Klassenfahrt nach Berlin
oder 70 Jahre Deportation nach Gurs

ein Anspiel von Wolfgang Kahler


Ein Stolperstein in Dahn erinert an die Deprtation

Requisiten: Schild: Bahnhof, Schild: Gleis 2 oder …, Koffer, Trolly, Rucksäcke, Handy (J5), Armbanduhr (Klassenlehrer/-in)
Treffpunkt Bahnhof, Gleis…: 3 Jugendliche(J) mit Rucksäcken und Koffer stehen am Bahnsteig, 2 weitere kommen dazu.

J1: Hi, seid ihr auch schon da!
J2: Hi, wir sind gerade eingetroffen. (begrüßen sich mit offenen Armen und geben sich die Faust)
J3: Hey, Berlin wir kommen!
J4: Joo, Berlin wir kommen!
J5: Da wird was abgehen.
J2: Berlin bei Nacht!
J5: Wow!
J1: Hey, der / die Schneider kommt!
(Klassenlehrer/-in (KL) kommt hinaus)
KL: Guten Morgen!
Alle: Morgän!
KL: Habe von unserem Bundestagabgeordneten eine Zusage bekommen, dass wir ihn in seinem Büro im Bundestag besuchen können.
J4: Richtig im Bundestag, da, wo die Politiker sitzen!
KL: Ja, dort und anschließend gehen wir zur Holocaust – Gedenkstätte
J5: Ähh, muss das sein?
J1: He, hast du kein Bock oder was?
J5: Das schon, aber da ist sicher ´ne doofe Stimmung.
J2: Aber das gehört auch dazu. Ich finde es gut.
J5: Was haste denn davon? – Nichts als Schuldgefühle …
KL: … Darum geht es doch gar nicht. Ich habe damals nicht gelebt und ihr auch nicht. Es geht heute nicht um Schuldgefühle oder um Schuldzuweisung, aber wir sollten aus der Vergangenheit lernen; begreifen, dass so etwas nie wieder geschehen darf.
J1: Aber deswegen müssen wir doch nicht nach Berlin fahren …
J2: … Wie meinst du das?
J1: Ja, hier an unseren Bahnhof wurden auch Juden deportiert.
KL: Das stimmt! Vor 70 Jahren wurden sie in der Nacht vom 21. auf den 22. Oktober aus ihrem Wohnungen getrieben und von hier aus abtransportiert. Das müsst ihr euch einmal vorstellen. Die Nationalsozialisten haben auf keinen Rücksicht genommen, auf Kinder und Jugendliche nicht, auf Erwachsene und Alte nicht – über 6500 Menschen, Deutsche, jüdischer Herkunft, jüdischen Glaubens.
J3: Einfach so!
KL: Adolf Hitler hatte Druck gemacht. Er forderte die Gauleiter auf, dafür Sorge zu tragen, dass ihre Gebiete „judenfrei“ gemacht würden.
J4: Gauleiter – was ist das denn?
J2: Das ist ein Regierungschef für ein Gebiet – so eine Art „Ministerpräsident“ – jedenfalls ungefähr – glaub ich.
KL: Der Gauleiter von Baden Robert Wagner und der Pfälzer Josef Bürkle gaben als erste im Nationalsozialistischen Deutschland bekannt: Baden und Saarpfalz sind „judenfrei“.
J1: Ich habe mal gehört oder gelesen, dass die Juden damals ihr Laubhüttenfest feierten. Stimmt das?
J5: Das Laub was? Ehh, ihr habt heute Morgen Ausdrücke!
KL: Das Laubhüttenfest heißt auf Hebräisch Sukkot. Es ist ein Erntedankfest und erinnert an die Wüstenwanderung – ihr wisst schon – nach dem Auszug aus Ägypten, der großen Befreiung aus der Sklaverei.
J1: Deswegen feiern Juden das Fest draußen im Garten, auf dem Hof oder Balkon. Sie bauen mit Stoffplanen, Ästen, Sträuchern die Laubhütten.
KL: Die nennen sie Sukka.
J2: Ich habe gehört, dass es ist das fröhlichste aller jüdischen Feste sein soll.
J1: Wenn ich mir vorstelle, wir feiern ein Fest – vielleicht auf unserer Klassenfahrt – und plötzlich werden wir gefangen weggeführt und abtransportiert …
J5: … He, mach mal low! – Da vergeht einem ja der Spaß!
KL: Drei Tage und vier Nächte dauerte übrigens die Fahrt ins besetzte Frankreich über Avignon und Toulouse. Zum Schluss wurden sie wie Vieh auf Lastwagen verladen und die meisten in das Internierungslager Gurs gebracht. Gurs liegt übrigens am Fuße der Pyrenäen. Ihr könnt euch vorstellen, dass einige ältere Personen diese unmenschlichen Strapazen nicht überlebten.
J3: Sind alle dort umgekommen?
KL: Nein, später wurden die meisten eingepfercht in Viehwaggons und abtransportiert zu den östlichen Vernichtungslagern im besetzten Polen.
J2: Also, nach Ausschwitz.
J3: Nach Birkenau und Majdanek.
KL: Genau, wer den qualvollen Transport überlebt hatte, der wurde gezwungen sich ausziehen, bekam Häftlingskleidung und musste auf unmenschliche Weise arbeiten, „ackern“, dass einem die Sprache verschlägt.
J1: Aber die meisten wurden gleich nach der Ankunft ins Konzentrationslager vergast und anschließend verbrannt.
J4: Das ist ja grausam!
J3: Fürchterlich!
J5: Ihr habt schon recht: So etwas darf nie wieder passieren!
J1: Absolut nicht! Dafür müssen auch wir einstehen!
J2: Wir sollten heute aufpassen, dass solche Leute, die ausländerfeindlich sind und Minderheiten bekämpfen, nicht das Sagen bekommen.
J3: Aber das ist gar nicht so einfach. Rechtsradikale und Skins versuchen auch an den Schulen mit ihrer miesen Art zu werben.
J4: Manche fallen auf das primitive Gerede, auf das Schwarz-Weiß-Denken herein. Hier, die Guten – da die Bösen.
J5: Okay, okay, auch wenn die Stimmung dort nicht erhebend ist, ich seh` schon ein, der Besuch der Holocaustgedenkstätte ist wichtig.
KL: Wir brauchen Orte der Erinnerung, damit wir Geschehenes immer wieder neu bewusst machen können …
J1: … die uns heute und morgen zeigen …
J2: … dass Menschenrechte beachtet werden müssen...
J3: … und wo Menschen politisch verfolgt und unterdrückt werden …
J4: … oder unter Unrecht und Gewalt leiden …
J5: … dass wir nicht wegschauen, …
J1: … sondern hinschauen und eingreifen.
J5: (holt sein aus der Hosentasche) Hey, gleich kommt der Zug!
KL: (schaut erschrocken auf seine Armbanduhr) So, jetzt aber muss ich mich um die anderen kümmern, ob alle da sind. In 10 Minuten fährt unser Zug ab.
J5: Berlin, wir kommen!
(Speyer, 12.4.2010 Wolfgang Kahler)