Die Geschichte Israels

von Stefan Meißner


PROLEGOMMENA ZUR GESCHICHTE ISREALS

2. Geschichtsschreibung und Geschichtstheologie Israels


Ägyptischer Schreiber

Literatur
Erich Zenger: Einleitung in das Alte Testament, 177ff.; Rendtorff, Theologie II, 243ff., v. Rad, Theologie I,117ff.; ders.: Der Anfang der Geschichtsschreibung in Israel (1944), Gesammelte Studien, 148ff.; A. Behrens: Verstehen des Glaubens, Kap.4

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Von den ältesten Zeiten bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Heinrich Graetz (1817 - 1891) zählte zu den hervorragendsten Geschichtsschreibern des 19. Jhs. Mit diesem Werk legte er die erste umfassende Darstellung der Entwicklung des Judentums vor. Als Erster begriff er die Geschichte der Juden als eine Einheit, nicht nur als Religions- oder Kirchengeschichte. Mit seiner flüssigen, lebendigen Ausdrucksweise zog er schon zu Lebzeiten viele Leser an. Die CD-ROM bietet den vollständigen Text auf Grundlage der Ausgabe letzter Hand. Mit vielen Zusatzfunktionen.
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2.1 Geschichtsschreibung in Israels und im alten Orient

Ein Aufsatz von Gerhard v. Rad, einem der angesehensten Alttestamentler des 20. Jahrhunderts, trägt den Titel: „Das Alte Testament ist ein Geschichtsbuch“ (in: C. Westermann [hg.]: Probleme atl. Hermeneutik, München 1960, S.11-16). Diese These, so oft sie auch wiederholt wurde, ist allerdings missverständlich, denn sie kann leicht zu dem Irrglauben führen, als habe sich alles, was das AT erzählt, genau so zugetragen. Dass das so pauschal nicht zutrifft, zeigt schon ein Blick auf die Texte der Urgeschichte (Gen 1-11). Hier ist z.T. mythologischer Stoff verarbeitet, dessen Wahrheitsgehalt jenseits des Historischen zu suchen ist. Ähnliches gilt etwa für die Erzeltern-Geschichten, die auf weite Strecken aus Sagen bestehen, die einerseits zwar zumeist einen historischen Hintergrund haben, die andererseits aber primär jedenfalls einen anderen Zweck verfolgten als einfach Historie zu reproduzieren. Deshalb bleibt richtig, was N.P. Lemche in seinem Werk über "Die Vorgeschichte Israels" geschrieben hat, nämlich „dass wir im AT nicht eine Geschichtsschreibung erwarten dürfen, die mit den modernen Formen der Geschichtsschreibung überhaupt vergleichbar wäre“ (S. 20).

Andererseits kann man den alten Erzählern ein gewisses Geschichtsbewusstsein nicht absprechen, auch wenn ihre literarischen Produkte heutige Kriterien von Geschichtsschreibung nicht immer erfüllt. Es ist schon auffällig: Bevorzugter Ort von Gotteserfahrung ist im Alten Israel die Geschichte, sie ist ein Medium von Offenbarung. In diesem Sinn stimmt der Satz v. Rads schon.

Weit verbreitet ist auch v. Rads Behauptung, das Geschichtsbild Israels sei linear, während in der altorientalischen Umwelt ein zyklisches Geschichtsbild vorherrsche. Ähnlich betont auch Erich Zenger die Differenzen zwischen Israel und seiner Umwelt. In seiner „Einleitung“ (S.178) benennt er drei Punkte:

Teile der neueren Forschung (B. Albrektson, H. Cancik, J.van Seters) zeigen sich freilich skeptisch gegenüber solchen Abgrenzungsversuchen der christlichen Theologen, v.a. wenn sie mit einer Wertung verbunden sind: „Die weitverbreitete, fast zu einem Axiom gewordene These, dass Israels Glaube (und nur er!) sich auf die Geschichte stütze und deswegen eine ganz besondere, gegenüber den Produkten anderer, benachbarter Völker qualitativ höherstehende Geschichtsschreibung erzeugt habe, hält einer kritischen Nachprüfung nicht stand“ (A. Soggin, 26).

Externer Link
Encarta-Artikel "Geschichtsschreibung"

Alles Lüge? Der SPIEGEL und sein Enthüllungsjournalismus

"Immer deutlicher wird, dass Gottes Wort, das "Buch der Bücher", voller Mogeleien steckt. Eine Gruppe von Fälschern, "Deuteronomisten" genannt, bürsteten Realgeschichte um; sie verzerrten die Wirklichkeit, schafften unbequeme Fakten beiseite und erfanden, nach Art eines Hollywood-Drehbuchs, die Geschichte vom Gelobten Land. Wie die Arbeit im Einzelnen ablief, ist längst nicht vollständig geklärt. Die biblische Zensurbehörde ging geschickt vor. Wie Mehltau liegt ihre Version der Zeitläufe auf der Geschichte. Im Prinzip arbeitete sie so perfekt wie das Wahrheitsministerium von George Orwell" (Der SPIEGEL, Nr. 52 - 21 Dezember 2002, "Die Erfindung Gottes").

Es wird oben deutlich geworden sein: Es hat sich sicher nicht alles so abgespielt, wie die Bibel es darstellt. Aber von "Mogeleien" zu sprechen, besteht nun überhaupt kein Anlass. Schon garnicht gab es eine "biblische Zensurbehörde". Diese Gehirngespinste entspringen der antiklerikaren Phantasie der SPIEGEL-Jornalisten, die vor keiner antijudaistsichen Plattitüde zurückschrecken. Die hist. Wahrheit sieht anders aus: Die Bibel besteht aus einem Kanon von Schriften aus ganz unterscheidlichen Zeiten, verfasst von Autoren ganz unterschiedlicher theologischer Herkunft. Schon ein flüchtiger Blick in das AT, den Tenach der Juden, reicht, um zu erkennen, wie vielstimmig der Chor ist, der uns aus dieser Sammlung entgegentritt. Natürlich sind einzelene Schriften von der Tendenz der Verfasser geprägt, aber von einem Meinungsmonopol à la Orwell kann man im Blick auf die Bibel ganz sicher nicht sprechen. Im Judentum gab es überhaupt keine oberste Lehrautorität, die diese Zensur hätte ausüben können. Wer dennoch solche Vorwürfe in die Debatte einbringt, muss sich vorwerfen lassen, dass er von antiker Geschichtsschreibung nicht die Spur einer Ahnung hat. Ein kritischer Umgang mit der Bibel? Gerne, aber bitte nicht das Kind mit dem Bade ausschütten!
Vgl. dazu auch den Wikipedia-Artikel: "Biblischer Kanon"

 

2.2 Warum wird von der Geschichte erzählt?

Literatur
A. Behrens: Verstehen des Glaubens: Eine Einführung in die Fragestellung evangelischer Hermeneutik,
Neukirchen 2005, Kap.4: Verstehen und Geschichte, S.53ff.

2.1.1 Ein biblischer Antwortversuch

Literatur
Rolf Rendtorff: Theologie des Alten Testaments, Bd.2, Neukirchen 2001, S. 243ff.

Geschichte wird im AT häufig erzählt, um die göttlichen Gebote zu „begründen“ (Rendtorff, Bd.2, S. 248ff.), d.h. um bei den Menschen eine Motivation für deren Befolgen zu liefern. So schärft beispielsweise Dtn 5,14 ein, der Sabbat gelte auch für Sklave und Magd, weil man selbst einmal Sklave in Ägypten war.

Geschichte wird außerdem erzählt, um den Tun-Ergehen-Zusammenhang in der Geschichte nachzuweisen: Gehorsam führt zu Segen, Sünde hingegen zu Fluch. Diese Logik liegt z.B. in Neh 9,6-37 zugrunde, einem Bußgebet aus der Zeit nach der Rückkehr aus dem Exil (ähnlich: Ps 106).

2.2.2 Ein geschichtsphilosophischer Antwortversuch

Literatur
Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis 4. Auf., München 2002

Geschichte bietet in Krisenzeiten eine „unzerstörbare Heimat“, die Identität sicher stellt. Der Blick zurück erinnert an die gemeinsamen Wurzeln. Der Blick nach vorne, die Imagination und Antizipation von Zukunft, hält die Sehnsucht nach einem „Ziel“ in der Geschichte wach.

Beide Fragen: „Wo kommen wir her?“ und „Wo gehen wir hin?“, sind zutiefst religiöse Fragen. Erinnern und Antizipieren sind zwei Weisen, die gegenwärtigen Realitäten, den status quo zu transzendieren und damit in Frage zu stellen. Das zeigt sich nicht zuletzt beim Phänomen Prophetie.

“Mit dem kulturellen Gedächtnis verschafft der Mensch sich Luft in einer Welt, die ihm in der Realität des täglichen Lebens zu eng wird. Das gilt auch und gerade von der Erinnerung an die Vergangenheit.“ (Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis, S. 85).