Kommentar zur Antwort von Prof. Dr. Notger Slenczka auf die DKR-Pressemitteilung vom 7.4.2015

vom Deutschen Koordinierungsrat
der Gesellschaften für christlich-jüdische Zusammenarbeit (DKR)

In seiner Antwort vom 10.4.2015 verweist Prof. Dr. Slenczka gleich zu Beginn auf die von uns kritisierte These Harnacks, dass das Alte Testament in der Kirche keinen kanonischen Rang mehr haben könne. Dem Ansinnen von Prof. Dr. Slenczka, diese These, die sich nach unserer Wahrnehmung außerhalb des christlichen Grundkonsenses stellt, neu zu empfehlen, muss – wie wir meinen – deutlich widersprochen werden.

Der Deutsche Koordinierungsrat hat seinen Widerspruch in der Veröffentlichung der Stellungnahme seines evangelischen Präsidenten, Pfarrer Friedhelm Pieper zum Ausdruck gebracht.

Ad 1.: Wir sehen in unserer Kritik an der Neuempfehlung der Harnack-These sowie in der geäußerten Erwartung einer Stellungnahme von Seiten der Evangelischen Theologie und der Evangelischen Kirche in Deutschland einen normalen Vorgang eines öffentlichen Disputs. Wieso sich hier bzgl. des Koordinierungsrates ein „gestörtes Verhältnis zur Freiheit der Wissenschaft“ offenbaren sollte, erschließt sich uns nicht.

Ad 2.: Es ist nicht unsere Sache zu entscheiden, ob sich Prof. Dr. Slenczka mit seinem Beitrag noch im Rahmen der konfessionsgebundenen Theologie bewegt. Dafür gibt es zuständige Gremien.

Es ist allerdings völlig legitim, auch aus der Perspektive des christlich-jüdischen Dialogs, das Kanon-Modell von Prof. Dr. Slenczka zu kritisieren. Faktisch vertritt Prof. Dr. Slenczka ein Kanon-Konzept, aus dem im Unterschied zum herkömmlichen Konzept der Heiligen Schrift das Alte Testament entnommen, entfernt oder verbannt wird, wie immer man dies bezeichnen möchte. Die genaue Überschrift der Stellungnahme von Pfarrer Pieper lautet daher: „Theologieprofessor will das Alte Testament aus der Heiligen Schrift (!) verbannen“. Die von Slenczka angeführte Vermutung, dass sich dieses auf das Neue Testament reduzierte Kanon-Konzept faktisch durchgesetzt hätte, wird von ihm empirisch nicht belegt. Aber selbst wenn er ihn erbrächte, ist damit in keiner Weise geklärt, welchen theologischen Rang der Empirie zukäme. In der Einführung zum „Entwurf zur Erprobung“ im Zuge einer „Neuordnung der gottesdienstlichen Lesungen und Predigttexte“ im Auftrag von EKD, UEK und VELKD, 2014, werden Untersuchungen aufgeführt, die einen entgegengesetzten Trend belegen: den „Wunsch, die Anzahl alttestamentlicher Texte für die Lesungen im Gottesdienst und vor allem für die Predigt zu erhöhen“ (S. 25). Wir können auch nicht erkennen, dass neben Prof. Dr. Slenczka das aus unserer Sicht unhaltbare, nur auf das NT reduzierte Kanon-Modell auch von anderen Theologen vertreten wird. Ausdrücklich sei weiterhin angemerkt, dass durch die Destruierung des Kanons auch das ökumenische Gespräch zwischen den christlichen Kirchen unmöglich gemacht würde.

Es ist zugleich eindeutig, dass Prof. Dr. Slenczka – entgegen seiner Antwort - sehr wohl die Forderung nach dem Entzug des Status der Kanonizität für die Hebräische Bibel aufstellt: So beginnt sein Beitrag im Marburger Jahrbuch XXV mit der These, „dass das AT in der Tat, wie Harnack vorgeschlagen hat, eine kanonische Geltung in der Kirche nicht haben sollte“ (!). Auf seiner universitären Internetseite findet sich der Satz: „2013 habe ich in einem Aufsatz die These aufgestellt, daß das AT in der Kirche keine 'kanonische Geltung' haben sollte und auch faktisch nicht hat, sondern, wie Harnack gesagt hatte, den Apokryphen gleichzustellen sei“. (https://www.theologie.hu-berlin.de/de/st/AT).

Die Stellungnahme unseres evangelischen Präsidenten widerspricht beidem: Der Forderung nach Aberkennung der Kanonizität des Alten Testaments im Rahmen der christlichen Heiligen Schrift und der behaupteten faktischen Durchsetzung eines nur auf das Neue Testament reduzierten Kanon-Konzepts.

Ad 3.: Aufgrund ihrer Irrtumsfähigkeit ist wissenschaftliche Theologie gut beraten, auch auf Kritik außerhalb des Wissenschaftsbetriebs zu hören - auch aus der Teilnehmerperspektive im christlich-jüdischen Dialog - und auch deren Argumente und Gründe zu erwägen und diese Empirie auszuhalten..

Ad 4.: Die weiteren Beiträge im Marburger Jahrbuch Theologie XXV werden in der Stellungnahme von Pfarrer Pieper ausdrücklich gewürdigt. Sie setzen sich aus jeweils eigener Perspektive mit dem Thema „Das Alte Testament in der Theologie“ auseinander. Allerdings kommt in diesen Beiträgen nicht, wie die Antwort von Prof. Dr. Slenczka nahelegt, eine direkte Kritik seiner These und deren Begründung zur Sprache. Eine solche direkte Auseinandersetzung vermissend, empfanden wir einen dringenden Bedarf, einen Beitrag zu einer von uns als notwendig angesehenen Kritik an dem Kanon-Konzept von Prof. Dr. Slenczka zu leisten.

In der Stellungnahme des evangelischen DKR-Präsidenten wird die These Slenczkas skandalisiert und nicht das Faktum der Veröffentlichung seines Slenczka-Artikels. Allerdings wird die Frage gestellt, warum angesichts der von Prof. Dr. Slenczka neu vorgetragenen These Harnacks, das Alte Testament aus dem Kanon der christlichen Bibel zu streichen, „die Herausgeber des Marburger Jahrbuchs Theologie XXV den so abwegigen Beitrag Slenczkas überhaupt aufgenommen“ haben. Weder im Vorwort noch in der Einleitung ist dazu unseres Erachtens eine überzeugende Antwort zu finden. Sollte die Aufnahme eines solchen Beitrages, der aus unserer Sicht den christlichen Grundkonsens verlässt, nicht deutlicher begründet geschehen und sollte sie nicht begleitet sein von einem kritischen Kommentar, in dem zugleich für die Leser deutlich wird, dass die Herabstufung des AT auf den Status der Apokryphen nicht zu den anerkannten Konzepten innerhalb der evangelischen Theologie zählt?

Ad 5.: Zum Vorwurf des Antijudaismus. - In seinem Artikel begründet Prof. Dr. Slenczka seine These zur Abstufung des AT u.a. mit Verweisen auf Schleiermacher. Dabei zitiert er, wie Pfarrer Pieper in seiner Stellungnahme betont, kritiklos antijüdische Stereotype. Zwar verweist Prof. Dr. Slenczka hinsichtlich dieser antijüdischen Ausführungen ausdrücklich auf die Autorenschaft Schleiermachers, aber es findet sich bei ihm keine ausdrückliche Kritik dieses traditionellen protestantischen Antijudaismus. Im Gegenteil: Der Leser erfährt den Autor Slenczka als zustimmend zu Schleiermachers Abwertung des AT und zugleich als kritiklos gegenüber dessen Antijudaismus. Wir halten es daher für begründet, den Artikel von Prof. Dr. Slenczka in seiner kommentarlosen Aufnahme des Antijudaismus Schleiermachers als „antijüdisch“ zu bewerten.

Als Teilnehmende am christlich-jüdischen Dialog teilen wir die Position Slenczkas ausdrücklich nicht, dass „die Ergebnisse des christlich-jüdischen Dialogs faktisch dazu führen, dass das Alte Testament in der Kirche nicht mehr den kanonischen Rang haben kann, den es traditionell einnahm“. Wir kennen auch keinen einzigen Autor, der diese Folgerung zieht.

Ad 6.: Die kritische Stellungnahme unseres evangelischen Präsidenten bringt zum Ausdruck, dass aus dem Bereich der evangelischen Theologie eine direkte Auseinandersetzung mit der These Slenczkas unbedingt für notwendig erachtet wird. Wir begrüßen die Kritik an der Harnack-Rezeption Slenczkas durch den ehemaligen DKR-Präsidenten Prof. Dr. Martin Stöhr (Blickpunkt.e 01/2015) sowie die Auseinandersetzung mit der These Slenczkas auf Tagungen von „Studium in Israel“ (Januar 2015) und der Evangelischen Akademie Bad Boll (Februar 2015). Wir empfinden die „Stellungnahme zu den Äußerungen von Prof. Dr. Notger Slenczka zum Alten Testament“ von Vertretern der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin vom 15.4.2015 darin hilfreich und klärend, dass die Autoren betonen: „Wir werden selbstverständlich auch weiterhin gemeinsam mit unseren jüdischen Kolleginnen und Kollegen die tragende Rolle des Alten Testamentes für die Entstehung des Christentums und seiner Theologie hervorheben und gegenüber den Studierenden unserer Fakultät keinen Zweifel daran lassen, dass das Alte Testament in gleicher Weise wie das Neue Quelle und Norm der evangelischen Theologie ist und bleiben wird“.

So werden wir auch entsprechend die weitere, von uns als notwendig erachtete Debatte mit Interesse verfolgen.

Ad 7.: Wir teilen die Einschätzung von Pfarrer Pieper, dass die Position von Prof. Dr. Slenczka innerhalb von Wissenschaft und Kirche als ein Skandal zu werten ist, der von beiden Bereichen eine Positionierung notwendig macht. Auch wissenschaftliche Veröffentlichungen bewegen sich im Raum öffentlichen Diskurses und es ist notwendig, sie auch außerhalb universitärer Wissenschaft zu kritisieren. Dieses entspricht unserem Verständnis von Freiheit der Wissenschaft. Auch hier kommt es nicht auf die Tatsache einer derartigen Herkunft der Kritik an, sondern auf die vorgebrachten Argumente und Gründe.

Indem Prof. Dr. Slenczka mit seinem Artikel aus unserer Sicht den christlichen Grundkonsens bzgl. des christlichen Kanons verlassen hat, ist damit von ihm selber die kirchenpolitische Frage aufgeworfen, wie eine solche Position innerhalb der evangelischen Kirchen zu bewerten ist.

Wir bekennen uns zu dem von Prof. Dr. Slenczka als „theopolitisch“ etikettierten Ziel der Notwendigkeit der Überwindung des theologischen Antijudaismus. Wir hoffen, dass die erforderlichen Klärungen hinsichtlich der von uns kritisierten Herabstufung der Hebräischen Bibel auch einen wesentlichen Beitrag zur Annäherung an dieses Ziel leisten können.

Den letzten Satz zu Punkt 7. möchten wir nun einfach kommentarlos stehen lassen.

Abschließend sei noch hinzugefügt: Die Entgegnung von Prof. Dr. Slenczka vom 18. 3. 15 an Pfarrer Pieper auf dessen Erstentwurf wurde in der zweiten Fassung, die in die Pressemeldung des DKR vom 7.4.2015 einging, berücksichtigt. Die Kritik in der Sache konnte auch durch diese Entgegnung nicht zurückgenommen werden und blieb daher in der Veröffentlichung der Stellungnahme von Pfarrer Pieper durch den DKR unverändert.

Mit freundlichen Grüßen,

Präsidium und Vorstand des Deutschen Koordinierungsrates
Bad Nauheim, 27. April 2015