Esperanto – Die Sprache des Friedens
- Interkulturelle Kommunikation 1887 bis heute -

Vortrag einer Veranstaltung im Rahmen der Reihe „erinnern-gedenken-mahnen“
am 5. Februar 2006 in der Heiliggeistkirche in Speyer -

Autorisierte Zusammenfassung des Vortrags von Rita und Franz Georg Rössler

I. Ludwig Lazarus Zamenhof (1859-1917)
- Autor der internationalen Sprache Esperanto -

Ludwig Lazarus Zamenhof wurde 1859 als Jude in Bialystok, im russisch beherrschten Polen, geboren.

Der Vater, Markus Zamenhof, war Sprachlehrer, gebildet und belesen, pflichtbewusst und genau, streng und gerecht, auch in der Erziehung der Kinder. Die Mutter, Rosalia Zamenhof, war eine religiöse, warmherzige Frau. Sie sorgte mit viel Liebe und Herzenswärme für ein gutes Zusammenleben der Familie.

Bialystok war ein Schmelztiegel verschiedener Kulturen. Es lebten dort Polen, Litauer, Russen, Deutsche. Die größte Gruppe, nämlich 60% der Bevölkerung, bildeten die Juden

Das Leben in der Stadt wurde von vielen Sprachen geprägt. Polnisch war die Sprache des Bürgertums. Deutsch hörte man unter den Handwerkern. Jiddisch wurde von den Händlern und Kaufleuten gesprochen. Dazu kam Litauisch, die Sprache der Bauern, die ihre Ware zum Markt brachten, und Russisch wurde von den Beamten und vom Militär gesprochen. Russisch war also die Sprache der Herrschenden und galt als offizielle Sprache. Natürlich hatten die verschiedenen Nationalitäten auch ihre eigenen Religionen. Die Polen gingen in die katholische, die Russen in die orthodoxe, die Deutschen in die evangelische Kirche und die Juden in die Synagoge.

Der junge Zamenhof erlebte, wie man sich untereinander um Vorteile stritt und wie es immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen den einzelnen Volksgruppen kam. Er musste erkennen, dass vor allem die verschiedenen Sprachen und Religionen die Menschen trennen und Anlass zu Missverstehen, Misstrauen und Hass sind. Er überlegte immer wieder, wie man diese Probleme lösen könnte, die oft ihre Ursache im gegenseitigen Nichtverstehen hatten. Um Konflikte aus der Welt zu schaffen, müssten Menschen sich unmittelbar verstehen und verständigen können, aber in welcher Sprache? Zamenhof wurde klar: Die Lösung konnte nur eine übernationale, neutrale Sprache sein, die leicht erlernbar sein musste. Jeder konnte dabei seine eigene Muttersprache behalten. Der Gedanke, den Menschen eine gemeinsame Sprache zu geben, ließ ihn nicht mehr los. Ende des Jahres 1878 machte er sein Abitur. Gleichzeitig beendete er die erste Form des Esperanto. Er nannte sie „Lingwe uniwersala“.

Zum Medizinstudium ging er 1879 nach Moskau. Nach seiner Rückkehr stellte sich heraus, dass der Vater alle Manuskripte, die Arbeit vieler Jahre, verbrannt hatte. Schließlich machte er sich nochmals an die Arbeit, um das gesamte Werk zu rekonstruieren. Im Winter 1886/87 lernt er Klara Silbernik kennen; beide verlieben sich ineinander. Klaras Vater war ein wohlhabender Seifenfabrikant. Überraschenderweise unterstützte er das Sprachprojekt seines künftigen Schwiegersohnes. Die erste Ausgabe war für Russen gedacht. Sie enthielt ein Vorwort, eine kurze Grammatik, ein Vokabular und einige Textproben. Als Verfasser setzte er den Namen „Dr. Esperanto“ ein, ein Pseudonym, weil man die Wirkung des Projektes noch nicht abschätzen konnte. Allmählich kamen die ersten Reaktionen, Briefe mit Fragen, Zustimmungen, Ratschlägen, solche voller Begeisterung und sogar solche, die sich bereits der Sprache bedienten. Der Durchbruch war gelungen. Bald begannen seine Anhänger nun auch unter sich zu korrespondieren. Die Sprache hatte immer mehr Erfolg. In vielen Ländern bildeten sich lokale Gruppen, wichtige Gesellschaften unterstützten die Sprache, bedeutende Gelehrte schlossen sich ihr an.

1905 war es so weit, dass man zu einem ersten internationalen Treffen der Esperantisten in Boulogne-sur-Mer zusammenkam. 700 Menschen verstanden sich mit dem ersten Wort. Man vergaß, dass man verschiedenen Nationen angehörte. Es gibt viele Berichte und Erinnerungen von Augenzeugen, die bezeugen, dass dieser Kongress ein überwältigendes Erlebnis war. Fast eine Stunde lang sprach Dr. Zamenhof in seiner Sprache vor eine Zuhörerschaft, die es so bis dahin nicht gegeben hatte. Sie verstanden den Redner perfekt. Ein nicht enden wollender Beifall dankte ihm. Man hatte ein friedliches internationales Miteinander geübt, war sich sprachlich auf gleicher Ebene begegnet. Die neutrale „Internationale Sprache“ hatte ihre erste Bewährungsprobe bestanden.

Die Internationalität der neuen Sprache zeigt die Liste der anschließenden Weltkongresse : Genf, Cambridge, Dresden, Barcelona, Washington, Antwerpen, Krakau, Bern, fast immer mit steigender Teilnehmer- und Länderzahl. Den 10. Kongreß in Paris verhinderte der Ausbruch des Ersten Weltkriegs. Zamenhof war zu dieser Zeit gesundheitlich schon stark angeschlagen. Er stirbt 1917 in Warschau.

Zamenhofs Nachkommen und die Judenverfolgung in Polen
Die Zamenhofs hatten 3 Kinder. Adam war Augenarzt, er übernahm die Praxis seines Vaters zusammen mit seiner Frau Wanda, die auch Augenärztin war. Er war ein fähiger Augenchirurg, der als einer der ersten in Europa komplizierte Glaukomoperationen durchführte und auch wichtige Arbeiten über Augenheilkunde geschrieben hat. Sie hatten einen gemeinsamen Sohn, Ludwig. Die beiden Schwestern Sophia und Lydia waren nicht verheiratet, Sophia war ebenfalls Ärztin, und Lydia hatte Jura studiert. Alle drei Kinder Zamenhofs waren aktive Esperantisten.

Als 1939 Polen okkupiert wurde, wurde das Haus der Zamenhofs im Warschauer Getto völlig zerstört. Als Esperantisten und Juden waren die Zamenhof-Nachkommen besonders gefährdet. Adam wurde 1940 von der SS direkt vom Operationstisch weggeholt und auf einem Exekutierplatz in Warschau erschossen. Sophia, Wanda und der 14jährige Ludwig wurden im August 1942 aus dem Getto zum Verladebahnhof nach Treblinka gebracht. Sophia wurde in die Gaskammern nach Treblinka transportiert und – wie zwei Monate später auch ihre Schwester Lydia – ermordet. Wanda und ihrem Sohn Ludwig gelang auf dem Transport tatsächlich die Flucht. Sie können sich verstecken und Ludwig wird in einer christlichen polnischen Familie unter deren Namen aufgenommen und überlebt. Wanda kam 1954 bei einem Unfall ums Leben. Ludwig Zaleski-Zamenhof ging in die USA, wo er als erfolgreicher Ingenieur arbeitete und auch heute noch lebt.

II. L. L. Zamenhof - Weltethos anno 1887

Ausgabe eines Magazins in Esperanto

Es ist weitgehend unbekannt, daß Zamenhofs Sprachprojekt Esperanto nur ein Teil seiner humanitären Projekte gewesen ist. So wie die Internationale Sprache Esperanto zwischen den Sprachregionen der Welt vermitteln sollte, so sah Zamenhof, die Notwendigkeit einer Grundübereinkunft zwischen den verschiedenen Religionsgruppen vor sich. Für Zamenhof ging es zunächst um die Frage war, ob sich Juden in sich abschließen sollten oder ob sie zu einem offenen Zugang zur umgebenden Gesellschaft bereit waren. Zamenhofs Konzept strebte nach einem gereinigten Judentum, das schwer nachvollziehbare Rituale wie z. B. Speisegesetze, Kleiderordnung usw. aufgäbe, seine innerjüdische Essenz aber bewahren würde. Ein solches Judentum würde, so hoffte er, mit offenen Armen in den Kreis der Weltreligionen aufgenommen werden und damit die Judenfrage ein für allemal lösen. Er fand eine Basis in der Lehre des jüdischen Religionsgelehrten Hillel, der etwa von 70 vor bis 10 nach Christus lebte. Seine bekannteste Maxime ist allgemein bekannt:
„Was du nicht willst, das man dir tut, das füge keinem anderen zu.“
Hillel zählte zu den durchaus rationalen und progressiven Kräften des damaligen Judentums. Dies prädestinierte ihn zur Figur, mit der Zamenhof sein eigenes Konzept eines aufgeschlossenen Judentums in die Welt schicken wollte.

Zunächst betraf sein „Hillelismus“ nur die jüdischen Glaubensgenossen, denen er jene drei Prinzipien als Richtschnur gab:
1. Wir fühlen und anerkennen die Existenz der höchsten Macht (Kraft), die die Welt beherrscht und die wir Gott nennen.
2. Gott legte seine Gesetze in das Herz jeden Menschens in Gestalt des Gewissens. Gehorche deshalb immer der Stimme deines Gewissens, da dies die nie verstummende Stimme Gottes ist.
3. Das Wesen aller Gesetze, die Gott in das Herz pflanzte, manifestiert sich im Spruch: Liebe deinen Nächsten und handle im Umgang mit anderen so, wie du wolltest, daß sie mit dir umgehen. Begehe nie offen oder verborgen Taten, über die deine innere Stimme dir sagt, daß sie Gott mißfallen. Alle übrigen Lehren, die du von deinen Lehrern und Führern hörst und die sich nicht auf die drei Hauptpunkte beziehen, sind nur menschliche Kommentare, die wahr, aber auch falsch sein können. Und Zamenhof fügt hinzu: Unter Hillelismus verstehen wir keine neue Konfession, sondern nur eine neue gesellschaftlich-religiöse Organisation im Rahmen der schon lange existierenden jüdischen Religion. Dieser Religion kann sich mit gutem Gewissen jeder moralisch handelnde Mensch anschließen, wie auch immer seine religiösen Überzeugungen aussehen mögen, die er bis jetzt hatte.

Diese Grundeinstellung brachte ihn dazu, sein Projekt auf alle Religionen auszudehnen. Er gab ihm den Namen „Homaranismo“, nach homo –Mensch / aro – Gruppe / und ismus, in Deutsch etwa „Doktrin von der Zugehörigkeit zur Menschheit.“

Lange stand man ablehnend bis unverständig diesem Projekt gegenüber. Erst heute, bei einem Zeitbewußtsein, das (zumindest in unseren geographischen und gedanklichen Sphären) mehr das Einende als das Trennende zwischen Kulturen und Religionen sucht, finden Denker und Religionsführer zu einer offeneren Einstellung, für die sich Zamenhof geradezu als Vorläufer und Wegbereiter erweist, ein Mensch, der nicht nur träumte und redete, sondern zeitlebens ohne Subventionen, oft bekämpft von Politik und Ideologie, unter Einsatz aller eigenen materiellen, ideellen und gesundheitlichen Kräfte mit ausgearbeiteten Projekten die Integration der Menschheit zu fördern verstand.

Die konkrete Idee einer gleichberechtigten, neutralen, gemeinsamen übernationalen Sprache, die regionale Kulturen und Sprachen bewahren helfen würde, tangiert - abgesehen von Dummheit, Ignoranz und Überheblichkeit angeblicher Sachverständiger - so viele private, gesellschaftliche, kommerzielle und politische Sonderinteressen, daß sie es schwer haben wird, sich durchzusetzen, obwohl sie so naheliegend ist. Dies gilt noch verstärkt für die Zurückstellung der virtuellen Glaubenswahrheiten, auf die sich viele Religionen (noch) berufen. Allerdings sehen wir gerade hier konkretere Ansätze, die in Zamenhofs Richtung gehen. Küngs Weltethos, die Toleranz des Dalai Lama, die Treffen des Papstes mit Vertretern verschiedener Weltreligionen zeigen uns, daß Zamenhof seiner Zeit weit voraus war. Er wäre heute nicht der Rufer in der Wüste, sondern in guter Gesellschaft.

Zamenhof schuf für den ersten Esperanto-Kongreß ein Gedicht, das seine Ideale zusammenfasste. Die grüne Fahne bedeutet das Grün der Hoffnung, das auch zur Farbe des Esperanto geworden ist.

Gebet unter der grünen Fahne
1. Zu dir, du mächtiges, körperloses Geheimnis,
Kraft, die Erde beherrschend,
zu dir, große Quelle der Liebe und Wahrheit
und Quelle beständigen Lebens,
zu dir, den alle verschieden darstellen,
den aber alle auf gleiche Weise im Herzen fühlen,
zu dir der du schaffst, zu dir, der du herrschst,
beten wir heute.

5. Die grüne Fahne halten wir sehr hoch,
sie bedeutet das Gute und Schöne.
Die geheime Kraft der Erde wird uns segnen,
und wir werden unser Ziel erreichen.
Wir werden die Mauern zwischen den Völkern zerstören,
und sie sie werden dröhnen und lärmen
und fallen für immer, und Liebe und Wahrheit
wird auf der Erde herrschen.

6. Vereinen sollen sich die Brüder, die Hände sich umschlingen,
vorwärts mit friedlichen Waffen!
Christen, Juden und Mohammedaner
wir alle sind Kinder Gottes.
Wir wollen uns immer erinnern an das Gute der Menschheit,
und trotz Hindernissen ohne Halt und Stand
wollen wir beharrlich gehen zum brüderlichen Ziel
nach vorn, unaufhörlich.

 

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Der vollständige Vortrag mit Details, Hintergründen und einer Einführung in die Sprache
und die Anwendung des Esperanto kann bei den Autoren nachgefragt werden; Kontakt: Arbeitsstelle Frieden und Umwelt der Ev. Kirche der Pfalz, c/o Eberhard Dittus,
Große Himmelsgasse 3, 67346 Speyer, Fon: 06232-671517, Fax: 06232-671567,
email: dittus@frieden-umwelt-pfalz.de

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