80 Jahre Nazi-JudenboykottZur Erinnerung an den 01. April 1933von Michael Volkmann
„Zu der ganzen jüdischen Boykottangelegenheit habe ich nur eins zu sagen: Ich trauere um die evangelische Kirche“, schrieb Jochen Klepper am 29. März 1933 in sein Tagebuch. Ausgelöst durch den Reichstagsbrand Ende Februar, wurde der März 1933 zu einem Terrormonat gegen Kommunisten, Sozialdemokraten und Juden. Die Stimmung in der westlichen Welt wandte sich gegen die Nazis. Diese diffamierten die Proteste als „jüdische Greuelhetze“ und am 26.3. ordnete Hitler für den 1.4. einen Judenboykott an: „… die Schuldigen sind bei uns, sie leben unter uns und mißbrauchen Tag für Tag das Gastrecht, das ihnen das deutsche Volk gewährt hat. … Samstag, Schlag 10 Uhr, wird das Judentum wissen, wem es dem Kampf angesagt hat.“ Boykottiert werden sollten alle jüdischen Geschäftsleute und Dienstleister, ihre Geschäfte und Praxen wurden gekennzeichnet. „Damit wird das Jahr 1789 aus der Geschichte gestrichen“, notierte Goebbels in Anspielung gegen die seit der Französischen Revolution erkämpften Freiheitsrechte. Die Bevölkerung ließ sich nicht für den Boykott begeistern, Dietrich Bonhoeffers 91jährige Großmutter z. B. ging durch die SA-Postenkette hindurch, um im Berliner KaDeWe einzukaufen. Darum erlitten die Juden nur geringe materielle Verluste. Die psychologische Wirkung des Boykotts war wesentlich größer. Erstmals entfesselte Hitler den von der Nazipartei propagierten Judenhass als Reichskanzler. Eine Woche später begann mit der Einführung des „Arierparagraphen“ der Ausschluss der Juden aus der Gesellschaft per Sondergesetzgebung. Feige und schändlich war das Schweigen der Kirchen zu den Angriffen gegen die Juden aus politischen und kirchenpolitischen Erwägungen. Man kann sich heute nicht mehr vorstellen, dass der Berliner Bischof Otto Dibelius, der nach dem Krieg EKD-Ratsvorsitzender werden sollte, sich in einer Zeitungskolumne am 26.3.33 die Einmischung gegen Antisemitismus protestierender amerikanischer Kirchen in deutsche Angelegenheiten verbat und in einer Radioansprache über Kurzwelle am 4.4.33 in Richtung USA erklärte, die Kirche könne und dürfe „den Staat nicht daran hindern, mit harten Maßregeln Ordnung zu schaffen“. Ein Ende der staatlichen Gewalt hänge davon ab, „ob draußen in der Welt die Agitation gegen Deutschland aufhört oder nicht“. Er schloss: „Sie werden es erleben, daß das, was jetzt in Deutschland vor sich geht, zu einem Ziele führen wird, für das jeder dankbar sein kann, der deutsches Wesen liebt und ehrt.“ (1) Rabbiner Leo Baeck, damals Präsident der Reichsvertretung der deutschen Juden, sagte am 20. Jahrestag des Boykotts: „Man spricht von dem Boykott-Tag. In Wahrheit wurde das Recht boykottiert. Die jüdischen Geschäfte haben eine Zeitlang überstanden, das Recht hat diesen Tag nicht überstanden. … Jeder Niedergang [in der Geschichte] begann mit einer großen Feigheit. Wir haben es erlebt. Der erste April 1933 spricht davon. Die Universitäten haben geschwiegen, die Kirchen geschwiegen, die Gerichte geschwiegen … der Reichspräsident, der den Eid auf die Verfassung geleistet hatte, geschwiegen. … Ohne die Feigheit damals wäre alles, was gekommen und über uns gekommen ist, nicht geschehen.“ (2). Am 30.3.33 telegrafierte die Reichsvertretung der deutschen Juden an
den Evangelischen Oberkirchenrat Berlin: „Die deutschen Juden erhoffen
gegenüber den gegen sie gerichteten Bedrohungen ein baldiges Wort,
das im Namen der Religion von der evangelischen Kirche in Deutschland
gesprochen wird, damit unwiederbringlicher Schade auch für Gemeinsames
des Glaubens abgewendet werde. Gleiche Depesche an Kardinal Bertram gesendet.
Die Reichsvertretung der deutschen Juden, Kantstr. 158“. Dieser Artikel erschien urspr. im Ölbaum online Nr. 68 – 19. März 2013 Quellen: Bild: Wikipedia Commons |
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