Ein Rückblick auf überraschende 25 Jahre
Ein
frohes Wiedersehen nach einem Jahr ist es stets, wenn sich im Januar in
Berlin etwa 35 Delegierte der „Konferenz Landeskirchlicher Arbeitskreise
Christen und Juden“ (KLAK) zur jährlichen Delegiertenversammlung
zusammenfinden. Es ist die Freude des Wiedersehens, aber auch die Vorfreude
auf Tage des Beratens, der inhaltlichen Diskussion und nicht zuletzt auch
einer guten Gemeinschaft. Aus unterschiedlichen Landeskirchen kommen sie,
verschiedene theologische Ansätze zum Verhältnis von Christen
und Juden bringen sie mit, die Beziehung zu Israel prägt sie alle,
wenn auch oft sehr unterschiedlich – und gerade in dieser Vielfalt
versammeln sie sich zu einer guten Gemeinschaft, die auch bei kontroversen
Themen bestand hat. Seit 25 Jahren geschieht dies, begonnen aus kleinen
Anfängen bis hin zu einer flächendeckenden Organisation.
Der Rückblick auf diese Jahre erfüllt mich als früherem
Vorsitzenden mit Dankbarkeit für all die Menschen, die sich im Laufe
der Jahre hier zusammengefunden haben. Heute bin ich froh, dass im Jahr
2000 mit Ricklef Münnich die Leitung der KLAK in jüngere Hände
gelegt werden konnte und dass er gemeinsam mit dem Vorstand die KLAK weiterhin
auf einem guten Weg voran bringt.
Der Anfang
Am Anfang, im Jahr 1978, stand eigentlich nur eine kleine Anfrage, die
an alle Landeskirchen der EKD in der Bundesrepublik ging. Gefragt wurde
danach, ob es in ihrer Landeskirche einen Arbeitskreis oder eine Studiengruppe
gebe, die sich mit Fragen der Begegnung von Christen und Juden befassen.
Und wenn es keine Arbeitsgruppe gebe, ob es vielleicht einen oder eine
Beauftragte/n für diesen Themenbereich gebe. Mir schien es sinnvoll
zu sein, die vielen verschiedenen Initiativen im christlich-jüdischen
Gespräch einmal zusammenzuführen und unterschiedliche Ziele,
Aufgaben und theologische Positionen kennen zu lernen. Es war die Zeit,
in der die Lager „Mission“ und „Dialog“ sich ziemlich
unversöhnlich gegenüber standen, auch wenn in der ersten Studie
„Christen und Juden“ der EKD diese Frage geschickt offen gehalten
worden war. Bei der Anfrage an die Landeskirchen wurde aber bewusst auf
keine bestimmte theologische Position Bezug genommen, da bei allen Unterschieden
das Bewusstsein einer engen christlichen Verbundenheit mit dem Judentum
die einte, die an der Begegnung mit dem Judentum innerhalb der Landeskirchen
interessiert waren. Dennoch waren bei der Gründungsversammlung der
KLAK, von der im Vorfeld gar nicht so sicher war, ob es sich überhaupt
um eine „Gründungsversammlung“ handeln werde, nicht alle
an der Begegnung mit Juden arbeitenden Gruppierungen vertreten.
Manchmal bedürfen wohl wichtige Prozesse auch des Umweges. Denn
obwohl alle Landeskirchen eingeladen waren, fehlten beim ersten Treffen
im Frühjahr 1978 in der Ev. Akademie Arnoldshain vor allem die schon
sehr gut organisierten Gruppen aus dem Bereich der VELKD. Aus der Sicht
der VELKD war die Begründung für das Fernbleiben wohl durchaus
verständlich, man habe schon eigene Koordinationsebenen und brauche
keine weitere mehr – und was einmal aus der KLAK werden würde,
konnte man damals ja nicht wissen. Erst Jahre später sollte es dann
Schritte der Annäherung und schließlich der Gemeinsamkeit geben.
Im Gründungsjahr führte das aber dazu, dass diejenigen, die
sich in Arnoldshain trafen, sich weitgehend dem „Dialog-Lager“
zugehörig fühlten und damit auch erste theologische Weichen
für die zukünftige Arbeit des neuen Koordinationsgremiums gestellt
wurden.
In der Gründungsversammlung waren neben dem Vertreter der einladenden
Landeskirche in Hessen und Nassau folgende Landeskirchen vertreten: Die
Evangelische Landeskirche in Baden, die Evangelische Kirche in Berlin-Brandenburg
(Berlin-West), die Bremische Evangelische Kirche, die Nordelbische Evangelisch-Lutherische
Kirche, die Evangelisch-lutherische Kirche in Oldenburg, die Evangelische
Kirche im Rheinland, die Evangelische Landeskirche in Württemberg
Sie alle kamen erst einmal zu einem informellen Gedankenaustausch zusammen.
Zum Zeitpunkt des ersten Treffens wusste noch niemand, was daraus werden
würde. Tatsächlich war zunächst nur zu einem Info-Treff
eingeladen worden ohne eine weiterführende Perspektive zu benennen.
So stand auch erst am Ende des Treffens die Frage im Raum, wie es nun
weitergehen sollte.
Bis dahin erzählte man sich von eigenen Initiativen, von Schwerpunkten
der Arbeit, von theologischen Positionen. Teilweise waren Studien- und
Arbeitskreise erst im Entstehen begriffen, teilweise schauten sie schon
auf eine jahrelange Arbeit zurück. In den unterschiedlichen Namen
der Arbeitskreise kamen auch Positionen zum Ausdruck. Der „Arbeitskreise
Kirche und Israel in Hessen und Nassau“ beispielsweise hatte sich
schon in den sechziger Jahren umbenannt: Aus „Dienst an Israel“
war „Kirche und Israel“ geworden. Genauso hieß auch
der Studienkreis in Baden. Andere Gruppen bevorzugten den Namen „Christen
und Juden“ und in der Zukunft sollten noch viele unterschiedliche
Bezeichnungen hinzukommen.
Irgendwann aber stand dann unabweisbar die Frage im Raum, ob das nun
ein einmaliges Treffen gewesen sein sollte oder ob es irgendwie weitergehen
werde. Einerseits wollte man nicht eine völlig neue Gruppe bilden,
die etwa einer bestimmten theologischen Richtung zuzurechnen war. Dazu
waren auch unter den Anwesenden zu viele unterschiedliche Positionen vertreten.
Andererseits erschien ein organisierter Gedankenaustausch zwischen den
Gruppen wünschenswert, da außerhalb der VELKD eben bislang
keine organisatorische Verknüpfung bestand.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einigten sich auf einen losen Zusammenschluss
der Arbeitkreise oder auch der einzelnen Beauftragten der Landeskirchen.
Schnell war auch der Name gefunden: „Konferenz Landeskirchlicher
Arbeitskreise Christen und Juden“ später fügte man noch
an: „im Bereich der EKD“. Und ganz schnell war dann auch die
Abkürzung KLAK gefunden, obwohl die ja gerade nicht das eigentliche
Thema Bereiche benennt, nämlich „Christen und Juden“.
Es gab in der Folgezeit dann auch manche ironische Abwandlungen der Abkürzung,
man könnte ja auch einen Buchstaben weglassen...., oder statt „Juden
und Christen“ „Kraut und Rüben“ sagen. Der Fantasie
waren keine Grenzen gesetzt. Und schließlich wusste zu diesem Zeitpunkt
noch niemand, was eines Tages aus dieser Neugründung werden würde.
Um der Eigenständigkeit der einzelnen Gruppen der KLAK eine stärkere
Betonung zu geben, wurde auch nicht ein Vorsitzender oder ein Vorstand
gewählt, sondern ein „Koordinator“. Die KLAK selber hatte
also außer durch ihre Mitgliedsgruppen keine eigenständige
Stimme. Das hat sich erst in der weiteren Entwicklung geändert, als
die KLAK gewachsen war, ihre Stimme auch zentral zu erheben hatte und
schließlich aus dem Koordinator einen Vorsitzenden gemacht und ihm
einen Vorstand an die Seite gestellt wurde. Das aber kam erst einige Jahre
später.
Zunächst ging es also nur um die Koordination der verschiedenen
landeskirchlichen Initiativen. Man trug damit einer Tatsache Rechnung,
die in abgeschwächter Form auch heute noch Teil der KLAK-Wirklichkeit
ist. Die Strukturen in den einzelnen Landeskirchlichen Arbeitskreise sind
sehr unterschiedlich. Sie reichen von weitgehend selbständigen Arbeitskreisen,
über berufene Ausschüsse und synodale Gremien bis hin zu landeskirchlichen
Beauftragten für den christlich-jüdischen Dialog bei kleineren
Landeskirchen oder – bei großen Landeskirchen – dann
oft auch neben den bestehenden Arbeitskreisen.
Verabredet wurde ein jährliches Treffen von Gruppenvertreter/innen
zur Information und Koordination der verschiedenen Gruppen.
Erste
Schritte
Das zweite Treffen fand 1979 auch im Bereich der hessen-nassauischen Landeskirche
im Religionspädagogischen Zentrum in Schönberg/Taunus statt.
Unerwartet erhielt dieses Treffen einen von außen gegebenen thematischen
Schwerpunkt. Das Treffen fiel in die Zeit, in der in Deutschland der vierteilige
Film „Holocaust“ im Fernsehen gezeigt wurde. Schon ein Jahr
zuvor war auf der Gründungsversammlung der KLAK über dieses
Projekt gesprochen worden. Eher in der Überzeugung vereint, dass
eine Hollywood-Produktion das unermessliche Leid der Vernichtungslager
nicht sachgemäß wiedergeben konnte, also entsprechend kritisch,
versammelte sich die Gruppe, um die erste (und später noch die zweite)
Folge dieser Serie anzuschauen und erlebte, wie jede/r Einzelne immer
mehr in den Bann dieses Filmes gezogen wurde, der durch seine Bindung
an ein durchgehendes Schicksal einer Familie das Grauen der Zeit den Zuschauer/innen
nahe brachte. Der Film ging unter die Haut und die Mitglieder der KLAK
erlebten, wie ihre eigenen im Vorfeld der Ausstrahlung geäußerten
Vor-Urteile korrigiert werden mussten.
In der Folge der Ausstrahlung dieses Filmes wurde dann in allen Landeskirchen
deutlich, dass dieser Film gerade unter jungen Menschen einen tiefen Eindruck
hinterlassen hatte. Nach längerer Zeit des Desinteresses an den Fragen
der Judenvernichtung fragten verbunden mit den Gedenkfeiern zum vierzigsten
Jahrestag der sog. „Kristallnacht“ im November 1978 nun viele
junge Menschen nach Informationen und interessierten sich für die
Begegnung mit Jüdinnen und Juden. Diesem gesteigerten Informationsbedürfnis
galt es Rechnung zu tragen. Es wurde nach didaktischem Material gefragt
für Schule und Gemeindearbeit. Diese Aufgabe zu übernehmen fiel
dann wieder in die Verantwortung der einzelnen landeskirchlichen Arbeitskreise.
Berichtet wurde auf dieser Tagung, dass man in der Synode der „Evangelischen
Kirche im Rheinland“ an einem Proponendum „Christen und Juden“
arbeite, das aufbauend auf der EKD-Studie „Christen und Juden“
von 1975 eine Verhältnisbestimmung von Christen und Juden für
eine Landeskirche zu beschreiben suche. Der für die rheinische Kirche
typische Beratungsprozess durch Gemeinden und Dekanate sei in vollem Gang
und führe zu einer starken Intensivierung des christlich-jüdischen
Dialoges, da in den synodalen Ausschuss auch Jüdinnen und Juden berufen
worden seien.
Diese Thematik sollte dann das nächste KLAK-Treffen bestimmen. Im
Jahr 1980 tagte die KLAK in der württembergischen Fortbildungsstätte
Kloster Denkendorf. Der Vertreter der rheinischen Kirche, Helmut Starck,
konnte nicht pünktlich zu Beginn der Tagung kommen, da die rheinische
Synode noch tagte. Als er aber kam, war es um die Tagesordnung der KLAK
geschehen. Er stürmte in den Raum hinein – so stelle ich mir
jemanden vor, der „voll des heiligen Geistes“ ist –
und war so angefüllt von den Erfahrungen der Synode, die das Proponendum
beschlossen hatte und die wegweisende Erklärung „Zur Erneuerung
des Verhältnisses von Christen und Juden“ beschlossen hatte,
dass er sofort mit seinem Bericht beginnen musste. Die Mitglieder der
KLAK wurden durch den Bericht von der Synode Zeugen dieses aufregenden
Prozesses, der theologisch tief eingriff in bisherige christliche Lehre
und Verkündigung. Die Erklärung hatte auch noch einmal die Frage
der Judenmission aufgenommen. Ob die Formulierungen tatsächlich klar
Judenmission ablehnten, sei einmal dahingestellt. Auf jeden Fall wurden
sie in diesem Sinne gelesen und führten folgerichtig zu heftigen
Debatten, zu Stellungnahmen von Wissenschaftlern, zu Gegenerklärungen
ausgewiesener evangelikaler Judenmissionare und wohl auch zu manchen Missverständnissen.
Für die in Denkendorf versammelten Mitglieder der KLAK stellte diese
Erklärung einen Meilenstein im christlich-jüdischen Dialog dar,
der die einzelnen Mitglieder ermutigte, entsprechende Erklärungen
in ihren Landeskirchen anzuregen. Ungefähr zwanzig Jahre sollte es
dauern, bis die Mehrheit der Gliedkirchen der EKD entsprechende Erklärungen
verfasst hatten.
Der Ost-West-Kontakt
Aber auf dieser Tagung in Denkendorf wurde auch noch eine andere Frage
aufgeworfen. Rudolf Maurer, der durch Aktion Sühnezeichen / Friedensdienste
über gute Kontakte in die DDR verfügte, berichtete von landeskirchlichen
Initiativen und Gruppen im Bereich des Bundes der Evangelischen Kirchen
in der DDR, die ein großes Interesse an Kontakten zur KLAK hätten.
Es wurde beschlossen, dass im Lauf des Jahres 1980 erste Kontakte hergestellt
werden sollten. An Fronleichnam machten sich Rudolf Maurer, Hartmut Metzger
und Ulrich Schwemer auf den Weg nach Berlin und trafen erstmals in den
folgenden Tagen mit einigen Vertreter/innen des christlich-jüdischen
Gesprächs in der DDR zusammen, die Stefan Schreiner, heute Professor
in Tübingen, zusammengerufen hatte. Man traf sich in den Räumen
von Aktion Sühnezeichen in der Auguststraße zu einem ersten
Gedankenaustausch und beschloss für Januar 1981 die KLAK-Konferenz
nach Berlin zu verlegen und einen zusätzlichen Tag für eine
Begegnung in Ostberlin vorzusehen.
Damit begann eine regelmäßige Zusammenarbeit mit den Vertreterinnen
und Vertretern des christlich-jüdischen Gespräches in den Gliedkirchen
des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR. Sie wurden regelmäßig
beibehalten bis zur Wende.
Für die folgenden 10 Jahre – aber wer von uns hätte geglaubt,
dass nach 10 Jahren alles anders werden würde – war es immer
der Dienstag während der KLAK-Tagung, an dem man nach Ostberlin fuhr.
Immer mit Frischobst bepackt, auch mit einigen Materialien und vor allem
mit einem ziemlich mulmigen Gefühl machten wir uns in der rumpelnden
S-Bahn auf den Weg. Nach was wird man an der Grenze gefragt werden, welche
Taschen werden näher inspiziert. Wir waren immer froh, wenn sich
am Ausgang in der Friedrichstraße alle wieder einfanden. Die Erlebnisse
beim Grenzübertritt in der Nacht wurden dann immer erst am nächsten
Morgen ausgetauscht. Mehrere KLAK-Mitglieder hatten das zweifelhafte Vergnügen,
nachts in einem kahlen Raum zu sitzen und darauf zu warten, was man denn
wohl genaues wissen wolle. Im Nachhinein kann man sich über die eigenen
Sorgen natürlich wundern. Denn wirklich passiert ist nie etwas. Wir
haben aber auch nie ein besonderes Risiko auf uns genommen. In Erinnerung
sind sehr intensive Begegnungen in ziemlich überheizten Räumen,
die manchem schon etwas ermüdeten KLAK-Mitglied den Schlaf in die
Augen trieb. Da konnten einem manchmal die Referenten Leid tun, die theologische
Themen zu behandeln hatten.
Neben theoretischen Arbeitsphasen gab es dann aber immer auch eine kleine
Führung zu einer jüdischen Besonderheit in der Umgebung wie
z.B. die ehemalige Synagoge in der Oranienburger Straße, deren Kuppel
damals nicht so herrlich in Gold glänzte, wie sie das heute tut,
oder der Friedhof in der Großen Hamburger Straße oder auch
Plätze, die von historischer Bedeutung waren.
Diese
Begegnungen machten uns wohl fähig, nach der Wende nicht überstürzt
aber in gegenseitiger Rücksichtnahme die verschiedenen Gruppen, die
sich in der DDR für den christlich-jüdischen Dialog eingesetzt
hatten, vertrauensvoll mit der KLAK im Westen zusammenzuführen.
In den Jahren bis zur Wende war es zu einer sehr guten Zusammenarbeit
mit der Evangelischen Akademie Berlin und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
im Tagungshaus am Kleinen Wannsee gekommen. Das Haus wurde allen so vertraut,
dass auch die KLAK-Mitglieder nach der Wende mit gewisser Trauer von den
Gebäuden am Kleinen Wannsee Abschied nahmen. Inzwischen haben sie
sich aber auch in der Tagungsstätte auf der Insel Schwanenwerder
eingelebt und fühlen sich dort sehr wohl. Aber auch KLAK-Mitglieder
haben eben ein gewisses konservatives Beharrungsvermögen und gewöhnen
sich manchmal nicht so gern an neue Verhältnisse.
Wendezeiten
Wir haben gerne die Kontakte zu unseren Mitchristen in der DDR gehalten.
Einmal gab es im Sommer sogar eine kleine Rosenzweig-Tagung bei Superintendent
Friedrich Magirius in Leipzig. Aber froh sind wir doch alle, dass mit
der Wende alles so überraschend anders wurde. Direkt nach der Wende,
also im Januar 1990 tagten wir noch einmal wie bisher an einem Dienstag
in der Auguststraße. Mittelfristig sollte die KLAK Ost und West
zusammengeführt werden, aber dies sollte in Ruhe geschehen und vor
allem mit Rücksicht auf die Strukturen der Arbeitskreise in der früheren
DDR, die nun erst einmal für sich den Ort in der kirchlichen und
in der politischen Wirklichkeit suchen mussten. Für manche Gruppierungen
war nicht so sehr die KLAK der Ansprechpartner sondern z.B. der Koordinierungsrat
der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit (DKR)
oder auch die Deutsch-Israelische Gesellschaft (DIG). Auch galt es innerkirchlich
zu klären, ob Gruppen die schon zum „Zentralverein für
Zeugnis und Dienst unter Christen und Juden“ gehörten auch
zur KLAK gehören wollten, auch wenn das im Westen inzwischen selbstverständlich
geworden war.
Aufgrund dieser schwierigen Prozesse gab es auch im Jahr 1991 noch nicht
die endgültige Vereinigung der KLAK Ost und West. Vielmehr führte
man nun einen gemeinsamen Tag in der Ev. Akademie in der Goethestraße
durch. Hier wurde ein Thema bearbeitet und zugleich darüber beraten,
wie der Einigungsprozess angegangen werden sollte. Für 1992 wurde
der Zusammenschluss beschlossen. Die Satzung der KLAK, die einige Jahre
zuvor beschlossen worden war, wurde noch einmal überarbeitet. Denn
es galt nun, der sich deutlich vergrößernden KLAK Rechnung
zu tragen. Ein Vorstand musste nun gewählt werden. Bisher hatte es
nur einen Vorsitzenden (nachdem der Begriff „Koordinator“
als zu sperrig angesehen worden war) gegeben. Nun wurden vier Regionen
gebildet, die jeweils ein Mitglied in den Vorstand entsenden. Zusammen
mit ihnen und dem Schriftführer bildet sich der Gesamtvorstand der
KLAK. Bei der Zuschneidung der Regionen wurde darauf geachtet, dass zumindest
zwei Regionen Ost und West gemeinsam repräsentieren. Zur Region Nord-Ost
gehören: Nordelbien, Mecklenburg, Pommern und Braunschweig. Zur Region
Süd-Ost gehören: Berlin-Brandenburg, die Kirchenprovinz Sachsen,
Sachsen, Thüringen und Bayern. Zur Region Nord-West gehören:
Rheinland, Bremen, Oldenburg, Hannover, Kurhessen-Waldeck, die Reformierte
Kirche und Westfalen. Zur Region Süd-West gehören: Hessen-Nassau,
Baden, Pfalz und Württemberg.
Die Vereinigung beider Teile der KLAK ist erfreulich kooperativ erfolgt.
Alle Schritte zur Vereinigung wurden von beiden Seiten bedacht und beschlossen.
Die KLAK-Mitglieder aus der ehemaligen DDR betonten mehrfach ihre Dankbarkeit
für den Weg zur Vereinigung der KLAK, sie hätten sich nicht
einfach übernommen oder „abgewickelt“ gefühlt. Natürlich
bringen beide Seiten ihre unterschiedliche kirchliche und politische Sozialisation
mit. Am deutlichsten ist dies vielleicht bei der Frage des Verhältnisses
zum Staat Israel zu spüren. In der DDR begrüßte seinerzeit
der Staat zwar die (sehr wenigen) Jüdinnen und Juden in seiner Mitte,
Israel betrachtete er aber als imperialistischen, kolonialistischen Staat
und unterhielt gute Kontakte zur PLO. Für Bürger der DDR, denen
die Existenz des Staates Israel wichtig war, bedeutete dies also immer
einen möglichen Konflikt mit offiziellen Stellen. Nach der Wende
war in diesen Kreisen die Freude besonders groß, nun endlich einmal
in dieses ferne Land ihrer Sehnsucht reisen zu können. Für viele
war die Errichtung dieses Staates ein Zeichen göttlicher Treue, wie
es auch in westdeutschen kirchlichen Stellungnahmen ausgedrückt wurde.
Eine Kritik an der Politik des Staates Israel war für manche von
Ihnen bereits eine Abkehr von der engen Verbundenheit mit dem jüdischen
Volk, eine Abkehr von der Solidarität mit Israel.
Dass diese Befürchtung im Blick auf die deutsche Gesellschaft nicht
unbegründet war, zeigten die politischen Stellungnahmen im Umfeld
der Bundestagswahl 2002, die sich gerne antisemitischer Klischees bedienten.
In der KLAK selber gab und gibt es im Blick auf die aktuelle israelische
Politik sehr unterschiedliche Positionen. Sie reichten und reichen von
einer unbedingten Israelsolidarität, die Kritik an Israel und seiner
Politik nur sehr begrenzt zulässt, bis hin zu denen, die die politischen
Entwicklungen der letzten 2 ½ Jahre sehr kritisch beobachten. Sie
haben oftmals Schwierigkeiten, Ihre Position von einer prinzipiellen Gegnerschaft
zu Israel abzugrenzen.
Naher Osten
Die Debatte um die Beziehung zu Israel hat schon zu einem früheren
Zeitpunkt zu heftigen Spannungen innerhalb der KLAK geführt. Seit
vielen Jahren ist die KLAK Mitglied in der „Evangelischen Mittelostkommission“
(EMOK), seinerzeit vertreten durch ihren Vorsitzenden. In dieser Kommission
treffen sich alle kirchlichen Gruppierungen, die im Nahen Osten entweder
vor Ort aktiv sind oder die dauerhafte Kontakte zu Arabern und/oder Israelis
haben. Die Kommission hatte sich zur Aufgabe gesetzt, eine Studie zu verfassen,
die sich mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt befassen sollte.
Schon für die an der Entstehung der Studie Beteiligten war dies ein
sehr schwieriger Prozess. Denn Jede und Jeder haben in Israel oder unter
den Palästinensern ihre Freunde, die mit einer sehr hohen Erwartung
an ihre jeweilige Solidarität immer in Gedanken mit am Tisch saßen.
Die bedrängende Frage lautete, wie kann ich die eben beschriebene
Darstellung meinen Freunden auf der einen oder der anderen Seite vermitteln.
Ohne direkten, persönlichen Bezug kann man schnell über Politik
und Menschenrechte in anderen Ländern urteilen. Doch wenn man die
Situation kennt, wenn man die Argumentation kennt, lassen sich Urteile
weitaus schwieriger fällen.
Auf israelischer Seite gibt es beispielsweise die Überzeugung, dass
ein gewisser Druck auf Festgenommene u.U. einen zukünftigen Anschlag
verhindern könne. Kann man als Außenstehender fordern, dieses
Risiko müsse eingegangen werden?
Freunde der Palästinenser ihrerseits werden herausgefordert, etwas
zu den Selbstmordattentaten zu sagen. Reicht es zu sagen, sie seien eine
Antwort auf israelische Gewalt?
Natürlich gibt es an dieser Stelle ein Ungleichheit, die auch seinerzeit
die Debatte so schwierig machte: Israel ist eine Demokratie und kritische
Anfragen an die Politik Israels werden immer auch aus der israelischen
Gesellschaft selbst heraus gestellt. In den autonomen palästinensischen
Gebieten kann man kaum von einer funktionierenden Demokratie sprechen
und Gruppen, die hier laute Kritik an Menschenrechtsverletzungen durch
Palästinenser äußern, gefährden letztlich sich selber.
Diese Debatte prägte die Delegiertenversammlung des Jahres 1993
und lag wie eine schwarze Wolke über der Delegiertenversammlung von
1994. Zu dieser Delegiertenversammlung bin ich als Vorsitzender der KLAK
zum ersten und einzigen Mal mit sehr gemischten Gefühlen und großer
Sorge gefahren. Ich war in Sorge, ob der Streit über die EMOK-Studie
die KLAK in ihrer Existenz gefährden würde. Einerseits gab es
Forderungen, dass die KLAK ihre Mitarbeit in der EMOK einzustellen habe,
wenn diese Studie veröffentlicht würde, andererseits gab es
auch in der KLAK Stimmen, die eine solche Studie für notwendig hielten.
Was würde geschehen, wenn kein Konsens mehr gefunden würde,
wenn unvereinbare Forderungen gegeneinander stehen würden, die unüberbrückbar
wären?
Im Jahr 1993 hatte es in Stuttgart und in Kassel zusätzliche Sitzungen
gegeben, in denen die Textvorlage der EMOK Punkt für Punkt diskutiert
wurde und eine Fülle von kritischen Anfragen und Forderungen erhoben
wurden. Es wurde nach der Legitimation der Kirchen gefragt, überhaupt
zu einem solch schwierigen politischen Problem Aussagen zu machen. An
vielen Stellen wurde eine unzureichende Ausgewogenheit der Aussagen kritisiert.
Selbst wenn die Sprache Ausgewogenheit vortäusche, widerspreche dem
der Inhalt des Textes. Und manche Begriffe, die inzwischen doch schon
so etwas wie Allgemeingut sind, wie z.B. das parallele Sprechen von „Israel
/ Palästina" sei sachlich nicht gerechtfertigt.
Nach wie vor stand die Forderung einiger im Raum, dass die KLAK in keinem
Fall Mitverantwortung für die Erstellung des Papiers übernehmen
dürfe. Auch 1994 wurden noch einmal alle Kapitel der geplanten Studie
diskutiert. Erschwerend hinzu kam, dass in diesem Jahr der „Weltgebetstag
der Frauen“ von palästinensischen Christinnen gestaltet worden
war. Ein inhaltlicher Zusammenhang zwischen der EMOK-Studie und dem von
palästinensischen Frauen für den Weltgebetstag 1994 erarbeiteten
Liturgievorschlag wurde hergestellt. Manche sahen die Kirche insgesamt
in einer antiisraelischen Haltung, zumal die Liturgie für den Weltgebetstag
auch außerhalb der KLAK zu heftigen Auseinandersetzungen geführt
hatte bis hin zu der Tatsache, dass für Württemberg eine eigenständige
Liturgie verfasst worden war. In anderen Landeskirchen wurde zumindest
auf die Problematik des Textes hingewiesen. Man wird aber festhalten müssen,
dass diese beiden Ereignisse, die Studie und der Weltgebetstag, getrennt
gesehen werden müssen.
Die weitere Entwicklung der EMOK-Studie nahm dann aber dieser Frage etwas
die Brisanz. Der Rat der EKD war nicht bereit, diese Studie sich zu eigen
zu machen und sie als Studie der EKD zu veröffentlichen. Was nun
noch möglich war, war die Überarbeitung des Textes und seine
Veröffentlichung in der Verantwortung derer, die diese Studie bekannt
machen wollten. 1994 erschien das Buch: „Der israelisch-palästinensische
Konflikt – Der schwierige Weg zum Frieden“. Jetzt handelte
es sich nicht mehr um eine offizielle kirchliche Stellungnahme. Die Studie
wurde nun eine Verlautbarung von Menschen, die auf der Grundlage ihrer
Kontakte zu Israelis oder Palästinensern ein Wort zur Situation im
Nahen Osten sagen wollten und damit den Gemeinden in Deutschland vor allem
eine Orientierungshilfe geben wollten. Der Text erschien als GTB-Taschenbuch
unter dem Titel: Der israelisch-arabisch-palästinensische Konflikt
/ Der schwierige Weg zum Frieden / Hintergründe, Positionen und Perspektiven
(Gütersloh 1994).
Entspannend für die innerkirchliche Situation war natürlich,
dass im Nahen Osten selber der Wille zum Frieden in Abkommen umgesetzt
wurde und so für einige Jahre sogar die Überzeugung entstehen
konnte, dass man im Nahen Osten am Anfang einer zukunftsweisenden, friedlichen
Entwicklung stehen könnte. Leider ist diese Hoffnung inzwischen längst
wieder einer verzweifelten Spirale der Gewalt gewichen, die es heute erneut
schwierig macht, über den Nahen Osten vorurteilsfrei zu sprechen.
„In Israels Gegenwart“
Ein anderes Thema der neunziger Jahre war die Diskussion um die „Erneuerte
Agende“ der VELKD und der EKU. Der Vorentwurf war 1990 veröffentlicht
worden. In der Sitzung im Januar 1992 beschäftigte sich die KLAK
erstmalig mit diesem Agendenentwurf. Es gab schon vereinzelte Stellungnahmen
aus Mitgliedsgruppen der KLAK, die sich mit den liturgischen Texten auseinandergesetzt
hatten. Es wurde ein kleiner Ausschuss gebildet, der in den kommenden
Monaten die Agende unter dem Gesichtspunkt der Ergebnisse des christlich-jüdischen
Dialogs durcharbeiten sollte. Ein Ergebnis sollte dann auf der Delegiertenversammlung
1993 vorgelegt werden. Die Arbeitsgruppe arbeitete sehr effektiv und gründlich
und legte ihr Arbeitsergebnis ein Jahr später vor. Es war weitaus
umfangreicher als erwartet. Die Arbeitsgruppe hatte sich nicht nur auf
die einschlägigen Anlässe wie Karfreitag oder Jerusalemsonntag
beschränkt, auch nicht auf die gesondert aufgeführte Thematik
„Christen und Juden“ beschränkt, sondern tatsächlich
die gesamte Agende durchgearbeitet. Auffällig war, dass gerade auch
der Abschnitt „Christen und Juden“ besonders kritisch bewertet
wurde. Hier hätte man eigentlich aufgrund der inzwischen vorliegenden
Arbeiten der Studienkommission „Christen und Juden“ der EKD
und des AK Judentum der VELKD erwarten können, dass die Texte vom
Geist der Partnerschaft und der Gleichberechtigung (heute würde man
wohl sagen „auf Augenhöhe“) geprägt wären.
Doch gerade diese Texte atmeten z.T. noch den Geist eines Christentums,
das sich als Ablösung des Judentums sah.
Im Verlauf der Arbeit an den Texten war die Gruppe zu ganz grundsätzlichen
Fragen vorgestoßen. Grundsätzliche liturgische Probleme wurden
nun diskutiert. Zum Beispiel wurde nach der aus christlich-jüdischer
Sicht angemessenen Gebetsanrede gefragt. Ist ein Gebet überhaupt
an Jesus Christus zu richten, würde damit nicht die Einzigkeit Gottes
in Frage gestellt. Kann ein Gebet nicht nur an Gott gerichtet werden,
wie es die herkömmliche Form des Kollektengebets kennt, das am Ende
des Gebetes die Vermittlungsformel „durch unseren Herrn Jesus Christus...“
anfügt.
Diese und ähnlich gelagerten, grundsätzlichen Fragen führten
nach Mitteilung an den entsprechenden Ausschuss der VELKD und der EKU
zu einer ziemlich heftigen Reaktion. Der zuständige Ausschuss erklärte
sich mit diesen grundsätzlichen Anfragen für überfordert
und bat die Kirchenleitungen der VELKD und der EKU um theologische Stellungnahme.
Diese ihrerseits beauftragten ihre Theologischen Ausschüsse mit der
Behandlung dieser Frage. Die Reaktionen aus diesen Ausschüssen waren
recht schroff und theologisch rückwärtsgewandt. Sie waren geprägt
vom Geist der Besitzstandswahrung des christlichen Glaubens und von der
Angst, die eigene Identität zu verlieren.
Aus einer kritischen Anfrage an die Texte wurde unversehens eine kirchenamtlich
sehr kontrovers geführte Debatte. Die theologischen Ausschüsse
verfassten eine Stellungnahme zu den KLAK-Äußerungen, die leider
ein Spiegelbild einer Theologie waren, die die Verwurzelung des Christentums
im Judentum zwar erkennt, aber sich gegen die notwendigen Schritte der
Umsetzung wehrt. Die Äußerungen über das Alte Testament,
über das Gottesvolk über den Monotheismus und Trinität
spiegelten eine universitäre Theologie wider, in der die besondere
Beziehung von Christen und Juden theologisch nicht bearbeitet wird. Diejenigen,
die auch wissenschaftlich versuchen, diese Frage zu behandeln, führen
ein Schattendasein an den Universitäten. Gerade auch Wissenschaftler
wie der kürzlich verstorbene Friedrich Wilhelm Marquardt, der sich
auch in die Debatte um die Agende eingebracht hatte, konnten keinen wirklichen
Durchbruch an den Universitäten erreichen.
Da deutlich wurde, dass die Änderungsvorschläge für die
Agende im Wesentlichen keinen Eingang in die Erneuerte Agende finden würden,
bereiteten die KLAK und der Ev.-luth. Zentralverein für Zeugnis unter
Christen und Juden eine Veröffentlichung vor, die eine etwas überarbeitete
Fassung der ursprünglichen Stellungnahme der KLAK zur Erneuerten
Agende enthielt. Einige besonders umstrittene Thesen wurden in dieser
Ausgabe verändert oder präzisiert, was dazu führte, dass
zeitweise zwei Versionen parallel kursierten. Vor allem hatte den theologischen
Ausschüssen in ihren ersten Sitzungen die erste Version vorgelegen.
Es wurde nun immer von KLAK-Votum I oder KLAK-Votum II gesprochen. Manche
Diskussionspunkte erübrigten sich angesichts der überarbeiteten
Fassung, andere blieben kontrovers. Aber eine wirkliche Einigung kam nicht
zustande.
Der „Evangelische Arbeitskreis Kirche und Israel in Hessen und
Nassau“ hat in der Folge dieser Debatte, die aus der Sicht des christlich-jüdischen
Gesprächs manche Untiefen aufgezeigt hatte, diesen Streit im Jahr
1999 in dem Heft „Streit um das Gottesdienstbuch“ (Schriftenreihe
des Ev. Arbeitskreises Kirche und Israel in Hessen und Nassau, Heft 17)
dokumentiert. In dieser Schrift sind eine Kurzfassung aus „Lobe
mit Abrahams Samen“ (Schriftenreihe, Heft 15), die Stellungnahme
der Theologischen Ausschüsse und viele weitere Stellungnahmen zusammengestellt.
Auf dem Weg(?)
Und was hat die Debatte gebracht? In der Agende wurden einige Texte umgeformt,
andere Anregungen wurden abgelehnt. Aber alle im christlich-jüdischen
Dialog aktiven Menschen haben in der Debatte eines gelernt: Es ist noch
ein sehr weiter Weg bis auch in der wissenschaftlichen Theologie die Notwendigkeit
erkannt wird, dass christliche Theologie nicht denkbar ist, ohne sich
ihrer Verwurzelung im Judentum zu vergewissern.
Es mag allerdings sein, dass der Gedanke des noch weiten Weges schon
fast zu optimistisch ist. Er setzt ja voraus, dass auf dem Weg Menschen
zumindest in der richtigen Richtung unterwegs sind. Schaut man aber auf
Veranstaltungen wie die vor einigen Jahren in Tübingen abgehaltene
Tagung zum Thema Judenmission, in der längst überwunden geglaubte
Positionen vertreten wurden, bleiben Zweifel angebracht, ob die Kirche
tatsächlich auf dem Weg zu einem tieferen Verständnis der jüdischen
Wurzeln des Christentums ist. So wurde das paulinische Wort „Sie
(die Juden) sind Feinde um unsretwillen“ nicht dankbar als die Eröffnung
eines Zeitraumes, der der weiteren Christianisierung der Heiden Raum lässt,
verstanden, sondern als Definition des Verhältnisses von Christen
und Juden. Es liegt also nicht nur ein weiter Weg vor uns, der Ruf zur
Umkehr von einer triumphalistischen Theologie hin zu einer Theologie der
Geschwisterlichkeit mit dem Judentum ist heute so notwendig wie seit Jahrzehnten.
Die KLAK ihrerseits hat sich auf ihrer Delegiertenversammlung 1996 mit
der Frage der „Judenmission“ befasst und sich in einer öffentlichen
Erklärung für ein deutliches „Nein“ zur Judenmission
auch aus theologischen Gründen ausgesprochen.
Im Jahr 1997 fand diese These auch Eingang in die überarbeitete
Präambel der KLAK-Geschäftsordnung. In ihr benennt die KLAK
unter andrem folgende Schwerpunkte ihrer Arbeit:
- Entdecken der jüdischen Wurzel des christlichen Glaubens
- Bewusstmachung des grundlegenden Verhältnisses von Kirche und Israel
- Abwehr aller Judenfeindschaft
- Eintreten für den Staat Israel und den Frieden mit seinen Nachbarn.
Diese Präambel endet mit der Überzeugung, dass für die
genannten Aufgaben das Gespräch mit den Jüdinnen und Juden unerlässlich
sei. Der letzte Satz lautet: „Judenmission lehnen wir ab.“
Diese Position ist um so erfreulicher, als mittlerweile nahezu Arbeitskreise
aller Landeskirchen Deutschlands zur KLAK gehören und damit auch
Mitglieder der unterschiedlichen Kirchenbünde sich dieser theologischen
Position verbunden fühlen. In den Landeskirchen selber allerdings
gilt es noch eine Menge Überzeugungsarbeit zu leisten.
Erkundungen
in Berlin
Die KLAK hat in Berlin nicht nur getagt, diskutiert und Resolutionen verfasst.
Sie hat während ihren Delegiertenversammlungen auch die Gelegenheit
wahrgenommen, die für die Begegnung von Juden und Christen besondere
Situation in Berlin in ihre Arbeit einzubeziehen. Von Anfang an galt es,
in das Programm einen Informationsteil über ein Gebäude, eine
Ausstellung, eine Gedenkstätte einzubeziehen. Schon im ersten Jahr
ergab sich die Möglichkeit, an einer Gedenkfeier in der Wannseevilla
teilzunehmen, in der die sog. „Endlösung der Judenfrage“
1942 beschlossen worden war. Der Inhalt dieser Feier stand in scharfem
Gegensatz zu der wunderschönen Landschaft und dem herrlichen Frostwetter,
das es den Delegierten ermöglichte, von Ihrer Tagungsstätte
am Kleinen Wannsee über das Eis zu der Villa am Großen Wannsee
zu Fuß zu spazieren. Sie erfuhren so die Spannung zwischen schöner
Umwelt und brutaler Geschichte, die mich oft auch einholt, wenn ich ein
ehemaliges KZ besuchte, das meistens in einer wunderschöne Landschaft
gelegen hat.
In einem anderen Jahr wurde das neu hergerichtete Gebäude der ehemaligen
„Neuen Synagoge“ in der Oranienburger Straße besucht.
Hier machte vor allem die architektonische Gestaltung betroffen, die es
ermöglicht, aus dem Ausstellungsraum durch eine große Fensterwand
in den Hof zu schauen, der einstmals von der Synagoge überbaut war.
Sogar zweimal besuchte die KLAK das neu errichtete „Jüdische
Museum“ des Architekten Daniel Libeskind. Im leeren Zustand war
es bereits zu einem Publikumsmagnet geworden. Die architektonische Idee
des inhaltlich durchaus umstrittenen Zick-Zack-Grundrisses, das im Nichts
endende Treppenhaus, die „Voids“ und die bedrückende
Stimmung im „Holocaustturm“, der selber auch ein „Void“
darstellt, nahm uns gefangen. Diese Architektur war so faszinierend, dass
gelegentlich der Wunsch entstand, man möge das Gebäude gerade
so unangetastet lassen und keine Ausstellung einrichten.
Natürlich war die KLAK dann wenige Jahre danach umso gespannter,
wie sich die inzwischen eingerichtete Ausstellung in die Architektur des
jüdischen Museums einpasst. Schnell wurde deutlich, dass sie sich
eben nicht immer einpassen konnte, dass bauliche Korrekturen vorgenommen
werden mussten, oder dass architektonische Elemente, die im leeren Bau
einen tiefen Eindruck hinterlassen hatten, nun kaum noch wahrgenommen
werden konnten. So haben die kleinen kreuzförmigen Fenster, die zuvor
für reichlich Diskussionsstoff gesorgt hatten, ihre hervorgehobene
Bedeutung verloren.
Dies alles war aber zu erwarten, und so gewann ich persönlich den
Eindruck, dass zwar Kompromisse geschlossen werden mussten, aber doch
ein gelungenes Konzept entwickelt werden konnte. Besonders beeindruckte
mich die – wenn auch die Idee der „Voids“ überschreitende
- Entscheidung, auf dem Boden eines „Void“ die Installation
„Shalechet“ (Gefallenes Laub) von Menashe Kadishman auszulegen,
die aus schreienden Metallgesichtern besteht . Die Aufsichtsperson sah
mein vorsichtiges Herangehen und sagte mir, man könne auch auf die
Metallplatten treten, es entstünde ein sehr eindringliches Geräusch.
Doch trotz dieser Erlaubnis konnte ich mich nicht überwinden, auf
die Eisenplatten zu treten, sie waren doch schreiende Gesichter.
Ausblick
Dieses Museum stellt mit den historischen Rückblicken, mit der den
untergegangenen jüdischen Gemeinden verpflichteten Architektur, mit
seinen Ausstellungsteilen, die über lebendiges Judentum berichten
und eben mit einer solchen Skulptur der schreienden Gesichter eine verdichtete
Mahnung dar, in unseren Fragestellungen im christlich-jüdischen Dialog
nicht nachzulassen, sondern immer wieder neu unsere Verantwortung vor
der Geschichte und vor der Gegenwart wahrzunehmen.
Dieser Tage erhielt ich einen Brief, in dem im Blick auf die Jahrezehnte
lange Arbeit im christlich-jüdischen Dialog angesichts des neu aufflammenden
Antisemitismus in unserem Land nach dem Erfolg unserer Arbeit gefragt
wird. Ich kann die Berechtigung der Frage nicht von der Hand weisen: Wie
viele theologische wie gesellschaftspolitische Tagungen hat es gegeben,
wie viele Diskussionen auf Tagungen, in Gemeindekreisen, auf Kirchentagen
fanden statt – und welche Wirkung haben sie erzielt? Und ich höre
nach wie vor, wie vom „gewalttätigen, blutrünstigen Gott“
des Alten Testamentes gesprochen wird, vom Gott der Rache, vom „christlichen“
Nächstenliebegebot, von der „Hybris des Erwählungsglaubens“
- um nur einige zu nennen. Ich höre wie „Zionismus“ mit
der gegenwärtigen rechtsgerichteten Politik Israels gleichgesetzt
wird, wie israelisches Unrecht zur Entlastung eigener Schuld unseres Volkes
herhalten muss.
Da
kann man schon am Erfolg der eigenen Arbeit zweifeln. Aber was haben wir
eigentlich erwartet? Glaubten wir, wir könnten eine durch Jahrhunderte
aufgebaute Judenfeindschaft und einen aktuellen Antisemitismus in wenigen
Jahren überwinden? Dankbar sollten wir sein für die Menschen,
die in den vergangenen Jahren ihre Aufgabe in der Vertiefung des Verständnisses
des Judentums und der jüdischen Geschichte gesehen haben. Wir sollten
sie ermutigen, unverdrossen im Sinne eines Christentums „in Israels
Gegenwart“ weiterzuarbeiten. Hier haben wir wirklich einen missionarischen
Auftrag, eine „innere“ Mission.
Im November 2002
Ulrich Schwemer, Heppenheim
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