Geschichte der Juden in der Pfalz - vier exemplarische Prortraits

Teil 1: David Ben Meschulam aus Speyer
Teil 2: Anselm Schoflich Lévi
Teil 3: Lore Metzger, geb. Scharff
Teil 4: Jana Kamenetzki aus Kaiserslautern

von Stefan Meißner


Reste der alten Synagoge in Speyer

David Ben Meschulam war im Jahr 1084 von Mainz nach Speyer geflohen, weil er zusammen mit anderen Juden verdächtigt worden war, einen Brand gelegt zu haben. Was David ausgerechnet nach Speyer führte, wissen wir nicht genau. Vielleicht war es die judenfreundliche Politik von Bischof Hutzmann, dessen Offenheit allerdings wenig mit Toleranz im heutigen Sinn zu tun hatte. Der Bischof dürfte sich vielmehr eine wirtschaftliche Belebung seines Gemeinwesens versprochen haben. Jedenfalls mussten die Speyerer Juden, wie auch anderswo im Reich, ihr Wohnrecht teuer erkaufen: immerhin dreieinhalb Pfund. Das sind mehr als Tausend Tageslöhne für die Jahresmiete ihres ummauertes Viertel, in dem sie rechtlich weitgehend autonom waren. David ben Meschulam war keiner der reichen Juden, die als Kaufleute und Geldverleiher tätig waren. Sein Ansehen in der Gemeinde beruhte auf seiner Tätigkeit als Kantor. Neben dem Rabbiner war er als Vorsänger für den Gottesdienst der wichtigste Mann.

Vielleicht war er deshalb im sechsten Jahr nach seiner Übersiedlung nach Speyer dazu auserkoren worden, bei Kaiser Heinrich IV. vorzusprechen. Jenem Heinrich, der später nach Canossa gehen musste – aber das ist wieder eine andere Geschichte! Es ging den Speyerer Juden um die Privilegien, die der Bischof bereits großzügig eingeräumt hatte. Man erachtete es aber als klug, - und das war es wohl auch - diese nun auch vom Kaiser bestätigen zu lassen. Der Kantor war nicht allein bei dieser Mission: Neben ihm war noch der Leiter des Lehrhauses, Jehuda ben Kalonymos, und der Gemeindevorsteher Mose ben Jekuthiel, beides Gelehrte von hohem Ansehen, mit von der Partie.
Und ihr Einsatz lohnte sich: Was der Kaiser den drei Gesandte schriftlich mit nach Hause gab, ging weit über ihre Erwartungen hinaus: Niemand dürfe „die Juden mit ungerechten Vorhaben belästigen oder anfechten“. Was sie „kraft Erbrechts an Grundstücken, Häusern, Gärten, Weinbergen, Äckern, Knechten oder sonst an Mobilien oder Immobilien besitzen“, so sagte der Erlass, dürfe ihnen „niemand wegnehmen“.

Man mag kaum glauben, dass David ben Meschulam, nur sechs Jahre nach diesem denkwürdigen Erfolg, also im Jahr 1096, Demütigungen miterleben musste, die er nie würde vergessen können. Unter der Führung eines gewissen Emicho von Leiningen waren mordende und plündernde Horden in Speyer eingefallen, angeblich um dort den Mord der Juden an Christus zu rächen. Wäre damals der Speyerer Bischof Johann vom Kraichgau nicht gewesen, es hätte mehr als nur die 11 Toten gegeben, die man damals in der Judengemeinde zu beklagen hatte. Tagelang traute man sich nicht aus dem Haus. Erst als die Kreuzfahrer weiter nach Norden gen Worms und Mainz gezogen waren, wo sie noch weit mehr Juden ermordeten, wurde das ganze Ausmaß der Verwüstung deutlich. David selbst konnte sich nur retten, weil er – schwer verletzt wie er war – in seiner Not die Taufe über sich ergehen ließ. Ein Schritt, den er später unter Tränen bereute und wieder rückgängig machte. Aber sein Mut sank dahin: Wo war der Kaiser? Er war in Italien. Aber viel mehr noch: Wo war Gott? In der Stunde der größten Not verbarg er sich. Seine Trauer brachte David in einem Leid zum Ausdruck, das alljährlich vor dem Neujahrsfest rezitiert wurde: „Elohim al domi ledami“ – „Gott, stehe nicht schweigend bei meinem Blut!“ Ob David ben Meschulam sich noch einmal von diesem Trauma erholte, das wissen wir nicht. Seine Spuren verlieren sich im Dunkel des Mittelalters. Die Gemeinde in Speyer erholte sich noch einmal, ja man kann vielleicht sogar sagen: sie erlebte in der Zeit nach dem Ersten Kreuzzug ihre höchste Blüte. Synagoge und Mikwe entstanden, deren beeindruckenden Überreste bis heute zu sehen sind. Dann brachen 1349 die Pestpogrome über Speyer herein und versetzten erneut die Juden in Angst und Schrecken.

Literatur
Johannes Bruno: Schicksale Speyerer Juden 1800-1980, Schriftenreihe der Stadt Speyer, Band 12, 2000
Johannes Bruno, Lenelotte Möller (Hrsg.): Der Speyerer Judenhof und die mittelalterliche Gemeinde. Verkehrsverein Speyer, Speyer 2001
Johannes Bruno: Die Weisen von Speyer oder Jüdische Gelehrte des Mittelalters, Schriftenreihe der Stadt Speyer, Band 14, 2004
Johannes Bruno, Eberhard Dittus: Jüdisches Leben in Speyer. Einladung zu einem Rundgang. Haigerloch 2004.

Links
Holger Müller: Judenverfolgung im rheinischen Raum zur Zeit des 1. Kreuzzuges (1096)
Bernhard Kukatzki: Das pfälzische Judentum: Von den Anfängen bis zum Mittelalter
Eberhard Dittus/ Johannes Bruno: Stationen durch das jüdische Speyer
Stefan Meißner: Die Synagoge in Speyer