Enttäuschte Liebe?
Martin Luther und die Juden

Stefan Meißner

"Über andere habt ihr auch noch die Juden im Lande, die da großen Schaden tun. Nun wollen wir christlich mit ihnen handeln und bieten ihnen erstlich den Christlichen Glauben an, dass sie den Messias wollen annehmen, der doch ihr Vetter ist und von ihrem Fleisch und Blut geboren und rechter Abrahams Same, dessen sie sich rühmen. (..)
Wo nicht, so wollen wir sie nicht leiden, (..) sondern sie weg treiben. Wo sie sich aber bekehren, ihren Wucher lassen und Christum annehmen, so wollen wir sie gerne als unsere Brüder halten.
Anders wird nichts draus, sie machen´s zu groß, sie sind unsere öffentlichen Feinde, hören nicht auf, unseren Herrn Christum zu lästern, heißen die Jungfrau Maria eine Hure, Christum ein Hurenkind. Uns heißen sie Wechselbälge oder Mahlkälber, und wenn sie uns könnten alle töten, so täten sie es gerne. Und tun´s auch oft, sonderlich, die sich als Ärzte ausgeben, ob sie gleich zu Zeiten helfen.

(Aus Luthers letzter Predigt: "Eine Vermahnung wider die Juden", 1546)

Die Juden als Brüder - aber nur, wenn sie sich bekehren! Wenn nicht - Vertreibung und Schlimmeres! Lautet so das theologische Vermächtnis des großen Wittenberger Reformators? Die Haltung Luthers zu den Juden ist zum Glück nicht ganz so eindeutig wie diese Zitate vermuten lassen.

Der frühe Luther fand durchaus freundliche Worte für die Juden, denen er zugute hielt, dass der Messias aus ihrem Geschlecht stammte. So lautete auch der programmatische Titel einer Schrift: "Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei" (1523). Er setzte sich dafür ein, die Juden im Sinne christlicher Nächstenliebe zu behandeln, sie auch gesellschaftlich zu integrieren, ihnen endlich freien Zugang zu den Handwerken zu gewähren, der ihnen im Mittelalter per päpstlicher Verordnung (4. Laterankonzil, 1215) verweigert wurde. Ganz selbstlos war diese Nächstenliebe freilich nicht: Sie sollte dazu beitragen, dass die Juden sich für die christliche Botschaft öffneten und von ihrem "Unglauben" und ihrer "Halsstarrigkeit" ablassen. Große Hoffnungen setzte Luther auf seine gerade erschienene Übersetzung des Neuen Testaments, wo die Juden nun endlich nachlesen konnten, dass Jesus der von den Profeten verheißene Messias ist.

Als dieses Werben seinen Erfolg verfehlte, schlug der Ton Luthers um in Anklage und Verleumdung. Schon in "Wider die Sabbather" (1538) führte er die Verstockung der Juden gegenüber Jesus als Grund an, warum dieses Volk schon seit 1500 Jahren im Exil leben und noch immer auf seinen Gesalbten warten muss: "Sage doch, wer´s kann: Was ist die Sünde, lieber Jude, sage doch: Wie heißt die Sünde, um welcher willen Gott so lange über euch zürnet und seinen Messias nicht sendet?" Dass die Juden seiner christologischen Interpretation des Alten Testaments nichts abgewinnen konnten, sondern Jesus als einen am Kreuz gescheiterten, ja von Gott verdammten Juden ansahen, verbitterte ihn zutiefst. Wie er das Gesetz dem Evangelium antithetisch gegenüberstellte, so betonte er auch zwischen dem alten Bundevolk der Juden und dem neuen Israel, das er in der Kirche gekommen sah, eher das das Trennende als das Verbindende.

Das von Luther anfangs proklamierte Prinzip, nichts mit Gewalt zu zwingen, sondern mit dem Wort (non vim, sed verbo) zu überzeugen, gab er spätestens in "Von den Juden und ihren Lügen" (1545) auf. Hier ließ er sich zu Hasstiraden hinreißen, die sich die Nazis später zu eigen machen konnten, um ihren Völkermord zu legitimieren. Er rief die Christenheit auf, der Juden Synagogen und Schulen zu verbrennen, ihre Häuser zu zerstören, ihre Gebetbücher und Talmudim zu verbrennen und den Rabbinern die Lehre zu verbieten. Wie in dem eingangs zitierten Predigttext wird ihnen Wucher vorgeworfen, weshalb man ihnen alle Barschaft abnehmen und sie zu körperlicher Arbeit zwingen solle.

Man sieht an diesem Beispiel: Längst sind die Vorwürfe nicht mehr nur theologischer Art, wie protestantische Historiker immer wieder beschwichtigend anführen. Der Reformator bedient sich in seiner Spätzeit auch sozio-kultureller Ressentiment wie des Mordvorwurfes gegen jüdische Ärzte. Wenn Jens Rogge 1969 in einer Untersuchung schreibt, Luther sei "in seinem Ansatz frei von rassisch-ideologisierenden Prämissen", dann hat er wohl Recht. Anders als bei den Nazis, die auch getaufte Juden in die Vernichtungslager schickten, spielen Rasse und Volkstum bei Luther keine Rolle. Rogge hat aber sicher nicht Recht, wenn er meint, der Fehler sei allein "dem Theologen unterlaufen". Auch als Mensch irrrte Martin Luther und trug so zur unheilvollen Geschichte von Christen und Juden in Mitteleuropa bei.

Interner Link:

"Wenn die Juden wieder in ihr Land kämen, wolt ich..."


Text: Stefan Meißner

Bild: Wikipedia Commons (https://commons.wikimedia.org/wiki/Martin_Luther#/media/File:Lucas_Cranach_d.%C3%84._-_Martin_Luther,_1528_(Veste_Coburg).jpg)