Der Judenexkurs des Tacitus (Historien 5, 3-5)

Was Tacitus über den Exodus berichtet:

(5,3) Die meisten Autoren stimmen darin überein, dass in Ägypten eine den Körper entstellende Seuche ausgebrochen sei. Daraufhin habe sich der König ... an das Orakel des Gottes Amun gewandt und um ein Heilmittel gebeten. Er erhielt die Anweisung, sein Reich zu reinigen und diese Menschenrasse (gemeint sind die Juden) in andere Länder abzuschieben, da sie den Göttern verhasst sei.

So sammelte man die Menge und trieb sie zusammen. Nachdem man sie in verlassenen Gebieten ausgesetzt hatte, waren die meisten schier gelähmt von Weinkrämpfen, Moses dagegen, einer der Vertriebenen, ermahnte sie weder auf die Hilfe der Götter noch der Menschen zu bauen, da sie von beiden verlassen seien. Sie sollten vielmehr auf sich selbst und auf die himmlische Führung vertrauen, mit deren Hilfe sie sich zuerst aus dieser misslichen Lage befreien könnten. Sie stimmten zu, da sie in völliger Unkenntnis waren, und begannen ihren Marsch aufs Geratewohl.

Aber nichts erschöpfte sie so sehr wie der Wassermangel und schon waren sie dem Tode nahe auf der weiten Ebene zu Boden gesunken, als eine Herde Wildesel von der Weide zu einem schattigen Felsenhain strebte. Moses folgte ihnen, weil er aufgrund des grasbewachsenen Bodens vermutete, dass sich dort reiche Wasseradern finden ließen. Und das verschaffte ihnen in der Tat Linderung. Und sie marschierten ununterbrochen 6 Tage und besetzten am 7. Tag das Land, nachdem sie die Bewohner vertrieben hatten. Dort weihten sie eine Stadt und einen Tempel.

Was Tacitus über die Riten der Juden zu wissen glaubt:

(5,4) Moses aber führte neue Riten ein, die denen der übrigen Sterblichen entgegengesetzt sind, um auch in Zukunft das Volk fest im Griff zu haben. Dort ist alles unheilig, was bei uns heilig ist, andererseits ist bei ihnen erlaubt, was bei uns ein Frevel ist. Dem Bild des Tieres, das sie vor dem Verdursten bewahrt und ihnen geholfen hatte, den richtigen Weg zu finden, ließen sie im Innersten des Heiligtums göttliche Verehrung zukommen. Den Widder schlachten sie, gewissermaßen um dem Gott Amun Schmach anzutun; auch der Stier wird geopfert, weil die Ägypter den Apis verehren. Sie enthalten sich des Schweinefleischs in Erinnerung an die Plage. Denn diese Räude, mit der dieses Tier behaftet ist, hatte sie einst selbst gequält.
Durch häufiges Fasten bekennen sie noch die einstige lange Hungersnot....
Die Ruhe am 7. Tag, so sagt man, habe ihnen gefallen, weil sie ihnen das Ende der Mühen gebracht habe. Darauf haben sie auch jedes 7. Jahr der Faulheit gewidmet, weil ihnen die Trägheit zusagte....

(5,5) Diese Riten, aus welchem Grund sie auch immer eingeführt wurden, werden durch ihr Alter verteidigt. Die übrigen Einrichtungen sind unheilvoll, schrecklich und tun sich durch ihre Verderbtheit hervor....
Weil sie in Treue fest zueinander stehen, üben sie bei sich selbst Mitleid, aber feindseligen Hass gegenüber allen anderen....

Was Tacitus über den Gottesbegriff der Juden aussagt:

(5,5) Die Ägypter verehren sehr viele Tiere und Bildnisse, die aus Menschen- und Tiergestalt zusammengesetzt sind. Die Juden dagegen glauben nur an eine Gottheit und diese stellen sie sich rein abstrakt vor. Für Frevler halten sie die, die Götterbilder aus vergänglicher Materie und nach menschlichem Aussehen schaffen. Jenes höchste und ewige Wesen kann weder abgebildet werden, noch ist es vergänglich. Daher stellen sie keine Götterbilder in ihren Städten und schon gar nicht in ihren Tempeln auf. Nicht den Königen lassen sie diese Verehrung zuteil werden, ebenso wenig wie sie den Kaisern diese Ehre zukommen lassen....

Zum Aufsatz über diesen Text

Gabriele Gierlich: Judenfeindliche Äußerungen in der Antike und ihre Nachwirkungen