Rezension von Stefan Meißner
Gebunden , 384 S. |
Johannes Gerloff gibt unumwunden zu: „Die Political Correctness hat mir
das Thema des Buches aufgezwungen“ (S.8). Über die Palästinenser
schreibt er nur wegen der Ausgewogenheit, wie er sagt (S.7). Eigentlich schlägt
sein Herz für Israel – und das merkt man seinem Buch auch an.
Der evangelische Theologe lebt in Jerusalem und hat als Journalist bereits den
ganzen Nahen Osten bereist. In seinem sachkundigen, wenn auch nicht immer sachlichen
Buch verarbeitet eine Reihe von spannenden Begegnungen: So beschreibt er die
aufgeheizte Stimmung bei der Bestattung von Palästinenserführer Arafat
(S.37ff.), dessen Werdegang vom Terrorchef bis zum Friedensnobelpreisträger
er mit deutlicher Distanz nachzeichnet (S.25-36). Er beschreibt bedrückende
palästinensische Flüchtlingsschicksale (S.43-55), macht dafür
aber nicht einseitig die israelische Besatzungsmacht verantwortlich, sondern
verweist zu Recht auf die Mitverantwortung der Araber an diesem Elend. Scheich
Madschid Atta, ein Hamas-Führer aus Deheische, einem Flüchtlingslager
südlich von Bethlehem, gibt gegenüber Gerloff unumwunden zu: „Eine
humanitäre Lösung der Flüchtlingsfrage hätte unseren Zwecken
nicht gedient“ (S.52).
Der Autor ist einer der wenigen deutschsprachigen Journalisten, die auch auf
die „Kehrseite der Medaille“ (S.54ff.) aufmerksam machen. In einem
ganzen Kapitel verleiht er den 856.000 Juden eine Stimme, die durch Flucht oder
Vertreibung ihre Heimat in arabischen Ländern verloren haben. So erzählt
Schlomo Hilel die Geschichte seiner Mutter, die 1947 mit ihren Schwestern nach
einem Pogrom den Irak in Richtung Palästina verlassen hatte. Diese sog.
„Mizrahi-Juden“ – so erfährt man fast nebenbei - verloren
bei ihrer Flucht viermal so viel Boden wie das heutige Israel groß ist.
Es sind Stories wie diese, unterfüttert durch gut recherchierte Informationen,
die Gerloffs Palästinenser-Buch zu einer wertvollen Quelle machen für
alle, die sich ein ausgewogenes Bild des Nahost-Konfliktes machen wollen. Dabei
ist das Buch selbst alles andere als ausgewogen: Immer wieder ergreift der Autor
Partei für die israelische Seite: Etwa wenn er die vielen bewaffneten Auseinandersetzung
und gescheiterten Friedensgespräche darstellt, wird sein Standpunkt überdeutlich.
Auch wenn er – zuweilen etwas langatmig - die palästinensischen Christen
in den Blick nimmt (S. 211ff.), macht er aus seinem Herz keine Mördergrube.
Die so überdurchschnittlich gebildete und ursprünglich auch einflussreiche
Minderheit, so Gerloffs These, wird unter dem wachsenden Einfluss eines muslimischen
Extremismus immer mehr auf einen Dhimmi-Status (S. 304 u.ö.) zurückgedrängt.
Dass viele Christen – wie übrigens auch in anderen arabischen Staaten
- ihre angestammte Heimat verlassen, habe weniger mit der israelischen Besatzungspolitik
als vielmehr mit diesem wachsenden innerpalästinensischen Druck zu tun,
der sich zuweilen gar gewaltsamen Übergriffen entlädt.
Das Schlusskapitel „Was sagt die Bibel zur Palästinenserfrage?“
(S. 333ff.) lässt den Leser manchmal etwas ratlos zurück: Welche Bedeutung
misst der Autor wohl der Heiligen Schrift in der heutigen Auseinandersetzung
um „das Land“ bei, wenn er die Sätze prägt wie: „Fremdlinge
haben zwar kein Recht auf das Land, aber ein von Gott verliehenes Recht im Land.
(S.374)? Kann man die Palästinenser wirklich als „Fremdlinge“
bezeichnen? Ist das Land wirklich „ausschließlich dem Volk Israel
als Erbteil gegeben“ (S.373)? Fassen solche Worte schon den biblischen
Befund nur recht unzureichend zusammen, so sind sie, ohne hinreichende hermeneutische
Einbettung, als Maßstab für den heutigen Nahostkonflikt sicher keine
große Hilfe. Hier schrammt der Autor stellenweise an einem Biblizismus
vorbei, der im Endeffekt keinem der Konfliktpartner nützt – auch
Israel nicht.
Wie schon gesagt: Gerloffs Buch über „Die Palästinenser“
ist alles andere als ausgewogen und „politisch korrekt“. Es könnte
freilich zu einem ausgewogeneren Bild des Nahost-Konfliktes beitragen, wenn
man es als notwendiges und längst überfälliges Korrektiv zu einer
heute in den Medien allzu wohlfeilen Israel-Schelte ansieht. Hierfür leistet
es mit seinen knallharten, manchmal schon fast unbarmherzigen Analysen einen
wertvollen Dienst. Wer hingegen eine neutrale, kritiklose oder gar verklärende
Darstellung dieses böse unter die Räder der Geschichte geratenen Volkes
erwartet, der lasse seine Finger besser weg von Gerloffs meines Erachtens durchaus
lesenswertem Buch.
Liktipp:
Rezension von Mark Braverman: "Verhängnisvolle Scham" (Hanna Lehming)
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