1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland

von Stefan Meißner
Vorsitzender des AK Kirche und Judentum
Evang. Kirche der Pfalz



Die neue Synagoge Bet Schalom in Speyer

 

Von den Anfängen bis ins Mittelalter

In diesem Jahr feiern wir vielerorts „1700 Jahre Judentum in Deutschland“. Anlass dieses Jubiläums ist ein Dekret Kaiser Konstantins aus dem Jahre 321, das im Codex Theodosianus überliefert ist. In ihm heißt es: „Allen Stadträten gestatten Wir durch allgemeines Gesetz, Juden in die Kurie zu berufen.“ Dass jemand in ein öffentliches Amt berufen wurde, dafür war im Römischen Reich nicht nur Grundbesitz und ein gewisses Ansehen der Person Voraussetzung. Man musste auch noch dem Kaiser und den Staatsgöttern Opfern bringen. Weil für Juden dies jedoch nicht in Frage kam, konnten sie solche Ämter bis dahin nicht begleiten. Das änderte sich nun durch dieses Dekret, das als frühester Beleg für die Existenz einer jüdischen Gemeinde nicht nur in Deutschland, sondern überhaupt nördlich der Alpen, gilt. Eine kontinuierliche Besiedlung lässt sich aber erst in ottonischer Zeit, also nach der Jahrtausendwende, nachweisen. Die ersten jüdischen Gemeinden bildeten sich entlang des Rheins. Neben Köln und Trier waren es v.a. die sog. Schum-Städte Mainz, Worms und Speyer, in denen sich dauerhaft jüdische Leben nachweisen lässt.
Im Hochmittelalter erlebte das Judentum in Deutschland dann eine erste Blütezeit. Durch die Einwanderung jüdischer Kaufleute aus Italien und Südfrankreich wuchs die Zahl der Juden in nur einem Jahrhundert von 5.000 auf 20.000. In den Städten entstanden Judenviertel, in denen die Juden ihre eigenen Angelegenheiten wie Steuern, Kultus oder Schule selbst verwalten durften. Diese Situation änderte sich mit dem Ersten Kreuzzug (ab 1096) unter Papst Urban II., wo es erstmals zu Pogromen gegen jüdische Gemeinden mit ca. 2000 Toten kam. Als „Kammerknechte“ waren Juden fortan nur noch geduldet, wenn sie der Obrigkeit einen entsprechenden Obulus entrichteten, die sog. „Reichsjudensteuer“.
Bis Mitte des 12. Jahrhunderts waren Übergriffe gegen Juden eher die Ausnahme, danach aber nahmen sie zu. Die meisten Opfer gab es mit Abstand bei den Pestpogromen im 14. Jhd., von denen reichsweit mindestens 400 Gemeinden betroffen waren. Ab dem 4. Laterankonzil (1215) mussten Juden einen gelben Fleck auf ihrer Kleidung tragen. Viele berufliche Tätigkeiten waren ihnen verwehrt, so wichen sie auf Geldverleih und Handel aus. Seitdem galten sie als Ausbeuter und Wucherer. Neben diesen sozialen Ressentiments warf man ihnen auch vor, Hostien zu schänden und so den Mord an Jesus symbolisch noch einmal zu verüben. Wenn irgendwo Kinder verschwanden und später dann tot aufgefunden wurden, wurde auch das gerne den Juden in die Schuhe geschoben. Besonders an Pessach - so der Vorwurf - sei es zu solchen „Ritualmorden“ gekommen, bei denen das Blut christlicher Kinder für magische Zwecke missbraucht wurde. In dieser Zeit gab es auch immer wieder Zwangsdisputationen, an deren Ende die Alternative stand: Tod oder Taufe. Viele Juden kamen dem zuvor durch Selbsttötung oder durch Flucht, meist in Richtung Osteuropa. Dort entstanden im Spätmittelalter jüdische Gemeinden, die in sprachlicher und religiöser Sicht das Erbe des aschkenasischen Judentums bewahrten.

Der Beginn der Neuzeit

Während die Zahlen um 1300 auf ca. 100.000 Juden im Reich gestiegen waren, gingen sie bis zum Beginn des 15. Jahrhunderts wieder zurück auf etwa 40.000. So gab es zu Beginn der Neuzeit jüdische Gemeinden nur noch in ganz wenigen Städten. Dem urbanen Bürgertum gelang es zunehmend, auch ohne die jüdischen Geldgeber zu prosperieren. Mit Hilfe der Obrigkeit entledigte man sich gerne der unerwünschten Konkurrenz. Es lassen sich aber zu Beginn der Neuzeit auch gegenläufige Tendenzen erkennen: So gab es durch die zunehmende Zahl von städtischen, später dann auch landesfürstlichen Judenordnungen einen gewissen „Zuwachs an Rechtssicherheit“.
In religiöser Hinsicht waren wir zu Beginn der Neuzeit aber noch immer weit entfernt von dem, was wir später Toleranz nennen. Das zeigt beispielsweise der sog. Pfefferkorn-Streit Anfang des 16. Jahrhunderts, benannt nach dem getauften Juden Johannes Pfefferkorn, bei dem die Kölner Dominikaner eine Verbrennung des Talmuds und anderer rabbinischer Schriften forderten. Sie lagen damit ganz auf der Linie des Reformators Martin Luther, der in seinen Spätschriften nicht nur eine Verbrennung der Schriften, sondern auch der Häuser und Synagogen der Juden forderte. Im Pfefferkorn-Streit bezog Luther freilich noch Stellung gegen die Bücherverbrennungen. Zwar hielt er auch damals schon die Juden für Gotteslästerer, aber er war überzeugt, Gott werde ihre Ablehnung Christi „von innen“ überwinden. Als sich diese Hoffnungen auf eine Bekehrung der Juden nicht erfüllten, schlug seine Stimmung in Hass um. Immerhin gab es eine Reihe von Humanisten, die sich in diesem Streit gegen die Dominikaner positionierten und sich für das Recht einer freien wissenschaftlichen Diskussion einsetzten. Zu ihnen gehörte Johannes Reuchlin, der über erstaunliche Kenntnisse des Hebräischen und des jüdischen Schrifttums verfügte. Obwohl der Pfefferkorn-Streit vordergründig zu Ungunsten der Juden ausging, trug er doch zu einer zunehmenden Sensibilisierung der Öffentlichkeit bei, die den Boden ebnete für das, was wir später Aufklärung nennen.

Vom Ghetto in die bürgerliche Gesellschaft

Der Weg der Juden „aus dem Ghetto in die bürgerlich Gesellschaft“, die wir heute auch als Judenemanzipation bezeichnen, ist ein langer Prozess, den wir unmöglich in allen Details darstellen können. Eine wichtige Etappe auf diesem schmerzhaften Weg ist mit dem Namen Moses Mendelssohn verbunden, den wir vielleicht noch aus dem Deutschunterricht kennen. Der jüdische Aufklärer stammte ursprünglich aus Dessau, wurde aber aufgrund seiner Gelehrsamkeit auch einer breiteren Öffentlichkeit bekannt, nachdem er nach Berlin kam. Mendelsohn setzte auf Bildung, um die Juden aus ihrer Paria-Rolle zu befreien. Er initiierte jüdische Schulen und übersetzte zum ersten Mal das Alte Testament ins Deutsche. „Da alle Menschen von ihrem Schöpfer zur ewigen Glückseligkeit bestimmt sein müssen,“ davon war Mendelsohn überzeugt, „so kann eine ausschließliche Religion nicht die wahre sein.“ Diese Anfänge eines religiösen Pluralismus schlagen sich dann später nieder in G.E. Lessings „Nathan der Weise“, mit dem der jüdische Gelehrten ein literarisches Denkmal gesetzt bekam, das bis heute in den Schulen gelesen wird. Der Preis für die Emanzipation der Juden aber war oft ihre Anpassung, nicht nur kulturell, sondern auch religiös. So traten die Kinder Mendelssohns, mit Ausnahme seines ältesten Sohnes, alle zum Christentum über.
Weil für viele Juden diese Erwartungshaltung indiskutabel war, setzte sich die Aufklärung anfangs nur bei einem kleinen Teil der jüdischen Bevölkerung durch. Gerade in kleinen Landgemeinden fand die Haskala - so nannte man diese Strömung damals – fast gar keine Resonanz. Allerdings entstand in den Städten eine neue Elite, die es in Sachen Bildung durchaus mit dem traditionellen Rabbinat aufnehmen konnte. In der sog. „Wissenschaft des Judentums“, einer der einflussreichsten intellektuellen Strömungen des 19. Jahrhunderts, begann man sich zu öffnen für die Idee einer historisch-kritischen Erforschung der jüdischen Quellen. Eine Tendenz, der sich auch orthodoxe Kreise auf Dauer nicht entziehen konnten. Die innerjüdische Reformbewegung hinterließ ihre Spuren nicht nur bei der Schriftauslegung, sondern auch bei der Gestaltung der Gottesdienste. So wurde neben dem Hebräischen auch die Landessprache in der Liturgie zugelassen, ebenso waren Musikinstrumente nicht länger verpönt.
Obwohl große Teile des deutschen Bürgertums die Ideen der Aufklärung verinnerlicht hatten, ließ die rechtliche Gleichstellung der Juden noch viele Jahrzehnte auf sich warten. Ein entscheidender Impuls kam von außen: Die Französische Nationalversammlung räumte 1791 erstmals den Juden gleiche Rechte ein. Der Code Napoleon (1804) wurde in Deutschland von den mit Frankreich paktierenden Rheinbundstaaten übernommen. So kamen auch Juden in der Pfalz in den Genuss dieser Gleichstellung. 1812 schloss sich auch Preußen an, wenngleich mit vielen Einschränkungen.

Vom Kaiserreich bis zur Shoa

Traditionell wird man in das Judentum hineingeboren. Es ist also nicht nur eine Glaubensgemeinschaft, sondern auch eine ethnische Größe. Diese Entkoppelung von Judentum und Religion hat freilich auch ihre Schattenseite, ist sie doch zugleich eine der Voraussetzungen für den modernen Rasseantisemitismus, der im 19. Jahrhundert seine erste Blüte erlebt. Unter dem Einfluss des Darwinismus wurde die Biologie damals zur Leitwissenschaft, was sich auch auf die Argumentation der Judenfeinde auswirkte: Um ihren Ressentiments einen möglichst wissenschaftlichen Anstrich zu geben, beklagten sich diese nun nicht mehr in erster Linie über das Judentum als Religion. Vorgeworfen wird seinen Angehörigen nun die Zugehörigkeit zur angeblich minderwertigen Rasse der Semiten. Ganz neu war diese Argumentation übrigens nicht: Schon Luther hatte abfällige Äußerungen über das Blut der Juden parat und im Spanien der Reconquista gab es Blutreinheitsgesetze („Limpieza de sangre“), durch die sich die christliche Mehrheit von den konvertierten Juden, den Marranen, abgrenzte.
Mit der sich verschärfenden sozialen Frage wird im 19 Jahrhundert ein weiteres Motiv der Judenfeindschaft wiederbelebt, das wir schon aus dem Mittelalter kennen und das weder religiös noch rassisch begründet ist: Der Vorwurf der jüdischen Geldgier. Weil viele Juden - bei weitem nicht alle, vielleicht nicht einmal die Mehrheit - im Handel tätig waren, galten sie pauschal als „Kapitalisten“. In einer seiner Frühschriften schrieb K. Marx, der wie wir wissen selber Jude war, „der weltliche Kultus des Juden“ (sei) der Schacher … sein weltlicher Gott das Geld“.
An beide Klischees konnten die Nationalsozialisten dann anknüpfen: Sie kämpften einerseits für die Reinerhaltung der arischen Rasse, andererseits instrumentalisierten sie die Wut der während der Weltwirtschaftskrise verarmten Menschen gegen die vermeintlich Schuldigen an diesem Desaster: die angeblich geldgierigen Juden.

Das Dritte Reich

Schon zwei Jahre nach der Machtergreifung Hitlers (1933) traten die Nürnberger Rassegesetze in Kraft, die vielen Juden ihren Job kosteten und auch sonst ihr soziales Leben erheblich einschränkte. Der Besuch von Kinos, Schwimmbädern und anderen öffentlichen Einrichtungen wurde mehr und mehr unmöglich. In der Reichpogromnacht 1938 wurden Synagogen zerstört, aber auch jüdische Familien wie die von Lore Metzger in Landau drangsaliert durch plündernde Nazi-Horden. Der 10. November begann für sie damit, dass die Hausangestellte sie frühmorgens aus dem Schlaf riss und sagte: „Wenn du die Synagoge noch einmal sehen willst, eil' dich, denn die Synagoge brennt lichterloh!“ Zitternd und ohne Mantel lief sie in Richtung der Synagoge, wo sie fassungslos mit ansehen musste, wie das jüdische Gotteshaus ein Opfer der Flammen wurde. Als sie nach Hause kam, um alles ihren Eltern zu erzählen, wurde die 17-Jährige Zeuge, wie ihr Vater verhaftet und die ganze elterliche Wohnung verwüstet wurde. Weil die Auswanderung, nach anfänglichem Zögern, bereits vor der Pogromnacht in die Wege geleitet wurde, gelang der Familie dann auch recht schnell die Flucht in die USA. Ihnen blieb erspart, was für so viele Pfälzer Juden dann kam: Die Deportation im Oktober 1940 in das südfranzösische Lager Gurs am Rande der Pyrenäen, später dann nach Auschwitz oder andere Lager im Osten. Auf der Wannseekonferenz 1942 wurde klar, worauf die Politik Hitlers hinaus lief: Die Juden sollten nicht nur vertrieben, sie sollten durch Vernichtungslager flächendeckend ausgelöscht werden. Das ist gemeint, wenn man heute von Holocaust (lat.: holocaustum = Ganzopfer) spricht.
Fast wäre Hitler sein Vorhaben auch gelungen: Nach 1945 gab es nur noch eine Handvoll Juden in der Pfalz, fast niemand hatte den Völkermord überlebt. Was Deutschland dadurch vermutlich bleibend verloren hat, dämmert einem erst, wenn wir uns an klar machen, welchen Anteil Jüdinnen und Juden am deutschen Kulturleben hatten: Jeder kennt heute noch Schriftsteller wie Elke Lasker-Schüler, Franz Werfel oder Alfred Döblin. Unter den Komponisten machten sich Alfred Schönberg, Hans Eisler und Kurt Weil einen Namen. Und was wäre die deutsche Geistesgeschichte ohne Leute wie Walter Benjamin, Ernst Bloch oder Sigmund Freud? Fast noch auffälliger war der Erfolg jüdischer Naturwissenschaftler: Von den neun Nobelpreisen, die zwischen 1918 und 1933 deutsche Forscher erhielten, gingen fünf an Juden. Der erste von ihnen war 1921 der Entdecker der Relativitätstheorie: Albert Einstein.

Vom Holocaust bis in die 90er-Jahre

Von der halben Million deutscher Jüdinnen und Juden überlebten in Deutschland nur etwa 17.000. Die mit Abstand meisten von ihnen ließ man in Ruhe, nämlich 15.000, weil sie mit einem Nichtjuden bzw. einer Nichtjüdin verheiratet waren, nur 2.000 konnten sich vor den Nazis verstecken. Fünf Jahre später, also um 1950 stieg die Zahl der Juden in Deutschland in nur kurzer Zeit auf 37.000 an. Der Grund dafür waren die sog. „Displaced persons“, die aus Ost-Europa zuwanderten. Sie kamen, weil ihre Häuser in den ehemaligen Ghettos zerstört waren und sie dort keine Bleibe mehr hatten. Außerdem waren alle ihre Freunde und Verwandten tot oder vermisst. Warum sollten sie also bleiben? Außerdem könnte man als jüdische DP bestimmte Privilegien erwarten, insbesondere in der amerikanischen Besatzungszone. Schließlich herrschte in den ersten Nachkriegsjahren in Osteuropa eine schreckliche antisemitische Atmosphäre, insbesondere in Polen.
Eigentlich war Deutschland als Land der Mörder für Jüdinnen und Juden keine Option, dauerhaft zu bleiben. Daher wollten die meisten „Vertriebenen“ so schnell wie möglich nach Palästina auswandern. Doch war dieser Plan nicht so einfach zu verwirklichen, da Palästina bis 1948 das Territorium des britischen Empire war und die Engländer verfolgten bereits während des Krieges eine sehr restriktive Einwanderungspolitik, da die Konflikte zwischen Juden und Palästinensern zunahmen. Zwischen 1945 und 1950 lebten in Deutschland bis zu 200.000 jüdische DPs, eine unglaubliche Zahl. Ihre Lebensbedingungen waren sehr schwierig: Sie mussten zumindest anfangs in Lagern leben, wo sie hinter Stacheldraht und auch sonst unter erbärmlichen Verhältnissen leben mussten. Nach der Staatsgründung Israel (1948) machten sich dann viele auf den Weg ins das Land der Väter, aber immerhin rund 12.000 jüdische DPs wollten in Deutschland bleiben. Diese Zahl war nicht überwältigend, aber ihre demografischen Merkmale waren ideal für den Beginn eines neuen Lebens: Es handelte sich hauptsächlich um junge Männer mit einem niedrigen Durchschnittsalter. Diese heirateten zehnmal häufiger als andere Deutsche und bekamen viermal mehr Babys. Allerdings gab es im Zusammenleben mit den schon immer hier lebenden Jüdinnen und Juden immer wieder Spannungen: Beide Gruppen unterschieden sich in ihrer Kultur, Sprache, Mentalität und Biographie. Die bereits schon länger hier Lebenden waren größtenteils assimiliert und oft mit Nichtjuden affiliiert. Die Juden aus Osteuropa hingegen, die Vertriebenen, kamen oft aus einem traditionellen jüdischen Milieu, sprachen teil jiddisch und hatten in ihren Synagogen eine andere Liturgie als die Deutschen.
Obwohl sich die meisten Juden in Deutschland also nicht unbedingt als deutsche Juden fühlten und viele immer noch über Auswanderung nachdachten, bestand ein wachsendes Bedürfnis. Sich landesweit zu organisieren. Dies führte zur Gründung des „Zentralrats der Juden in Deutschland“ (1950). Die Politik der Versöhnung mit dem Staat Israel, die Bundeskanzler Konrad Adenauer vorantrieb und die 1952 in ein Reparationsabkommen mündete, führte auch zu einer Normalisierung des jüdischen Lebens in Deutschland. Jüdinnen und Juden saßen nicht mehr „auf gepackten Koffern“. Diese Entwicklung führte in den 1950er und 60er Jahren sogar zu einer gewissen Rückwanderung. Ein nicht unbedeutender Teil von ihnen hatte einen sozialistischen Hintergrund und wollte in der DDR beim Wiederaufbau eines neuen Deutschlands helfen. Die jüdische Gemeinde in Westdeutschland hingegen war von den 1950er bis 1970er Jahren eher geprägt durch einen gewissen Konservatismus. Auch hängte man aus Vorsicht seine Religionszugehörigkeit nicht unbedingt an die große Glocke. In den 1980er Jahren hatten die jüdischen Gemeinden etwa 30.000 registrierte Mitglieder, während die Gesamtzahl der Juden auf 40.000 bis 50.000 geschätzt wurde.
Doch im Laufe der Zeit ließ diese Zurückhaltung nach. Die im Land geborene oder aufgewachsene Nachkriegsgeneration akklimatisierte sich immer mehr. Man gründete eigene gemeinnützige Organisationen wie Krankenhäuser, Pflege- oder Altersheime. Jüdische Schulen und Universitäten gab es anfangs noch wenige. Eine Ausnahme war das „Zentrum für Jüdische Studien Heidelberg“, die 1979 vom Zentralrat der Juden gegründet wurde. Da diese Institution anfangs zwar Religionslehrer, aber noch keine Rabbiner ausbildete, mussten diese aus den USA, aus Israel oder aus Osteuropa „importiert“ werden. Was in den Nachkriegsjahren im deutsch-jüdischen Leben auch fehlte, war die innere Vielfalt früherer Generationen. Jahrzehntelang gab es in Deutschland nur „Einheitsgemeinden“, in die jede(r) ging, egal wie fromm jemand war. Dass sich das Judentum ausdifferenzierte zwischen Liberalen und Orthodoxen, wie das vor der Nazizeit üblich war, dazu gab es lange Zeit nicht genug Jüdinnen und Juden in Deutschland. Außerdem hätte eine solche Aufspaltung als Verlust der Solidarität interpretieren können - etwas, was niemand wirklich wollte nach all dem, was passiert war.

Von den 90er-Jahren bis heute

Die Zahl der Juden blieb viele Jahre lang mehr oder weniger gleich. Erst in den 1990er-Jahren, als M. Gorbatschow den „Eisernen Vorhang“ öffnete, kam Bewegung in die Szene: Zwar gingen die meisten Juden aus der ehemaligen Sowjetunion nach Israel, aber immerhin rund 60.000 kamen auch nach Deutschland. Durch diese sog. „Kontingentflüchtlinge“ leben heute wieder schätzungsweise 140.000 Jüdinnen und Juden in unserem Land. Damit hat Deutschland nach Frankreich und Großbritannien die drittgrößte jüdische Gemeinde in Westeuropa.
Zwar stellte die Integration der Neuankömmlinge die jüdischen Gemeinden vor große Herausforderungen. Viele von ihnen kamen mit leeren Händen und ohne solide Kenntnisse der deutschen Sprache, was die Kommunikation mit den Alteingesessenen erschwerte. Auch war es um das Wissen „der Russen“ über die eigene Religion eher schlecht bestellt. Denn ein jüdisches Leben zu führen war in der ehemaligen Sowjetunion, einem atheistischen Regime, nicht unbedingt gerne gesehen. Doch aus dem Rückblick überwiegt die Freude über diese Entwicklung, führte sie doch zu einer spürbaren Renaissance des jüdischen Lebens in Deutschland. In vielen Großstädten gibt es wieder eine interessante jüdische Kultur mit koscheren Geschäften, Cafés und Theatern. Mittlerweile gibt es auch Hochschulen in Deutschland, wo Rabbiner ausgebildet werden.
Ein Stück deutsch-jüdische Normalität kehrt zurück - mehr fast 80 Jahre nach dem Holocaust. Die zunehmende Zahl jüdischer Menschen hat das Leben der Gemeinden verjüngt und auch vielfältiger gemacht. Es gibt neben den Einheitsgemeinden wieder liberale und orthodoxe Kongregationen, stellenweise auch wieder konservative.
Auch hier in der Pfalz gibt es wieder eine rührige jüdische Kultusgemeinde, deren Gottesdienste auch Nichtjuden - aus Sicherheitsgründen leider nur mit Voranmeldung - besuchen dürfen. Sie verfügen über einen Betraum in Kaiserslautern und in Speyer seit 2011 sogar über eine neue Synagoge: Beith Schalom (= Haus des Friedens). Hier kann man gelebtem Judentum begegnen, mit Menschen ins Gespräch kommen. „Das jüdische Volk lebt“ - trotz allem! Das ist vermutlich die wichtigste Botschaft am Ende dieses Überblicks über die Geschichte des deutschen Judentums: Hitler hat nicht gesiegt. Es gibt auch heute jüdisches Leben in unserer Mitte. Gott sei Dank!

Links zum Thema
F.M. Hofmann: Zwei Miniaturen zum Gedenkjahr 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland

Bildquelle:
Stefan Meißner

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