von Frank-Matthias Hofmann
ersch. im Pfälzer Pfarrerblatt, Dez.2001
Gedenkrede bei der Feierstunde der Stadt Ludwigshafen in der Paul-Gerhardt-Kirche Rheingönheim anläßlich der Benennung des zentralen Rheingönheimer Dorfplatzes in "Kantor-Josef-Jacob-Platz". Bei der Umbenennung wurde auch eine vom Gesprächskreis Juden und Christen in Stadt und Landkreis Ludwigshafen initiierte bronzene Gedenktafel an der Mauer des prot. Pfarrgartens eingeweiht, die frei von Spendern gestiftet worden ist. Im Zuge der Benennung wurde auch die Pfarramtsadresse in Rheingönheim von Hauptstraße 214 in "Am-Kantor-Josef-Jacob-Platz 1" umbenannt. |
"Ich bleibe bei meiner Gemeinde!". Ein Satz wie in Fels gehauen.
Ausgesprochen im Frühjahr 1940 in Mannheim, als den meisten Jüdinnen
und Juden in Deutschland schmerzhaft klar geworden war, daß sie im nationalsozialistischen
Deutschland kein Fünkchen Menschlichkeit und Bewahrung ihrer Würde
erwarten konnten. Formuliert von einem Mann, der sich mit seiner Familie hätte
in relative Sicherheit hätte bringen können durch eine Ausreise-Passage
über Rußland nach Shanghai: Josef Jacob, angesehener und geachteter
Kantor und Lehrer in Ludwigshafen und Mannheim. "Die Jüdische Gemeinde
war immer gut zu mir. Ich bleibe bei meiner Gemeinde!"
Aus diesen Worten sprechen bestimmende Charakterzüge: Verläßlichkeit
seinen Schülern und Gemeindegliedern gegenüber, Treue zu seinen Mitmenschen,
aufrechter Gang in dunklen Zeiten. An diesem Satz entlang möchte ich Ihnen
in meinem anfänglichen Versuch der Würdigung Josef Jacob nahebringen.
I
Wo ist dieser Mann groß geworden, was hat ihn geprägt,
daß er zu dieser
Standfestigkeit und Treue gefunden hat?
Josef Jacob wurde am 6.9.1875 in Büdingen in Lothringen geboren. In Büdingen
lebten um die Jahrhundertwende mehr Juden als Christen. Von dem dort möglich
gewordenen lebendigen jüdischen Gemeinde- und Familienleben ist Josef Jacob
geprägt worden. Ein frommes Judentum hatte sich dort herausgebildet, das
in seiner ländlich strukturierten Berufsstruktur Landwirte und Viehhändler
herausgebildet hatte. Professor Fredy Raffael (Straßburg) hat in einem
Buch über diese Zeit festgehalten, daß viele gute jüdische Lehrer
die Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen der Cultusgemeinde unterwiesen haben,
so daß davon ausgegangen werden kann, daß auch Jacob fundierten
Tora-, Talmud- und Hebräischunterricht genießen konnte, Basis für
eigene Studien in der jüdischen Tradition. So wurde in Jacob der Wunsch
geweckt, sich einer religiösen Ausbildung zu unterziehen.
Seine Tochter Ilse Lewin berichtet von ihm, daß er auch gerne Rabbiner
geworden wäre. Aber die Zeit der Ausbildung und auch die beschränkten
finanziellen Möglichkeiten ließen dies nicht zu, so daß er
sich für eine Kantorenausbildung entschied, die nicht minder anspruchsvoll
geriet, absolvierte er sie doch im Colmar im Elsaß. Dort gab es zu der
Zeit ein blühendes, vorwiegend aschkenasisch ausgerichtetes jüdisches
Leben. Der Oberrabbiner des Oberelsaß hat dort seinen Sitz. Auch war damals
Oberrabbiner Ernest Weil eine ausgeprägte halachische Autorität, der
auch wichtige Kommentare zum "Schulchan Aruch" ("geordneter Tisch")
verfaßt hat, dem bis heute dem gesetzestreuen Judentum maßgeblichen
Ritual- und Rechtskodex. Rabbiner und Kantor Gerald Rosenfeld (Thionville),
mit dem ich darüber gesprochen habe, wollte nicht ausschließen, daß
Jacob vielleicht gar bei dieser großen Autorität der jüdischen
Theologie gelernt hat.
Die Ausbildung ist anspruchsvoll, denn der chasan, der Kantor, der auch Vorbeter
ist, leitet den synagogalen Gottesdienst. Der Rabbiner hat dem- gegenüber
andere Aufgaben, Eheschließungen, Scheidungen, Beschneidungen vorzunehmen,
Rechtsstreitigkeiten zu entscheiden. Selbst wenn jüdische Gemeinde eine
Rabbiner bezahlen konnten, was in den vielen kleinen Landgemeinde der Pfalz,
wozu auch Rheingönheim gehörte, gar nicht möglich war, liegt
der Platz des Rabbiners etwas abseits in der Synagoge. Der Kantor hat also wesentliche
Funktionen des Gottesdienstes inne: Im synagogalen Gottesdienst, dessen Ursprünge
in der Zeit der Babylonischen Gefangenschaft liegen und der zur Zeit des Zweiten
Tempels entstand, beschäftigt sich man mit dem Studium der Lehre und der
sich herausgebildeten Tradition der Lesung von Tora, Propheten und Schriften.
Kantoren müssen also sehr gut Hebräisch können, sich in der Lehre
und der daran anknüpfenden Tradition auskennen und sehr gut singen können.
Anspruchsvolle Herausforderungen, den nicht immer alle gleich gut gewachsen
waren.
Da die Lesungen beim Vortrag mit Melodien unterlegt werden, sind die Melodien
im Lauf der Zeit immer komplizierter und zahlreicher geworden, und zwar nicht
so sehr die der Toralesungen, sondern vor allem die der verschiedenen liturgischen
Gesänge und Gebete. So wird z.B. das "leka dodi" ("Komm,
mein Freund, der Braut entgegen") des Sabbatanfangs auf verschiedene Weise
gesungen, entsprechend dem liturgischen Jahreskalender.
Mit der Zeit lag das Traditionsmaterial in solcher Fülle vor, daß
man einen Spezialisten brauchte, der all diese Lesungen, Gebete, liturgischen
Gesänge in ihrer je eigenen Melodie vortragen und so das Beten und Singen
der Gläubigen anführen konnte.
Was in der evangelischen und katholischen Kirche Aufgabe des Pfarrers oder des
Kantors und Organisten ist, das ist im synagogalen Gottesdienst die Pflicht
des hazzan. Wenn wir also heute das Werk Josef Jacobs auch nur anfänglich
ermessen wollen, ist es nötig, daß wir uns das vor Augen halten:
Bei Kantoren wird stets große Musikalität und ein phänomenales
musikalisches Gedächtnis vorausgesetzt. Dabei ist stets darauf zu achten,
daß sich der Kantor nicht als ausübender Künstler versteht,
sondern als Leiter des gemeinsamen Gebets, der die Verehrung der Gemeinde zusammenfaßt
, sie stützt und ihr eine Richtung gibt. Die jüdische Tradition stellt
hohe Anforderungen an den Charakter des Vorsängers und die Gaben von Herz
und Geist. Beides hat Josef Jacob sich angeeignet, durch seine erfüllte
Kindheit in einer lebendigen jüdischen Gemeinschaft in Büdingen und
dann durch seine fundierte Ausbildung in Colmar im Elsaß. Spätere
mündliche Berichte bestätigen, daß er dieser seiner ureigensten
Aufgabe bestens nachgekommen ist, und sich dabei auch ein eigenes Profil, Standfestigkeit
und Treue, bewahrt hat.
II
Wie hat seine persönliche und berufliche Weiterentwicklung dieses Profil weiter gefestigt?
In Colmar hat Josef Jacob seine spätere Frau, Klara Horn, kennen- und
lieben gelernt. Er heiratet sie 1900, vier Töchter gehen aus der Ehe hervor:
Geboren werden am 4.1.1902 Tochter Selma, am 18.5.1904 Tochter Rita, am 4.1.1906
Tochter Gretel, und am 27.5.1908 Tochter Ilse, die am Tag der Einweihung in
Rheingönheim sein konnte: - Ilse Lewin, geb. Jacob, heute im Jüdischen
Altersheim, der Budge-Stiftung in Frankfurt lebend.
Seine erste Anstellung als Kantor und Lehrer tritt er in Rüdesheim am Rhein
an. In der Nachweisung der israelitischen Kultussteuern für das Jahr 1899
ist erstmals Josef Jacob als Religionslehrer eingetragen, letztmals dann im
Jahre 1910. Im Rheingauer Adressbuch 1903-1905 wird "Josef Jacob, israel.
Religionslehrer, Wilhelmstr. 13" aufgeführt. Übrigens auch dort
schon Josef mit "f" und Jacob mit "c", wie es mir auch Frau
Ilse Lewin bestätigt hat, so daß wir solchermaßen gesichert
von dieser Schreibweise ausgehen dürfen.
In einem Schreiben der Israelitischen Kultusgemeinde Rüdesheim wird bestätigt,
daß der Lehrer von der Kultusgemeinde an Jahresgehalt 800,- Mark erhält.
Eine Bitte um Bezuschussung wird jedoch von den Behörden abgelehnt, da
Religionsunterricht, gleich welcher Konfession, nicht durch Zuschüsse gefördert
werde. Weitere Unterlagen gibt es nach Auskunft des Rüdesheimer Stadtarchivars
Rolf Göttert nicht, denn auch die dortige Gemeinde war "nur klein
und unauffällig", wie er schreibt.
Daß Josef Jacob übrigens mit einer Kantorenausbildung auch Religionslehrer
zu diesem Zeitpunkt schon war, kann nicht überraschen, denn wie oben erwähnt,
waren Kindheit und Ausbildung derart begünstigt hinsichtlich seiner Ausbildung,
daß er als Religionslehrer ohne Schwierigkeiten hat eingestellt werden
können, gewiß aber auch ein Hinweis darauf, daß er ein ungewöhnlich
gutes Niveau der Tätigkeit sein eigen nennen konnte. Seine offizielle Religionslehrer
- Prüfung hat er dann, wie Bernhard Kukatzki herausgefunden hat, ein Jahr
nach Beginn seiner Tätigkeit in Rheingönheim, 1912, abgelegt. (Zuständig
war damals die Prüfungskommission in Kaiserslautern unter Leitung des Landauer
Bezirksrabbiners Dr.Berthold Eisenstein. Da die Pfalz in vier Bezirksrabbinate
eingeteilt gewesen ist, wäre für den in Rheingönheim wohnenden
Josef Jacob eigentlich der Frankenthaler Rabbiner zuständig gewesen. In
diesem Falle ist es aber anders gehandhabt worden.)
1910 hat sich Josef Jacob dann von Rüdesheim aus nach Rheingönheim
beworben. 1911 wurde er "als Religionslehrer und Vorbeter, weil Vorbildung
vorhanden, an das Bethaus der Jüdischen Gemeinde berufen". Der Beschluß
des Gemeindeausschusses der Israelitischen Cultusgemeinde Rheingönheim/Neuhofen
wurde am 17.1.1911 gefaßt, unter Vorsitz von Max Fischer. Die beiden anderen
Vorstandsmitglieder waren Adolf Weil und Josef Freundlich, der eine koschere
Metzgerei gegenüber dem Prot. Pfarrhaus, im Haus der heutigen Metzgerei
Aulenbacher, betrieb.
Die Familie zieht ins das Jüdische Bethaus in Rheingönheim, der heutigen
Hauptstraße 246. Das Jüdische Bethaus und die "Judenschule"
waren nach außen hin nicht erkennbar. Beides war in dem spitzgiebeligen,
unauffälligen Haus ohne äußerlichen Zierrat (etwa ein "Gottesauge"
oder ein "Davidsstern") untergebracht. 1912 hatte die Israelitische
Cultusgemeinde Rheingönheim-Neuhofen aus je sieben jüdischen Familien
in Rheingönheim und Neuhofen bestanden. Daß die gemeinsame Heimstatt
in Rheingönheim gefunden wurde, lag wohl daran, daß zufällig
als erstes hier ein Hauskauf möglich wurde, nl. 1873 Kauf des Hauses durch
die Jüdische Gemeinde. Zum Vergleich: 1806 gab es acht, 1823 91, 1936 27,
und im Jahr der Auflösung der Jüdischen Gemeinde 25 Juden in Rheingönheim.
Neben dem Haus gab es einen kleinen Hof und einen Hausgarten, den Klara Jacob
als Gemüsegarten bewirtschaftete. Einige Obststräucher standen dort
und Josef Jacob hat vor Neuanpflanzungen den Garten umgegraben, um seiner Frau
die schwere Arbeit zu ersparen. Sie hatte ja die vier Töchter zu versorgen
und zu erziehen, im traditionell geführten jüdischen Haushalt eine
große Aufgabe, die sie liebevoll und gewissenhaft meisterte.
M Hof nahm Jacob rituelle Schlachtungen vor, wenn Gemeindeglieder ihm Hühner
und andere Kleintiere brachten, um sie gemäß dem jüdischen Ritualgesetz
schächten zu lassen. Das auslaufende Blut wurde abgepumpt, damit es den
Hof nicht verunreinigte. Jacob schächtete aber auch in jüdischen Metzgereien,
wohl auch bei dem Rheingönheimer Metzger Josef Freundlich und bei Metzger
Gutmann in Ludwigshafen.
Daß Josef Jacob auch "schochet", also Schlachter bzw. Schächter
war, deutet ebenfalls auf seine fundierte Ausbildung hin, denn nicht jeder konnte
dieses wichtige Amt ausüben: Nach den jüdischen Speisegesetzen ist
der Umgang mit Blut verboten, denn der vertraute Umgang damit kann zu Roheit
und Grausamkeit des menschlichen Charakters führen. Das Schlachten soll
schmerzlos und ohne Qual geschehen und wird im Judentum nicht einfach als töten
verstanden. So gibt es für die "Schechita" rituelle Vorschriften,
die genau eingehalten werden müssen. Ein Fachmann ist dafür notwendig,
ein zu höchster Geschicklichkeit geschulter Experte. Denn das Messer darf
nicht sägen, hacken oder Fleischfasern einreißen. So schreibt Rabbiner
S.Ph. de Vries in seinem Buch über "Jüdische Riten und Symbole"
(S.153): "Der Mann, der die Schlachtung durchführt, wurde dafür
besonders ausgebildet. Er untersteht der Aufsicht durch das Rabbinat. In der
Prüfung muß er beweisen, daß er das Messer zu schleifen wie
auch schnell und geschickt damit umzugehen versteht und damit allen Vorschriften
gerecht wird. Darauf wird er wiederholt geprüft, mindestens einmal im Jahr...Darüber
hinaus ist der Schächter als ein frommer Jude bekannt, als ein Mann, dem
die Aufgabe heilig, göttlich ist."
Wenn der schochet nach den Vorschriften verfährt, wird das Tier im Moment
des Schnitts augenblicklich bewußtlos, ist gleichzeitig betäubt,
was auch Gutachten tierärztlicher Experten bestätigen. Dabei wird
an Gott, den Herrn der Welt gedacht, der durch seine Vorschriften das Leben
zu heiligen aufträgt und unnötiges Leiden, auch von Tieren, untersagt.
Die im ersten Drittel des letzten Jahrhunderts häufigen Proteste gegen
das rituelle Schächten kamen von vermeintlichen Tierschützern, die
nicht frei von Judenhaß und Konkurrenzdenken waren und die die Vorgänge
beim Schächten nicht richtig einordnen konnten, vor allem auch den schonenden
Umgang mit den Tieren nicht wahrhaben wollten. Bis heute halten sich die Vorurteile,
die auf Unkenntnis basieren..
III
Wie hat sich sein Profil auf sein weiteres Wirken in Rheingönheim und Ludwigshafen ausgewirkt?
Josef Jacob hat seine eigenen Kinder als Lehrer streng religiös erzogen.
Ilse Lewin sagt von ihm - in der verdienstvollen Broschüre von Walter Schäfer
"Eine jüdische Odyssee", in der 1985 erstmals die Geschichte
der Familie fixiert worden ist: "Er war ein frommer Mann mit vielseitigen
geistigen Interessen und für seine eigenen Töchter in allen Lebensfragen
immer sehr aufgeschlossen." So hatte er auch später in Ludwigshafen
Verständnis dafür, wenn seine Töchter, die samstags, also auch
am Sabbat, zur Communalschule gehen mußten. Sie sollten durch ihre Religionszugehörigkeit
keine Benachteiligungen durch den sonst fehlenden Schultag haben. So hat ihn
Ilse Lewin als "weichherzigen, liebenswürdigen und groß gewachsenen
Mann" beschrieben, was frühere Nachbarinnen bestätigen: "Die
Familie war gut zu haben und hatte eine angenehme, freundliche Art."
Standfestigkeit und Gewissenhaftigkeit Josef Jacobs haben nicht nur seine Ämter
des Kantors und Schächters geprägt, sondern auch seine Tätigkeit
als Lehrer.
Im jüdischen Schulwesen hatte sich ein großer Wechsel vollzogen:
Erst die bayrische Verordnung vom 28.8.1817 verpflichtete die jüdischen
Kinder zum Besuch der öffentlichen Schulen "mit Ausnahme der besonderen
Religionslehre". Die Verordnung vom 8.10.1823 ermöglichte ein eigenes
jüdisches Schulwesen: "Den Juden ist bewilligt, eigene Schulen zu
errichten, wenn sie ein anständiges und zweckmäßiges Local ausmitteln
und vorschriftsmäßig gebildete und geprüfte Schullehrer anstellen,
welche königliche Unterthanen sind...Dies Lehrer sind an den allgemeinen
Schulplan gehalten." Der profilierte Landauer Rabbiner Grünebaum sprach
rückblickend ein vernichtendes Urteil über die mangelhafte Beschulung
der jüdischen Kinder vor 1823 aus, insbesondere über den kümmerlichen
Religionsunterricht durch unfähige Lehrpersonen, "unwissende, dürftige
und wenig angesehene Vorsinger (Decher genannt)". Auch hieran sieht man,
daß es, auch wenn die Ausbildungssituation in der zweiten Hälfte
des 19. Jahrhunderts besser wurde, (jüdische Lehrer wurden im protestantischen
Seminar in Kaiserslautern von Bezirksrabbinern geprüft,) keineswegs selbstverständlich
war, gute jüdische Religionslehrer anstellen zu können, zumal sie
meistens nur Hungerlöhne bekamen, weil die kleinen Zwerggemeinden nur wenig
Geld für den Unterricht aufbringen konnten. So war es nötig, daß
jüdische Lehrer in mehreren Gemeinden Dienst tun mußten, zum einen,
um sich einigermaßen ernähren zu können, zum anderen, weil in
vielen kleine Gemeinden nur einige wenige Schüler zusammen kamen.
So hat auch Josef Jacob Religionsunterricht im Raum von Worms bis Speyer gegeben
und 105 Schüler unterrichtet. Bei den damaligen Verkehrsverhältnissen
ist er lange und oft unterwegs gewesen, so daß es nicht wundert, daß
sich in Erinnerungen alter Rheingönheimer an Klara Jacob und den Kindern
festmachen, weniger aber an Josef Jacob selbst. Auch hat er 1912 um eine zusätzliche
Stelle als Lehrer in Schifferstadt beworben.
Wenn auch über die Selbstbesteuerung der jüdischen Gemeinden wenig
bekannt ist, so weiß man doch, daß in dörflichen Gemeinden
"Schulgänger" wenigstens vier Kreuzer in die Synagogenkasse zu
zahlen hatten.
Gelten kann auch im Falle Josef Jacobs die Einschätzung, die von Hermann
Arnold in seiner wesentlichen Studie "Juden in der Pfalz. Vom Leben pfälzischer
Juden" (1988/2, S. 147) wiedergegeben wird: "Die Stellung des Lehrers
in der Gemeinde bestimmten wohl vor allem sein Charakter, seine Fähigkeiten
und seine Hingabe an den Beruf, doch mag auch ebenso bedeutsam gewesen sein,
wie die Gemeinde seine geistigen Anregungen aufnahm...Die früheren...Lehrer
waren besonders in den jüdischen Schriften sehr bewandert, haben ihre Schüler
in den Gebeten, der Bibel und auch in anderen jüdischen Werken gut unterrichtet.
Ihren Gemeindegliedern haben sie dank ihres religiösen und allgemeinen
Wissens gute Dienste geleistet."
Wichtig in Rheingönheim und in Ludwigshafen war vor allem auch, daß
Josef Jacob durch seine Charakterfestigkeit und Treue mitgeholfen hat, daß
die jüdische Gemeinde kraft ihrer Religiosität in sich selber ruhen
konnte und damit zusätzlich ein Stück Heimat vermitteln konnte, war
doch die Gemeinde Kultusgemeinde, Rechtsgemeinde und eigener Sozialkörper
zugleich. Dies gilt, auch wenn die Rheingönheimer Juden vor der NS-Zeit
gut ins dörfliche Leben integriert waren.
Ende 1925 ist dann Josef Jacob mit seiner Familie erst in die Wredestraße
40, wo er aber erst 1926 im Ludwigshafener Einwohnermeldeamt auftaucht, umgezogen,
später in die Wittelsbachstraße 84. In der Ludwigshafener Innenstadt
hatte die Familie es gut getroffen, da Josef Jacob auf eine nach den damaligen
Verhältnissen "komfortable" Wohnung Wert legte.
Nicht nur in Rheingönheim scheint die Gemeinde so klein geworden zu sein,
daß ein Gemeindeleben nur noch eingeschränkt möglich gewesen
ist und ein Kantor Jacob nicht mehr bezahlt werden konnte. Wie viele andere
Vorbeter und Kantoren ist auch er in die nächstgrößere Stadt
gegangen, um dort seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Zwar scheint Max Fischer
noch eine Zeit lang mitgeholfen zu haben, daß die Gemeinde am Leben blieb,
aber 1938 wurde sie mit anderen Gemeinden aufgelöst.
In Ludwigshafen war Jacob dann ab der Jahreswende 1925/26 als Kantor und Lehrer
tätig, mündlichen Berichten zufolge auch "Oberkantor", wobei
dies sich historisch-wissenschaftlich nicht verifizieren läßt. Persönlich
schwer getroffen hat ihn 1925 der Tod seiner Tochter Selma. Diesen Verlust hat
er nie richtig verwunden: "Er litt seelisch darunter...Dennoch absolvierte
er in all diesen Jahren mit der von ihm geübten Genauigkeit seine umfangreichen
Aufgaben in der jüdischen Gemeinde Ludwigshafen." (Schäfer, Odyssee,
S. 3f.).
Zwei Jahre danach, 1927, berichtet Jacob seiner Tochter Rita von einem Traum:
"Gott hat mir etwas Schlimmes mitgeteilt: Das europäische Judentum
wird vernichtet werden., ich werde sterben. Ihr aber bleibt am Leben."
(Das Grab der Tochter Rita, verheiratete Birnbaum, befindet sich auf dem Jüdischen
Friedhof Mannheim). Dennoch war damals das Zusammenleben zwischen Juden und
Christen in der jungen Industriestadt Ludwigshafen nach vielen Zeugnissen entspannt
und ohne große Probleme.
Am 6.9.1935 konnte Josef Jacob seinen 60. Geburtstag und sein 25 jähriges
Lehrerjubiläum im Sabbat-Gottesdienst in der Ludwigshafener Synagoge Kaiser-Wilhelm-Straße
begehen. Im "Israelitischen Gemeindeblatt", Redaktionsteil 1935 Nr,.18,
S.16, heißt es dazu: "Herr Lehrer und Kantor Josef Jacob beging am
Freitag, den 6. September, seinen 60.Geburtstag und zugleich sein 25 jähriges
Lehrerjubiläum. Der Synagogenrat sprach Herrn Jacob in einem Glückwunschschreiben
den herzlichsten Dank aus für sein pflichttreuer Wirken und überreichte
ihm eine Ehrengabe. Bezirksrabbiner Dr. Steckelmacher widmete beim Sabbat-Morgengottesdienst
dem verdienten Beamten Worte der Anerkennung und beglückwünschte ihn
im Namen der Gemeinde (...) Am Sonntag, den 17.März 1935 fand unter starker
Beteiligung die diesjährige Gefallenen-Gedenkfeier der israelitischen Kultusgemeinde,
gemeinsam mit dem Reichsbund jüdischer Frontsoldaten statt...Die Herren
Liberles und Jacob leiteten die Feier durch Psalmenrezitation ein. - Gefühle
der Trauer wichen der Erkenntnis des Sinnes unserer 12000 Opfer, die die Ehre
des deutschen Judentums auf blanken Schild erhoben." (Übrigens: Ludwigshafen
hatte 17 jüdische Gefallene im Ersten Weltkrieg.) Diese Beschreibung mag
etwas vom damaligen "Geist" der Arbeit Jacobs widerspiegeln und zeigen,
welch hohe Reputation er besaß.
IV
Die nationalsozialistischen Zwangsmaßnahmen und das Ergehen J. Jacobs bis zu seiner Ermordung
Es kam die sog. "Machtergreifung" Hitlers, und mit ihr die aus dem
nationalsozialistischen Rassenwahn geborene Hetze gegen die jüdischen Bürger.
Schon bald flogen nachts Steine gegen die Fenster der Wohnung des ostjüdischen
Rabbiners in der Westendstraße, wie uns seine Töchter bei ihrem Besuch
hier in unserer Stadt vor wenigen Wochen berichtet haben. Die Juden, die eine
so bedeutenden Beitrag zur Entwicklung Ludwigshafens und seiner Wirtschaft geleistet
hatten und auch vor 1933 noch leisteten, wurden Zug um Zug aus Verwaltung, Schule,.
Handel und Industrie verdrängt. Auch ihre historischen Verdienste wurden
ausgelöscht: Die einst auf Vorschlag der BASF nach Chemikern jüdischen
Glaubens benannten Straßen wurden von der nationalsozialistischen Stadtverwaltung
umbenannt - gegen den Widerstand des Unternehmens, das die dauernden Verdienste
der geehrten hervorhob. Auf die Verdrängung folgte die Vernichtung (heute
freilich tragen die von den Nazis umbenannten Straßen wieder den Namen
jüdischer Chemiker, und bald soll auch der 1933 brutal aus dem Amt gedrängte
jüdische Baudirektor Markus Sternlieb, dem die Stadtentwicklung Ludwigshafens
so viel verdankt, auf diese Weise geehrt werden. Dekan i.R. F. Borggrefe als
Ehrenbürger Ludwigshafens hat sich dafür in verdienstvoller Weise
stark gemacht).
Der von Hitler ausgelöste Zweite Weltkrieg, der Europa in einen Abgrund
von Zerstörung stürzte und weltweit fast sechzig Millionen Menschen
das Leben kostete, wurde zur Katastrophe auch für das kontinentaleuropäische
Judentum, das dem Rassenwahn der NS- Führung ausgeliefert war. Auch die
in Ludwigshafen zurückgebliebenen Juden wurden 1940 deportiert. Viele endeten
in den Vernichtungslagern des Ostens. Nur wenige überlebten in Vers5tecken,
als Ehepartner nicht-jüdischer Deutscher oder als "Mischlinge ersten
Grades". Doch auch sie wurden zu Zwangsarbeitern gemacht oder noch im März
1945, wenige Tage vor dem Einmarsch der US-Armee in Ludwigshafen, nach Theresienstadt
deportiert.
Da auch Josef Jacob seit 1933 die antijüdische, rassistische Zwangspolitik
der Nationalsozialisten in Ludwigshafen erlebte, zog er nach Mannheim in die
F-Quadrate um, wo es aber zu weiteren Repressalien kam. Walter Schäfer
schreibt dazu: "Es kamen in Deutschland die Jahre 1935-1938, in denen sich
für die Juden der Himmel verdunkelte. Indifferenz, Verunglimpfung, Boykott
der jüdischen Geschäftswelt, Verdrängung der Juden aus dem Wirtschaftsleben,
Behinderung jüdischen kulturellen Lebens führten hin zum Judenpogrom
in der Nacht zum 9./10.November 1938." Aber die Hoffnung, in der größeren
und angesehenen Jüdischen Gemeinde in Mannheim sicherer zu sein, hatte
getrogen, auch in Mannheim kam es zu Repressalien. Hetze und Diffamierung machten
auch hier das Leben der Juden unerträglich.
Mitbekommen hat Josef Jacob die Auflösung der Israelitischen Kultusgemeinde
Rheingönheim-Neuhofen 1938. Man kann sich vorstellen, was er dabei empfunden
haben muß. Ein Zeitgenosse, Ludwig Strauß aus Bad Dürkheim
leerte sein Herz über diesen Vorgang aus: "Heute -dem Himmel sei es
geklagt .-berichten unsere jüdischen Zeitungen fast in jeder Nummer von
der Auflösung jüdischer Gemeinden, vom dem Verkaufe dieser und jener
Synagoge. Wir nehmen es resigniert hin, ohne uns zu entsetzen...Der Pfalzverband
jüdischer Kultusgemeinden...hat jede Synagoge vor dem Verkauf..besichtigt,
alle Thorarollen und Ritualien in sichere Hut gebracht. Manche dieser Synagogen
ließen schon beim Eintritt erkennen, daß seit Jahren kein Gottesdienst
mehr in ihnen stattgefunden hat...Unsere Trennung von diesen Synagogen - es
waren Trauertage für das pfälzische Judentum." Zwei Rheingönheimer
Beschneidungswindeln wurden auf wundersame Weise gerettet und sind heute im
Fundus der Judaica-Abteilung des Historischen Museums der Pfalz in Speyer aufbewahrt.
Nach der Reichspogromnacht 1938 wurde auch Josef Jacob mit vielen anderen ins
KZ Dachau verschleppt und wurde bis zum 22. November dort festgehalten.
Die jüngste Tochter Ilse, die in Berlin Erich Lewin geheiratet hatte, floh
mit ihrer Familie, darunter der kleine Sohn Harry, von Berlin aus nach Bolivien,
dann Chile, wo das zweite Kind Ruth (heute verheiratete Ezrahe)geboren wurde.
Jacob entging der 1940 von den Gauleitern Badens und der Pfalz durchgeführten
großen Deportation nach Gurs/Südfrankreich. Die führenden Nationalsozialisten
unserer Region gierten damals danach, ihre Herrschaftsgebiete vor allen anderen
als "judenrein" bezeichnen zu können.
1940/41 befand sich Josef Jacob zeitweise im Israelitischen Krankenhaus in Mannheim.
In Unterlagen des Stadtarchivs Mannheim heißt es: "Ausweislich der
bei uns vorliegenden
Meldekarte für Josef Jacob war dieser vom 31.12.40 bis 11.2.41 im Israelischen
Krankenhaus in der Collinistraße; seither wohnte er in L 10,7. Gemäß
Eintrag wurde Jacob am 21.8.1942 lt. Mitteilung der Gestapo evakuiert.
Die Lage der Juden war so bedrückend und aussichtslos geworden, daß
man in der Familie beraten mußte, was zu tun sei.
So kam es zur Flucht der Familie, seiner Frau Klara, Tochter Gretel und deren
Mann, im Frühjahr 1940 über eine Passage mit der Eisenbahn nach Rußland
und dann nach Shanghai, die auch ihm möglich gewesen wäre. Er aber
weist dieses drängende Ansinnen der Familie zurück mit den Worten:
!"Die Jüdische Gemeinde war immer gut zu mir. Ich bleibe bei meiner
Gemeinde!" Auch hier wieder der ihn bestimmende Charakterzug der Treue
zu seinen Mitmenschen, denen er stets als verläßlicher Partner begegnen
wollte.
Seine beiden Brüder Raffael Jacob, jüdischer Kantor in Heidelberg,
und Paquen Jacob als Bauer in Frankreich, wurden 1940 deportiert und ermordet.
Am 21.8.1942 wurde Josef Jacob in L 10 in Mannheim von der Gestapo verschleppt,
zwei Tage später ins KZ Theresienstadt deportiert, am 26.9.1942 wurde er
im Nebenlager Maly Trostinec als "verschollen" gemeldet. Das Todesdatum
wurde später auf 15.10.42 festgelegt. Er wurde als im September oder Oktober
ermordet.
V
Was bleibt?
Wenn wir jemanden wie Josef Jacob würdigen, so werden die unsäglichen Geschehnisse der Shoah gewiß mit die bleibende Antriebskraft für das Gedenken bleiben. Den Schwerpunkt legen wollte ich aber auf die Zeit vor dem Dritten Reich, weil es hier gelungenes Zusammenleben von Christen und Juden vor Ort gegeben hat und mir viel daran liegt, das unendlich Positive, das wir durch die Shoah verloren haben und was ich nach wie vor als schmerzliche Wunde empfinde, darzustellen: So verstehe ich die heutige Würdigung auch nicht so, daß Josef Jacob als "Opfer" des nationalsozialistischen Rassewahns gedacht wird, sondern als handelndes Subjekt in der Geschichte der Judenheit in der Pfalz geehrt wird, also für das, was er geleistet und wofür er segensreich gearbeitet hat. Bei Josef Jacob sind das vor allem die Arbeits- und Lebensfelder, die ihn unmittelbar berühren, mit denen er sich identifiziert und für die er gelebt und gewirkt hat, als Kantor, als Lehrer, als Schächter, ein Mann der Verläßlichkeit und Treue, wie ein Baum, der am Wasser gepflanzt ist und das lebendige Wasser des Heiligen, gepriesen sei ER, getrunken und dann auch weitergegeben hat: So mögen abschließend die Verse 1-4 des ersten Psalms in der Übersetzung von Martin Buber und Franz Rosenzweig für das stehen, was Josef Jacob verkörpert:
"O Glück des Mannes,
der nicht ging im Rat der Frevler,
den Weg der Sünder nicht beschritt,
am Sitz der Dreisten nicht saß,
sondern Lust hat an SEINER Weisung,
über seiner Weisung murmelt tags und nachts!
Der wird sein
Wie ein Baum, an Wassergräben verpflanzt,
der zu seiner Zeit gibt seine Frucht
und sein Laub welkt nicht:
was alles er tut, es gelingt."
Literatur
Walter Schäfer, Eine jüdische Odyssee, Rheingönheim o.J. (1985;
intensive Darstellung der Lebensgeschichte der Familie Jacob, Lewin und Kinder);
Hermann Arnold, Juden in der Pfalz. Vom Leben pfälzischer Juden, Landau
1988, 2. Auflage (äußerst verdienstvolle Studie, die jeder, der sich
mit dem Thema beschäftigt, intensiv gelesen haben sollte und von der ich
stark profitiert habe);
Ulrike Minor/Peter Ruf, Juden in Ludwigshafen, Ludwigshafen o.J. (1992);
Alfred Hans Kuby (Hrsg.), Pfälzisches Judentum gestern und heute. Beiträge
zur Regionalgeschichte des 19. und 20.Jahrhunderts. Neustadt 1992;
Alfred Hans Kuby (Hrsg.), Juden in der Provinz. Beiträge zur Geschichte
der Juden in der Pfalz zwischen Emanzipation und Vernichtung, Neustadt 1988;
S.Ph. De Vries, Jüdische Riten und Symbole, Wiesbaden 1990/6. Aufl.;
Willem Zuidema, Gottes Partner. Begegnung mit dem Judentum, Neukirchen 1983;
Die Schriftwerke 4. Verdeutscht von Martin Buber, Heidelberg 1980;
Gerhard Nestler/Hanes Ziegler (Hrsg.), Die Pfalz unterm Hakenkreuz, Landau 1993;
Georg Armbrüster/Michael Kohlstruck/Sonja Mühlberger (Hrsg.), Exil
Shanghai 1938- 1947. Jüdisches Leben in der Emigration (Mit Erstveröffentlichung
von 14800 Eintragungen der Ausländerliste der japanischen Fremdenpolizei
auf CD-Rom), Teetz 2000 (auf diese hoch interessanten Studien sei im Zusammenhang
mit der Lebensgeschichte der Jacobs/Lewins hingewiesen, da erst in letzter Zeit
dieses Thema verstärkt aufgearbeitet wird und die Verlagspolitik von Hentrich&Hentrich,
die Themen wie dieses aufgreifen, unterstützt werden sollte;
Verlagsprospekt erhältlich beim Verlag H&H, Ganzer Straße 10,
16866 Teetz.
Eigene Recherchen und Befragungen von Ilse Lewin, Ruth Ezrahi und "alter
Rheingönheimer"