Dr. Willy Katz ist am 15.06.1899 in Dahn geboren und am 21.08.1973 in New York/USA
gestorben. Er war verheiratet mit Maria (gerufen Mariele), geborene Sahner,
geb. am 20.10.1895 in Bildstock/Saar. Ihre Tochter Margaret ist am 01.09.1929
in Dahn geboren und lebt heute in New York. Dr. Katz war praktischer Arzt in
Dahn. Seine erste Praxis befand sich in dem kleinen Haus neben seinem Elternhaus
Kanalstraße 6. Später zog er in sein neuerbautes Haus Hauensteinerstraße
4, während der NS-Zeit Adolf-Hitlerstraße 30 (heute Dr. Klein). Hier
praktizierte er, bis 1934 das Berufsverbot der Nazis für jüdische
Ärzte erlassen wurde. Der Name Dr. Katz hat bei alten Dahnern heute noch
einen guten Klang. Viele erinnern sich, dass Dr. Katz nicht nur ein hervorragender
Arzt, sondern auch ein sehr großzügiger Mensch war. Er soll weniger
bemittelte Patienten nicht nur umsonst behandelt, sondern in Notfällen
noch die Rezeptgebühr bezahlt haben.
Nach seinem Aufenthalt im KZ Dachau, der ihn zutiefst erschüttert und für
immer geprägt hat, ist er im Januar 1939 über Frankreich in die USA
emigriert. Auch in New York, wo er wieder als Arzt tätig sein durfte, war
er bald als der gute Dr. Katz bekannt. Besonders bei den ärmeren Bevölkerungsschichten
genoss er großes Ansehen.
Auf dem Weg über Frankreich in die USA schrieb er im Februar 1939 von Weißenburg
aus einen mehrseitigen Brief in Maschinenschrift an seinen Bruder Eugen. Darin
schildert er ausführlich seine Eindrücke von der Reichspogromnacht
und seine schrecklichen Erlebnisse im KZ Dachau. Die folgenden Ausführungen
sind den ersten drei Seiten des Briefes entnommen.
Eigangstor zum KZ Dachau, Quelle: http://de.wikipedia.org
Wissembourg/Bas-Rhin, Febr. 39
Mein lieber Eugen!
Nach der Absendung der Karte, mit welcher ich Dir unsere glückliche Ankunft meldete, brauchte ich erst einige Zeit, bis ich mich zu einem ausführlichen Bericht aufraffen konnte. Man ist noch lange Zeit wie betäubt nach derartigen Erlebnissen und muß erst langsam wieder zu sich kommen. Aber nun haben wir ja, Gott sei Dank, alles hinter uns. Ich schreibe, wie es mir gerade einfällt, also etwas bunt durcheinander. Was Dachau betrifft, so werde ich mich heute auf einiges Wesentliche, besonders Charakteristische beschränken. Vielleicht entschließe ich mich, wenn ich in einigen Wochen mal mehr zur Ruhe gekommen bin, mal meine Memoiren aus der Zeit vom 10. (November) bis zum 5.Dezember schriftlich niederzulegen; dann bekommst Du einen Durchschlag davon.
Du warst kaum 8 Tage fort , hat ein Gangster von der Arbeitsfront in Pirmasens den Buick (PKW) beschlagnahmt; 3 Tage später kam er wieder und hat den Adler (PKW) geholt, obwohl der ordnungsgemäß an Frau Stritzinger (Hauck Anna) verkauft war für 1.300, -- Mk. (…) Den Buick habe ich mit vieler Mühe nach etwa 4 Wochen wieder frei bekommen, der Adler war bis zuletzt noch bei der Arbeitsfront; ein paar Tage vor unserem Weggang kam ein sehr verdächtiger „Bruder“ aus Pirmasens und hat mir den Adler für 350, -- Mk “abgekauft“. Wenn ich nicht hätte befürchten müssen, daß im Weigerungsfalle der Buick auch wieder geholt worden wäre, hätte ich natürlich lieber sein “Angebot“ abgelehnt, um wenigstens sagen zu können, daß die Arbeitsfront mir den Adler gestohlen hat. So habe ich auch das geschluckt.
Auf diese Weise waren wir also in der Septemberkrise (1938) ohne Auto und damit
ohne jede Möglichkeit, etwas wegzubringen oder selbst wegzugehen. Wir haben
denn auch die kritischen Tage in Dahn zugebracht, obwohl uns mehrmals von Gut-gesinnten
der Rat gegeben wurde, doch wegzugehen, da im Kriegsfall “alle Juden die
Hälse abgeschnitten kriegen“. Wir blieben trotzdem, weil wir uns
nirgendwo anders sicherer fühlen konnten und weil wir auch damals nicht
geneigt waren, solche Drohungen, die man ja vorher auch schon gehört hatte,
richtig ernst zu nehmen. (…)
Nach der Krise habe ich dann, wie Du aus meinen damaligen Briefen weißt,
die Auswanderung mit Nachdruck betrieben und ohne den 10. November wären
wir sicher noch vor Neujahr fortgekommen. (…)
Donnerstag, am 10. November, fuhren wir schon früh, gegen 5 Uhr, mit dem
Auto nach Stuttgart, mal wieder aufs Konsulat. (…) Schon morgens nach
6 Uhr, als wir nach Karlsruhe kamen, war die Luft recht dick, brennende Synagoge
etc. Das gleiche Bild in Stuttgart und Cannstatt, dort auch demolierte Fensterscheiben,
geplünderte Läden etc. Wie durch ein Wunder wurden wir während
des ganzen Tages nirgends angehalten und kamen gegen 6 Uhr nachm. wieder nach
Karlsruhe. Dort war allerhand Betrieb, Verhaftungen, Polizeiautos fuhren dauernd
durch die Stadt, Aufläufe, Pöbel, Tumult. Ich habe dann von Dietrich
aus nach Dahn telefoniert und von Tante Fanny erfahren, daß morgens jemand
“nach mir gefragt hätte“. Was war da zu tun? Ich hielt es für
aussichtslos, mich verborgen zu halten, wollte auch niemanden, zu dem ich etwa
hätten gehen können, der Gefahr aussetzen und so fuhren wir eben heim.
Wir kamen gegen 10 Uhr (abends) nach Dahn und fuhren zuerst mal unten am Geschäft
vorbei. Das war ein grausiger Anblick: Die Tür mit Äxten eingeschlagen,
in den Rollläden waren Löcher so groß wie Kuchenbleche, sämtliche
Scheiben in den Schaufenstern waren zertrümmert ebenso wie auch die meisten
Scheiben im Lager auf der Hofseite. Dazu allerhand Pack, z. gr. T. Arbeiter
von den Befestigungsfirmen die sich im Lager herumtrieben und mitnahmen, was
ihnen gerade in die Finger kam.
Bei uns dagegen war nichts passiert. Du kannst Dir aber vielleicht die Gefühle
vor-stellen, mit denen wir heimfuhren, darauf gefaßt, dort das gleiche
Bild anzutreffen. Wir waren glücklich, daß Mutter, Margretel, Tante
Fanny und Onkel Moritz wohlbe-halten waren, wenn sie auch wie ein Häuflein
Elend beisammen saßen.
Eine halbe Stunde später war ich verhaftet, wurde von Fuchs und einem Gestapo-Beamten
im Buick nach Pirmasens gebracht, dort gegen 12 Uhr nachts im Amtsgerichtsgefängnis
abgeliefert, schlief in einer Zelle auf einer Pritsche zusammen mit Eljes Max
von Erlenbach, der schon vorher eingeliefert war, blieb im Gefängnis bis
Freitag Abend; dann wurden wir in den Volksgarten gebracht, wo die Sammelstelle
für Pirmasens Stadt und Land war und wo sich bereits ca. 140 Leidensgefährten
be-fanden. Vor dem Abtransport mußte jeder ein Schriftstück unterschreiben,
wodurch er dem Kreiswirtschaftsberater Vollmacht für seinen gesamten Grund-
und Hausbesitz erteilte.
Dann ging es nachts in großen Omnibussen nach Ludwigshafen, wo für
die ganze Pfalz die Sammelstelle errichtet war, von der Sammelstelle aus in
einem schauerli-chen Zug durch Spalier von aufgeputschtem Großstadtpöbel,
hundsgemeinen Wei-bern, SA-und SS-Leuten mit Hund und Peitschen, die Fenster
und Balkone der Häuser, obwohl es mitten in der Nacht war, beleuchtet und
besetzt von einem sensationslüsternen Pack, in einem unvergesslichen Zug
also ging es zum Bahnhof Ludwigshafen, wo uns auf dem Bahnsteig eine SA-Kapelle
“begrüßte“: „Hast du nicht den kleinen Cohn gesehen“
etc. etc. Auf dem Bahnsteig Anrempelungen und Miss-handlungen durch SA und SS.
Dann in einem Sonderzug Abfahrt in unbekannter Richtung und als ich etwa 10
Stunden später, Samstag gegen Mittag, bei einem Auf-enthalt mal wieder
zum Fenster hinausschaute, sah ich das Bahnhofsschild Dachau - ein Anblick,
den ich nie vergessen werde. Vom Bahnhof Dachau Transport in Viehwagen, furchtbar
zusammengepfercht, nach dem Lager Dachau. Beim „Empfang“ dort mußte
jeder einzeln aus dem Waggon herunterspringen, unmenschliche Misshandlungen
durch die bewährte SS-Wachmannschaft des Lagers Dachau. Das erste „Essen“,
eine Hundeschüssel voll warmem Wasser gab es in Dachau Sonntag A-bend,
so daß ich 3 Tage lang von einem belegten Brötchen habe leben müssen;
ich hatte 2 mitgenommen, wovon ich eines im Gefängnis Eljes Max gab, als
es hieß, wir würden abends entlassen. Dann folgten fast 4 Wochen
Dachau mit allem, was dazu gehört. In einem Raum, so groß wie mein
früheres Sprech- und Wartezimmer, waren 200 Menschen zusammengepfercht;
schliefen auf dem Boden und jeder hatte eine Hand voll Stroh unter sich. Es
gab keine Unterwäsche, keine Kopfbedeckung, keine Handschuhe, nur eine
Hose und einen Kittel aus dünnem drellartigem Stoff; selbst-verständlich
keinen Mantel. In diesem hochsommerlichen Anzug, wie er vielleicht für
Palm-Beach recht zweckmäßig wäre, waren wir von morgens 5 bis
abends 7 im Freien; bei der größten Kälte (Dachau liegt fast
900 m hoch und es war oft bis 5 Grad unter Null), bei strömendem Regen
und in einem eisigen Wind, der auf diesem Hochplateau ganz unbarmherzig pfeift.
Mußten oft 2 und 3 Stunden auf dem Appellplatz auf einem Fleck stehen,
stillgestanden, mit Vorliebe dann, wenn das Wetter besonders schlimm war. Exerzieren,
was natürlich nur den Vorwand liefern sollte, zu besonders ausgesuchtem
Schikanieren. Dauerlauf bis zu einer Stunde, wobei mehr als einmal Leute, vor
allem ältere Männer, umfielen und nicht mehr aufstanden. Herz-schlag.
Auf Schritt und Tritt, aus dem geringsten Anlass und meist ohne jeden Anlass
gab es die unerhörtesten Misshandlungen, Ohrfeigen auf die blaurot gefrorenen
Backen bis zum Umfallen, Schläge mit allen möglichen sehr harten Gegenständen
ins Gesicht und wohin einer gerade traf, Tritte auf den Hintern und auf den
Bauch, kein Tag ohne Erschießungen. Jeder SS-Mann konnte einen Juden,
der ihm gerade über den Weg lief, über den Haufen schießen und
er war niemandem Rechenschaft schuldig. Die Leiche oder Urne mit der Asche wurde
den Angehörigen unter Nachnahme, ca.700,-- Mk, zugeschickt und der Fall
war erledigt. Allein von den Leuten aus meiner Stube wurden so 3 über den
Haufen geknallt, davon einer, den Du vielleicht kennst, Arthur Feibelmann aus
Landau. Leute, die krank wurden, Lungenentzündung, Blinddarmentzündung,
Nierenerkrankung etc. starben fast alle, ohne daß der “Arzt“
sie überhaupt nur angeschaut hätte. Selbstmorde gab es unter diesen
Umständen natürlich täglich mehrere; in meiner Stube bis zu meiner
Entlassung 4; davon kennst Du vielleicht einen, den Dr. Tuteur, einen Rechtsanwalt
aus Kaiserslautern. Ich übertreibe nicht, sondern stütze mich auf
zuverlässige Informationen und eigene Beobachtungen, wenn ich sage, daß
täglich mindestens 30 Leute auf natürliche oder gewaltsame Art ihr
Leben gelassen haben.
Das Essen war schlecht und gänzlich ungenügend, es war zum langsam
Verhungern. Die hygienischen Verhältnisse waren miserabel, die gesundheitlichen
nicht besser. Gesunde lagen neben Kranken, ansteckend Kranke, Lungenkranke wurden
mitten unter die anderen verteilt. Du wirst es also nicht übertrieben finden,
wenn ich sage, daß ich, wie wohl die allermeisten dort, mich darauf gefasst
machte, nicht mehr lebend aus dieser Hölle herauszukommen. Umso größer
war deshalb meine Freude, als mir am 5. Dezember plötzlich meine Entlassung
mitgeteilt wurde. Mariele war während meiner Abwesenheit dauernd im Trab,
sie lief von einer Behörde zur anderen und dann habe ich es sicher auch
sehr viel Herrn R. von der ZF-Stelle zu verdanken, der sich sehr loyal benommen
und viel mitgeholfen hat.
Ich kam also wieder heim, hatte etwa 20 Pfund abgenommen, sah aus wie ein alter
Mann und habe fast 2 Tage nur geschlafen.
Dann ging ich aber mit Macht an die Arbeit, weil ich entschlossen war, keine
Stunde länger als nötig mehr in Deutschland zu bleiben, immer in der
Angst, daß sich der 10. November wiederholen möchte. (…) Bei
meiner Verhaftung hatte ich die Kassette mit ca.10.000,-- Mk Inhalt dem Kommissar
übergeben, weil ich neue Ausschreitungen befürchtete und dachte, das
Geld sei so noch am sichersten aufgehoben. DU glaubst nicht, was ich für
Arbeit gehabt habe, bis ich von der Gestapo, wohin das Geld ge-kommen war, endlich
8.300,-- Mk zurückbekam. Mehr war einfach nicht in der Kassette gewesen
und damit basta.
An Reichsfluchtsteuer hatte Mutter 20.500.-- Mk und an Vermögensabgabe
(Grynzspanabgabe) 14.800,-- Mk zu bezahlen. Ich hatte 14.400,-- Mk (Reichsfluchtsteuer)
und 10.600, -- Mk (Grynzspanabgabe) zu zahlen (…).
Dank der Mithilfe des Herrn R. und der ebenfalls loyalen Einstellung von Dr.
Sch. wurden nämlich die vor dem 10. November uns erteilten Genehmigungen
nicht zurückgezogen. Also hatte ich außer den 11.000,-- Mk für
Neuanschaffungen auch noch 11.000,-- Mk als Golddiskontabgabe zu bezahlen. (…)
Schließlich ist mir auch das gelungen, wenn auch nicht leicht! Mein Hausverkauf
wurde trotz der Quertreibereien von Dr. Eisenbarth und Konsorten doch noch genehmigt,
so daß ich über die 25 000,-- Mk verfügen, d.h. das Geld für
Reichs-fluchtsteuer und Grynzspanabgabe hinlegen konnte. Dem Finanzamt habe
ich für Mutters Verpflichtungen das Geschäftshaus mit 10.000,-- Mk
(Einheitswert) als Sicherheit gegeben, was mir durch das Entgegenkommen des
neuen Amtsvorstandes trotz der Fuß’chen Stänkereien möglich
war. Auf diese Weise behielt ich diese 10.000,--Mk für andere Zahlungen
verfügbar. Bei einem Verkauf des Hauses wäre auch höchstens der
Einheitswert erzielt worden, d.h. genehmigt worden und auf die Genehmigung hätte
ich noch 1/4 Jahr warten können. Ich habe eben, um das Problem zu lösen,
buchstäblich den letzten Pfennig zusammenkratzen müssen und dann kam
mir noch zu Hilfe, daß ich an einen Rechtskonsulenten aus Kaiserslautern
durch Vermittlung von RA Walter 9.000,-- Mk Ausstände (gute und weniger
gut) für 4.000,-- Mk verkaufen konnte. Der Käufer war großzügig,
verzichtete auf die Genehmigung der Devisenstelle und zahlte mir 3 Tage vor
unserem Weggang das Geld bar aus, so daß es gerade noch für verschiedene
Zahlungen reichte. So war uns geholfen und auch dem RA Walter, der sich jetzt
mit den 9.000,-- Mk Ausständen im Auftrag des Käufers weiter verlustieren
kann. (…)
Also, die Rechnung ging haarscharf auf. Bei uns war am Schlusse alles fort bis
auf 27,-- Mk, die Babett und Groß als Trinkgeld bekamen.
Quelle: Brief von Dr. Willy Katz an seinen Bruder Eugen, Wissembourg Februar 1939. Der Brief ist im Besitz von Maria Katz, New York/USA.
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zur Reichspogromnacht.
Am 15.12.2008
ist als Broschüre DIN-A4, Farbumschlag, 80 Seiten erschienen: "Es
geschah vor 70 Jahren - die Reichspogromnacht in Dahn -" Euro 12,50. Mehr
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