„Daß Jesus Christus ein geborener Jude sei...“von Dr. Stefan Meißner |
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„Daß Jesus Christus ein geborener Jude sei“ (M. Luther, 1523) , wurde außer in der NS-Zeit in der Kirche nur selten ausdrücklich bestritten. Aber ebenso selten wurde damit theologisch wirklich ernst gemacht. Für ein zur Weltreligion gewordenes Christentum war die Herkunft Jesu zumeist eine zufällige Geschichtstatsache, die für den eigenen Glauben ohne großen Belang ist. Erst in den letzten Jahrzehnten wächst die Einsicht, daß das Leben Jesu nur vor dem Hintergrund des palästinischen Judentums des 1. Jahrhunderts richtig verstanden werden kann. Wo er herkam Was er tat Was er glaubte Wie viele Juden damals und heute betete Jesus dreimal täglich das Schema Jisrael („Höre Israel“), das auf die ausschließliche Verehrung des einen Gottes Israels abhebt. Auch das Vaterunser ist ein durch und durch jüdisches Gebet, wie schon ein Vergleich mit dem Schemone Esre (Achzehn-Bitten-Gebet) zeigt. Als er mit den Worten eines hebräischen Psalmes am Kreuz verschied, hinterließ er eine Anhängerschar, die trotz seines schmachvollen Endes an dem Glauben festhielten, daß in der Person Jesu Gott den Menschen in einer Weise nahe gekommen war, die ihn über andere charismatische Persönlichkeiten hinaus hob. Hier, am Kreuz, endet die Biografie des Juden Jesus von Nazareth. Hier beginnt zugleich die lange Geschichte des Streites zwischen Juden und Christen um seine Bedeutung. Jesus aus jüdischer Sicht Das jüdische Jesusbild der Neuzeit weicht von dem früheren Zerrbild erheblich ab: Mehr und mehr erkannte (und erkennt) man in dem Mann aus Nazareth den jüdischen Bruder (Martin Buber), der die Gesetze der väterlichen Religion treu bewahrte. Der Tod Jesu am Kreuz konnte gerade in Verfolgungszeiten zur symbolischen Verdichtung des eigenen, jüdischen Martyriums werden. Die positive Würdigung Jesu steht freilich im Kontrast zur schroffen Ablehnung dessen, was die Kirche später aus ihm gemacht hat. So zwingt uns das Gespräch mit Juden dazu, Rechenschaft über unsere eigene Tradition abzulegen: Stellen christliche Lehraussagen über die Person Jesu nur legendarische Übermalungen dar, die das „Original“ immer mehr verdunkeln, oder entspringen sie dem legitimen Wunsch, ihre Bedeutung für die eigene Gegenwart je neu zu auszusagen? „Bist du es, der da kommen soll?“ Manche Leute verglichen Jesus mit den Profeten des Alten Bundes, einige von ihnen hielten ihn für den wiedergekommenen Elia, den Wegbereiter des Messias. Der ein oder andere Jünger mag in Jesus sogar selbst den Messias gesehen haben, was diesem aber nicht gerade angenehm war. Wahrscheinlich waren ihm die politisch-nationalen Untertöne, die bei diesem Hoheitstitel mit schwangen, unsympathisch. Mit den antirömischen Unruhestiftern, die in jener Zeit aufgetreten waren, um das Königtum Davids zu erneuern, wollte er nichts zu tun haben. „Mein Reich“, so betonte er, „ist nicht von dieser Welt“. Wenngleich er bei allem, was er tat und sagte, durchblicken ließ, daß hier Gott selbst am Werk war, war er doch auf der anderen Seite stets darauf bedacht, daß durch die Beziehung der Menschen zu ihm die Einzigkeit Gottes nicht geschmälert wurde. Vielleicht war das auch der Grund, warum er gegenüber Hoheitstiteln generell zurückhaltend war. Sie konnten leicht Hoffnungen wecken, die nicht einzulösen waren. So blieb die Frage, wer Jesus denn eigentlich war, bis zu seinem Tod in der Schwebe. Sprachgewinn aus dem Rückblick Auch hier halfen jüdische Denkkategorien, das Geschehene zu verarbeiten und zu verstehen: Als einige seiner früheren Jünger von Erscheinungen Jesu berichteten, sprach man von bald von Auferstehung. Daß so etwas grundsätzlich möglich war, hätten die meisten Juden damals bejaht. Daß es allerdings ein gekreuzigter Galiläer sein sollte, der nun „zur Rechten Gottes“ saß, das konnten sich nur wenige vorstellen. Konnte einer, der so endete, wirklich Gottes Bote sein? Es war wiederum das jüdische Glaubenserbe, das die ersten Christinnen und Christen lehrte, gerade im vermeintlichen Scheitern ein Zeichen von Erwählung zu sehen. Hatte Gott nicht schon immer eine Vorliebe für das Niedrige und Verachtete? Wie sonst erklärte sich die Erwählung Israels, eines kleinen, unbedeutenden Volkes? Und wenn Jesus wirklich ein Profet war – lag da ein gewaltsames Geschick nicht nahe? Dieser Tod Jesu, so folgerte man gut jüdisch, war kein Unfall der Geschichte, sondern eine Heilstat Gottes: Das unschuldige Leiden des Gerechten hat sühnende Kraft. Sein Gehorsam wird denen angerechnet, die seinem Vorbild nachfolgen. Unpräziser Monotheismus? Die neuere neutestamentliche Forschung hat herausgefunden, daß es schon im palästinischen Judenchristentum (also nicht erst in den paulinischen Gemeinden) eine sehr „hohe“ Christologie gab, die Jesus in unmittelbare Nähe zu Gotte gerückt und auch vor seiner Anbetung nicht Halt gemacht zu haben scheint. Betrachtet man die Vielfalt jüdischen Denkens um die Zeitenwende, wird man der Jesusbewegung ihre jüdische Identität nur schwer absprechen können. Wie die Quellen zeigen, waren diese Leute nicht die einigen Juden, die durch die Einführung von Mittlergestalten (Engel, erhöhte Erzväter od. Profeten) eine Brücke zwischen der Welt und Gott schlagen wollten. Diese Zwischenwesen fungierten nicht selten als verlängerter Arm Gottes, um seinen Machtanspruch auf Erden durchzusetzen, oder als Fürbitter der Gläubigen vor Gott. Ohne Zweifel war das frühe Judenchristentum Teil einer breiteren innerjüdischen Tendenz, die Einzigkeit Gottes zu relativieren. So unangefochten, wie es heute den Anschein hat, war der Monotheismus zur Zeit Jesu jedenfalls nicht. Konsequenzen für den Dialog Damit ist die Frage an unsere jüdischen Gesprächspartner neu gestellt: Ist das Leben, Sterben und Auferstehen Jesu als legitime Fortsetzung des Heilshandelns Gottes denkbar, wie es in der Hebräischen Bibel dokumentiert ist? Umgekehrt werden wir Christen uns fragen müssen, ob es neben der Person Jesu nicht noch andere, ebenfalls legitime Fortsetzungen dieses Heilshandelns geben kann. Nur wo beides ernsthaft in Erwägung gezogen wird, findet heute ein Dialog statt, der diese Bezeichnung wirklich verdient.
Verlag: Calwer Verlag
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