Bereschit: Im Anfang
Schöpfung und Sündenfall
(1 Mose 2+3)
Eine Auslegung im christlich-jüdischen Kontext
von Stefan Meißner
Adam und Eva erkennen,
dass sie nackt sind
Chapelle St. Gabriel bei Arles
Der erste Bericht an zweiter Stelle
Die zweite Schöpfungsgeschichte ist eigentlich die erste, denn sie
ist früher entstanden als Kapitel 1. Man vermutet zur Zeit von König
Salomo, also im 10. Jhd. v.Chr. Der unterschiedliche geografische Kontext,
in dem die Geschichten entstanden sind, zeigt sich an der Bedeutung des
Wassers: Im ersten Bericht ist das Wasser von Anfang an da. Leben kann
erst entstehen, wenn es sich zurückzieht und dem Land Platz macht.
So muss man sich die Landwirtschaft im Zweistromland zwischen Euphrat
und Tigris vorstellen, wohin die israelitische Oberschicht von den Babyloniern
587v.Chr. deportiert wurde. Wasser gibt es dort zumindest im Frühjahr
eher zu viel als zu wenig. Das ist im zweiten Schöpfungsbericht anders:
Hier muss es Gott erst regnen lassen, bevor etwas wachsen kann. Hier spiegeln
sich die Verhältnisse im regenarmen Palästina, wo diese Geschichte
entstand. Warum sah man es eigentlich als notwendig an, dem ersten einen
zweiten Bericht an die Seite zu stellen - oder sagen wir es drastischer:
vor die Nase zu setzen? Sah man es vielleicht als Manko an, dass sich
hier fast alles um den Menschen und seine Angelegenheiten dreht. Vielleicht
sah man es auch in späterer Zeit als peinlich an, dass das Bild Gottes
hier noch völlig anthropomorph [wörtl.: menschenförmig]
ist: Gott bastelt an seiner Schöpfung im Stile eines Töpfers
herum, während er in 1 Mose 1 seine Pläne etwas eleganter durch
sein gebietendes Wort in die Tat umsetzt. Jedenfalls sah man Ergänzungsbedarf
und setzte die neuere Geschichte, damit sie auch ja niemand übersieht,
der älteren vor die Nase.
Der Gottesname
Den Auslegern ist schon früh aufgefallen, dass Gott ab 1 Mose 2,4
„Adonaij Elohim“ genannt wird. Er hat nun auch einen Namen,
J-H-W-H, wird nicht einfach nur „Elohim“ = Gott genannt. Das
berühmte Tetragrammaton aus den vier Buchstaben ist eigentlich nicht
übersetzbar, auch wenn es 2. Mose 3 vom Verb „Sein“ herleitet:
„Ich bin, der ich bin“. Wer einen Namen hat, den kann ich
persönlich ansprechen. Er tritt so aus der Anonymität irgendeiner
Gottheit heraus und wird so für die Gläubigen zum „Du“,
zum Gegenüber. Falls man den Gottesnamen überhaupt je laut ausgesprochen
hat, dann vermutlich: „Jahwe“. So jedenfalls können wir
das aus den Texten früher Kirchenväter noch rekonstruieren,
die die Transkription „Jaoue“ oder „Jabä“
überliefern. Aber klar ist, dass man schon sehr früh die Aussprache
komplett vermieden hat. Nur der Hohepriester durfte den Namen einmal im
Jahr noch aussprechen, am großen Versöhnungstag.
Das war eine Frage des Respekts vor dem Höchsten, dass man „den
Namen Gottes nicht missbraucht“ (2. Mose 20,7). Stattdessen las
die jüdische Gemeinde, wo immer das Tetragramm im Urtext stand „Adonaij“,
zu Deutsch: „mein Herr“. Damit das auch der letzte versteht,
setzten die Masoreten, jüdische Schriftgelehrte des Mittelalters,
bei der Vokalisierung des Tetragramms die Vokale von Adonaij unter die
vier Konsonanten. Diesen „Wink mit dem Zaunpfahl“ verstand
auch der Reformator Martin Luther bei seiner Bibelübersetzung. Andere
zogen in Unkenntnis der Hintergründe die Konsonanten des einen mit
den Vokalen des anderen Wortes zusammen und heraus kam das Kunstgebilde
„Jehova“.
Ein Gott mit zwei Gesichtern
Die hist.-kritische Forschung am Pentateuch [den fünf Büchern
Mose] hat die Tatsache, dass manche Texte konsequent von Jahwe, andere
aber von Elohim sprechen als ein Indiz angesehen, dass beide Überlieferungen
unterschiedlichen literarischen Quellen zuzuordnen sind. Diese Quellenscheidung
ist heute in die Krise gekommen, die Zuordnungen im Einzelnen sind kaum
noch konsensfähig. Einig scheint man sich nur noch zu sein, dass
der Pentateuch wie die ganze Bibel aus vielen Bearbeitungsschichten besteht.
Die jüdische Auslegung hat dem Nebeneinader von Jahwe und Elohim
eine andere Deutung gegeben: Sie sah im Tetragramm den Gott, dem man persönlich
begegnen kann, den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. In Elohim sah man
hingegen das anonyme Göttliche. Während letzterer eine Gottheit
ist, die per Vernunft zugänglich ist, ist ersterer eine Herzensangelegenheit.
Wir kennen diesen Kontrast aus Pascals „Memorial“, indem dieser
Zeugnis ablegte über eine Art Bekehrungserlebnis. Schlagartig wandte
er sich ab vom abstrakten „Gott der Philosophen“ und verehrte
an seiner Stelle forthin den Gott der Bibel. So weit wollte die rabbinische
Auslegung mit der Differenzierung der Gottesnamen nicht gehen. Für
sie ging es nie um eine Alternative, sondern nur um „zwei Gesichter“
(middot) des einen Gottes. Freilich schlug auch ihr Herz für den
nahen, den gnädigen Gott - auch wenn antijüdische Klischees
immer das Gegenteil unterstellt haben.
Der Mensch (Adam)
Noch einmal wird in 1 Mos 2,7 die Erschaffung des Menschen erzählt.
War von ihm nicht schon einmal in Kapitel 1 die Rede? Es fehlt nicht an
Erklärungsversuchen für die scheinbare Wiederholung. Der jüdische
Philosoph Philo von Alexandrien (1. Jhd.n.Chr.) etwa zog die platonische
Unterscheidung zwischen idealem Urbild und konkretem Abbild heran: In
1 Mose 1 habe Gott nur den Plan vom Menschen erschaffen, erst später
diesen dann in die Tat umgesetzt. Eine andere Erklärung stammt aus
einem Midrasch (BerRabba 8,1ff.): Gott habe in 1 Mose 1 zuerst ein androgynes
Wesen („als Mann und Frau schuf er sie“) erschaffen, jetzt
in Kapitel 2 werde dieses aufgespalten in zwei Geschlechter: Adam und
Eva. Dabei heißt das hebräische Wort „Adam“, das
uns als männlicher Vornamen geläufig ist, zunächst einmal
„Mensch“ - und so wird es ja auch in 2,7 dann übersetzt:
„Da machte Gott der HERR den Menschen (adam) aus Erde (adamah) vom
Acker.“ Ein Wortspiel, das man in der deutschen Übersetzung
gar nicht mitbekommt. Der Mensch ist ein „Erdling“, weil er
aus Erde besteht. Dass er zu dieser auch wieder zurückkehrt nach
seinem Tod (3,19), erfährt er erst später, nach dem Sündenfall
(3,19).
Odem und Lebenskraft
Aber der Mensch besteht nicht nur aus Materie, sondern ist zugleich ein
Geistwesen: Gott „blies ihm den Odem des Lebens (ruach) in seinen
Nase. Das leicht angestaubte Wort „Odem“ bedeutet eigentlich
„Wind, Sturm oder Atem“. Klingt plausibel: Wer dauerhaft nicht
mehr atmet, ist tot. Das jedenfalls war so vor Einführung der modernen
Intensivmedizin. Nach Abschluss der göttlichen Mund-zu-Nase-Beatmung
hält die Bibel als Ergebnis fest: „Und so ward der Mensch ein
lebendiges Wesen“ (näfäsch chajah). Die alte Lutherübersetzung
(1912) sprach noch von einer „lebendigen Seele“. Doch man
sollte den hebräischen Begriff nicht mit dualistischen Denkmustern
aus der griechischen Philosophie befrachten. „Näfäsch“
(755mal in der Hebräischen Bibel) bezeichnet nicht etwa eine unsterbliche
Seele im Unterschied zu einem Leib aus Materie. Das Wort steht vielmehr
für die Lebensmächtigkeit, Lebendigkeit bzw. Lebenskraft des
Menschen. Als Sitz dieser Kraft, über die übrigens auch Tiere
verfügen, nahm man das Blut an. Auch das klingt nachvollziehbar:
Wessen Blut vergossen wird, der stirbt.
Der Garten
Der Garten Eden weckt Sehnsüchte, ist er doch nicht nur „verlockend
anzusehen“ (2,9), sondern man kann offensichtlich auch ganz gut
von seinen Früchten leben. Vorausgesetzt der Mensch macht sich die
Mühe, den Garten zu „bebauen und [zu] bewahren“ (2,16).
Anders als die alten Griechen, die der Muße frönten, kann sich
der palästinische Ackerbauer kein Leben ohne körperliche Arbeit
vorstellen - nicht einmal im Paradies. Das Bebauen und Bewahren klingt
wesentlich „nachhaltiger“ als das „Untertan machen“
(1,28) aus dem ersten Schöpfungsbericht (Einheitsübersetzung:
„unterwerft sie euch“). Dieses „unter die Füße
bringen“ (so wörtlich das hebr. Verb) kann leicht als ein rücksichtsloses
Niedertrampeln missverstanden werden. Es meint aber wahrscheinlich nur
den Akt, mit dem Menschen in einer vorliterarischen Gesellschaft, in der
es noch keine Verträge gab, den Besitz von Kulturland übereigneten:
Gemeinsam schritt man die Grenzen des Grundstücks ab, um die es ging.
Mit dem „Bebauen und Bewahren“ nun wird der Mensch vom Natur-
zum Kulturwesen: er wird zum treuhänderischen Verwalter der ihm von
Gott anvertrauten Erde. In dieser Mitarbeit des Menschen mit Gott („cooperatio
hominis cum Deo“) wurzelt unsere Verantwortung für die Schöpfung.
Westfasade der Kathedrale Notre Dame in Paris (linkes
Portal)
Der Baum der Erkenntnis
Von allen Bäumen dürfen die Menschen essen, von einem jedoch
nicht: vom Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen. Fast alle Darstellungen
der bildenden Kunst stellen diesen Baum als Apfelbaum dar, doch im Bibeltext
fehlt darauf jeder Hinweis. Vermutlich spielte hier eine Rolle, dass die
lateinischen Begriffe für den Apfel (malus) und das Böse (malum)
so nahe beieinander liegen. Ob es jetzt ein Apfelbaum war oder doch eher,
wie Raschi vermutet, ein Feigenbaum, seine Frucht hat es in sich: „Denn
an dem Tage, da du von ihm isst,“ so warnt der Schöpfer den
Menschen, „musst du des Todes sterben“ (2,17). Hier drängt
sich die Frage auf, was eigentlich so schlimm daran ist, wenn der Mensch
weiß, was gut und böse ist? Ist diese Erkenntnis nicht sogar
die Voraussetzung dafür, dass er sich moralisch verhält? Die
Schlange lockt das Weib damit, dass das Essen von der verbotenen Frucht
den Menschen die Augen öffnen wird. Das Wissen um Gut und Böse
wird sie Gott gleich machen (3,5), verspricht sie. Ist es diese Hybris
der Menschen, sich auf eine Stufe mit Gott zu stellen, die den Schöpfer
so wütend macht? Das ist zumindest nicht die ganze Wahrheit.
Der Sündenfall: ein Glücksfall?
Nach dem Fall zeigt sich sehr schnell, dass die Schlange Recht hatte:
Den Menschen „wurden die Augen aufgetan“ (3,7) - allerdings
ein wenig anders als sie anfangs wohl dachten: „Sie wurden gewahr,
dass sie nackt waren und flochten Feigenblätter zusammen und machten
sich Schurze“ (ebd.). Das Wissen um Gut und Böse führt
also erst einmal dazu, dass der Mensch sich seiner Geschlechtlichkeit
schämt. Er verliert durch den Genuss der verbotenen Frucht das, was
der Systematische Theologe Paul Tillich „träumende Unschuld“
nannte. Das hätte uns Gott gerne erspart, dass uns etwas völlig
Natürliches plötzlich so peinlich berührt, dass wir uns
fürchten (2,10). Das Wissen um Gut und Böse - das lernen wir
an dieser Stelle - ist ein hohes Gut, aber eben auch eine Last. Es bürdet
uns Menschen eine Verantwortung auf, die so sonst kein anderes Geschöpf
tragen muss. Andererseits besteht erst jetzt durch die eigene moralische
Entscheidung die Chance, Freiheit zu realisieren. So gesehen beleuchtet
der Sündenfall die faszinierende Dialektik, dass wir uns nur da finden
können, wo wir uns der Gefahr aussetzen, uns selbst zu verfehlen.
Schon dem mittelalterlichen jüdischen Gelehrten Maimonides war aufgefallen,
dass die Strafe für den Ungehorsam des Menschen „darin bestand,
dass ihm eine Vollkommenheit verliehen wurde, die er vorher nicht besaß“
(Führer der Verirrten, Kap.2).
Eine Welt der Schuldverschiebung
Die Warnung Gottes nutzte nichts. Die beiden Menschen kosten von der verbotenen
Frucht, verlieren so ihre Unschuld, auch wenn sie gleichzeitig dabei ihre
Freiheit entdecken. Die Folgen des Falls zeigen sich sogleich im sozialen
Umgang miteinander. Als Gott bei seinem Abendspaziergang im Garten Eden
den sich nun wegen seiner Nacktheit verbergenden Adam zur Rede stellt,
verteidigt dieser seine Tat damit, dass er seine Frau belastet: „Das
Weib, das du mir zugesellt hast, gab mir von dem Baum, und ich aß“
(2,12). Da schiebt einer seine Verantwortung gleich in zweifacher Hinsicht
ab: Die Frau gab mir die Frucht - und du, lieber Gott gabst mir die Frau.
Ich selbst bin damit aus dem Schneider. Ganz ähnlich schiebt die
Frau ihre Schuld auf die Schlange ab, die sie angeblich ‚betrog‘
(2,13) - ein Vorwurf, der ein wenig ungerecht ist, denn sie versprach
ja nichts, was nicht auch eintrat. Diese Kette von Schuldverschiebungen
ist typisch für die postlapsale Welt [= Welt ‚nach‘ dem
Fall]: Jeder Mensch projiziert die eigenen Schwächen auf Dritte,
um sie nur ja bei sich selbst nicht bekämpfen zu müssen. Der
Anschein einer makellosen Fassade ist wichtiger als die eigentlich notwendige
Selbstkorrektur (theologisch gesprochen: als Umkehr und Buße).
Jenseits von Eden
Die Schlange hatte in mehr als nur einer Hinsicht Recht: „Ihr werdet
keineswegs des Todes sterben“ (3,4). Entgegen der Drohung Gottes
überleben die beiden Sünder ihre Tat. Der Tod ist offensichtlich
nicht „der Sünde Sold“, wie Paulus später in Röm
6,23 behauptet. Hat Gott hier Gnade vor Recht ergehen lassen, wie manche
Ausleger vermuten? Plausibler erscheint mir, dass die Sterblichkeit schon
immer zur natürlichen Bestimmung des Menschen hinzu gehörte.
Wie anders erklärt sich sonst die Angst Gottes, der Mensch könne
nach seinem ersten Frevel nun auch noch vom Baum des Lebens essen und
so ewig leben (3,22)? Um das zu verhindern, wirft Gott den Menschen aus
dem Paradies, hinein in ein Leben voller Beschwernisse und Gefahren: Die
Schlange kriecht fortan auf dem Bauch, der Mann muss im Schweiße
seines Angesichts sein Brot verdienen, die Frau aber wird nun wirklich
(jetzt erst!) ihrem Mann unterstellt. Kinder gebärt sie nur unter
schlimmen Schmerzen. Seitdem heißt die Frau Eva, übersetzt:
„die Leben schenkt“. Dieses Leben ist nun freilich eines „jenseits
von Eden“.
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