Das pfälzische Judentum
Von den Anfängen bis zum Mittelalter

von Berhard Kukatzki, M.A. (Schifferstadt)

Nur wenige historische Landschaften Deutschlands haben eine ähnlich reiche jüdische Geschichte und Tradition aufzuweisen wie die Pfalz. Im Laufe der Jahrhunderte lebten fast in jedem Dorf und jeder Stadt der Pfalz jüdische Familien und bestanden jüdische Kultusgemeinden. Und das spätestens seit dem Jahre 831, als Juden erstmals als Grundbesitzer im Weinstädtchen Wachenheim urkundlich belegt sind. Es ist aber mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass Juden bereits in spätrömischer Zeit in der Pfalz siedelten.

Von einer einheitlichen jüdischen Geschichte der Pfalz kann man bis zum Jahre 1798, dem Gründungsjahr des Departements Mont-Tonnerre nicht sprechen, da bis zu diesem Zeitpunkt die Pfalz in eine Unzahl von Herrschaften und Territorien aufgesplittert war, die ihren jeweiligen jüdischen Untertanen höchst unterschiedliche Rechts- und Lebensbedingungen boten. Dies reichte von Ausweisung und Bleibeverbot bis zur wohlwollenden Förderung jüdischer Ansiedlungen durch die jeweiligen Herrscher.

Nachweislich belegt sind mittelalterliche Gemeinden und jüdische Wohnorte außer in dem schon erwähnten Wachenheim in Landau, Kaiserslautern, Neustadt, Kusel, Bergzabern, Lambsheim, Germersheim, Klingenmünster, Rockenhausen, Bockenheim und Deidesheim. Auch ein jüdischer Burgherr ist zu vermelden. Im Regelfall wurden Burglehen an den Niederadel, höchst selten an einen Bürger verliehen. Daher ist es auch für die wissenschaftliche Forschung von besonderer Bedeutung, dass im Jahre 1385 der Speyerer Jude Kaufmann zusammen mit dem Mainzer Domherren Johann von Nassau für die Dauer von sechs Jahren vom Speyer Hochstift mit der an einem der landschaftlich schönsten Plätze des Elmsteiner Tals gelegenen Feste Spangenberg belehnt wurde. Vielleicht spielte die Speyerer Herkunft Kaufmanns eine Rolle? Denn seit dem Ende des 11. Jhdts. beherbergte Speyer eine ansehnliche und im ganzen Reichsgebiet berühmte jüdische Gemeinde.

Obwohl bereits in den siebziger Jahren des 11. Jhdts. die ersten, aus der berühmten Mainzer Familie der Kalonymiden stammenden Juden in Speyer nachweisbar sind, beginnt die eigentliche Geschichte der Speyerer Juden im Jahre 1084, als die Juden aus Mainz und Worms vertrieben und vom Speyerer Stadtherren und Bischof Rüdiger Hutzmann aufgenommen wurden. Ihnen wurden Rechte eingeräumt, wie sie zu jener Zeit nirgendwo sonst jüdische Gemeinden besaßen. So wurde ihr Viertel zum Schutz mit einer Mauer umgeben, sie erhielten Handelsfreiheit, eine eigene Gerichtsbarkeit unter dem Rabbiner, das Recht Grundbesitz zu erwerben und einen eigenen Friedhof anzulegen. In dem Privileg von 1084 heißt es: „Im Namen der heiligen und ungeteilten Dreifaltigkeit. Ich, Rüdiger, mit Beinamen Huozmann, Bischof von Speyer, glaubte in meinem Bestreben, aus der Kleinstadt Speyer eine Weltstadt zu machen, die Ehre unseres Ortes durch Ansiedlung von Juden noch mehr zu heben.“ Und weiter liest man: „Alles in allem gewährte ich ihnen als höchste Gunst ein Gesetz, wie das Judenvolk kein besseres in einer Stadt des Deutschen Reiches besitzt“. Dieses Privileg wurde von Kaiser Heinrich IV im Jahre 1090 bestätigt.

Unter diesen Voraussetzungen konnte sich Speyer zum geistigen Zentrum entwickeln. Zusammen mit Worms und Mainz entwickelte man einen eigenen Ritus. Die Beschlüsse der Synoden der drei Schum-Städte (der Name wird aus den hebräischen Anfangsbuchstaben Speyer, Worms, Mainz gebildet) waren maßgebend für die deutschen Juden. Gelehrte wie Juda ben Kalonymus, Kalonymus ben Isaak und Isaak ben Ascher Halevi mehrten den Ruf der Stadt Speyer als geistiges und kulturelles Zentrum. Noch heute gibt es über die ganze Welt verstreut Träger von Familiennamen wie Speyer, Schapiro oder Spira, deren Vorfahren aus Wertschätzung gegenüber einer großen Tradition diesen Namen wählten.

Dennoch gab es in Speyer, wie auch in den anderen genannten mittelalterlichen Gemeinden, im Laufe der Jahrhunderte immer wieder fürchterliche Verfolgungen und Vertreibungen bis 1534 das jüdische Leben des Mittelalters fast völlig erlosch. Erst in französischer Zeit sollte sich wieder eine nennenswerte jüdische Kultusgemeinde bilden.

Von der Blütezeit des jüdischen Speyer künden noch die steinernen Überreste des ehemaligen Judenhofes, des ehemaligen Mittelpunktes der Gemeinde. In dieser „curia judeorum“ lagen die wichtigsten kultischen Bauten wie Synagogen, Lehrhaus und Bad, aber auch profane Gebäude wie das Hospiz, Tanzhaus und Bäckerei. Erhalten ist neben den Ostwänden der mittelalterlichen Männer- und Frauensynagogen ein Juwel romanischer Baukunst - die zwischen 1110-1120 erbaute Mikwe - das Ritualbad der jüdischen Gemeinde (Bild oben!). Vermutlich wurde sie von den selben Bauleuten errichtet, die auch am Speyerer Dom arbeiteten. Das „Juddebad“, wie es in Speyer genannt wird, ist als eines von weltweit nur wenigen erhaltenen mittelalterlichen Ritualbädern außer dem Dom ein Muss für jeden Speyer-Touristen.

Links
Holger Müller: Judenverfolgung im rheinischen Raum zur Zeit des 1. Kreuzzuges (1096)
Stefan Meißner: David Ben Meschulam aus Speyer
Eberhard Dittus/ Johannes Bruno: Stationen durch das jüdische Speyer