Zeitzeugen berichten – Die Hausbewohner schrieen jämmerlich

Das folgende Interview wurde am Do., dem 17.12.1992, in der Wohnung von Herrn E(..) K(..) in Dahn aufgenommen. Nach Verlesung der maschinenschriftlich angefertigten Niederschrift, hat E(..) K(..) die Richtigkeit des Protokolls durch seine Unterschrift bestätigt. Das Original des Protokolls befindet sich im Archiv O. Weber.


Stolperstein für Elsa Levy
in der Weißenburgerstraße 2

Die Reichskristallnacht fand in Dahn am Abend des 10.11.1938 statt.
Es war ein Donnerstag.
Die Aktion begann bei dem Anwesen von Julius Levy in der Weißenburgerstraße 2 und tobte dort von etwa 18.00 - 20.00 Uhr.

Folgende Täter habe ich beim Anwesen Julius Levy gesehen:

1. B(..) A(..) aus Hinterweidenthal. Er führte das Kommando.
2. J(..) F(..)aus Dahn. Er versuchte die Straßenlampe per Steinwurf auszuschalten, was ihm nicht gelang.
3. K(..) F(..) Aus Dahn. Er wohnte später in dem Anwesen von Julius Levy.
4. L(..) F(..) aus Dahn. Er wohnte später ebenfalls in dem Anwesen von Julius Levy.
5. N(..) F(..) aus Dahn.
6. Sch(..) F(..) aus Dahn. Er soll später ebenfalls im Anwesen Julius Levy gewohnt haben.
7. Z(..) O(..) aus Dahn. Er war Fähnleinführer mit grüner Schnur und saß als Beifahrer im LKW, der die Familie Levy abtransportierte. Er trug als einziger Teilnehmer an diesem Abend eine Hitler-Uniform.
8. A(..) „R“(..) aus Dahn. Ich bin mir aber nicht sicher, ob A(..) direkt am Geschehen in der Weißenburgerstraße 2. beteiligt war; er gehörte aber zur politischen Leitung der NSDAP.
9. Westwallarbeiter, die ich nicht kannte, waren ebenfalls tätig. Einer fuhr den Lastwagen, der die Familie Levy abtransportiert hat.

Im ehemaligen Haus von Emil Halfen, das später dem Metzgermeister Peter Engel gehörte, heute Oskar Klan (Cafe am Markt), und in dem W(..) R(..) und Frau M(..) F(..), geb. St(..) wohnten, spielte ich an diesem Abend zusammen mit P(..) B(..) aus Erfweiler und W(..) Sch(..) aus Dahn Karten.

Plötzlich hörten wir Krach vom Anwesen Julius Levy her; es kann gegen 18.00 Uhr gewesen sein. [Anmerkung des Verfassers: Die Tätlichkeiten bei dem Anwesen Julius Levy, Weißenburgerstraße 2, haben nach 17.00 Uhr begonnen.] Wir eilten zu dritt zur Weißenburgerstraße 2.
Das eiserne Tor war geschlossen. Die Täter setzten Julius Levy [Anmerkung des Verfassers: Julius Levy befand sich um diese Zeit in Pirmasens. Es dürfte sich hier um seinen Bruder Ludwig Levy handeln, der seit 1936 bei seinem Bruder Julius Levy in der Weißenburgerstraße 2 wohnte.] eine Frist von ca. 10 Minuten, dann musste er sein Haus mit Handgepäck verlassen haben. Nachdem die Frist verstrichen war, fiel ein einzelner Pistolenschuss. Jetzt überstiegen die Täter unter Führung von B(..) A(..) aus Hinterweidenthal das eiserne Tor und brachen in das Haus ein.

Gegenüber dem Anwesen Julius Levy wohnte der SA-Mann A(..) A(..) im oberen Stockwerk des Cafes Wiedemaier (heute Ratsstube). Julius Levy rief A(..) A(..) um Hilfe, doch der SA-Mann lachte nur. Als Julius Levy die Fensterläden öffnete, flogen schon die Steine. Die Hausbewohner schrieen jämmerlich; ihr Geschrei und das Gepolter der Täter war weithin zu hören.
Mobiliar flog krachend auf die Straße. Aus dem Haus drangen Parolen wie: "Holt sie raus, Stinkjude verrecke, schlagt sie tot" und ähnliche Drohungen.
Da fuhr plötzlich ein 3 1/2 Tonner Opel-Blitz in roter Farbe und offenem Deck (ein Kastenwagen) vor. Der Fahrer war ein Westwallarbeiter; der Beifahrer war O(..) Z(..), Fähnleinführer mit grüner Schnur an der Schulter und in Hitler-Uniform; er war an diesem Abend der einzige Teilnehmer, der eine Uniform trug.
Drei Dahner Bürger P(..) B(..), W(..) Sch(..) und ich, gingen zu O(..) Z(..) ans Auto. Wir waren Klassenkameraden von O(..). Ich sagte zu ihm: "Was machst du denn hier?". Darauf antwortete er: "Was geht dich das an, mach dich nach Hause!" Während der Übergriffe auf das Anwesen Julius Levy hat O(..) Z(..) den LKW nicht verlassen.
Die jüdischen Leute wurden aus dem Haus auf den LKW getrieben; sie durften nur wenige Habseligkeiten mitnehmen. Ein Schulkamerad fragte O(..) Z(..) "Wo fahrt ihr die Juden hin?". Darauf antwortete er: "Das geht dich einen Dreck an."
Der Westwallarbeiter und O(..) Z(..) als Beifahrer fuhren mit den jüdischen Leuten auf ihrem LKW in Richtung Hinterweidenthal davon.
Jetzt wurde das Anwesen von Julius Levy zur Plünderung freigegeben.
Als erstes Möbelstück wurde das Klavier auf einen LKW geladen und in Richtung Hasen-bergstraße in das Westwallarbeiterlager (Baracken) hinter der Klamm, alter Turnerplatz (Campingplatz), gebracht. Dort stand es in der Kantine und wurde bei feuchtfröhlichen Gelagen benutzt.
Die verschiedensten Gerätschaften wurden wahllos durch Fenster und Türen auf die Straße geworfen. Vor dem Anwesen von Julius Levy lag das gesamte Inventar auf der Straße: Bettzeug, Stoffballen, Kleidungsstücke, Kochgeschirr, Pfannen, Tassen, Teller, zerbrochene Einweckgläser, Stühle, Wäschekorb, Teesieb, Papiere, Scherben u.a.m.; die Straße war mit Gegenständen aus dem Hause Julius Levy übersät. Mancher Dahner bediente sich.

Über 100 Zuschauer dürften bei dem Treiben in der Weißenburgerstraße 2 beim Anwesen Julius Levy Zeugen gewesen sein. Von hier aus zogen die Täter ohne O(..) Z(..) in die Kanalstraße 10 zu dem Anwesen August Katz. Als die Täter Schwierigkeiten beim Einbrechen in das Gebäude hatten, rief E(..) L(..) diesen zu: „Geht häm und holt die Zuschlaghämmer!“ Als die Täter gerade dabei waren, die Schaufenster und Türen des Geschirrladens von August Katz einzuschlagen, erschien plötzlich Frau Agnes Lambert und rief: "Was ihr hier kaputt schlagt, bezahlt ihr mir; alles ist mein Eigentum." Ab diesem Moment wurde die Plünderung in der Kanalstraße am Anwesen August Katz eingestellt.

Nun zog der Mob zum Haus von Dr. Willy Katz, Adolf-Hitler-Straße 30 (heute Hauensteinerstraße 4, Dr. W. Klein). Als die Männer in das Haus eindringen wollten, ging plötzlich das Hoflicht an. Die Hausangestellte erschien mit der Tochter von Dr. Katz an der Hand in der Haustür und sagte zu der Meute: "Frau Katz und das Kind sind katholisch und Dr. Katz, den ihr sucht, ist bereits auf dem Weg nach Straßburg. Wenn ihr das nicht glauben wollt, kommt herein und überzeugt euch. Macht mir aber nichts kaputt." Der Mob ließ von Gewalttaten ab.
Die Meute löste sich auf und verzog sich allmählich nach Haus. Das dürfte gegen 22.00 Uhr gewesen sein.
Ich ging ebenfalls nach Hause, denn ich musste am nächsten Morgen zur Arbeit bei der Firma Klan erscheinen.

Quelle: Schriftliches Interview mit dem Zeitzeugen E(..) K(..), Dahn, den 17.12.1992. Das Dokument ist von dem Zeitzeugen unterschrieben und befindet sich im Archiv O. Weber.

Zeitzeugen berichten – Do unne werd es Juddehaus geschtürmt

Der nachfolgende Text ist einem Interview entnommen, das der Verfasser mit dem Dahner Zeitzeugen W(..) B(..) am 25.01.1993 geführt hat. Das Interview befindet sich in schriftlicher Form im Archiv O. Weber.

Auf dem Acker von "Schantze Franze" - heute etwa Elwetritschebrunnen/Haus des Gastes - haben wir am Nachmittag des 10. November 1938 gerade Dickrüben geladen. Plötzlich hieß es: "Do unne werd es Juddehaus neben de „Weiwel Katsche“ geschtürmt." Ich eilte sofort hin. Neugierig und zugleich betroffen schaute ich dem Treiben zu. Vor dem Haus von Julius Levy, Weißenburgerstraße 2, war eine große Menschenmenge versammelt. Die Leute standen herum, schauten zu und diskutierten.
Es dürfte etwa 17.00 Uhr gewesen sein; denn es war noch hell. Ein trüber Novembertag war es.
Verschiedene Personen gingen über die große Treppe, die zur Weißenburgerstraße 2 hin gelegen war in das Haus von Julius Levy und plünderten.
Fenster und Ladentüre waren beschädigt.
Ein etwa 11jähriger Junge schleppte einen Ballen Stoff weg, den er am nächsten Tag auf Geheiß seiner Angehörigen und auf Anordnung der Polizei wieder zurückbringen musste.

Tags darauf, am Vormittag des 11. November, sah ich zwei Frauen untergehakt durch die Pirmasenserstraße. - auf Höhe des heutigen Friseurgeschäfts Gerst - mit Pappkartons kommen. Es waren zwei jüdische Frauen, die aus dem Dahner Gefängnis (heutiges Anwesen Dr. Richard Platz) kamen, wo sie während der Nacht in "Schutzhaft" waren.

Quelle: Interview mit dem Dahner Zeitzeugen W(..) B(..) vom 25.01.1993. Das Interview befindet sich in schriftlicher Form im Archiv O. Weber.

 

Zeitzeugen berichten – Von dort unne, wo sie alle holen

Der nachfolgende Text ist einem Interview entnommen, das der Verfasser mit der Dahner Zeitzeugin J(..) F(..) am 12.01.2004 geführt hat. Das Interview befindet sich in schriftlicher Form im Archiv O. Weber.

Zur Zeit des Geschehens war ich 14 Jahre alt und leistete mein Landjahr ab.

Von der Weißenburgerstraße 2 beim Juden Julius Levy drang am Spätnachmittag des 10. November 1938 ein großes Getöse zu uns. Dort tobten Kinder vor dem Haus herum.
Das Mädchen L(..) Z(..) brachte einen Ballen grüngestreiften Hemdenstoff nach Hause. Auf die Frage ihrer Mutter, wo sie den Stoffballen herhabe, antwortete L(..): „Von dort unne, wo sie alle holen“.
L(..) hatte den Stoffballen an der Treppe bei dem Anwesen Julius Levy mitgenommen, wo auch andere Kinder geholt haben.
Frau K(..) Z(..) verabreichte ihrer Tochter eine Tracht Prügel und befahl ihr, den Stoffballen sofort dorthin zu bringen, wo sie ihn geholt hatte. L(..) und ich brachten den Ballen Stoff gemeinsam zurück.


Quelle: Interview mit der Dahner Zeitzeugin J(..) F(..) vom 12.01.2004. Das Interview befindet sich in schriftlicher Form im Archiv O. Weber.

Zeitzeugen berichten – Den jüdischen Leichenwagen zertrümmert

Die nachfolgende Schreckenstat hat sich in das Bewusstsein von zwei Dahner Zeitzeugen, R(..) (Sch) und W(..) (B), die damals noch junge Buben waren, bis zum heutigen Tag unvergesslich eingeprägt.
Beide Zeitzeugen schildern von einander unabhängig denselben Sachverhalt.

Am Vormittag des 11. November 1938 haben wir gesehen, wie der jüdische Leichenwa-gen, der seinen Standplatz in der Ecke zwischen Bürgermeisteramt und der Kirchenmauer hatte, auf die Straße gezerrt und dort von drei bis vier Männern unter lauten Rufen mit Zuschlaghämmern und Äxten zu Kleinholz geschlagen wurde. Drei der Täter sind uns namentlich bekannt.

Ein älterer Zeitzeuge berichtete dem Verfasser, dass die Täter den Totenwagen unter Schreien wie „Judd verreck“ zertrümmert haben.

Quelle. Mündliche Berichte von Zeitzeugen.

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Eines der Opfer des Pogroms, der Mediziner Dr. Willy Katz, berichtete davon in einem Brief an seinen Bruder
Am 15.12.2008 ist als Broschüre DIN-A4, Farbumschlag, 80 Seiten erschienen: "Es geschah vor 70 Jahren - die Reichspogromnacht in Dahn -" Euro 12,50. Mehr Infos über diese Publikation erhalten SIe hier...

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