst Gregor um militärische Hilfe.

27.11. Konzil in Clermont

1096

12.4. Peter der Einsiedler trifft seinem Kreuzfahrerheer in Köln ein.

20.4. Mit einem Heer, das auf gut 20.000 Personen angewachsen ist, verlässt Peter der Einsiedler Köln.

3.5. Graf Emicho von Leiningen überfällt mit seinem Heer die jüdische Gemeinde von Speyer. Mindestens elf Juden sterben.

18.-20.5. Graf Emicho fällt mit seiner Truppe in Worms ein. Massenmord an den Juden. Etwa 800 von ihnen sterben.

25.5. Die Kreuzfahrer stehen vor den Toren von Mainz.

27.5. Die Kreuzfahrer dringen in die Stadt ein. Etwa 1.000 bis 1.200 Juden sterben.

1.-27.6. Überfälle der Kreuzfahrer auf die jüdischen Gemeinden von Köln, Trier, Neuß, Wevelinghofen, Eller und Xanten

30.6. Massaker an den Juden in Prag

7./8. Graf Emicho erreicht Ungarn. Nacht einer kurzen Schlacht zerfällt sein Kreuzfahrerheer.

1099

7.6. Die Kreuzfahrer unter Gottfried von Bouillon erreichen Jerusalem.

15.7. Eroberung Jerusalems

19.7. Papst Urban II. stirbt in Rom

1117 Graf Emicho stirbt in seiner Heimat, das Heilige Land hat er nie erreicht.

1147-1149 Zweiter Kreuzzug, nach Aufruf durch Papst Eugen III.

1189-1192 Dritter Kreuzzug, an dem sich Kaiser Friedrich
Barbarossa, König Richard Löwenherz von England und König Philipp II. August von Frankreich beteiligen.

1202-1204 Vierter Kreuzzug, nach Aufruf durch Papst Innozenz III.
Er endet mit der Plünderung Konstantinopels.

1228-1229 Fünfter Kreuzzug unter Kaiser Friedrich II.

1248-1254 Sechster Kreuzzug unter König Ludwig IX.

1270-1275 Siebter Kreuzzug, zweiter Kreuzzug Ludwigs IX., als er jedoch in Tunis stirbt, wird das Unternehmen
abgebrochen.

1291 Die Christen räumen das Heilige Land.

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