"Stichtag der Barbarei"
Der 10. Mai 1933 und die Folgen

Von Friedhelm Schneider

Am 10. Mai 1933 wurde in der Reichshauptstadt die "Hexenverbrennung der Bücher" (Arnold Zweig) durch eine Rede des politisch ranghöchsten Germanisten eingeleitet. Propagandaminister Dr. Goebbels verkündete auf dem Berliner Opernplatz: "Dar- über aber sind wir geistigen Menschen uns klar: Machtpolitische Revolutionen müssen geistig vorbereitet werden … und dazu wollen wir Euch erziehen. Jung schon den Mut zu haben, dem Leben in die erbarmungslosen Augen hineinzuschauen, die Furcht vor dem Tode zu verlernen und vor dem Tode wieder Ehrfurcht zu bekommen - das ist die Aufgabe dieses jungen Geschlechts. Und deshalb tut Ihr gut daran, um diese mitternächtliche Stunde den Ungeist der Vergangenheit den Flammen an- zuvertrauen." Neben den "schmalzigen Tiraden des kleinen abgefeimten Lügners" (so Erich Kästner später über Goebbels) bildeten Bücherverbrennungen in den meisten deutschen Universitätsstädten den Höhepunkt einer groß angelegten "Aktion wider den undeutschen Geist", die auf Initiative der "Deutschen Studentenschaft" durchgeführt wurde.

"Aktion wider den undeutschen Geist"

Begonnen hatte die "vierwöchige Gesamtaktion gegen den jüdischen Zersetzungsgeist und für volksbewusstes Denken und Fühlen im deutschen Schrifttum" am 12. April 1933 mit der Plakatierung von zwölf Thesen, in denen es u. a. hieß: "Der Deutsche, der deutsch schreibt, aber undeutsch denkt, ist ein Verräter." In einer zweiten Phase des "Aufklärungsfeldzuges" (26.4. bis 10.5.) waren alle Studenten zur öffentlichen Sammlung zersetzenden Schrifttums aufgerufen. Zur besseren Ermittlung der aus dem Verkehr zu ziehenden Literatur stellte der nationalsozialistisch orientierte Bibliothekar Dr. Wolfgang Herrmann den Studenten am 1. Mai eine "Schwarze Liste" zur Verfügung, die zunächst 71 Autoren umfasste. Auffällig war die konsequente Nennung pazifistischer Schriftsteller. So schrieb die Wiener Zeitung "Das kleine Blatt", die zu diesem Zeitpunkt noch zur freien Auslandspresse gehörte: "…lehrreich ist's immerhin, auf welchen Geist sie es abgesehen haben. Der bestgehasste deutsche Schriftsteller im Hakenkreuz-Deutschland ist der Frontkämpfer Remarque; er hat ja das Verbrechen begangen, das wahre Bild des Krieges in die breiten Massen zu tragen; das können ihm diejenigen nicht verzeihen, die den Massen, die sie wieder an die Schlachtbank führen wollen, ein heroisches Trugbild vom Krieg vorspiegeln müssen! Auch sonst haben sie's daher auf die Verfasser ungeschminkter Kriegsbücher scharf."

"Geistige Wehrhaftmachung"

Dieser Wahrnehmung entsprach, was Dr. Herrmann 1933 in der Berliner Börsenzeitung zur "Säuberung der öffentlichen Büchereien" verlautbarte: "Die Aufgabe, die der öffentlichen Bücherei... im neuen Staat gestellt ist, entspricht der Losung Mussolinis: ,Buch und Büchse - das ist mein Befehl'. Damit ist gesagt, dass das kulturpolitische Ziel der Volksbüchereien in der geistigen Wehrhaftmachung, der totalen Mobilmachung des deutschen Menschen mit Hilfe des echtbürtigen Schrifttums liegt."

Der Plakat- und Sammelaktion sollte als dritter Schritt die eigentliche "Hinrichtung des Ungeistes" folgen. Dazu hatte das "Hauptamt für Presse und Propaganda der Deutschen Studentenschaft" knapp, aber unmissverständlich angekündigt: "An allen Hochschulen wird am 10. Mai 1933 das zersetzende Schrifttum den Flammen überantwortet."

"Hinrichtung des Ungeistes"

Um diesen publikumswirksamsten Teil der "Gesamtaktion" nicht dem Zufall zu überlassen, wurden genaue Regie- und Programmanweisungen für den Ablauf der Bücherverbrennungen erteilt: Dem Verbrennungsakt sollten ein Fackelzug und ein öffentlicher Vortrag vorangehen. Eine Serie vorgegebener Parolen sollte landesweit einheitlich ertönen, wenn Vertreter der Studentenschaft die Werke exemplarischer "Schund- und Schmutz"-Literaten (darunter Kästner, Tucholsky, Ossietzky) ins Feuer warfen. Die empfohlenen neun "Feuersprüche" richteten sich u. a. "gegen Klassenkampf und Materialismus" (Karl Marx), "gegen Dekadenz und moralischen Verfall" (Heinrich Mann, Erich Kästner), "gegen volksfremden Journalismus demokratisch-jüdischer Prägung", "gegen Frechheit und Anmaßung" (Kurt Tucholsky, Carl von Ossietzky). Die Textvorlage für den 7. Rufer lautete: "Gegen literarischen Verrat am Soldaten des Weltkrieges, für Erziehung des Volkes im Geist der Wahrhaftigkeit! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Erich Maria Remarque." … Am 10. Mai 1933 verbrannten allein in Berlin 20.000 "undeutsche" Bücher auf dem Scheiterhaufen. In Bonn stellte der Literaturprofessor Dr. Hans Naumann klar: "Fliegt ein Buch heute Nacht zuviel ins Feuer, so schadet das nicht so sehr, wie wenn eines zu wenig in die Flammen flöge." Nach diesem "Stichtag der Barbarei" (Alfred Kantorowicz) wurde die "Säuberung" von Bibliotheken und Verlagsprogrammen landesweit fortgesetzt; die von Dr. Herrmann erstellten Schwarzen Listen wurden fortlaufend ergänzt und erweitert.

Schriftsteller, die sich der von ihnen geforderten "geistigen Wehrhaftmachung" widersetzten, erhielten in der Folgezeit Publikationsverbot - sie wurden physisch vernichtet (wie Carl von Ossietzky und Erich Mühsam)), ausgebürgert (so Ernst Toller, Kurt Tucholsky), zur Flucht ins Exil gezwungen (Walter Mehring, Arnold Zweig) oder in die innere Emigration gedrängt, von der Erich Kästner schrieb: "Man ist ein lebender Leichnam." Nicht nur an ihnen sollte sich ein Ausspruch bewahrheiten, der auf Heinrich Heine zurückgeht: "Dort, wo man die Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen." Aus dieser Erkenntnis hat Erich Kästner im Rückblick die bis heute gültige Schlussfolgerung gezogen: "Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist."

Feuersprüche
Rufer: Gegen Klassenkampf und Materialismus, für Volksgemeinschaft und idealistische Lebenshaltung! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Marx und Kautsky.
Rufer: Gegen Dekadenz und moralischen Verfall! Für Zucht und Sitte in Familie und Staat! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Heinrich Mann, Ernst Glaeser und Erich Kästner.
Rufer: Gegen Gesinnungslumperei und politischen Verrat, für Hingabe an Volk und Staat! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Friedrich Wilhelm Förster.
Rufer: Gegen seelenzerfasernde Überschätzung des Trieblebens, für den Adel der menschlichen Seele! Ich übergebe der Flamme die Schriften des Sigmund Freud.
Rufer: Gegen Verfälschung unserer Geschichte und Herabwürdigung ihrer großen Gestalten, für Ehrfurcht vor unserer Vergangenheit! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Emil Ludwig und Werner Hegemann.
Rufer: Gegen volksfremden Journalismus demokratisch-jüdischer Prägung, für verantwortungsbewußte Mitarbeit am Werk des nationalen Aufbaus! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Theodor Wolff und Georg Bernhard.
Rufer: Gegen literarischen Verrat am Soldaten des Weltkrieges, für Erziehung des Volkes im Geist der Wahrhaftigkeit! Ich, übergebe der Flamme die Schriften von Erich Maria Remarque.
Rufer: Gegen dünkelhafte Verhunzung der deutschen Sprache, für Pflege des kostbarsten Gutes unseres Volkes! Ich übergebe der Flamme die Schriften von Alfred Kerr.
Rufer: Gegen Frechheit und Anmaßung, für Achtung und Ehrfurcht vor dem unsterblichen deutschen Volksgeist! Verschlinge, Flamme, auch die Schriften der Tucholsky und Ossietzky!
Zitiert nach Joseph Wulf, Literatur und Dichtung im Dritten Reich, Reinbek 1966, S. 49-50

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