von Dr. Wolfgang Fenske
Vortrag anlässlich des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus (Speyer 13.2.2007), gekürzte Fassung
A 1 Vorbemerkung
Ich wurde gebeten, über mein Buch zu referieren, das den Titel trägt:
»Wie Jesus zum Arier wurde«. Der Untertitel lautet: »Auswirkungen
der Entjudaisierung Christi im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts«.
In dem Buch zeige ich Strömungen im 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts
auf, die versucht haben, Jesus aus dem jüdischen Volk zu lösen und
zum Arier zu machen – und diese Bestrebungen gehen bis heute weiter. Nur
spricht man heute nicht mehr von Jesus als Arier. Der Sachverhalt wird anders
formuliert. Weil dem so ist, merken Lesende nicht so schnell, dass sie sich
auf der Spur dunkler Vergangenheit bewegen. Auf ein paar Aspekte werde ich Ihr
Augenmerk richten.
Ein Satz zuvor: Es geht mir nicht darum, die Rassefrage wieder aufzuwärmen
und nun das Gegenteil zu behaupten als diejenigen, die Jesus rassisch eingeordnet
haben. Das liegt mir fern. Es geht mir darum zu zeigen, wie ideologische Argumentation
vorgeht, um etwas, das vor Augen liegt, ins Gegenteil umzukehren.
A 2 Jesusbücher der Gegenwart
Im Jahr 1999 habe ich ein Büchlein mit dem Titel »… und noch
ein Jesus!« veröffentlicht. In diesem Büchlein habe ich Autoren
vorgestellt, die auf populäre Art und Weise Jesus darstellen. So manches
dieser Bücher stellt Jesus als einen dar, der nicht Jude war bzw. an einen
anderen Gott glaubte als Juden es tun. Besonders verbreitet war das Jesusbuch
von Franz Alt. Alt schreibt z.B.: »Jede Harmonisierung und Vermischung
des Gottesbildes Jesu mit dem patriarchalen Richter-Gottesbild des Alten Testaments
ist Gift für lebendige Religion« (118). Oder die damalige Lektorin
des Kreuzverlages Hildegunde Wöller verbindet den Gott Israels mit Aggression,
Arroganz, Rachsucht (67 ff.). Dem setzt sie ein Gottesbild entgegen, das sie
verschiedenen Mythen entnimmt, und mit vielen blumigen Worten beschreibt, so
mit dem Bild der Heiligen Hochzeit. In Esoterischen Kreisen waren Jesusbücher
von Meurois-Givaudan verbreitet. In ihnen wird Jesus als einer dargestellt,
der von der Insel der Apfelbäumchen/Essenia kommt, hochgewachsen ist und
die kleinen dunklen Semiten überragt. Wer denkt da auch aufgrund vieler
anderer Bezüge zu germanischen Gottheiten nicht an die großen Blonden
von Atlantis? Auch lernt Jesus sein mystisches Repertoire von geweihten Mystikern
aller Herren Länder und wird – in der Tradition Rudolf Steiners –
mit der göttlichen Christuskraft gefüllt. Holger Kersten erklärt
in seinem Jesus-in-Indien Buch, dass Jesus buddhistische Lehren gelernt und
auch weitergegeben habe. In allem unterschied er sich von Juden. Er ging nach
Indien. Dort hat er sich sicher wohl gefühlt, denn dort gab es auch Menschen
indoiranischer Abstammung. Das belegt Kersten mit einem Bild (Nr. 20; S. 160),
auf dem er einen Menschen indoiranischer und semitischer Abstammung vergleichend
zeigt. Und so könnte ich noch weitere Autoren aufzählen. Sogar Messadié,
der später ein Buch gegen den Antisemitismus geschrieben hat, ist hier
zu nennen: »Musste man, um zu Gott zu gelangen, wirklich durch all diese
lächerlichen Regeln organisierter Gottesverwaltung hindurch?« (743)
So kennzeichnet er die frommen gesetzesorientierten Menschen der Zeit Jesu.
Vor allem sieht er Jesu Gott als gnostischen Gott an, als lachenden und nicht
zornigen Gott. Diesen Büchern kann neuerdings ein Artikel im Magazin „Der
Spiegel“ zur Seite gestellt werden (Matthias Schulz). Mit Berufung auf
den Ägyptologen Jan Assmann liest man Dinge, die man nicht mehr für
möglich gehalten hätte und in die Mottenkiste des ausgehenden 19.
Jahrhunderts gehören: Den intoleranten monotheistischen Juden wird die
tolerante polytheistische antike Welt gegenübergestellt. Der Sprachstil
ist nicht mehr so verbissen wie die Sprache der alten Antisemiten. Er ist von
der Respektlosigkeit dessen geprägt, der meint, die Geschichte und den
Werdegang von Religionen zu durchschauen. Dabei werden jedoch alte antisemitische
Stereotypen aufgegriffen. Freilich kämpft er nicht mehr gegen Juden, sondern
nimmt Christen und Moslems gleich mit. Niemand solle meinen, er habe die Wahrheit,
so heißt es – und der Autor signalisiert: Aber ich habe sie, denn
hinter mir steht die Wissenschaft.
Im Internet finden wir zahlreiche eindeutige Zitate aus Büchern aus der
Zeit vor 1945. In ›Yahoo! Clever‹ finden wir zur Frage »Wer
war Jesus?« unter anderen ein Zitat aus einem Buch von v. Gorsleben von
1930 (von einem ›Uwe‹). In diesem Zitat wird massiv gegen Jesus
als Juden argumentiert. Wir finden auf den Internet-Seiten von Ideologen Zitate
aus weiteren Büchern, die zu begründen versuchen, dass Jesus Arier
gewesen sei, und: Jesus sei der Fürst Odin gewesen, der für die Germanen
sein Leben gegeben habe. Nur diese – um es sanft zu sagen – Dummheiten
seien genannt. Die Saat, die damals gestreut wurde, wird auch heute ausgestreut.
Das Thema ist noch immer im ›Untergrund‹ präsent.
A 3 Die Traditionen dieser Bücher
Viele dieser Aussagen der genannten Bücher sind als solche erst einmal
neutral zu lesen: Für manchem scheint die Diskrepanz zwischen dem alttestamentlichen
Gottesbild und dem jesuanischen groß. Oder es klingt romantisch und schön,
wenn Jesus als ganz besonderer Mensch dargestellt wird, der von dem lichten
Christusprinzip gefüllt wird; oder, was häufig damit verbunden wird,
wenn gesagt wird, dass Jesus wunderbare buddhistische Lehren aufgegriffen habe.
Und dass es in Indien unterschiedliche Menschengruppen gibt – kann niemand
bestreiten, ist diese Vorstellung doch Grundlage des hinduistischen Kastensystems
und des gegenwärtigen indischen Nationalismus. Und es klingt aufgeklärten
Ohren gut, vor allem wenn es wissenschaftlich untermauert zu sein scheint, dass
Polytheisten tolerant seien und Monotheisten intolerant. Doch all das wird mit
einem Ziel gesagt: Das Ziel besteht darin, Jesus von seinem Volk zu lösen
und die Menschen von einem Jesus, der aus seiner jüdischen Tradition zu
verstehen ist. Und dazu werden Traditionen aufgegriffen, die im 19. und frühen
20. Jahrhundert ihre negative Kraft zu entfalten begannen.
Wir sind immer abhängig von Traditionen. So Alt und Wöller vom Psychologen
C.G. Jung, Meurois-Givaudan und andere von Rudolf Steiner; oder diejenigen,
die den Buddhismus dem Alten Testament gegenüberstellen vom Philosophen
Schopenhauer – das ist nicht das Problem. Das Problem ist, dass diese
Traditionen nicht reflektiert und reißerisch vervielfältigt werden.
Denn wird Jesus aus seiner jüdischen Tradition gelöst, dann wird er
zu einer leeren Hülse, in die jede Ideologie oder Zeitströmung alles
Mögliche hineinpacken kann.
Diese und andere Bücher haben in mir die Frage aufgeworfen: Seit wann kam
es zu dem Ver-such, Jesus aus seinem Volk zu lösen? Es mag immer wieder
vor dem 19. Jahrhundert zu ein-zelnen Versuchen gekommen sein. Doch das 19.
Jahrhundert war hierin sehr produktiv und beeinflusste das 20. Jahrhundert.
Vor dem 19. Jahrhundert gab es immer wieder einzelne Stimmen, die schon in die
Richtung tendierten. So wurde z.B. Judenmission bzw. die damit verbundene Taufe
von Juden abgelehnt, weil Juden doch keine Christen werden könnten, ihr
jüdisches Wesen bleibe trotz Taufe. Im Wesentlichen kümmerte man sich
jedoch nicht um diese Frage. Sicherlich konnte Jesus aus dem Volk gelöst
werden, indem er allein als herr-schender Christus betrachtet worden ist. Aber
soweit ich die Texte gelesen habe, ging es nicht darum, ihn damit aus seinem
Volk zu lösen. Es ging darum, seine Einmaligkeit hervorzuhe-ben, die ihn
von allen Menschen unterscheidet. Aber hier lasse ich mich gerne eines Anderen
belehren. Deutlich ist: Im 19. Jahrhundert ging der Versuch, Jesus aus seinem
Volk zu lösen, dann richtig los. Das hat viele Gründe. Einige davon
werde ich gleich nennen.
Eines möchte ich zuvor noch hervorheben: Das Interesse an Jesus beginnt,
sich in diesem Zeitraum zu verändern. In diesem Zuge möchte man nicht
mehr wissen, dass Jesus der Chris-tus war, sondern man möchte wissen: Wer
war Jesus als Mensch? Im Kontext dieser Frage rang man um Antworten.
B 1 Politische Gründe führten zur Arisierung Jesu
Im 19. Jahrhundert hatte der Versuch, Jesus zu arisieren, viele Gründe.
Diese Gründe liegen im Wesentlichen nicht in der Frage der Religion, sondern
in der Gesellschaftspolitik verankert.
Vor 200 Jahren sah es in unserem Land ganz anders aus. Deutschland bestand aus
vielen ein-zelnen Kleinstaaten, die der französischen Kultur nichts entgegenzusetzen
hatten und zum Teil auch nichts entgegensetzen wollten. Zum anderen beherrschte
Napoleon einen großen Teil deutscher Staaten. In dieser Situation gab
es verschiedene Bestrebungen, das Land zu einen. Im Rahmen dieser Bestrebungen
suchten deutsche Romantiker nach eigenen deutschen Traditionen. Das Nibelungen-Lied,
Volkslieder (Brentano/von Arnim) und Märchen (Grimm) und die Edda wurden
›entdeckt‹. Damit wollte man das hervorheben, was die Deutschen
als Deutsche einte. Die eigene deutsche Kultur wurde als das einigende Band
zwischen all den Kleinstaaten angesehen. Der Philosoph Hegel (1770–1831)
sieht, ganz im Sinne der Romantik, dass die Kultur nicht als einigendes Band
dienen kann. Warum nicht? »In der Einbildungskraft unseres Volkes lebt
ein David, ein Salomon, aber die Helden unseres Vaterlandes schlummern in den
Geschichtsbüchern der Gelehrten« . Diese Bestrebungen, die Nation
zu einigen, konnten sich mit traditionellem Antisemitismus verbinden. Aber nicht
alle gingen diesen Weg gegen Juden mit. Parallel zu solchen Haltungen gab es
politische Bestrebungen, Juden die Rechte zukommen zu lassen, die auch andere
Bewohner des Landes hatten. Dagegen wandten sich Menschen, die Juden als fremde
Macht innerhalb des Landes ansahen. Diese Auseinandersetzung wurde noch durch
andere Komponenten verstärkt. So versuchten Bürger, sich von der Bevormundung
durch den Adel zu befreien, und Arbeiter suchten Auswege aus der Abhängigkeit
von den Arbeitgebern. Während sich Arbeiter vielfach sozialistischen Ideen
hingaben, mit manchem jüdischen Führer – was für die Folgezeit
von Bedeutung gewesen ist –, haben sich etliche Bürger freireligiösen
Gemeinden zugeordnet. Mit all dem entzog man sich der Herrschaft des Kaisers
und den damit verbundenen ›nationalen‹ Traditionen. Es wurden neue
Mächte gesucht, die die auseinanderdriftende Gesellschaft zusammenhalten
konnten. Das war für maßgebliche Teile der Bevölkerung die Nation
bzw. das Volk. Und Gesetze zur Emanzipation der jüdischen Bevölkerung
wirkten in deren Augen kontraproduktiv. Es brodelte schon zu Beginn des 19.
Jahrhunderts. Der Jurist (?) Rühs (1816) wie der Journalist Hundt-Radowsky
(1819/1830) polemisierten gegen Juden, so genannte Hepp-Hepp-Aufstände
kosteten vielen Juden das Leben. Aber auch von Philosophen wurde die jüdische
Emanzipation negativ gesehen, so von Fichte (1762–1814). Das hängt
wohl auch damit zusammen, dass Napoleon, der Teile Deutschlands beherrschte,
versuchte, die Judenemanzipation in den von ihm beherrschten Gebieten durchzusetzen.
Mit Fichte und Hegel kommt noch eine wichtige Komponente in den Blick: die Philosophie
des so genannten ›Deutschen Idealismus‹. Der Deutsche Idealismus
versuchte in seiner religiösen Form vor allem, Gott nicht mehr als Person
zu denken, sondern als eine Macht, die in allen Menschen wirke. In der Folge
wurde gesehen, dass diese Macht besonders in Menschen, die sich für die
Einheit dieser Nation und zu ihrer Ehre einsetzen, wirke. Und das ist in meinen
Augen für unsere Fragestellung der Arisierung Jesu wesentlich.
B 2 Religiöse Gründe für die Arisierung
Jesu
Mit der Aufnahme des ›Deutschen Idealismus‹ kommt dann doch die
Religion ins Spiel. Der christliche Glaube in seiner protestantischen Form beherrschte
die deutschen Staaten weitgehend. Und man sah in dem Protestantismus wie dem
Katholizismus Konfessionen, die aufgrund ihrer konfessionellen Ausrichtung die
Einheit der Nation, des Volkes verhindern. Das wollte man unter Aufnahme von
Ansätzen des Deutschen Idealismus auf verschiedenen Wegen ändern:
Weg 1: Kampf gegen den Katholizismus;
Weg 2: Eintreten für ein nationales Christentum;
Weg 3: Eintreten für ein rassisch orientiertes Christentum;
Weg 4: Verkündigung einer Religion ohne Christentum.
Weg 1: Kampf gegen den Katholizismus
Zu diesem Weg sei nur der Hinweis gegeben, dass vielfach versucht worden ist,
dem ver-meintlichen römischen Jesus Christus einen keltischen, nordischen
Jesus, den Jesus des Heiland entgegenzustellen. Der germanische Mensch ist stolz,
stark, autonom, er ist nicht Sünder, er benötigt keine Priester. Nicht
Erlösung, sondern Selbsterlösung heißt die Parole.
Weg 2: Eintreten für ein nationales Christentum
Das Christentum in seiner deutschen Form wurde hervorgehoben. Man wollte die
Einheit der Nation herstellen – das mit dem Versuch, Juden dazu zu bewegen,
Christen zu werden, denn auch die jüdischen Jünger waren ja Christen.
Die Vertreter dieses Weges waren nicht unbedingt rassistisch eingestellt (Treitschke,
Lagarde). Denn für einen rassisch orientierten Menschen ist ein Mensch
an seine Herkunft und an seine Art gekettet. Da kann ein Semit nicht Arier werden
und ein Arier kein Semit. Das heißt: Auch dann, wenn ein Semit sich taufen
lassen würde, würde er niemals Christ (!) bzw. Deutscher (!) werden
können. Es ist also eine Trennung zwischen die Menschen zu ziehen, die
national eingestellt sind, und die Menschen, die rassistische Ansichten vertreten.
Diese Ansätze können sich in einzelnen Menschen über-schneiden
und tun das häufig auch, aber es ist nicht immer so. Nichtsdestotrotz:
Aus dem Pool derer, die streng national, völkisch dachten kamen viele Arisierer.
Weg 3: Eintreten für ein rassisch orientiertes Christentum
Vom rassistischen Denken bestimmte Menschen haben versucht, das Christentum
von allen jüdischen Traditionen zu lösen und arisch zu interpretieren.
Um das zu können, mussten zunächst einmal die jüdischen Traditionen,
seien es die Traditionen alttestamentlicher Schriften oder die der Mischna,
der Tosephta und des Talmud negativ dargestellt werden. Es wurde dann eine deutsche
Religion gefordert, die all dieses konstruierte Negative, das Fremde ausstoßen
solle. Verlage und Zeitungen begannen im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts,
rege antisemitische Positionen zu verbreiten. Wagners Schwiegersohn Chamberlain
hat diese Versuche zusammengefasst und in einen rassisch orientierten Geschichtsüberblick
eingeordnet. Unter subjektiver Anwendung wissenschaftlicher Methoden begründet
er, dass Jesus kein Jude gewesen sei. Er sei kein Jude gewesen, weil er arische
Vorfahren gehabt habe. Er hat sein Werk jedoch nicht nur als eine sachliche
Abhandlung veröffentlicht. Rhetorisch geschickt, zu Herzen gehend, frömmelnd,
stellt er seine Thesen dar. So geschickt, dass sich auch Kaiser Wilhelm II.
veranlasst sah, für die Verbreitung dieses Buches zu sorgen. Die emotionale
Sprache wurde 30 Jahre später nur noch durch die Lehrerin Guida Diehl übertroffen
– die vor allem in christlichen Frauenkreisen wirksam geworden ist. Neben
dem historisch orientierten Ansatz Chamberlains gab es Versuche, Jesus als kosmischen
Kämpfer gegen das Judentum vor Augen zu malen (Dinter/Lanz von Liebenfels).
Auch die Intuition der arischen Künstler wurde in die Waagschale geworfen:
Arische Künstler hätten Jesus intuitiv richtig als Arier gemalt. Weil
sie mit dem Genius, der schöpferischen Macht, verbunden sind, mussten sie
ihn wahrheitsgetreu erfasst haben (Fritsch). In diesem Abschnitt ist, so denke
ich, auch die These zu stellen, die der Gründer der Anthroposophie, Rudolf
Steiner vertreten hat: Jesus, so Steiner, habe eine jüdische Hülle
gehabt, in der der kosmische Christus hineinversenkt worden sei. Das eigentliche
Wesen Jesu war somit nicht sein jüdisches Wesen, sondern sein kosmisches,
das freilich arisch bestimmt war, so durch das Zarathustra-Ich. Dazu muss man
wissen, dass Zarathustra ein Religionsgründer war, der im Gebiet des heutigen
Iran lebte. Und Menschen, die dort lebten, wurden als verwandte Arier angesehen.
Somit ist auch das Zarathustra-Ich arisch zu bestimmen. Mischungen vieler dieser
Ansätze konnte man dann bei den so genannten Deutschen Christen finden,
die in den Jahren 1933–1945 versuchten, die Kirche der nationalsozialistischen
Partei unterzuordnen.
Weg 4: Verkündigung einer Religion ohne Christentum
Neben den genannten Versuchen gab es Bestrebungen, die Geschichte im Rahmen
der Evolution zu deuten: Der Glaube an Jesus Christus überlebte die Juden,
die Gegenwart hat von Jesus gelernt, aber er ist durch die Moderne überholt
worden. Ob Jesus nun Jude war oder nicht, spielt keine Rolle, da er in der Gegenwart
dem fortschrittlichen germanischen Menschen so-wieso nichts mehr zu sagen habe
(Frenssen). Verbunden wurde das vielfach mit Bestrebungen, eine neue Religion
zu errichten. Wie konnte man sich eine solche neue nationale Religion denken,
wenn man das Christentum nicht mehr akzeptierte? Da gab es verschiedene Vorschläge:
einmal den der Intellektuellen auf der Basis des Deutschen Idealismus (Namen:
v. Hartmann; Drews, Reventlow, Hauer), dann auf der Ebene des Emotionalen: auf
der Basis der germanischen Götter (Dühring; Bonus).
Diese Gruppen konnten die Versuche, Jesus zu arisieren, ablehnen, weil er Jude
gewesen sei – und eben darum sei auch das Christentum als jüdische
Religion, als Brückenkopf der Juden im Land abzulehnen (Marr, Ludendorff).
Auf der Basis der germanischen Götter sah es so aus, dass diese Götter
vor allem in der Tradition der Wandervogelbewegung in der schönen germanischen
Natur wiedergefunden wurden. Auf der Basis des Deutschen Idealismus sah das
dann so aus: Gott ist keine Person wie im Judentum und Christentum, sondern
eine alles durchwaltende Macht. Diese Macht wirkt besonders im Volk –
und hier besonders in den Ariern oder einzelnen hervorgehobenen Führerpersonen,
wie es das folgende Lied zeigt:
Wir sind die
fröhliche Hitlerjugend, Kein Pfaff, kein böser, kann uns
hindern, Wir folgen singend Hitlers Fahnen, Die Kirche kann mir gestohlen werden, |
||
Dieser Weg, der sich gegen Christen wendet, hat scheinbar nichts mit den ›Arisierern‹ zu tun. Doch ist er zu beachten. Wir befinden uns mit den vielen kleinen Religionsgründern in einer Zeit, in der in Europa nach-christliche/post-christliche Gesellschaftsformen gesucht werden. Das Christentum wird als veraltet angesehen und soll ersetzt werden. Das versuchen diese Religionsgründer – aber auch die großen Bewegungen von Faschismus und Kommunismus. Und die ›Arisierer‹ versuchen einen Spagat zwischen christlicher Tradition und hier: dem nationalsozialistisch geprägten Faschismus zu machen, indem sie Jesus den neuen ideologi-schen Bedingungen anpassen.
B 3 Zusammenfassung von B
Was haben wir bisher gesehen? Zunächst haben wir erkannt, dass Menschen
bestrebt waren, die Nation zu einen. Das versuchten sie auf verschiedenen Wegen,
darunter den der Arisierung Jesu, um eine einheitliche Religion, die die Konfessionen
sprengt, zu errichten. Dazu musste auch Gott arisiert werden. Das heißt:
Die alles durchwaltenden Macht wirke besonders im Arier. Und diese alles durchwaltende
Macht sehe man in allen Genies wirken – den Künstlern, den Dichtern
und Philosophen, und darunter natürlich auch in Jesus. So musste Jesus
zum Arier erklärt werden. Und weil man begann, historisch zu denken, musste
man herausfinden, wer dieser Jesus als Mensch war. Da genügte es nicht
mehr, eine arische Macht hinter ihm zu sehen. Das Ziel stand also fest: Jesus
sollte arisiert werden. An erster Stelle stand die Prämisse. Ihr wurde
die Theologie untergeordnet. Doch wie stellte man es an, Jesus zu arisieren?
Um das bewerkstelligen zu können, wurde die gesamte jüdisch-christliche
Tradition unter die Lupe genommen. Das wird nun im Abschnitt C vertieft.
C 1 Destruktion jüdischer Tradition und des Volkes (zwei Strömungen)
Die Beschneidung wird häufig dazu verwendet, um Juden negativ darzustellen.
Es gehört zur Rhetorik der Antisemiten, negativ empfundene Elemente des
jüdischen Kultes herauszupicken und Zitate kontextlos aus jüdischen
Schriften herauszunehmen. Diese werden dann negativ interpretiert. Damit werden
Juden disqualifiziert, weil der ›moderne‹, ›aufgeklärte‹,
›fortschrittliche‹ und ›gute‹ Mensch sich von so viel
Ignoranz empört abwendet. Ganze Bücher gehen so vor. Deren Autoren
sind berühmt geworden (J.A. Eisenmenger; August Rohling).
In der Theologie ist das besonders am Thema ›Gesetz und Evangelium‹
zu sehen. Für die christliche Tradition hatten überwiegend beide,
Evangelium und Gesetz, ihre Bedeutung für Gottes Handeln mit dem Menschen.
Im 19. Jahrhundert wurde das Gesetz vielfach nur negativ gezeichnet. Der negative
Gesetzesmensch Esra wurde dem freien Jesus entgegengestellt. Oder man suchte
positive Ahnen, die sich nicht ans Gesetz gehalten hätten, fand sie in
den Propheten und konstruierte folgendes Bild: Propheten sind die guten Juden
im Alten Testament, die gesetzlichen Juden sind die bösen Juden. Die Christen
stehen mit den guten Juden in einer Linie – die man in bestimmten Kreisen
auch als Arier definieren konnte – und die Juden der Gegenwart stehen
mit den bösen Juden in einer Linie. Zur Errichtung all dieser abstrusen
Gedanken-Knäule musste auch Jesus herhalten. Er hat sich um sein Volk gekümmert,
hat sich um es gesorgt, hatte Menschen zu Gottes Nähe eingeladen –
und dann wurde aus ihm der gute Arier gemacht, der als Vorläufer der deutschen
Arier und als Vorbild für Arier gegen sein Volk gekämpft hat.
Natürlich hat Jesus gegenüber dem Alten Neues gebracht. Aber das Neue
bestand darin, dass er bestimmte Ansätze, die er aus seiner Tradition aufgenommen
hat, vertieft und mit Hilfe seiner Tradition neu gestaltet hat. Jesus ist nicht
von seinem Volk zu trennen. Zwar konnte manches von dem, was er gesagt hat,
von Menschen seines Volkes nicht akzeptiert werden. Aber daraus kann natürlich
nicht geschlossen werden, dass es zwei Rasse-Strömungen im Judentum gegeben
habe bzw. dass er sein Volk bekämpft habe.
Diese Vorstellung der zwei Rasse-Strömungen musste natürlich auch
damals historisch begründet werden. Das war nicht einfach. Und so liegen
dazu auch, je nach ideologischer Tradition, mehrere Versuche vor: Für manche
kamen Jesu Vorfahren aus Asien – für die damalige Zeit der Ursprungsraum
der Arier. Freilich waren auch andere Europäer Arier. Und Jesus konnte
– aus nationalistischem Blick – unmöglich Franzose oder Italiener
gewesen sein. Darum wurde zwischen nordischen oder germanischen Ariern und anderen
getrennt. Die nordischen Arier wurden als die höchste Rasse angesehen,
die allen anderen körperlich und kulturell überlegen sein soll. Diese
kamen mit den Kelten/Galliern nach Galliläa. Damit wurde Jesus zum nordischen
Arier. Wieder andere konkretisierten das: Der römische Soldat Panthera
sei sein Vater gewesen. Und da man Rassemischungen verabscheute, musste natürlich
auch Maria zur Arierin erklärt werden. Damit hatte man zwei Fliegen mit
einer Klappe geschlagen. Die nicht nur für Menschen der Aufklärung
unglaubliche Aussage, Jesus sei von einer Jungfrau geboren, wird auf diese Weise
›wissenschaftlich‹ widerlegt, ebenso die Aussage, Jesus sei Jude
gewesen.
C 2 Destruktion der Erwählung des jüdischen Volkes –
Jesus habe sein Volk verstoßen
Der Mensch gestaltet sich Gott so, wie er seinen Gott gerne hätte. In unserer
Kultur konnte ein neuer Gott fast nur mit der Vorstellung jüdisch-christlicher
Tradition gedacht werden. Gott, so die Tradition, hat Juden erwählt. Das
wird dann neu-religiös aufgenommen: Die göttliche Macht hat unser
arisches Volk erwählt – und daraus folgt dann: er hat nicht die Juden
erwählt. Das vor allem auch darum nicht, weil Juden sich, wie soeben die
kuriose Argumentation nachgezeichnet wurde, übel benommen haben und benehmen.
Gegenwärtig kann so argumentiert werden: Das Vorgehen des Staates Israel
gegen die Palästinenser ist nicht akzeptabel. Daraus wird dann geschlossen:
So kann ein von Gott erwähltes Volk nicht vorgehen, also ist es kein von
Gott erwähltes Volk. Eine solche logische Rhetorik ist theologisch genauso
absurd. Ich selbst entscheide, was Erwählung ist. Ich habe einen Maßstab.
Der Maßstab ist mein Weltbild. Wen ich von hier aus für gut erachte,
ist erwählt, wen ich für schlecht erachte, ist nicht erwählt.
Das geht so nicht. Der Maßstab für Erwählung ist Gott. Und wenn
Gott sein Volk erwählt hat, dann können wir nicht hingehen und sagen,
es sei aus diesen oder jenen Gründen nicht erwählt worden.
An solchen Ansätzen können wir erkennen, wie sehr diese unselige Tradition
unser Denken prägt. Und auch in diesen Kontexten haben unsere arisierenden
Väter Jesus herangezogen. Dass er sein Volk verstoßen hat, konnte
man mit Blick auf neutestamentliche Texte jedoch nicht sagen. Immer wieder musste
die Tempelaustreibung als Beleg herhalten. Vor allem hat Hitler den Peitschen
schwingenden Jesus hervorgehoben. Weil es jedoch keine Belege für die Verstoßung
der Juden durch Jesus gab, sagte man, dass Juden Jesus aus dem Volk ausgestoßen
hätten. Und das durch die Kreuzigung. Damit hätten sie auch gezeigt,
dass er im Grunde Arier gewesen sei. Denn, so die abstruse Argumentation weiter:
Juden würden nun einmal Arier bekämpfen. Dass Jesus Arier gewesen
sei, könne man auch daran erkennen, dass er von Gott als liebenden Vater
gesprochen habe, was dem Juden (!) fremd sei. Damit habe Jesus als Arier ein
neues Gottesbild gebracht: Gott, der Vater, wohne in allen Menschen. Solche
Aussagen, dass Gott als Vater-Macht in allen Menschen wohne, findet man im Neuen
Testament nicht. Darum wurden einige Texte so hingebogen. Aber eigentlich war
es gleichgültig, ob eine solche Aussage im Neuen Testament zu finden ist
oder nicht. Das spielte für die Ideologen letztlich keine Rolle, weil der
echte Arier fühlt, was Jesus gemeint habe. Mit Blick auf die Tradition
gesagt: Jesus habe mit den Juden so sprechen müssen, wie er es getan habe,
sonst hätten sie gar nichts verstanden. Er hat es aber anders gemeint,
und zwar so, wie die Arier der Gegenwart es verstünden.
C 3 Jesus ist nicht Christus – der Christus ist kein Jude
In den oben genannten Abschnitten wurden Autoren dargestellt, die Jesus allein
als Mensch angesehen haben. Sie haben seine Lehre und Aussagen zur Abstammung
arisch hergeleitet. Aber in der christlichen Tradition spielte Jesus als Mensch
nur in Verbindung mit der Christologie eine Rolle. Das heißt: Jesus von
Nazareth ist von Gott auferweckt worden. Er ist der Christus. Der Christus ist
niemand anders als der Mensch Jesus. Beide Aussagen interpretierten einander.
Der Christus ist nicht ohne den Menschen Jesus – der Mensch Jesus nicht
ohne den auferstandenen Christus zu denken. Die Christologie wurde auch durch
unsere Ideologen beiseite gedrängt und der Mensch Jesus wurde fokussiert.
Die Christologie musste – wie die Bibel – von ihnen beiseite gedrängt
werden. Denn sie verhindert es, dass wir Gott nach unserem eigenen Bild gestalten
können. Wenn Jesus Christus der Maßstab dafür ist, Gott zu verstehen,
dann kann mein Bild, das ich mir von Gott zurechtgebastelt habe, nicht mehr
richtig sein. Als Lehrer konnten sie Jesus akzeptieren. Denn wenn er nur Lehrer
ist, dann kann seine Lehre auch kritisiert und abgelehnt werden. Ist er aber
Gottes Sohn, der Christus, dann ist seine Lehre Wahrheit und sie ist ohne wenn
und aber zu akzeptieren. Da man das jedoch nicht akzeptieren wollte, musste
Jesus als Christus destruiert werden. Diese Vorgehensweise kann man heute auch
noch in anderen Kontexten, so bei pluralistischen Religionstheologen, wieder
finden (Hick).
Aber Jesus als Christus zu akzeptieren, schützte auch nicht davor, antisemitisch
zu argumentieren. Denn wird Jesus als Christus angesehen, dann kann sein Menschsein
ganz in den Hintergrund gedrängt werden. Da spielt es dann keine Rolle
mehr, ob er Jude war oder nicht. Jesus konnte zum wahren Gott werden, der die
Synagoge bekämpfte (Lorber) oder Gott selbst handelte durch die Auferweckung
Jesu antijüdisch (Künneth).
Daran, dass es aus dem Blickwinkel der Christologie unwichtig ist, ob Jesus
Jude war oder nicht, ist natürlich etwas Wahres dran. Wenn wir glauben,
dann spielt die Frage, ob Jesus Christus, der uns nahe ist, Jude war oder nicht,
keine Rolle. Nur: Die Christologie kann nicht gegen den jüdischen Menschen
Jesus ausgespielt werden. Wird Jesus im Kontext der Christologie aus seinem
Volk gelöst, stellt sich die Frage: Wer soll Jesus denn auferweckt haben?
Odin? Zeus? Der Allgeist? Welche Relevanz hat das Reden von der Auferweckung
Jesu, wenn es nicht durch den Gott geschehen ist, den das jüdische Volk
seit alters bekannte? Das Bekenntnis zu Jesus Christus hat kein Fundament, wenn
es nicht von dem Gott hergeleitet wird, der in alttestamentlichen Schriften
bekannt wird. Wenn Jesus Christus von Gott gelöst wird, dann treten meistens
Mythen an dessen Stelle, schön klingende Worte und Geschichtchen, neue
religiöse Gesamtentwürfe, kluge Weltbilder und zu Herzen gehende Riten
und Romane und vor allem: viel, viel Phantasie.
C 4 Inkulturation und Paradigmenwechsel
Völker nehmen Jesus Christus auf dem Hintergrund ihrer eigenen Kultur auf.
Europäer sehen Jesus als Weißen an, betten ihn und seine Zeit in
die Vorstellungen der eigenen Kultur. Das ist besonders schön an den Bildern
der Künstler zu sehen, wie sie die Menschen der Zeit Jesu und Jesus selbst
in ihre jeweilige Gegenwart einzeichnen. Entsprechend sehen Afrikaner Jesus
in afrikanischen Umfeldern, Asiaten der verschiedensten Gegenden stellen ihn
wiederum in ihre Kontexte. Das wird Inkulturation genannt. Jesus Christus geht
durch die Völker, er prägt sie – und sie sehen ihn aus ihrem
Blickwinkel. Das ist normal. Was wir aber im Zusammenhang der Arisierung Jesu
vorfinden, das ist etwas anderes: Jesus wird ganz bewusst einem bestimmten Bild
angepasst. Er wird ganz bewusst mit viel Scharfsinn und Eifer verändert.
Die neutestamentlichen Aussagen werden umgeprägt, vor allem wird er von
alttestamentlichen Aussagen bzw. aus seinem Volk gelöst. Wenn das geschehen
ist, dann kann die Botschaft Jesu keine Herausforderung mehr sein, sie kann
die Gemeinde auch nicht mehr korrigieren. Sie hat so sehr an ihm herumgebastelt,
dass er scheinbar kaum mehr seine Stimme erheben kann.
Man spricht von Paradigmenwechsel, die notwendig seien. Paradigmen sind Grundlagen
einer Gesellschaft, die ziemlich konstant sind. Doch es gibt immer mal neue
Ideen oder Forschungsergebnisse, die diese Grundlagen langsam aber sicher verändern.
So änderte sich das Weltbild radikal durch die Beobachtung von Kopernikus
(1473-1543), dass sich die Erde um die Sonne dreht. Normalerweise werden Paradigmenwechsel
rückblickend erkannt. Heute kann man Paradigmenwechsel nicht mehr abwarten.
Man nimmt sie vorweg, will sie hervorrufen. So werfen sich einige als Lenker
der Menschheitsgeschichte auf: Sie meinen, mit ihren Weltbildern die Menschheit
in ihren Grundlagen neu gestalten zu können. Ich denke, das muss nicht
weiter kommentiert werden. Der Mensch übernimmt sich, wenn er ›notwendige
Abschiede‹ fordert (Jörns; Sahm; Swidler; vgl. Georg Schneider).
Und solche Paradigmenwechsel auf religiösem Gebiet wollten Menschen hervorrufen,
die Jesus arisierten bzw. eine moderne Religion ohne den Juden Jesus zu kreieren
versuchten.
Und diese Versuche der bewussten Inkulturation Jesu wurden begleitet von Lockungen:
So schön könnte ein germanisches Christentum aussehen, wenn man von
allem Jüdischen absähe! Es wurde begleitet von Drohungen gegen Einzelne:
Wenn Christen – als ewig Gestrige – diesen Weg nicht mitgehen würden,
dann würden sie ausgemerzt werden. Auch die Gesamtgemeinde wurde soziopsychologisch
raffiniert bedroht: Wenn Kirchen diesen Kurs der Arisierung Jesu nicht mitgehen
würden, dann würden sie bald keine Gemeindeglieder mehr haben, weil
alle guten Germanen – vor allem die wertvollen jungen – ihnen davonlaufen
würden. Ein anderer Weg, vielfach beschritten und ebenfalls raffiniert,
bestand darin, Jesus mit allen möglichen religiösen Wesen zu vereinen:
mit Odin, Wotan stand damals hoch im Kurs ebenso Siegfried.
Im Mittelpunkt der Diskussion stand also nicht mehr so sehr die Frage nach Gott,
denn Gott als Macht war schon arisiert worden. Gott konnte man arisieren, weil
man meinte, man könne Gott ohne Jesus Christus und die Bibel in sich selbst
bzw. im arischen Volk erkennen. Dass das für Christen ein Ding der Unmöglichkeit
ist, das erkannten vor allem auch die Menschen, die der Bekennenden Kirche zugeordnet
werden können. In der Barmer Theologischen Erklärung von 1934 drehte
sich alles um die Bedeutung von Jesus Christus. Wird er verlassen, so wurde
erkannt, hat das Konsequenzen für das gesamte Leben des Individuums, der
Kirche und der Gesellschaft.
Ich möchte kurz noch mal zeigen, wie die Arisierung anhand der Frage der Abstammung Jesu vonstatten gegangen ist:
D´Holbach (1723-1789): Jesus ist Jude, seine Lehre ist schlimmer als
die von Juden.
Hegel (1770-1831): Jesus ist Genie – Juden sind keine Genies – Jesus
ist kein Jude.
Fichte (1762-1814): Die Abstammung Jesu von Juden ist unklar.
Arndt (1769-1860): Jesus kann kein jüdischer Rabbi gewesen sein.
Schopenhauer (1788-1860): Das Gute an Jesu Lehre ist buddhistisch.
Weisse (1801-1866): In Galiläa lebten auch Heiden.
Lommel (um 1850): Jesus hatte heidnischen Vater.
Volkmar (1809-1893): Jesus das Licht kämpfte gegen Juden, die Finsternis.
Lagarde (1827-1891) / Dinter (1876-1948): Trennung von Israeliten/Propheten
= Heiden und Ju-den/Toratreue =Semiten
Sebald (1859-nach 1912): Jesus war arischer Abstammung, seine Lehre war arisch.
Fritsch (1852-1933): Jesu Aussehen war arisch.
Bewer (1861-1921): Gott sei das deutsche Blut in Jesus.
Diehl (1868-1961): Jesus wurde erst von Ariern richtig rezipiert.
Man wollte Jesus von Juden trennen, vor allem, weil ihm die Verbindung mit Juden ein schlechtes Image gebracht hat. Dann wurde seine jüdische Abstammung in Frage gestellt – und es wurde eine heidnische gefunden. Das wurde wiederum „historisch“ begründet: Nicht nur Jesus sei heidnischer Abstammung, sondern auch die Propheten, überhaupt die Galiläer seien Heiden gewesen. Der heidnische Lichtmensch wurde zum Arier, der die Finsternismenschen, die Juden, bekämpfe. Ebenso wurde auch seine Lehre als arisch dargestellt, weil sie dem entsprochen haben sollte, was man in dieser Zeit positiv dachte. Das wurde dann in weiteren Details ausgemalt, sodass Jesus deutsches Blut in den Adern gehabt haben soll oder arisch ausgesehen habe. So geschieht ideologische Arbeit innerhalb von 100 Jahren: Das vor Augen Liegende wird Schritt für Schritt umgebogen und ins Gegenteil verkehrt.
Zu Beginn berichtete ich davon, wie mein Interesse an dem Thema geweckt worden
ist. Ich nannte zum Beispiel Alt und Meurois-Givaudan. Das Interessante daran
ist, dass sich so mancher dieser Autoren dann später mehr oder weniger
von Jesus abwendet und sich dann, wie zum Beispiel Meurois-Givaudan, intensiver
dem Buddhismus zuwenden. Aber auch das haben wir schon vorher gehabt: Viele
(so Frenssen) wandten sich nach Verkündigung eines neuen Jesusbildes den
germanischen Göttern zu bzw. nahmen in Kauf, sich ihnen zuzuwenden, wenn
sich Jesus als nicht kompatibel erweise. Schön ist das auch an Goebbels
Buch »Michael« zu sehen. Er wendet sich mit heißem Herzen
Jesus zu, den er als Judengegner interpretiert – um sich dann mit noch
heißerem Herzen Hitler zuzuwenden. Oder der Rassekundler Ackermann will
Jesus arisieren und wendet sich dann, als das nicht gelingt, enttäuscht
dem als arisch verstandenen Buddhismus zu. Immer wieder ist zu sehen: Erst wird
Jesus uminterpretiert, aus dem jüdischen Volk herausgeholt, dann verlässt
man ihn.
Man sollte in dieser Frage hellhörig bleiben, da eine Missachtung Jesu
als Jude Ausdruck der Missachtung von Menschen war – und auch ist. Der
Höhepunkt der Arisierung Jesu verband sich mit dem Höhepunkt der Angriffe
gegen Juden und Judenchristen. Menschen haben Jesus nicht ernst genommen. Er
wurde zum Opfer der Ideologen. Man muss die Autoren als Schreibtischtäter
bezeichnen. Auch ihre Schriften führten mit zur Schoah. Dühring, einer
der schärfsten Antisemiten im 19./20. Jahrhundert sagte sinngemäß:
Noch haben die Juden Schutz, weil das jüdische Christentum seine Hand über
sie halte. Systematisch versuchte man diese jüdischen Wurzeln zu kappen.
Mit der Arisierung Jesu hat man die Hauptwurzel zerstört, und damit den
Weg zur Schoah freigemacht.
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