Letzte Zeitzeugin jüdischen Lebens in Rheingönnheim gestorben

Frank-Matthias Hofmann

Am 11. Dezember 2002 verstarb in der Budget-Stiftung in Frankfurt-Seckbach im Alter von 94 Jahren mit Frau Ilse Lewin, geborene Jacob, die letzte noch lebende Zeitzeugin eines lebendigen jüdischen Lebens in Ludwigshafen-Rheingönheim. 2001 war der zentrale Dorfplatz in Rheingönheim nach ihrem Vater, dem jüdischen Lehrer und Kantor Josef Jacob, benannt worden. Bei den Einweihungsfeierlichkeiten in der Paul-Gerhardt-Kirche und dem Platz war sie zum letzten Mal in Rheingönheim zu Besuch. Bei der Enthüllung des Platzschildes und der durch zahlreiche Bürgerspenden ermöglichten Bronzeplatte mit den wichtigsten Lebensdaten Kantor Jacobs waren sie und ihre Tochter Ruth Ezrahe, die extra aus Israel angereist war, sehr bewegt.Der Gesprächskreis Juden und Christen in Ludwigshafen, die Prot. Kirchengemeinde Rheingönheim und die Jüdische Gemeinde Mannheim trauern um eine profilierte Frau, deren Leben ein Zeitzeugnis für die Geschichte der Juden in Ludwigshafen und Mannheim ist und die in den letzten Jahren immer wieder Mannheim und Rheingönheim besucht hat, um menschliche Kontakte zu pflegen. Das Erbe ihres Vaters, des letzten jüdischen Kantors in der Jüdischen Kultusgemeinde Rheingönheim-Neuhofen in den Jahren 1911-1925 war ihr wichtig. Bei der Einweihung der Gedenktafel am ehemaligen Jüdischen Bethaus in der Hauptstraße 246 in Rheingönheim war sie anwesend, nachdem Herbert Fritzsche und Walter Schäfer zu ihr Kontakt aufgenommen hatten. Sie frischte in dieser Zeit private Freundschaften, die während der Nazi-Zeit abgerissen waren, wieder auf. Sie wohnte in den 90er Jahren mit ihrem Mann Erich in Mannheim. Als sie im „Dritten reich“ Deutschland verlassen musste, fand sie mit ihrem Mann und den zwei Kindern Harry und Ruth in Chile vorübergehend eine neue Heimat, ehe sie nach Mannheim zurückkehrte. Ortshistoriker Walter Schäfer hat in einer bewegenden Broschüre „Eine jüdische Odyssee“ das Familienschicksal der Jacobs und Lewins in verdienstvoller Weise festgehalten.In Mannheim leitete Ilse Lewin jahrelang den Jüdisch-christlichen Gesprächskreis und die WIZO, die jüdische Frauenorganisation, Sektion Rhein-Neckar und hat sich bleibende Verdienste um die Jüdische Gemeinde Mannheim und das christlich-jüdische Gespräch in Mannheim und Ludwigshafen erworben.1990 nahm sie auf Einladung von Pfarrer Frank-Matthias Hofmann in Ludwigshafen-Rheingönheim an einem öffentlichen Gemeindevortrag über die Juden in Rheingönheim teil und sagte u.a. in zwei Interviews 1991 mit Pfr.Hofmann: „Urteilt nicht voreilig! Macht euch mit den anderen Menschen, über die ihr etwas zu wissen glaubt, bekannt. Lebt nicht mit Vorurteilen, sondern lernt die Verhältnisse erst richtig kennen...Haltet die Erinnerung an die ehemaligen jüdischen Mitbürger und an das, was mit ihnen gemacht wurde, wach! Nur Erinnerung bringt Versöhnung und bewahrt davor, in ähnlicher Weise neues Unrecht auf sich zu laden.“Am Donnerstag, den 12.12.2002 wurde Ilse Lewin auf dem Jüdischen Friedhof in Mannheim beerdigt.Kirchengemeinde und Gesprächskreis sind ihr für ihre vielen Impulse dankbar und werden ihr ein dankbares Gedenken widmen und ihr Anliegen eines offenen jüdisch-christlichen Gespräches wach halten.