von Klaus Beckmann
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I. Das Andere fordert heraus
Das Andere fordert heraus. Es stellt die eigene Position in Frage. Um so kritischer
empfinde ich das Andere, je mehr Momente des Eigenen ich darin wiederfinde.
Verwandtes provoziert durch Widerspruch stärker als das ganz und gar Exotische.
Gehen wir einmal zweitausend Jahre zurück und betrachten wir die Koexistenz
der „monotheistischen“ Religionen zur Zeit der Entstehung des Christentums.
Von ihrer ersten Stunde an ist die Christenheit vom Anderen, das ihr doch aufs
Engste verwandt war, herausgefordert worden. Ausgerechnet diejenigen nämlich
lehnten in der Mehrheit das christliche Bekenntnis zu Jesus als dem Messias
Gottes ab, die das Zeugnis von jenem Gott „besaßen“ und es
durch die Jahrhunderte überliefert hatten. Die Juden, die vom Herrn wussten
und von der Geschichte Abrahams, Isaaks und Jakobs, Moses und Davids, die das
Gedächtnis bewahrten von dem Gott, der den Christen der Vater Jesu ist,
sagten: Dieser ist nicht der verheißene Erlöser Gottes. Denn die
Welt ist nicht erlöst. Die Christen, eine kleine, verfolgte Gruppe mit
Anspruch auf die Kompetenz zur Rettung aller Welt, verübelten den Juden,
dem Volk der Bibel, ihre Distanz zur frohen Botschaft. Für die Christen
war jetzt alles erfüllt, das Reich Gottes angebrochen. Im Glauben, im Geist,
sollte wahr sein, was die Propheten versprochen hatten. Juden aber fragten:
Wo sind die Lahmen, die gehen, die Blinden, die sehen, die Armen, denen das
Evangelium mehr ist als Wortgeklingel? Juden maßen die christliche Botschaft
ganz irdisch an der verheißenen Zukunft und kamen zum Befund, dass es
das ja wohl nicht gewesen sein konnte. Mehr göttliches Handeln, mehr greifbare
Zukunft musste eintreten, bis das versprochene Ende da sein würde.
So entsteht Hass unter Geschwistern. Der Erfüllungseifer Frischbekehrter
reibt sich an der Skepsis der im Gottesbund Herangewachsenen. Beansprucht und
vorenthalten werden da die Größen „Gott“, „Wahrheit“,
„Entscheidungszeit“. Glaube wird nun einmal gelebt und erzählt,
nicht vorgerechnet und bewiesen. Darum ist er nicht mit Zureden und Zwang übertragbar.
Wo es da einer überernst meint in seinem missionarischen Drang, erfährt
er Zweifel und Zurückweisung. Das schmerzt aber am meisten bei denen, die
mit ihm Überlieferung teilen. Das jüdische Nein zum Messias Jesus,
das uns Christen Ermahnung hätte sein können, an einer Zukunft mitzuarbeiten,
in der Recht und Gerechtigkeit zusammenrücken, wurde Anlass für Ausgrenzung
und Verfolgung. In ihrem Beharren auf dem Irdischen sind die Juden lebendiges
Mahnmal dafür, dass die große Ankunft Gottes noch aussteht, dass
mit der Kirche das ewige Reich nicht endgültig gekommen ist und wir Menschen
auf unendlich Besseres hoffen dürfen, als wir jetzt kennen. Das Neue Testament
selbst schließt mit der Bitte: „Komm, Herr Jesus!“ Christliches
Erfüllungsbewusstsein aber verdrängte das „Bis Du kommst in
Herrlichkeit“ und zwang das jüdische Nein in den Konflikt. Wir haben
den Juden die glaubensfördernde Erinnerung nicht gedankt. Denn ihre an
die prophetische Botschaft gebundene Einrede unterlief den irdischen Machtanspruch
der Kirche, der auf dem spirituellen Erfüllungspostulat basierte. Sie waren
uns Störenfriede, bald Zersetzer der Einheit, bald universale Drahtzieher
des Bösen auf dieser Erde. „Ihrer“ Bibel zahlen wir es bis
heute moralisch heim, dass vor ihr die christliche Erfüllungsbehauptung
fraglich wird: Bei Nachrichten von besonderer Grausamkeit sind die Medienmacher
sofort mit dem Attribut „alttestamentarisch“ zur Stelle, auch wenn
die Akteure Christenmenschen sind. Bis in den hysterischen Umgang mit dem Nahost-Konflikt
hinein, wo nicht Kritikables nach politischer Vernunft kritisiert, sondern nach
Lage der Dinge Unvermeidliches zeternd vors Tribunal geschleift wird, schlägt
sich die uns Christen durch das Anderssein der Juden beigebrachte Kränkung
nieder. Nein, wir haben gar keinen Grund, etwa den Muslimen pauschal den Vorwurf
der Intoleranz zu machen, denn vor der Herausforderung religiöser Selbstbescheidung
und dialogischer Toleranz haben wir am Beginn unserer Geschichte als religiöse
Gemeinschaft auf ganzer Linie versagt. Paulus mahnt demgegenüber im 11.
Kapitel des Römerbriefs: „Haltet euch nicht selbst für klug!“
Auch im religiösen Weg des Anderen geht Gott seinen Weg mit seiner Menschheit.
Glaube ist zu allererst Gottes Geschenk, ist Gnade für mich, keine Waffe
gegen den Nächsten und dessen Bekenntnis.
II.
Herausforderung des interreligiösen Dialogs
Dies vorweg. Kommen wir nun zur Herausforderung des interreligiösen Dialogs
am Beginn des 21. Jahrhunderts, in Deutschland. Übereifrige Christen, die
Mitmenschen den eigenen religiösen Weg nicht gönnen können, gibt
es immer noch, sogar in wachsender Zahl. Aber das Gesicht der christlichen Gemeinden
prägen sie insgesamt nicht. Das scheint quantitativ viel eher von fehlendem
Eifer geprägt, davon, dass man nicht recht weiß, was Christsein denn
ist und ob es für das eigene Leben etwas bedeutet. Womöglich ist der
Übereifer jener wachsenden Minderheit ja die verzweifelte Reaktion auf
den Untereifer der Mehrheit. Unsicherheit spielt bestimmt auch und gerade bei
den ganz Eifrigen mit, denn wer wirklich davon getröstet ist, dass er mit
Leib und Seele, beides im Leben und im Sterben nicht auf sich angewiesen, sondern
Jesu Christi eigen ist, der wird mit Respekt vor dem Geber des Glaubens in der
nötigen Gelassenheit anderen Menschen ihren religiösen Weg zugestehen.
Dieses von Desinteresse und Unsicherheit gezeichnete Christentum sieht sich
nun vom Islam zum Gespräch geladen, von einem Islam, der jung ist und glaubt,
der Welt etwas sagen zu müssen. Toleranz verlangt Positionen. Ein „Ist
doch sowieso alles einerlei!“ verletzt jeden, dem seine Sache heilig ist.
Und ein Dialog mit solchen, die für nichts stehen, frustriert. Wie steht
es um unsere Dialogtauglichkeit und Dialogwürdigkeit? Wagen wir eine nüchterne,
freilich nicht repräsentativ fundierte Bestandsaufnahme für unser
Christentum und fangen wir hier im Hause an: Von den 17 Schülern eines
Grundkurses Evangelische Religion, der im vergangenen Jahr das Abitur ablegte,
wusste zu Beginn der 12. Jahrgangsstufe nur ein einziger auf Anhieb das Erste
Gebot. Christenmenschen, getauft, konfirmiert und jahrelang in den Religionsunterricht
gegangen, können weithin den Inhalt der christlichen Feste nicht erklären,
kennen nicht den Zusammenhang des Kirchenjahres, vermögen nicht, den Kern
des Evangeliums in einem Satz zu formulieren. Bei den katholischen Geschwistern
scheint der Traditionsabriss noch nicht so verheerend vollzogen zu sein, tendenziell
aber plagt sie das gleiche Problem. Selbst vielen Theologen fällt es schwer,
Inhalt und Aussageabsicht der Trinitätslehre zu beschreiben, die doch nicht
weniger als das Wesen des christlichen Gottesglaubens formuliert. Gerüstet
zum Dialog mit Menschen aus anderen Religionen, die ihr eigenes Bekenntnis ernstnehmen
und ernsthaft etwas von dem unseren erfahren wollen, ist man da kaum. Erschwerend
kommt hinzu, dass mancherorts im Namen eines zur Doktrin erhobenen Dialogismus
das Interesse an der eigenen Tradition geradezu systematisch zerstört wird.
Das Postulieren von Gemeinsamkeit hebt an, bevor das Eigene wirklich angeeignet
ist. Schülern dürften Bekenntnisse nur „relativierend“
vermittelt werden, fordert immer mal wieder ein „wertepädagogisches“
Konzept aus der Hauptstadt. So kann „Dialog“ nur zum unbekömmlichen
Einheitsbrei werden, der allseits Unsicherheit nährt und zum Dünger
für Fundamentalismen vergärt. Toleranz erwächst aus der souveränen
Kenntnis der eigenen Tradition.
Der Erwerb einer profilierten religiösen Bildung widerspricht einer kritischen
Beschäftigung mit der Geschichte der eigenen Religion keineswegs. Junge
Christen müssen auch erfahren, welche Abwege das Christentum gegangen ist.
Das christliche Bekenntnis beschreibt das Eingehen Gottes in menschliche Geschichte(n).
Es verbindet auch Irrtümer und Fehltritte mit der großen, noch nicht
erfüllten Verheißung des Friedensreiches. Dafür ist die Bibel
das vielfältige Dokument. Die Erfahrung der vergangenen 200 Jahre, in denen
man die Bibel als Produkt menschlichen Glaubenslebens und nicht mehr als zeitloses
göttliches Diktat lesen lernte, lehrt durchaus, dass die historisch-kritische
Bibellektüre den Lebensbezug biblischer Aussagen erhellt und vertieft.
Wenn ich weiß, in welcher Situation eine bekenntnishafte Aussage formuliert
wurde, erlebe ich darin ein Angebot, meine eigene Biographie in die Geschichte
des Glaubens einzuschreiben, statt mich nur absoluten Lehrsätzen zu unterwerfen.
Zugleich erwerbe ich Resistenz gegenüber ideologischer Vereinnahmung von
religiösen Thesen. Eine religionsübergreifende historische Kritik,
die auf wechselseitige Beeinflussungen und Variationen ihr Augenmerk richtete,
böte dem interreligiösen Gespräch neue Chancen. Der Islam kann
dazu nur ermutigt und eingeladen werden. Insgesamt hat die Popularisierung historischer
Forschung dem Christentum gut getan. Das Pendant einer historisch-kritischen
Koranlektüre auf muslimischer Seite ist sowohl der Entwicklung muslimischer
Gemeinschaften innerhalb einer pluralen Gesellschaft als auch dem islamisch-christlichen
Dialog zu wünschen.
III.
Europa und das christliche Abendland
Von allen Glaubensfragen einmal abgesehen: Es führt kein realistischer
Weg daran vorbei, dass Europa das christliche Abendland gewesen ist und dass
es uns in der Überlieferung immer noch so begegnet. Das heißt nicht,
hier dürften Menschen anderer Prägung nicht frei ihre Religion leben.
Das heißt erst recht nicht, ein Europäer dürfte sich nicht kraft
eigener freier Einsichten vom Christentum entfernen. Aber es bleibt dennoch
dabei: Wer das Christentum nicht wenigstens in Grundzügen kennt, kennt
Europa nicht. Was wäre die europäische Malerei ohne christliche Motive?
Was die Musik ohne die Themen aus Altem und Neuem Testament? Wie will jemand
unsere Baudenkmäler entziffern, der von den biblischen Geschichten keine
Ahnung hat? Man führe sich vor Augen: Die Sowjetunion hat in den 1980er-Jahren
an den Schulen verpflichtende Bibellektüre-Kurse eingerichtet. Das geschah
nicht, um der Kirche etwas Gutes zu tun, sondern weil die Bildungsbürokraten
gemerkt hatten, dass die Schüler ohne Bibelkenntnisse die Klassiker der
russischen Literatur nicht verstehen konnten. Und mit unseren literarischen
Klassikern steht es nicht anders! Weder Goethe noch Thomas Mann kann ich wirklich
aufnehmen, wenn mir die biblische Grundierung ihres Erzählens fremd ist.
Vorsicht also: Wir sind nicht sehr weit davon entfernt, Generationen kultureller
Analphabeten heranzuziehen, indem uns die christlichen Grundkenntnisse abhanden
kommen! Vor anderen Kulturen machen wir uns lächerlich, ja verächtlich,
wenn wir Multikulti-Parolen im Munde führen, von der eigenen Kultur aber
so gut wie nichts beherrschen, geschweige denn, sie anderen Menschen nahebringen
können. In der Überlieferung der eigenen Gemeinschaft Bescheid zu
wissen, ist keine altbacken-autoritäre Forderung, sondern Voraussetzung
zur Teilhabe an der Gemeinschaft und auch zum wirklichen Dialog mit anderen
Gemeinschaften. Übrigens fängt das Vertrautwerden mit biblischer Geschichte
nicht erst in der Schule oder im kirchlichen Unterricht an, sondern klassischerweise
in den Elternhäusern. Man schmälert die Zukunftschancen seiner Kinder
nicht, sondern vermehrt sie sprunghaft, wenn man statt in das neueste Computerspiel
einmal in die Zeit investiert, eine biblische Geschichte zu erzählen. Und,
glauben Sie mir: Das sind, vor allem im Alten Testament, bei den Erzvätern,
bei Joseph und seinen Brüdern, bei Mose und den Richtern, Königen
und Propheten, einfach großartige und spannende Geschichten! Wenn irgendwo
der Mensch in seiner Vielgesichtigkeit und in seinen Abgründen gekannt
wird, dann da! Wer das liest und weitererzählt, der gewinnt nicht nur an
Kultur und Bildung und Dialogtauglichkeit, sondern mindestens genauso an Menschenkenntnis
und Lebenserfahrung!
IV.
Kurzer Ausflug in die Theo-Logie
Erlauben Sie mir einen kurzen Ausflug in die Theo-Logie. Man spricht von den
drei monotheistischen Weltreligionen Judentum, Christentum, Islam. Das ist oberflächlich
auch richtig: Diese drei Religionen bekennen einen exklusiven Gott. Allerdings
wird dabei leicht manches übergangen. Zum Beispiel dies, dass die Bindungen
der Religionen untereinander höchst unterschiedlich geartet sind. Das Christentums
steht dem Judentum näher als dem Islam, ja man tritt einem über sich
selbst aufgeklärten Christentum nicht zu nahe, wenn man sagt, eigentlich
sei es nichts als eine jüdische Sekte. Die jüdische Bibel gehört
komplett zum christlichen Kanon, das NT wäre ohne alle darin enthaltenen
Zitate, Anspielungen, Variationen aus der jüdischen Bibel kaum mehr als
ein paar „und“, „aber“ und „oder“. Dass
die Kirche viele Stellen anders gedeutet hat als die Synagoge, dass da eine
spirituelle Erfüllung die irdische Heilserwartung der Juden abschneiden
sollte, ändert nichts an dem Grundsachverhalt, der darin besteht, dass
die Kirche hundertprozentig an die biblisch-jüdische Gotteserzählung
anknüpft und voll auf sie angewiesen bleibt. Im Koran finden sich wohl
ebenfalls ausführliche Bezüge auf AT und NT, jedoch ist die Anknüpfung
hier wesentlich eklektischer und distanzierter. Dem glaubwürdigen Dialog
hilft es, die Tatsachen klar zu benennen.
Auch die Erzväter, die in allen drei Religionen eine Rolle spielen, taugen
m. E. nicht zur Konstruktion einer trilateralen Einigkeit. Zentral sind die
Vätergestalten nirgends: Im Judentum geht es zentral um Mose, im Christentum
um Jesus, im Islam um Mohammed. Der gemeisame Rückgang auf „das Abrahamitische“
hat etwas gezwungen Künstliches und verfehlt das theologische System wie
das Leben der wirklichen Religionen. Hinzu kommt, dass die Väter dreifach
jeweils durch die Brille der eigenen Prägung gesehen werden. Wenn für
mich der Glaube Abrahams im Sinne des NT ein Vorausverweis auf Jesus ist, kann
ich diese Sicht weder dem Juden noch dem Moslem auferlegen.
Letztlich entscheidend ist aber die Differenz im Gottesverständnis: Der
Gott in AT und NT ist jederzeit bereit, in Geschichte einzugehen. Er leidet
mit, wenn Menschen Leid erfahren. Das geht so weit, dass er sich in Jesus Christus
inkarniert, dass er selbst Mensch wird in Zeit und Raum, und dass er selbst
den menschlichen Tod stirbt, um den Tod zu überwinden. Dass Gott so etwas
kann, ist mit den Juden nicht prinzipiell strittig. Der Gott Israels ist immer
mitten dabei in der Menschengeschichte. Strittig ist auf dieser Seite, ob er
in Jesus wirklich auf einmalige Weise anwesend war und ob Jesus der verheißene
Messias ist. Zum Islam hin gibt es theologisch viel weniger Berührungspunkte.
Der Gott des Koran ist, wenn ich ihn richtig deute, frei von geschichtlichen
Verquickungen und deshalb z. B. zum Sterben unfähig. Einen Sohn zu haben,
geziemt ihm durchaus nicht. Das ist Monotheismus pur und macht dieses Gottesverständnis
philosophisch attraktiv, setzt es aber von der biblischen Erzähllinie beider
Testamente ab, wo der eine Gott in seiner existentiellen Menschenzugewandtheit
beschrieben wird. Christliche und muslimische Glaubenserfahrung können
von theologischen Zentrum her kaum in Einklang gebracht werden.
Was in der Gotteslehre nicht gelingt, könnte aber beim Menschen glücken.
So will ich dann doch mit Optimismus für den Dialog zwischen Islam und
Christentum schließen. Beide sehen den Menschen als Geschöpf, gesetzt
in die nicht von ihm selbst hervorgebrachte Welt, angeredet vom Schöpfer
und Erlöser, begabt mit Vernunft und Einsicht, um die Welt menschenfreundlich
zu gestalten. Kommen wir dazu kurz auf das Erste Gebot zurück, das die
Schüler jenes Oberstufenkurses bis zum Abitur doch noch gelernt haben.
Das Erste Gebot, das die Verehrung anderer Götter verbietet, dient meinem
Heil nicht wegen der Einzahl des Göttlichen, so faszinierend diese denkerisch
sein mag. Es dient mir vielmehr mit der Zusage, dass dieser Eine sich selbst
dazu bestimmt, für mich zu sein: „Ich bin der Herr, Dein Gott!“
Gott kommt in meine menschliche Lebenssituation, redet mich an und lässt
sich, reformatorisch gesprochen, von meiner Gottlosigkeit nicht abhalten, es
gut mit mir zu meinen. Unsere Welt, die auf ganzer Linie ihre Unschuld eingebüßt
hat, ist Gott seine Zuwendung wert. Die Anerkennung dieses einen Gottes schließt
die Anerkennung der menschlichen Geschöpflichkeit ein: Ich bin nicht Gott,
nicht zum Erschaffer und Vollender des Lebens berufen. Zugleich aber bin ich,
zu dem Gott seine Beziehung hat, auch nicht der Würde- und Schutzlosigkeit
des bloßen Objektdaseins ausgeliefert. Weder darf ich alles tun, was vermeintlich
in meinen Kräften steht, noch darf mit mir alles getan werden. Demut vor
der exklusiven Gottheit Gottes und Stolz auf meine unantastbare Menschlichkeit
greifen ineinander. Heilsam sind wir Menschen von Gott begrenzt. Befreit sind
wir, nach dem Maß unserer Einsicht und unseres Könnens Zivilisation
zu bauen. Das fordert die Vernunft heraus, Begrenzungen zuzugeben und Selbstüberhöhungen
abzuweisen. Hier haben die drei Weltreligionen, die von der Einzigkeit Gottes
künden, der Welt in der Tat gemeinsam etwas zu sagen: Daß sie gehalten
ist durch einen Willen, der ihr eigenes Wollen übersteigt, und dass ihr
vernünftige Bescheidung guttut. Die ethischen Anwendungsfelder, auf denen
zu bewähren ist, dass wir Menschen nicht Gott sind, dass aber Gott Gott-für-uns
ist und uns mit Vernunft beschenkt, sind ebenso zahlreich wie konkret und aktuell:
In der Biomedizin, wo Chancen auszuloten sind, aber niemals eine Vergottung
des Menschen zum Herrn des Lebens platzgreifen darf, im Umgang mit Hilfsbedürftigen,
wo nicht ökonomische Interessen die Frage ersticken dürfen: „Wie
wollte ich behandelt werden?“, bei den politischen und sozialen Menschenrechten,
bei der Gerechtigkeit zwischen Mann und Frau wie zwischen den Generationen,
in der vernünftigen und darum friedensdienlichen Verteilung politischer
Gewalt.
V.
Der eine Gott und die unterschiedlichen Wege zu ihm
Auf dieser Erde darf verschieden geglaubt werden, so gewiss der eine Gott nicht
einfältig und beschränkt ist. Solange wir auf dem Weg sind, haben
wir einander als Verschiedene zu achten. Erfahrungen von Verwandtschaft und
Fremdheit sollen dabei ehrlich zur Sprache kommen. Je ehrlicher sie ausgesprochen
werden, um so weniger wird Weggemeinschaft in Hass umschlagen. Zur Achtung des
Anderen gehört, ihm das Zeugnis des Eigenen zu gönnen. Unsere gemeinsame
Verpflichtung als Verschiedene, die wir die exklusive Gottheit des einen, den
Menschen zugewandten Gottes bekennen, ist aber, dafür einzutreten, dass
diese Erde immer mehr eine menschliche Erde wird, dass sie ein von Vernunft
geprägtes Gesicht trägt und weder durch Selbstvergottung des Menschen
noch durch Erniedrigung des Menschen zum Objekt beschädigt wird. Der Glaube,
dass diese Erde in einer guten Hand ist, ist nicht Produkt unserer Weisheit.
Er ist Geschenk. Der höchst vernünftige, weil zu Bescheidenheit und
Toleranz mahnende Satz des Paulus: „Haltet euch nicht selbst für
klug“, gilt uneingeschränkt. Eingeschlossen ist darin die Aufforderung,
Intoleranz nicht zuzulassen und den Partner im interreligiösen Dialog nötigenfalls
auch auf seine Haltung zur praktischen Vernunft, etwa in Gestalt der Menschenrechte,
anzusprechen, so, wie auch wir uns immer wieder fragen lassen müssen, ob
wir unser Bekenntnis erkennbar vertreten. Auf diesem Weg nützt es, das
Erste Gebot zu lernen – und die neun anderen nebst der übrigen Hauptstücke
dazu!
Überarbeitete Fassung eines Vortrags anlässlich eines von den Abiturienten des Christian-von-Mannlich-Gymnasiums in Homburg am 20. Mai 2005 veranstalteten Interreligiösen Dialogabends.
Abgedruckt im Pfälzischen Pfarrerblatt Nr.6/2005; Wiedergabe mit der freundlichen Erlaubnis des Autors
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