Joseph in Ägypten
|
|||
In der biblischen Geschichte (Gn 37,1ff.) wird Joseph, Lieblingssohn seines Vaters Jakob, von seinen Brüdern, die ihn um seine Stellung beim Vater beneiden und deshalb inbrünstig hassen, in der Wüste in einer Zisterne versenkt, in der Absicht, ihn umzubringen. Dort wird er von vorbeiziehenden midianitischen Kaufleuten entdeckt und an die Ismaeliter verkauft, die Joseph schließlich nach Ägypten bringen. In Ägypten tritt er in die Dienste eines Hofbeamten des Pharao mit Namen Potiphar. Die folgende Erzählung spielt in Ägypten und der Autor der biblischen Josephsgeschichte erweist sich dabei als Kenner der ägyptischen Verhältnisse. Das fängt mit dem Namen Potiphar an, der übersetzt bedeutet: „Einer, den Re (der Sonnengott) gegeben hat“. Der Pharao selbst wird nicht mit Namen genannt, nur mit dem Titel „Pharao“ bedacht. Dieser Titel leitet sich ab von dem ägyptischen Wort Per-aa, was so viel wie „Großes Haus“ bedeutet und den königlichen Palast meint. Den ägyptischen König nach seiner Residenz als Pharao zu titulieren findet ab dem Neuen Reich (16. Jh. v. Chr.) Gebrauch, wenn auch eher selten. In der Bibel werden allerdings alle ägyptischen Könige als Pharao bezeichnet.(1) Potiphar ist verheiratet und dessen Frau, die in der Bibel anonym bleibt, tritt an Josef heran und will ihn verführen.(2) Joseph aber weist sie in Loyalität zu Potiphar, der ihm seinen gesamten Hausstand anvertraut hat, mit den Worten zurück: „Wie könnte ich da ein so großes Unrecht begehen und gegen Gott sündigen?“ (Gn 39,9). Die Begriffe im hebräischen Urtext lauten für „Unrecht“ „ra´ah“ und für „sündigen“ „chata´“.(3) „Chata´“ bedeutet eigentlich „sich verfehlen, fehlgehen“, entspricht im Griechischen dem Verb „hamartanein“ und im Lateinischen „peccare“, die beide ebenfalls die Bedeutung „fehlgehen, straucheln“ haben.(4) Der Begriff „Sünde“(5) verdankt sich dem Christentum und meint immer eine gegen Gott gerichtete Übertretung des göttlichen Gesetzes, auch wenn heutzutage der Begriff Sünde trivialisiert ist und seine ursprüngliche Bedeutung verloren hat.(6) Joseph spricht ausdrücklich von einer „Verfehlung gegen Gott“. Das Wort „chata´“ im Alten Testament hat nämlich nicht ausschließlich Gott als Adressaten, obwohl das deutsche Wort in christlichem Verständnis in diesen engeren begrifflichen Kontext gefasst ist. Das hebräische Wort lässt sich auch in Bezug auf eine Schuld gegenüber den Menschen anwenden und ist deshalb in seiner Grundbedeutung allgemeiner, auch wenn das Wort häufiger in religiöser Deutung gebraucht wird.(7) Es hat deshalb einen Sinn, dass Joseph dem Wort chata´ ein ergänzendes „gegen Gott“ hinzufügt. Mit seinem Tun schädigt der Sünder nicht nur
sich selbst, sondern auch Gott ist davon betroffen.(8)
Deshalb zieht jede Sünde eine Reaktion Gottes nach sich. Denn der
Gott des Alten Testamentes ist nicht der aristotelische unbewegte Beweger
(Arist. Met. XII), sondern ein emotionaler Gott, der Eifersucht und Rache
kennt, den Menschen wegen ihrer Frevel zürnt, sie dafür bestraft,
aber auch Gnade walten lässt. Dass die Josephsgeschichte in der Bibel nur eine sehr kurze Episode darstellt, hat schon Goethe bemerkt und fühlte sich bemüßigt, diese auszuschmücken.(12) Das tat er auch in einem leider heute verschollenen Werk, so dass es an Thomas Mann war, die Anregung Goethes aufzugreifen und diese Lücke zu füllen.(13) Thomas Manns Begeisterung für Goethe hat auch dazu geführt, dass er teilweise die Gestalt des Joseph im Äußeren und im Charakter an die Person Goethes anglich.(14) Thomas Mann hat Josephs „Biografie“ in einer Tetralogie nacherzählt, deren Bearbeitung 16 Jahre in Anspruch nahm. In aller epischen Breite, mit ausführlichen Dialogen und philosophisch-theologischen Gedankengängen, verlebendigt er die in der Bibel kurz gefasste Josephsgeschichte und lässt den Leser in die Welt und das Kolorit des alten Ägypten eintauchen. Thomas Mann hat auch hier, wie für alle seine Werke, ausführliche Studien betrieben und sich mit Ägypten vertraut gemacht. Zweimal reiste er selbst nach Ägypten (1925 und 1930). In seiner Romantetralogie um Joseph und seine Brüder ist der 3. und 4. Teil Josephs Aufenthalt in Ägypten gewidmet. In Ägypten angekommen, erhält Joseph bei Thomas Mann den Namen Osarsiph, der sich aus der Zusammensetzung des ägyptischen Gottesnamens Osiris und dem Namen Joseph ergibt. Dieser Name entspringt nicht reiner Phantasie. Er taucht schon in der Antike bei Flavius Josephus auf in seiner Schrift „Contra Apionem“, wo ein Exzerpt des Manetho, eines ägyptischen Priesters aus dem 3. Jh. v. Chr., zitiert wird. Dort ist die Rede davon, dass unter Pharao Amenophis III. 80.000 Aussätzige aus Ägypten vertrieben wurden. Diese hatten einen Anführer, einen Priester namens Osarsiph, der später den Namen Moses annahm. Joseph und Moses werden also hier zu einer Person.(15) Auch die Potiphargeschichte wird bei Thomas Mann natürlich thematisiert und ausgeschmückt. Den Namen Potiphar deutet er richtig als „Geschenk des Re“, aber auch Potiphars Frau erhält hier einen Namen und zwar ebenfalls einen typisch ägyptischen. Sie heißt „Mut-em-enet“, was übersetzt bedeutet: „(Göttin) Mut im Wüstental“. Die Göttin Mut galt bei den Ägyptern als Liebesgöttin, mit dem Wüstental ist der Bestattungsort in der Wüste gemeint, also eigentlich die Totenstadt, ein wahrhaft sprechender Name für eine Frau, die in unerfüllter Sexualität lebt. Denn bei Thomas Mann ist Potiphar ein Eunuch.(16) Der Versuch, Joseph zu verführen, entspringt also weniger einer moralischen Verwerflichkeit Mut-em-enets als einem verständlichen menschlichen Bedürfnis, wodurch Thomas Mann Potiphars Frau ausdrücklich gegenüber der biblischen Version zu entlasten gedenkt. Als Joseph bei Thomas Mann von Mut-em-enet umgarnt wird, beruft er sich auf seine Verpflichtung zur Keuschheit, die im Bibeltext aber gar keine Rolle spielt. Dort geht es um Anstand gegenüber seinem Dienstherrn Potiphar und Furcht vor einem Frevel gegen Gott. Bei Thomas Mann liest sich Josephs Begründung der Keuschheit so: „Ja, auch Gott, der Herr, war einsam in seiner Größe, und Joseph hatte es im Blut und Gedächtnis, wie sehr das Alleinsein des weib- und kinderlosen Gottes beitrug zur Erklärung seiner großen Eifersucht auf den mit den Menschen geschlossenen Bund“ (Joseph in Ägypten, S.218). Die Zurückweisung der Mut-em-enet beruht hier also darauf, dass Joseph sich für den „keuschen“ Gott selbst zur Keuschheit verpflichtet. Er nennt sich „gottverlobt“, so dass für ihn der Versuchung nachzugeben nichts anderes bedeuten konnte als „Adams Torheit zu wiederholen“ (Joseph in Ägypten, S.465). Mut-em-enet wird von Thomas Mann auch mit einer Schlange verglichen, wodurch sich der Gedanke der „Schlange im Paradies“ aufdrängt, die die ersten Menschen zum Sündenfall verführt.(17) Thomas Mann fügt aber noch weitere Ablehnungsgründe Josephs hinzu. So fühlt sich Joseph abgestoßen, weil Mut-em-enet mit ihrer Initiative und ihrem Werben um ihn quasi eine männliche Rolle eingenommen hat.(18) Dies bringt er mit einer Abwertung der ägyptischen Kultur in Verbindung, die er mit Unmoral und Unzucht gleichsetzt. Ägypten ist für Joseph ein „Land der Tier- und Leichenanbeter“ (Joseph in Ägypten, S.467), vor dem schon sein Vater Jakob Abscheu gehegt hat. Die intensive Ausrichtung der Ägypter auf das Leben nach dem Tod und die große Bedeutung ihrer Totengötter ruft Josephs Missfallen hervor, weil sein Gott, wie immer wieder bei Thomas Mann betont wird, ein Gott der Lebenden ist. Auch in dieser Hinsicht erweist sich der ägyptische Name von Potiphars Frau Mut-em-enet (Göttin Mut im Wüstental=Liebesgöttin im Totenreich) wieder als sehr treffend. Bleibt im Alten Testament der Pharao auch anonym, bei Thomas Mann erhält er einen Namen. Es ist Pharao Amenophis III., in dessen Regierungszeit er die Josephsgeschichte versetzt(19) und Amenophis´ Sohn ist kein Geringerer als Echnaton, den Thomas Mann mit dem Namen Neb-nef-nezem (Herr des süßen Hauches) belegt, der sich auch durch Zeitzeugnisse nachweisen lässt. Echnaton war es, der in Ägypten den Monotheismus einführte, indem er die herkömmlichen Götter abschaffte und nur noch seinen Sonnengott Aton gelten ließ, der als Schöpfergott in Form der Sonnenscheibe mit davon ausgehenden Strahlenhänden dargestellt wurde. Bevor sich der Pharao in Echnaton („Dem Aton wohlgefällig“) umbenannte, hieß er Amenophis IV., was so viel bedeutet wie „(Gott) Amun ist zufrieden“. Bei Thomas Mann treten Joseph und Echnaton in einen intensiven Dialog ein, in dem sich die Gelegenheit ergibt, die Namensänderung des Pharao zu begründen und über den neuen Gottesglauben Echnatons zu diskutieren.(20) Die Frage des Pharao, welchen Gott denn Joseph verehre, führt zu einer begrifflichen Abgrenzung, die den Unterschied zwischen hebräischem und ägyptischem Monotheismus herausarbeitet. Der hebräische Gott ist transzendent, der Gott des Echnaton dagegen ist weltimmanent, da als Schöpfer von allem die sichtbare Sonnenscheibe verehrt wird, die keinen unsichtbaren Schöpfer mehr über sich hat. Da Echnaton alle anderen Götter, darunter auch die des Totenreiches, die über den Verstorbenen zu Gericht sitzen, abschafft, gibt es bei ihm keine moralische Instanz mehr, die Gut und Böse beurteilt. So moniert Echnaton auch den ägyptischen Namen des Joseph „Osarsiph“, da dieser Name auf den Totengott Osiris hinweist, den Echnaton nicht mehr verehrt wissen will.(21) Die „alte“ Religion, die mit ihrer Drohung eines Totengerichtes
Angst und Schrecken verbreitete, soll sich zu einer Religion der Freude
und Liebe verwandeln. Echnatons Sonnengott Aton, der gleichermaßen
„neutral“ über alle Menschen und über Gut und Böse
scheint, ohne ein Urteil zu fällen, steht im Gegensatz zum hebräischen
Gott, der Schöpfer und Richter in einem ist.(22)
Auch die Parallelen, die zwischen Ps. 104 und dem Sonnenhymnus Echnatons
in der Forschung immer wieder gezogen wurden, was sogar so weit ging,
dass man eine Abhängigkeit des hebräischen Monotheismus von
der Religion Echnatons ableiten wollte, erscheinen nur vordergründig.
In beiden Gesängen wird zwar die Natur in all ihrer Schönheit
gepriesen, aber in der Bibel ist klar gesagt, dass Gott die Erde schuf
mit all ihren Geschöpfen und auch die Sonne sein Werk ist, während
es bei Echnaton die Sonne ist, die die Natur belebt. Sie ist der sichtbare
Schöpfer am Himmel. In Echnatons Sonnenhymnus liest sich das so:
„Deine Strahlen umarmen die Länder, ja alles, was du gemacht
hast.“(23) Im 104.
Psalm (1-2) heißt es: „Lobe den Herrn, meine Seele! / Herr,
mein Gott, wie groß bist du! ... Du hüllst Dich in Licht wie
in ein Kleid, / du spannst den Himmel aus wie ein Zelt.“ Zwar ist
Echnaton im Gespräch mit Joseph geneigt, jenseits der Sonnenscheibe
einen transzendenten Gott für möglich zu halten. Doch macht
er deutlich, dass er diese Gottesauffassung nicht dem Volk vermitteln
könne, weil sie zu radikal sei, zumal schon seine Abschaffung des
polytheistischen Pantheons genug Sprengstoff biete. Diese Auffassung hat
allerdings mit dem historischen Echnaton nichts zu tun. Der suchte über
dem „Aton am Himmel“ keinen „Herrn des Aton im Himmel“.(24)
Den Gedankenaustausch der beiden Protagonisten über das Wesen des
alleinigen Schöpfergottes hat Thomas Mann als Höhepunkt des
Buches konzipiert. So sagte er in einem Interview in der Wiener Neuen
Presse vor einer ersten Lesung aus den Josephsromanen: „Ich habe
Grund zu hoffen, dass Joseph, der Sprößling des jungen ebräischen
Monotheismus, sich mit seinem Pharao, dem religiös so kühn begabten
Echnaton, gut unterhalten wird.“(25)
Und das hat er in der Tat!
(1) Als offizieller Titel
vor dem Königsnamen ist „Pharao“ erst seit dem 10. Jh.
v. Chr. nachweisbar (J. v. Beckerath, S.31). Literatur J. Assmann, Thomas Mann und Ägypten. Mythos und Monotheismus in
den Josephsromanen, München 2006 Linktipps Gabriele Gierlich: Judenfeindliche Äußerungen in der Antike und ihre Nachwirkungen (Aufsatz der gleichen Autorin) Bildquelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Datei:Thomas_Mann_1937.jpg (gemeinfrei)
|
|||