Die Pfälzische Landeskirche in der Zeit des Nationalsozialismus

von Pfarrer Paul Werron

 

Ich bin als Zeitzeuge gebeten worden zu Ihnen über dieses Thema zu sprechen. Ich will mich Ihnen daher mit einigen Lebensdaten vorstellen. 1912 in Pirmasens geboren, habe ich 1932 – also ein Jahr vor der Machtergreifung – am dortigen Gymnasium das Abitur gemacht. Erlebnisse in der Ev. Jugendarbeit und ein sehr beeindruckender Religionsunterricht, hauptsächlich in den Oberklassen des Gymnasiums veranlassten mich, Pfarrer zu werden. Dazu studierte ich acht Semester Theologie in Erlangen, Königsberg, Greifenwald, Berlin und Tübingen. (Schon im dritten Semester 1933 in Königsberg bekamen wir es mit dem Zwang der NSDAP zu tun. Nur wenn man einer ihrer Gliederungen angehörte, konnte man immatrikuliert werden. Ich trat der SA bei, aus der ich 1936 in Landau ausgetreten bin, weil ich mich, mit anderen Kollegen, geweigert habe am Sonntagmorgen Dienst zu tun.)
Noch vor meiner Ordination musste ich das Predigerseminar verlassen und am 7.2.1937 den Dienst im Stadtvikariat LU-Mundenheim übernehmen. Damit war Dienst in Maudach und in der Gartenstadt verbunden. Dabei lernte ich besonders den Pfarrer Paul Kreiselmeier an der Erlöserkirche kennen, der mir zum Mentor und väterlichen Freund wurde. Durch ihn kam ich auch zur Pfarrbruderschaft. Er war der Vorsitzende des Dekanatskreises Ludwigshafen. Als schon Krieg war heirateten meine Frau und ich ein viertel Jahr später.

Am 11.3.1940 musste ich Soldat werden und kam nach fünf Kriegsjahren schon am 16.Juni 1945 durch Vermittlung eines französischen Militärpfarrers, der in Landau bei Hans Stempel wohnte, aus der französischen Gefangenschaft nach Hause. Dann folgten neun Jahre Dienst in der Gemeinde Altrip und 23 Jahre Dienst in der Gemeinde LU-Rheingönheim, bis zu meiner Pensionierung 1977. (Nach dem Krieg schloss ich mich der Kirchlich-theologischen Arbeitsgemeinschaft an, in der wir versuchten, bei der Neuordnung der Kirche die Erkenntnisse des Kirchenkampfes zur Geltung zu bringen.)

Doch nun zu unserem Thema. Ich will es in drei Schritten tun:
1. Wie waren die politischen Ereignisse und Verhältnisse?
2. Was geschah in der Ev. Kirche in Deutschland?
3. Was geschah in der Pfälzischen Landeskirche?

 

1. Wie waren die politischen Ereignisse und Verhältnisse?

Erinnern wir uns an Ereignisse, die die Zeit des Nationalsozialismus ausmachen. Mit bestürzender Schnelligkeit ging der Prozess der nationalsozialistischen Machtergreifung zwischen dem 30. Januar 1933 – Tag der Machtübernahme – und dem 30. Juni 1934 – Niederschlagung des Röhm-Putsches – vor sich. Nach knapp eineinhalb Jahren war aus der „Weimarer Demokratie“ eine Diktatur geworden, in der nur eine Partei die ganze Macht in Händen hatte. Auf nahezu allen Gebieten des politischen, staatlichen und gesellschaftlichen Lebens setzte sich durch die verordnete Gleichschaltung die nationalsozialistische Weltanschauung durch. Die Nazis schreckten vor keinem Unrecht und vor keiner Lüge zurück, um ihre Macht zu festigen. Mit dem von ihnen inszenierten Reichstagbrand beschuldigten sie die Kommunisten. Daraufhin wurde die „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat“ erlassen. Sie setzte alle von der Verfassung gewährten Relikte außer Kraft und ermöglichte die Einrichtung von Konzentrationslagern. Die Mehrheit des deutschen Volkes akzeptierte diese Verordnung mit der Wahl vom 5. März 1933. Die diktatorische macht Hitlers wurde dann noch zum Schein legalisiert, durch das „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Staat“, „Das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ und durch die Nürnberger Rassengesetze, die dem Antisemitismus aufs äußerste radikalisierte.

Wie kam es, dass diese Diktatur so schnell aufgerichtet werden konnte? Die meisten Bürger in Deutschland, vor allem auch wir Protestanten, waren konservativ national eingestellt. Auch unsere Erziehung und Schulbildung tendierte in diese Richtung. Das Thema unseres Abituraufsatzes lautete „Männer machen die Geschichte“ und ein Thema für ein Referat in den Oberklassen hatte die Formulierung „Der Versailler Vertrag und die Kriegsschuldlüge“. Die meisten hatten schon vor 1933 aufgehört, die „Weimarer Republik“ als ihren Staat anzusehen. Die junge Demokratie war schließlich eine Demokratie ohne Demokraten. Mutlos und schutzlos wurde sie den Feinden von links und rechts preisgegeben. Von einzelnen mutigen Ausnahmen abgesehen gab es weder in den Parteien, noch in der Beamtenschaft, noch in den Reihen des Militärs, noch bei den Diplomaten eine nennenswerte entschiedene Opposition gegen die Gleichschaltung mit der totalitären Herrschaft der einen Partei. - Das trifft zunächst auch auf die Ev. Kirche zu.

 

2. Was geschah in der Ev. Kirche in Deutschland?

Damit sind wir beim 2. Schritt. Gerade die Protestanten waren anfällig für die nationalen Töne, die in allen Verlautbarungen der Machthaber angeschlagen wurden. Die politische Wende wurde in der ersten Zeit auch von den Pfarrern, sogar von Martin Niemöller, der später wegen seines entschiedenen Widerstandes ins KZ kam, freudig begrüßt. Sie hofften auch auf eine Erneuerung der vielfach zerstrittenen Ev. Kirche, ließ sich täuschen von der Zusicherung Hitlers in seiner Regierungserklärung, dass die Rechte der Kirche voll gewahrt bleiben, und von dem Punkt 24 im Parteiprogramm, in dem vom positiven Christentum die Rede war.

Die kirchliche Opposition begann sich erst zu regen und weitere Kreise zu erfassen, als Hitler mit Hilfe der „Deutschen Christen“ versuchte auch die Ev. Kirche gleichzuschalten und dem totalitären Staat dienstbar zu machen. Die „Deutschen Christen“, die es schon vor 1933 gab, war die Glaubensbewegung derer, die bedingungslos der nationalsozialistischen Weltanschauung ergeben waren und in der geschichtlichen Wende in Volk und Rasse und in der Person Hitlers eine göttliche Offenbarung sahen. Sie wollten alle Landeskirchen zu einer nationalen Reichskirche mit Führerprinzip und Anwendung des Arierparagraphen auch in der Kirche vereinigen. Sie spalteten sich in eine gemäßigte und eine radikale Richtung. Letztere forderte die Abschaffung des AT (einige bezeichneten das AT als Buch von „Gauner- und Viehhändlergeschichten“), Entfernung aller jüdischen Elemente aus dem Evangelium und machten aus Jesus einen Arier. Dem konnten die bekenntnistreuen Christen nicht mehr länger zusehen. Durch Martin Niemöller und Dietrich Bonhoeffer kam es zur Gründung des Pfarrernotbundes, aus dem sich die Bekennende Kirche entwickelte. Der Pfarrernotbund meldete im Namen von etwa 200 bekennenden Pfarrern ihren Protest gegen den Arierparagraphen, gegen die einseitige Politisierung und gegen die stattliche Vereinnahmungsversuche der DC an. Dieser Widerstand kam dann im Mai 1934 auf der Bekenntnis-Synode in Barmen in den sechs Sätzen der theologischen Erklärung zum Ausdruck. Diese Sätze richten sich in Bekenntnis, Verwertung und Beurteilung gegen die Irrlehre der DC, als seien geschichtliche Ereignisse „Mächte, Gestalten und Wahrheiten Gottes Offenbarungen, die als Quelle der Verkündigung dienten und als gäbe es Bereiche unseres Lebens, die vom Herrschaftsanspruch Christi ausgenommen seien und über die andere Herren zu verfügen hätten. Es gibt nur eine Offenbarung Gottes und nur einen Herrn unseres Lebens – so die erste These –„Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift – AT und NT – bezeugt wird, ist das eine Wort Gottes, das wir zu hören, dem wir im Leben und Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben“. Ebenso wird das Führerprinzip abgelehnt. Die Gemeinde Jesu Christi ist die Gemeinde von Schwestern und Brüdern, in der allen die Ausübung des Dienstes anvertraut und befohlen ist. Sie darf sich keine mit Herrschaftsbefugnis ausgestattete Führer geben oder geben lassen. Die Bekenntnis-Synoden erhoben daher den Ausspruch gegen die vom Staat bevormundete DEK die wahre Kirche zu sein, mit VKL der „Vorläufigen Kirchenleitung“. Sie richtete Ausbildungsstätten für junge Theologen ein, z.B. das Seminar in Finkenwalde unter Dietrich Bonhoeffer, hielt Examina ab und versorgt bekennende Gemeinden, die sich von DC Leitungen getrennt hatten, mit Pfarrern; auch die finanzielle Versorgung war vielfach der VKL aufgetragen. Dieser Widerstand führte zu Verhören, zu Verhaftungen, zu Gefängnis und für einige zu KZ. War das auch so in der Pfälzischen Landeskirche oder was geschah in dieser Zeit bei uns in der Pfalz?

 

3. Was geschah in der Pfälzischen Landeskirche?

Zunächst wurde die politische Machtergreifung Adolf Hitlers von den meisten Protestanten und auch Pfarrern in der Pfalz freudig begrüßt. Schon vor 1933 gab es gerade in überwiegend protestantischen Gemeinden eine zahlenmäßig starke Zustimmung zur NSDAP und der Ruf nach einem starken Mann, der uns aus der innen- uns außenpolitischen Notlage herausführen könnte, wurde immer lauter. Auch in der Pfalz wurde in der zumeist konservativ-nationalen Gesinnung der Weg in die Weimarer Republik innerlich nicht mitgegangen. Der stark propagierte Einheitsgedanke „Ein Volk – ein Reich – ein Führer“ erweckte auch in der parteiisch zerstrittenen Kirche den Wunsch nach einer einheitlichen Kirche. Noch gab es ja die kirchlichen Parteien, die sich bei der letzten Synodalwahl noch heftig bekämpft hatten. Es waren: 1. Der Protestantenverein, der sich als wahrer einer bekenntnismäßig weitherzigen Unionstradition fühlte und als Vertreter des theologischen Liberalismus. 2. Die positive Vereinigung, die sich als Hüter einer mehr orthodoxen und strenger Kirchlichkeit verstanden mit einer biblizistischen, auf das Wort gegründeten Theologie; dazu gehörten auch die Gemeinschaftsleute.

Daneben gab es noch als kleine Partei „Die religiösen Sozialisten“. Sie wollten die Bereiche der Wirtschaft, der Politik und der Kultur unter den Anspruch der Gebote Gottes gestellt sehen, forderten größere soziale Aktivität der Kirche und wollten die der Kirche entfremdeten Arbeiter wieder zurückgewinnen. Sie warnten als erste vor den unchristlichen und unkirchlichen Zielen der Hitler-Partei; da sie meist politisch der SPD angehörten, hatten sie bald Verfolgung, Verhaftung und Arbeitslager zu erleiden. Die DC, die ihre Vorläufer schon vor 1933 hatten, wollten den christlichen Glauben besonders mit dem Deutschtum verbinden und wollten eine einheitlich „deutsche“ Kirche, sahen im Volk in Ehe- und Familie besondere Schöpfungsordnungen, ja beinahe Offenbarung Gottes und verehrten in Hitler den von Gott gesandten Retter. Da man in der Landeskirche des Parteienstreites überdrüssig war, und der Einheitsgedanke zu verlockend war, verzichteten die seitherigen Parteien bei der nun anstehenden Wahl zur Landessynode auf eigene Kandidaten. Die positive Vereinigung trat 1933 zu den DC über (mit dem Kirchenboten), der Protestantenverein empfahl seinen Mitgliedern dem DC beizutreten. So kam unter Einwirkung der DC Leitung: H. Schmidt und L. Diehl, der zugleich Parteigenosse war, eine Einheitsliste zustande, nach der die Landessynode gewählt wurde.

Als im Jahr darauf durch Erlass des Kirchenausschusses eine neue Synode gewählt werden sollte, wurde wieder eine Einheitsliste aufgestellt mit Kandidaten, die der Partei angehörten oder ihr nahe standen. Die Gauleitung hat dabei mitgewirkt. Diese Liste wurde dann von der KR als „gewählt“ übernommen. So wurde jedes Mal ganz eklatant gegen das synodal-presbyteriale Prinzip der kirchlichen Verfassung von 1920 verstoßen. Demgemäß ging es auch zu auf den Tagungen dieser Synode. Der Kirchenpräsident Dr. Kessler warnte zwar noch vor einer „nordisch-germanischen“ Nationalkirche und vor einer Gleichschaltung. Aber er musste zurücktreten. Die Synode bekannte sich voll und ganz zum Dritten Reich Adolf Hitlers und zur DEK. Sie verpflichtete sich die Kirche durch Erschließung der reichen Quellen des Nazismus zu einer echten christlichen Volkskirche umzugestalten. Der alte Parteigenosse L. Diehl wurde zum Landesbischof gewählt. Mit 36 zu 4 Stimmen wurde der Beitritt zur DEK beschlossen. Damit war die Pfälzische Landeskirche gleichgeschaltet. Sie hatte alle gesetzgeberischen Befugnisse an die Reichskirche und später an den Reichskirchenausschuss abgetreten. Im Dezember 1934 schaltete der LKR auch die Synode aus und übernahm deren Befugnisse. (Ein Protest von 124 Pfarrern unter H. Stempel wurde abgelehnt.)

Als Reaktion gegen diese Vorgänge auf der Synode und gegen die falschen Lehrer der DC kam es zur Gründung der Pfälzischen Pfarrbruderschaft unter der Leitung von H. Stempel. Sie nahm Kontakt auf zum Pfarrernotbund und zur VKL der Bekennenden Kirche. Zu ihr gehörten hauptsächlich Pfarrer, die sich zur theologischen Erklärung von Barmen stellten, besonders viele junge, die bei Karl Barth studiert hatten oder von seiner dialektischen Theologie beeinflusst waren. Es kam zu Spannungen und Auseinandersetzungen, als die Leitung der Pfarrbruderschaft zu Kompromissen mit der DC Kirchenleitung bereit war. Sie ließen Mitglieder in die Kirchenleitung und in die Synode berufen, wohl mit der Begründung Schlimmeres damit zu verhüten. Die Entschiedenären Mitglieder missbilligten diese Entscheidung. Diese Berufung sei aufgrund eines Erlasses zur Durchführung des Gesetzes zur Sicherung der DEK ohne den ordentlichen Auftrag der Bekennenden Kirche erfolgt. Als dann 1937 von Hitler die Kirchenwahl angeordnet wurde, wurden die Reihen der Bruderschaft wieder geschlossen, um die Gemeinden gezielt auf diese Wahl vorzubereiten. Es entstanden bekennende Gemeinden mit Unterschrift zum Bekenntnis zur Kirche, die im Glauben und im Leben allein auf die Heilige Schrift gegründet ist, um den Machenschaften der DC wirksam zu begegnen. Die Wahlen fanden jedoch nicht statt. Es kam wohl in manchen Orten zu Auseinandersetzungen zwischen Pfarrern und den Stellen der Partei durch Anzeigen, Verhöre bei der Gestapo, z.B. wurde Pfarrer H. Bähr in der Schule angezeigt, als er das Niederbrennen der Synagoge in Mutterstadt als Unrecht bezeichnete, weil die Synagoge ein Gotteshaus sei. Nach Verladung kam er ins Gefängnis Ludwigshafen. Hier war es Diehl, der für ihn eingetreten ist, dass er wieder frei kam. Oder Vikar Traut wurde von einem Lehrer der 8. Volksschulklasse angezeigt, weil er den Schülern, die die Homosexualität in den Klöstern anprangerten, antwortete, das käme in der Hitlerjugend auch vor. Da ihm die Erteilung des Religionsunterrichtes entzogen, erklärte ihm die Landeskirche, sie könnten ihn nicht halten. Er wurde von der Württembergischen Kirche aufgenommen, in der Gemeinde Urspring auf der Alb.

Als ich am 7.2.1937 als junger Vikar nach Ludwigshafen kam, fand hier schon längere Zeit eine harte kirchenpolitische Auseinandersetzung statt. Herr Emrich wurde von allen Pfarrern und Vikaren als Dekan abgelehnt, weil er dem radikalen nationalkirchlichen Flügel der DC angehörte. – Ablehnung des AT, Jesus sah er als „Arier“, Hitler als Offenbarung Gottes. (Der Pfarrkonvent wurde vom Senior Pfarrer O. Knecht geleitet.) Obwohl wir uns seinen dienstlichen Anordnungen widersetzten, wurde er von Speyer als Dekan belassen. Gegen ihn fanden, vor allem, da eine Wahl in Aussicht war, Bekenntnisgottesdienste statt, in denen wir von der BK mit den anderen Pfarrern, welcher Richtung sie auch angehörten, zusammenwirkten.

Angesichts der vom Staat verordneten Wahlen verstärkte die Pfarrbruderschaft ihre Informationstätigkeit. Auf ihre Einladung kam Martin Niemöller im April 1937 nach Neustadt/Winzingen. Unter dem Thema „Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche“ wehrte er die Angriffe der DC, der deutschen Glaubensbewegung unter Rosenberg und des Kirchenausschusses ab. Davon beeindruckt wurde ich Mitglied der BK und stellte mich auch in ihren Dienst, in dem ich durch meinen Freund A. Ottmann wegen Überwachung der Post durch die Gestapo, per Motorrad die Informationen der BK von Herxheim am Berg bis Oberotterbach zu den Brüdern brachte.

Als Niemöller 1938 ins KZ Sachsenhausen kam, wurde die Fürbitte für die Inhaftierten wieder aktuell. Unsere Kirchenleitung lehnte sie als staatsschädigend ab. H. Stempel setzte in einem Gespräch mit Diehl und Bürckel durch, dass sie doch, aber ohne Namensnennung, stattfinden könne. Wer bei der Namensnennung blieb, dem wurde es verwehrt seinen kirchlichen Unterricht in staatlichen Schulen zu halten. Mit wenigen blieb auch Heinz Wilhelmy bei der Fürbitte mit Namen. Aufgrund seiner klaren Haltung zu Bibel und Bekenntnis war er seit 1934 des Öfteren angezeigt, verhört und angeklagt worden, ist aber wunderbarerweise zu keiner Verhaftung gekommen. Auf die härteste Probe wurde seine bekennende Haltung 1938 gestellt, als er sich mit der Landeskirche auseinandersetzen musste. Was war geschehen? Im September 1938 spitzte sich die Tschechenkrise so zu, dass der Ausbruch eines Krieges drohte. In dieser gefährlichen Lage ordnete die VKL für den 30.4. einen Gebetsgottesdienst für den Frieden an und gab dazu eine verbindliche Ordnung heraus, mit Bekenntnis der Sünden der Kirche und des Volkes und Fürbitte für alle Menschen, die von einem Krieg betroffen wären. Der Gottesdienst wurde so nie gehalten, da die Kirche durch die Beschwichtigungspolitik von München behoben wurde. Doch der Entwurf des Gebetsgottesdienstes wurde bekannt und die VKL und die Verfasser als Vaterlandsverräter und Verbrecher diskriminiert. daraufhin versammelten sich die Landesbruderräte am 2. November 1938 in Berlin und gaben folgende Erklärung ab: „Die Konferenz weist den entstandenen Vorwurf zurück, als hätten die Verfasser des Gebetsvorwurfes volks- und staatsverräterisch gehandelt. Sie erklärt, dass die angegriffenen Punkte unveräußerliches Glaubensgut der christlichen Kirche enthalten. Sie weiß sich mit dem geistlichen Zeugnis der VKL und mit der Liebe zum Volk eins.

Weil H. Wilhelmy diese Erklärung als Delegierter des pfälzischen Bruderrates mit unterschrieben hat, wurde er aufgrund einer Anordnung des Kirchenausschusses seines Amtes von der Speyrer KL mit Sperrung seines Gehaltes enthoben, ein Dienststrafverfahren gegen ihn eingeleitet. Dies wurde dann auch durchgeführt. Trotz der überzeugenden Verteidigung Wilhelmys wurden der Vorwurf staatsschädigenden Verhaltens und seine Amtsenthebung aufrechterhalten. So hat die KL einen bekennenden Pfarrer fallen lassen. Der Verhaftung durch die Gestapo ist er durch das Einrücken zum Militär knapp entgangen, wie manch anderer Bruder auch. Während des Krieges hat sich an der positiven Einstellung zum Nazismus bei der pfälzischen Kirchenleitung kaum etwas geändert.

Im Oktober 1945 nahm die Protestantische Kirche der Pfalz zu den Jahren 1933 bis 1945 wie folgt Stellung: “Die Folgeerscheinungen des Zusammenbruchs haben auch innerhalb der Protestantischen Kirche der Pfalz Änderungen notwendig gemacht. Zwar war sie nie in dem Maße fremden Einflüssen unterworfen wie andere deutsche Landeskirchen, und dort, wo einzelne Geistliche den Versuch machten, im Raum der Kirche nach politischen Gesichtspunkten zu handeln, konnten sie nur verhältnismäßig kleine Kreise der Gemeinden für ihre Parolen gewinnen..“ Die Neuordnung der Kirchenleitung wurde wie folgt begründet: „Sie wurde 1934 von einer Synode gewählt, die nicht nach den Bestimmungen der Kirchenverfassung gebildet war, sondern vielfach nach kirchenfremden Gesichtspunkten, aufgrund eines Kirchengesetzes, das nur unter politischem Druck zustande kam. Die Rechtsgültigkeit dieses Gesetzes und damit die Rechtsgültigkeit der von der Synode gebildeten Kirchenregierung musste deshalb verneint werden.“ Kein Erkennen und Bekennen der Schuld, dass die Landeskirche an eine fremde politische Macht und Weltanschauung ausgeliefert wurde, auch nicht vonseiten Diehls. Und dementsprechend auch kein Neubeginn nach der Erkenntnis des Kirchenkampfes.

Meine Damen und Herren!
Ich hatte über ein dunkles, schicksalhaftes Kapitel der Geschichte unserer Landeskirche zu referieren. Es gab darin wohl auch einige Lichtblicke. Das sind die Gemeindeglieder und Pfarrer, die in dieser schweren Zeit treu an Bibel und Bekenntnis festgehalten und in der Verkündigung und ihrem Verhalten falsche Lehren und Unrecht aufgedeckt haben. Aber es ist nicht des Rühmens wert, was durch uns in der BK geschehen ist. Es war viel Versagen dabei und Schuld, vor allem weil wir kein klares Wort gegen den Antisemitismus gesagt und uns nicht für die verfolgten Juden eingesetzt haben.
Wir hätten mehr widerstehen und uns für ungerecht Behandelte einsetzen können. Denn durch die Informationen der BK hatten wir gegenüber unseren Gemeindegliedern einen Vorsprung im Wissen um das Unrecht und die Unmenschlichkeit im nationalsozialistischen Staat. Wir sollten uns auch heute zu dem bekennen, was am 19.Oktober 1945 bei der ersten ökumenischen Begegnung in Stuttgart/Straßburg/Landtag?? als Schuld offen ausgesprochen wurde: Mit großem Schmerz sagen wir: Durch uns ist unendliches Leid über viele Völker und Länder gebracht worden, was wir unseren Gemeinden oft bezeugt haben, das sprechen wir jetzt im Namen der ganzen Kirche aus: Wohl haben wir zu lange Jahre hindurch im Namen Jesu Christi gegen den Geist gekämpft, der im nationalsozialistischen Gewaltregiment seinen furchtbaren Ausdruck gefunden hat; aber wir klagen uns an, dass wir nicht mutiger bekannt, nicht treuer gebetet, nicht fröhlicher geglaubt und nicht brennender geliebt haben.

Benützte Literatur zum Vortrag:

„Die Pfälzische Landeskirche zur Zeit des Nationalsozialismus“

Documenta I, II, III. Bergmann

„Blätter für Pfälzische Kirchengeschichte und religiöse Volkskunde“

„Die Pfalz unter dem Hakenkreuz“ von Gerhard Nestle und Hannes Ziegler

„Aus meinem Leben“ (Lebenserinnerungen) von Heinz Wilhelmy

„Die Judenfrage in der Pfälzischen Landeskirche“

 

Linktipps:

Der Kirchenkampf in der Protestantisch-evangelisch-christlichen Landeskirche der Pfalz, 1933-1945, von Rolf-Ulrich Kunze

"Menschen unter Gejohle aus dem Haus gezerrt". Erinnerungen an den 9./10.11.1938 in Ludwigshafen, von Heinz Kronauer

Die Pfälzische Landeskirche in der Zeit des Nationalsozialismus, von Pfarrer Paul Werron

 

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Quelle: Handschriftliches Manuskript des Vortrages bei der Senioren-Akademie, Melanchthonkirche Ludwigshafen (25.10.1995), im Besitz Frank-M. Hofmanns – Original wird dem Archiv der Ev. Kirche der Pfalz übergeben