von Tobias Lelle
Das Haus der Wannsee-Konferenz: heute ein Gedenk- und Tagungshaus
„Im Zuge dieser Endlösung der europäischen Judenfrage kommen
rund 11 Millionen Juden in Betracht“.
Mit diesem Satz aus dem Protokoll der Wannsee-Konferenz vom 20. Januar 1942
lässt sich der gesamte Schwerpunkt dieses Treffens hochrangiger Nazifunktionäre
zusammenfassen. Er zeigt aber auch, wie harmlos man mit einem Wort wie „Endlösung“,
den Massenmord an Millionen von Juden umschreiben kann.
In das Interpol-Gebäude Am Großen Wannsee 56 –58 wurde von
SS-Obergruppenführer Reinhard Heydrich zu einer „Besprechung mit
anschließendem Frühstück“ eingeladen. Dieser Zynismus
ist nicht zu übertreffen und unterstreicht überdies die Annahme, dass
Absichten und Ziele der Zusammenkunft bereits fest standen und nur noch der
Legitimation durch die verantwortlichen Machthaber bedurften.
Dass der Gedanke zur Judenvernichtung im NS-Regime nicht erst seit der Machtergreifung 1933 existierte, zeigt z.B. ein Zitat aus Hitlers „Mein Kampf“ – „Hätte man zu Kriegsbeginn und während des Krieges einmal zwölf- oder fünfzehntausend dieser hebräischen Volksverderber so unter Giftgas gehalten wie Hunderttausende unserer allerbesten Arbeiter [...], wäre das Millionenopfer der Front nicht vergeblich gewesen [...]“. Für ihn (Hitler) , standen auf der einen Seite die Arier, kulturschöpferische Menschen und als solche die einzigen Anwärter auf die Weltherrschaft und auf der anderen die Nichtarier, die Juden, die ohne Gnade bekämpft werden mussten. Die sich hier abzeichnende Entwicklung des Hasses auf die Juden bis hin zur eigentlichen Durchführung der Endlösung erklärt sich am Besten durch eine Betrachtung der zeitlichen Aufeinanderfolge der Ereignisse:
Der judenfeindliche Aktionismus begann praktisch 1933 mit dem von der NS-Regierung
organisierten Judenboykott. Den Juden sollte zwar kein direkter Schaden zugefügt
werden, vielmehr wurde ein antisemitisches Klima in der Bevölkerung angestrebt,
das die Juden dazu bewegen sollte, aus eigenem Antrieb das Reichsgebiet zu verlassen.
Diese Lösung bot in den Augen der Machthaber den Vorteil, die deutsche
Wirtschaft nicht allzu sehr zu belasten.
Das "Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" trat in Kraft,
in welchem neben politischen Gegnern auch jüdische Richter, Beamte sowie
Angestellte in allen öffentlichen Bereichen ihrer Ämter enthoben wurden.
Am 15. September 1935 beschloss man dann im Nürnberger Parteitag das Blutschutzgesetz
und das Reichsbürgergesetz. Durch das „Gesetz zum Schutze des deutschen
Blutes und der deutschen Ehre“, dem Blutschutzgesetz, waren Eheschließungen
zwischen Nicht-Juden und Juden, sowie der außereheliche Geschlechtsverkehr
zwischen ihnen verboten.
Das Reichsbürgergesetz vom 14. November 1935 stufte alle Juden zu Menschen
mit eingeschränkten Rechten ein. Wer als Jude zu gelten hatte, wurde in
der ersten Durchführungsverordnung festgelegt.
1938 folgte dann die Reichsprogromnacht. In der Nacht zum 10. November 1938
brannten jüdische Synagogen in ganz Deutschland. Angehörige der SA
und der SS zertrümmerten die Schaufenster jüdischer Geschäfte,
demolierten jüdische Wohnungen und misshandelten ihre Bewohner. Die „offizielle“
Bilanz dieser Nacht spricht von 91 Toten, 2.676 zerstörten Synagogen und
Gemeindehäusern und ca. 7.500 verwüsteten Geschäften.
Die von Hitler für den Kriegsfall angekündigte Vernichtung der jüdischen
Rasse nahm durch den Kriegsausbruch 1939 bedrohliche Dimensionen an. Nun begannen
im Verlauf der nächsten zwei Jahre Deportierungen von Juden in Ghettos,
sowie der Bau der sechs Vernichtungslager. Gleichzeitig lief die systematische
Verfolgung in den Kriegsgebieten an, wo jeweils unmittelbar nach der Besetzung
die Juden aufgespürt und ermordet wurden.
Diese Ereignisse belegen mit aller Deutlichkeit, dass die Judenvernichtung zu
dem Zeitpunkt der Wannsee Konferenz bereits in vollem Gange war, bedenkt man,
dass zu diesem Zeitpunkt schon allein in der UdSSR 370.000 Juden ermordet als
auch, schon viele Juden in den Osten deportiert wurden und in Auschwitz bereits
1941 schon erste Tötungsversuche mit Zyklon B erfolgten. So war der Massenmord
längst geplant und das Treffen am Wannsee symbolisiert lediglich den konsequenten
Vollzug des Vernichtungswahns von Adolf Hitler.
Heydrich hatte sich wohl zum Hauptziel dieser Konferenz gesetzt, die zur Durchführung
maßgeblichen Stellen über seinen Auftrag zu unterrichten und sich
ihrer Mitarbeit zu vergewissern. Bezeichnend für das Ausmaß ist auch
eine Nennung der Beteiligten und ihrer Ränge bzw. Ämter im Befehlsgefüge
des Regimes.
Teilnehmer der Konferenz sind namentlich: Gauleiter Meyer, der Staatssekretär
im Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete, die Staatssekretäre
Stuckart (Innenministerium), Neumann (Vierjahresplan), Bühler Generalgouvernement
Polen), der Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt, Luther, der Kabinettchef
der Reichskanzlei Friedrich W. Kritzinger, Richter Roland Freisler im Namen
des Justizministeriums sowie sechs hohe SS-Offiziere – darunter Adolf
Eichmann – als Vertreter des Reichssicherheitshauptamtes, der Parteikanzlei
und des Amtes für Rassen- und Siedlungsfragen.
Heydrich teilte den Anwesenden eingangs mit, dass Reichsmarschall Hermann
Göring den ihm schon 1939 erteilten Auftrag der „Lösung der
Judenfrage“ nun in einem Brief vom 31. Juli 1941 erweitert hätte.
Sollte Heydrich damals nur eine „den Zeitverhältnissen möglichst
günstige Lösung“ finden, welche durch forcierte Auswanderung
und Umsiedlung der Juden zu erreichen war, so ginge es jetzt um eine „Lösung
der Judenfrage in ganz Europa“. Insgesamt sollten 11 Millionen Juden von
diesem Plan betroffen sein, davon nicht nur in Deutschland und den besetzten
Gebieten sondern auch in feindlichen Ländern wie England und Irland. Vorgesehen
war Europa von Westen nach Osten durchzukämmen“ – die Deportationen
sollten abhängig gemacht werden von der Entwicklung des Krieges und der
Reaktion des Landes. Es wurde festgelegt, dass gewisse Juden, wie Träger
des Eisernen Kreuzes erster Klasse, Kriegsversehrte oder Kinder aus Mischehen,
in besondere Lager, wie z.B. Theresienstadt, zu bringen seien.
Alle anderen Juden kamen in Durchgangslager, um dort zu verweilen bis die technischen
Vorraussetzungen in den Lagern im Osten gegeben seien um sie dann in jene zu
überführen. Dort sollten sie dann „selektiert“ werden,
um anschließend Zwangsarbeit zu leisten. Heydrich erwähnte, dass
dabei „ein Großteil durch natürliche Verminderung ausfallen“
werde. Außerdem teilte er den Anwesenden mit, dass „der allfällig
endlich verbleibende Restbestand“ – also die „natürliche
Auslese“, sprich die Widerstandsfähigsten - „wird entsprechend
behandelt werden müssen, da dieser [...] als Keimzelle eines neuen jüdischen
Aufbaus anzusprechen ist.“
Den anwesenden Beamten sollte nun klar geworden sein, dass die Judenfrage nicht mehr durch Zwangsauswanderung“ gelöst wird und dass die „wilden Judenexekutionen“ durch Einsatztrupps der SS nun dem Ende angehörten. Es wurde deutlich, dass es sich um einen Gesamtplan zur Vernichtung der Juden durch „natürliche Verminderung“, also per Zwangsarbeit und jedes andere Verfahren, dass günstig erschien, handelte, um das Wiederaufleben einer jüdischen Gemeinde in Europa zu verhindern. Gegen Ende der Konferenz gab Heydrich noch einen historischen Überblick über den Kampf gegen das Judentum und betonte ausdrücklich die „neuen Möglichkeiten“, die der Krieg mit sich brachte, da bis 1939 der Aktionismus gegen die Juden nur in weitestgehend legalem Maße vollzogen werden konnte.
Beim Betrachten des Protokolls fällt auf, dass an keiner Stelle die systematische Ermordung der Juden in Europa offen ausgesprochen wird. Protokollführer der Sitzung, SS-Obergruppenführer Adolf Eichmann, benutzt ein Nebeneinander von Begriffen aus der nationalsozialistischen Rassenlehre und der Mordterminologie der SS, um den tatsächlich gemeinten Inhalt des Gesprächs zu verschleiern. Die Absichten werden hinter Begriffen wie „natürliche Verminderung“, „natürliche Auslese“ oder „entsprechend behandeln“ versteckt. Dieses Beschönigen dient aber wohl nicht nur dem Zweck die wahren Absichten zu verbergen sondern wohl auch dem psychologischen Selbstschutz der Beteiligten vor dem Ausmaß der Vernichtung der Juden in dieser Größenordnung.
Spätestens nach der Wannsee-Konferenz waren alle höheren Entscheidungsträger des Reiches eingeweiht und somit mitverantwortlich für den Völkermord an ca. 6 Mio. Juden.
Links und Literatur:
Stefan
Meißner: Streifzüge durch das jüdische Berlin (interner Link)
Webseite
der Gedenkstätte "Haus der Wannse-Konferenz" (externer Link)
www.antisemitismus.net
(externer Link)
www.shoa.de
(externer Link)
Filmische
Rekonstruktion der Wannsee-Konferenz (DVD, 90 Min.)
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