Die Gemara

Worauf bezieht sich der Tanna, dass er lehrt: von w a n n an? Ferner, warum lehrt er zuerst: "am Abend", er sollte doch zuerst vom Morgen lehren?

Gemeint ist die Frage nach dem Schriftbezug der Lehre. Die Mischna läßt diese Frage völlig offen.
Mit "Tanna" ist ein Mischnalehrer der ersten Generation gemeint, hier konkret: Rabbi Eliezer. 
Der Tag beginnt schließlich mit dem Morgen und endet mit dem Abend. Wieso also beginnt Eliezer mit dem Abend?

Der Tanna bezieht sich auf den Schriftvers. Es heißt:"bei deinem Schlafengehen und bei deinem Aufstehen"; darauf Bezug nehmend lehrt er: "Wann [beginnt] die Zeit des Schema-Lesens beim Schlafengehen? – von der Stunde an, da die Priester eintreten, von ihrer Hebe zu essen." Wenn du willst, sage ich: er lernte dies von der Weltschöpfung, denn so heißt es: "es ward Abend und es ward Morgen, ein Tag."

Die Gemara zitiert hier Dtn 6,7 und liefert so den in der Mischna fehlenden Schriftbezug nach.
Hier kommt offensichtlich ein Redaktor zu Wort. Ob es der Endredaktor ist oder ob das "Ich" einer früheren Tradtionsstufe zugehört ist hier wie überhaupt im Talmud schwer zu entscheiden.
Gemeint ist die zweite der oben aufgeworfenen Fragen: Warum der Abend vor dem Morgen genannt ist.
Das Zitat aus Gen 1,5 begründet die ungewöhnliche Reihenfolge. Der jüdische Normaltag geht von Abend zu Abend, auch die Feiertage!
Demnach sollte er doch am Schlusse, wo er lehrt: "am Morgen spreche man zwei Segenssprüche vorher und einen nachher; am Abend spreche man zwei vorher und zwei nachher", [ebenfalls] vom Abend zuerst lehren? – Der Tanna beginnt mit dem Abend und lehrt nachher über den Morgen, und da er vom Morgen spricht, erklärt er die Angelegenheiten des Morgens, und nachher erst erklärt er die Angelegenheiten des Abends.

Gemeint ist mBer I,4. Der Herausgeber wirft die Frage auf, ob der Tanna an anderer Stelle dem hier angewendeten Prinzip (den Abend vor dem Morgen zu behandeln) untreu geworden ist.
Die Gemara erklärt die scheinbare Inkonsistenz des Tanna mit einer literarischen Technik, die die Rabbinen öfters anwendeten: Den Chiasmus, d.h. das zuletzt eingeführte Element wird zuerst erklärt und umgekehrt.
Der Meister sagte: "Von der Stunde an, da die Priester eintreten, von ihrer Hebe zu essen. Merke, die Priester essen ja die Hebe von der Stunde an, da Sterne hervortreten", so sollte er doch lehren: "von der Stunde an, da Sterne hervortreten"!? - Nebenbei lehrt er ein Zweites, dass nämlich die Priester von der Hebe essen von der Stunde an, da Sterne hervortreten, und damit lehrt er uns, dass die Sühne nicht hindernd sei.

Der Herausgeber setzt hier die allgemeine Praxis voraus, das Schma zu lesen, wenn die Sterne erscheinen. Warum, so wundert er sich, hat der Tanna nicht gleich diese Antwort gegeben, sondern den Umweg über die Hebe gewählt?
Der Tanna schlägt zwei Fliegen mit einer Klappe: Er lehrt einmal die rechte Zeit für das Schema und zugleich die Zeit für das Essen der Hebe!
Es folgt ein langer Exkurs über Fragen der Reinheit und des Aussühnung bei Verunreinigungen - anknüpfend an das Stichwort: "Herauskommen der Sterne". Die Ausgangsfrage nach dem Schema wird erst sehr viel später wieder aufgegriffen. Dass diese auf den ersten Blick ungeordnete Ansammlung von halachischem Material nicht ganz willkürlich ist, zeigt ein Blick auf die Auslegungsregeln des Rabbi Hillel (nächste Seite!).

 

 

 

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